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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

habe als seine fremde Abstammung, was doch keine Schuld ist; denn was weder selbst Sünde ist noch Folge von Sünde, steht ausserhalb aller Schuld[1].

148 (20.) In reichem und überreichem Masse bekundet der Gesetzgeber sein Wohlwollen, indem er sich von den vernünftigen Wesen zu den vernunftlosen wendet und von den vernunftlosen weiter zu den Pflanzen, über die wir nun zu sprechen haben, nachdem wir über die Menschen und die anderen beseelten Geschöpfe alles gesagt haben. 149 Er verbietet ausdrücklich Bäume edler Zucht umzuhauen, ährentragendes Feld zum Schaden (der Frucht) vor der Zeit abzumähen und überhaupt eine Frucht zu verderben[2], damit das Menschengeschlecht immer einen Vorrat von reichlicher Nahrung habe und im Ueberfluss lebe nicht bloss an den unentbehrlichen Dingen, sondern auch an Mitteln zu einem üppigeren Leben. Unentbehrlich ist nämlich die Brotfrucht, die zur Nahrung für die Menschen ausgedroschen wird, zum üppigen Leben dienen dagegen die zahllosen verschiedenen Arten von Baumfrüchten; in Zeiten der Not aber werden diese häufig zu einer zweiten Nahrung.

[p. 401 M.] 150 (21.) Er geht aber noch weiter und erlaubt nicht einmal das Land der Feinde zu verwüsten, gebietet vielmehr sich des Fällens von Bäumen und anderer Verwüstungen (in Feindesland) zu enthalten (5 Mos. 20,19); denn er hält es für unstatthaft, dass der gegen Menschen gerichtete Zorn sich auf Dinge entlade, die nichts Böses verschuldet haben. 151 Ausserdem meint er, dass man nicht nur die Gegenwart im Auge haben, sondern auch von weither, wie von einer Warte, mit dem Scharfblick des Verstandes in die Zukunft schauen solle, da doch nichts beständig bleibt, sondern alles dem Wandel und der Veränderung ausgesetzt ist, daher es vorkommen kann, dass die, die lange unsere Feinde waren, uns Friedensvorschläge machen und nach vollzogenem Friedensschluss alsbald in ein Bündnis mit uns treten. 152 Schlimm wäre es aber, wollte man unentbehrliche Nahrungsmittel Freunden rauben, die keins


  1. Ueber die Einzelgesetze IV § 206 wird aus dieser biblischen Vorschrift die Lehre gezogen, dass der Richter die Nichtadligen nicht zurücksetzen dürfe.
  2. Dieses Gebot hat Philo selbst aus dem folgenden (§ 150) erschlossen.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/045&oldid=- (Version vom 1.8.2018)