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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn

145 (19.) Bewundern muss ich auch jenes Gesetz, das in vollem Einklang mit den vorigen, wie in einem harmonischen Reigen, ausdrücklich verbietet „einem Ochsen beim Dreschen das Maul zu verbinden“ (5 Mos. 25,4). Er ist es ja, der vor [p. 400 M.] der Aussaat die Furchen in das fette Erdreich zieht und für den Himmel und den Landmann die Fluren bestellt, für diesen, damit er rechtzeitig aussäen kann, für den Himmel, damit die tiefen Einschnitte den gespendeten Regen in sich aufnehmen und so allmählich der Saat die fette Nahrung reichlich liefern, bis sie reift und den jährlichen Fruchtertrag hervorbringt. Und nach der Reife ist der Ochse wieder zu anderem Dienste unentbehrlich, zur Reinigung der Garben und zur Ausscheidung des Auswurfs aus dem echten und nützlichen Getreide[1]. — 146 Nachdem ich aber die milde und wohlwollende Vorschrift über die dreschenden Ochsen angeführt habe, will ich sogleich auch das ganz verwandte Gesetz erörtern, das für die den Acker pflügenden Zuchttiere erlassen ist. Es verbietet nämlich zum Pflügen des Ackers Rind und Esel zusammenzuspannen (5 Mos. 22,10), nicht nur mit Rücksicht auf die unpassende Verbindung der beiden Tiere, weil nämlich das Rind ein reines Tier ist, der Esel aber zu den unreinen gehört, und weil es sich deshalb nicht ziemt, so verschiedene Gattungen zusammenzubringen, sondern auch weil ihre Kräfte ungleich sind und das Gesetz für die Schwächeren Sorge trägt, dass sie nicht von der Gewalt der Stärkeren gedrückt und gequält werden[2]. Allerdings wird das schwächere Tier, der Esel, von geweihter Stätte ausgeschlossen, während das stärkere, das Rind, nach der Vorschrift des Gesetzes bei den vollkommensten Opfern verwendet wird[3]. 147 Trotzdem nimmt das Gesetz auf die Schwäche des unreinen Tieres Rücksicht und gestattet dem reinen nicht, seine Macht an Stelle des Rechts zu gebrauchen: es will damit denen, die Ohren in der Seele haben, laut verkünden, dass man einem, der einem andern Volke angehört, kein Unrecht zufügen dürfe, wenn man ihm nichts anderes vorzuwerfen


  1. Ebenso begründet Josephus Altert. IV § 233 die biblische Vorschrift.
  2. Derselbe Gedanke ist auch oben Ueber die Einzelgesetze IV § 205 ausgesprochen.
  3. Vgl. Ueber die Einzelgesetze I § 162 ff.
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Philon: Ueber die Tugenden (De virtutibus) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 356. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonVirtGermanCohn.djvu/044&oldid=- (Version vom 1.8.2018)