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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

um schon von vornherein der Leichtfertigkeit derer einen Zügel anzulegen, die alles in Verwirrung zu bringen pflegen. 138 Denn wenn schon die nach Art der Pflanzen noch im Wachsen begriffene und als Teil des schwangeren Tieres geltende Leibesfrucht, die jetzt noch mit ihm verbunden ist, nach Verlauf von einigen Monaten aber sich von dieser Verbindung lösen wird, wegen der erwarteten Geburt durch die der Mutter gewährte Sicherheit geschützt wird, damit nicht die erwähnte Freveltat geschehe, um wieviel mehr gilt dies für die bereits geborenen Tiere, die für sich selbst eine Seele und einen Körper haben. Die allergrösste Sünde ist es fürwahr, zu einer Zeit und an einem Tage Junges und Mutter zugleich zu töten. 139 Dies scheint mir der Grund zu sein, weshalb manche Gesetzgeber das Gesetz über die verurteilten Frauen eingebracht haben, wonach Schwangere, wenn sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben, in Gewahrsam gehalten werden sollen, bis sie geboren haben, damit nicht bei ihrer Tötung die Leibesfrucht mit vernichtet werde[1]. 140 Aber jene Gesetzgeber haben diese Bestimmung nur für Menschen getroffen. Moses [p. 399 M.] aber geht noch weit darüber hinaus und dehnt die freundliche Rücksicht auch auf die vernunftlosen Tiere aus, dass wir sie an den anders gearteten (Tieren) üben und dann in um so grösserem Masse menschenfreundlich sein sollen gegen unseresgleichen, indem wir uns aller gegenseitigen Kränkungen enthalten und die eigenen Güter nicht aufspeichern, sondern überall mit allen Menschen teilen, die uns ja verwandt und von Natur verbrüdert sind. 141 Mögen nun die schlimmen Verleumder noch weiter unser Volk des Menschenhasses beschuldigen und unsere Gesetze anklagen, dass sie Absonderung und Ungeselligkeit vorschreiben[2], während doch diese Gesetze


  1. Diese Sitte bestand bei Aegyptern und Griechen (Diodor I 77. Plut. de sera num. vind. 7. Ael. Var. Histor. V 18). Auch das röm. Recht verbot die Vollziehung der Todesstrafe an einer Schwangeren (Clem. Alex. Strom. II 18; p. 478 Pott.; Digest. 48,19,3).
  2. Zu den hauptsächlichsten Vorwürfen, die von den judenfeindlichen griechischen Schriftstellern gegen die Juden erhoben wurden, gehörte der, dass sie sich von den andern Menschen abschliessen und keine Gemeinschaft mit ihnen haben wollen.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/042&oldid=- (Version vom 1.8.2018)