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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

durch die stets gleiche Zuführung der doppelten Nahrung sofort den lästigen Herren, Hunger und Durst, entgehe“. 131 Leset dieses Gesetz, ihr braven und geschätzten Eltern, und schämet euch, die ihr immer an den Säuglingen eure Mordgier auslasset, die ihr den Neugeborenen nachstellet, um sie auszusetzen, ihr unversöhnlichen Feinde des ganzen Menschengeschlechts[1]. 132 Denn wem werdet ihr freundlich begegnen, die ihr eure eigenen Kinder mordet? die ihr, wenn es auf euch ankäme, die Städte veröden würdet und mit der Vernichtung der euch am nächsten Stehenden den Anfang machet, die ihr die Satzungen der Natur umstürzet und das, was sie aufbaut, zerstöret, indem ihr in eurer wilden und ungezähmten Herzensroheit der Geburt Vernichtung und dem Leben Tod entgegen stellet. 133 Seht ihr nicht, wie dagegen der allervortrefflichste Gesetzgeber sorgsam darauf bedacht war, dass nicht einmal die Jungen der vernunftlosen Tiere von der Mutter getrennt werden, bis sie ihre Nahrung empfangen haben. Und zwar hauptsächlich euretwegen, ihr Vortrefflichen, damit ihr die Verwandtenliebe, wenn sie euch nicht angeboren ist, wenigstens durch besondere Unterweisung kennen lernet, dadurch dass ihr an die jungen Lämmer und Böckchen denket, die in dem reichen Vorrat von notwendiger Nahrung ungestört schwelgen dürfen; denn die Natur hat solche an geeigneten Stellen bereitet, wo die Bedürftigen sie bequem geniessen können, und der Gesetzgeber bestimmt in weiser Fürsorge, dass niemand den wohltätigen und heilsamen Gottesgaben sich hindernd in den Weg stelle.

134 (18.) In seinem Bestreben, in mannigfaltiger Weise den Samen der Milde und Freundlichkeit den Gemütern einzupflanzen, erlässt er noch eine den vorigen verwandte Verordnung: er verbietet Mutter und Junges zusammen an demselben [398 M.] Tage zu schlachten (3 Mos. 22,28). Wenn man sie schlachten muss, soll es wenigstens zu verschiedenen Zeiten


  1. Philo nimmt das Mosaische Gebot, neugeborene Tiere nicht vor dem 8. Tage zu schlachten, zum Anlass, um gegen die griechische Unsitte der Aussetzung schwächlicher und verkrüppelter Kinder anzukämpfen; vgl. die ausführliche Erörterung Ueber die Einzelgesetze III § 110 ff.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/040&oldid=- (Version vom 31.10.2017)