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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

erklärt: gemeint sind dann unter den drei Tugenden die Tapferkeit, die Frömmigkeit und die Menschenliebe. Denn der in dem Titel der Handschriften genannte kleine Abschnitt über die Reue (περὶ μετανοίας) kann nicht als selbständiges Kapitel neben denen über die Tapferkeit und über die Menschenliebe angesehen werden, er gehört noch zu den Auseinandersetzungen über die Menschenliebe: nachdem Philo die ganz besonders humanen, sozialethischen und zu jeglicher Tugend anleitenden Vorschriften des Mosaischen Gesetzes dargelegt hat, wendet er sich an alle, die noch im Irrglauben befangen sind und ein lasterhaftes Leben führen, und fordert sie auf, reuig zum wahren Glauben sich zu bekennen und einem tugendhaften Leben sich zuzuwenden. Zu der Abhandlung über die Menschenliebe gehört ausserdem das Kapitel über den Adel (περὶ εὐγενείας): mit seinen Erörterungen über den wahren Adel, die sich an den stoischen Grundsatz ὅτι μόνος ὁ σοφὸς εὐγενής (nur der Weise ist adlig) anlehnen, will Philo seinen Glaubensgenossen ans Herz legen, dass sie die Proselyten, auf die er vorher angespielt hat, als völlig gleichberechtigt ansehen und nicht stolz auf sie wegen ihrer fremden Abstammung herabblicken sollen.

Wie das Werk über die Einzelgesetze, hat auch das Buch „über die Tugenden“ stark apologetischen Charakter. Wenn es auch in erster Linie für einen jüdischen Leserkreis bestimmt ist, so hat Philo nebenbei doch sicherlich auch an griechische Leser gedacht, insbesondere an solche, die in ihren Anschauungen dem Judentum nahestanden. Gab es doch zu jener Zeit überall, wo Griechen und Juden zusammenwohnten, zahlreiche sogenannte „Gottesfürchtige“ (φοβούμενοι τὸν θεόν), die sich vom heidnischen Götterdienst losgesagt und dem Monotheismus zugewandt hatten. Aus diesen Kreisen stammten wohl auch zum grossen Teil die vielen Proselyten, die damals vollständig für das Judentum gewonnen wurden. Philo will zwar in seinen Schriften nicht direkt Propaganda für das Judentum machen; aber es liegt auf der Hand, dass seine apologetischen Erörterungen über die Lehren und Vorschriften des jüdischen Gesetzes, deren religiöse und ethische Hoheit, deren humanen und erzieherischen Charakter er immer wieder zu betonen nicht müde wird, sehr wohl geeignet waren, die Proselyten in ihrem Bekenntnis zur jüdischen Lehre zu stärken und zu befestigen, aber auch aus den Reihen derer, denen der jüdische Glaube und das Leben nach dem jüdischen Gesetze nicht ganz fremd waren, neue Anhänger des Judentums zu gewinnen. Die apologetische Tendenz seiner Ausführungen tritt überall zutage. Bisweilen wenden sie sich ganz offen gegen die Angriffe und Beschuldigungen der Gegner des Judentums und der judenfeindlichen griechischen Schriftsteller. Sehr scharf weist er z. B. den Vorwurf zurück, dass das jüdische

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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/004&oldid=- (Version vom 18.8.2016)