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Beiwort der Menschen οἱ μέροπες, μέροπες ἄνθρωποι oder βροτοὶ zusammentrifft – von μείρομαι oder μερίζω die ihre Stimme teilenden, gliedernden[1].“

Jetzt erst ist das Material der Sprache so beschaffen, daß sich an ihm eine neue Form ausprägen kann. Der sinnlich affektive Zustand, geht, indem er sich geradezu in den mimischen Ausdruck umsetzt, in diesem letzteren auch gleichsam unter; er entlädt sich in ihm und findet darin sein Ende. Indem bei der fortschreitenden Entwicklung diese Unmittelbarkeit hintangehalten wird, wird damit zugleich der Inhalt erst in sich selbst festgehalten und in sich gestaltet. Es bedarf nun einer höheren Stufe der Bewußtheit, einer schärferen Auffassung seiner inneren Unterschiede, wenn er sich nach außen hin offenbaren, wenn er sich im Medium der gegliederten Laute zu bestimmter und deutlicher Erscheinung bringen soll. Durch die Hemmung des direkten Ausbruchs in die Gebärde und den unartikulierten Erregungslaut wird ein inneres Maß, eine Bewegung innerhalb des sinnlichen Begehrens und Vorstellens selbst erreicht. Vom bloßen Reflex führt der Weg immer bestimmter zu den verschiedenen Stufen der „Reflexion“ hinauf. In der Entstehung des gegliederten Lautes, in der Tatsache, daß – mit Goethe zu sprechen – der „Schall sich zum Tone rundet“, stellt sich uns so ein allgemeinstes Phänomen dar, das uns in den verschiedensten Gebieten des Geistes in immer neuer Form begegnet. Hier scheint durch die Besonderheit der sprachlichen Funktion wieder die universelle symbolische Funktion hindurch, wie sie sich in immanenter Gesetzlichkeit in der Kunst und im mythisch-religiösen Bewußtsein, in der Sprache und in der Erkenntnis entfaltet.

II

Gleich der Theorie der Kunst und gleich der Theorie der Erkenntnis löst sich freilich auch die Sprachtheorie nur allmählich von dem Zwang des Nachahmungsbegriffs und der Abbildtheorie los. Die Frage nach der κυριότης τῶν ὀνομάτων steht im Mittelpunkt der antiken Sprachphilosophie. Auch das Problem, ob die Sprache als ein φύσει oder als ein νόμῳ ὄν zu gelten habe, betrifft nicht in erster Linie die Sprachentstehung, sondern ihren Wahrheits- und Wirklichkeitsgehalt[2]. Bleibt die Sprache und das


  1. [1] Über den Ursprung der Sprache (1851) s. Jakob Grimms Kleine Schriften, S. 255 ff. Der etymologische Zusammenhang, den Grimm hier annimmt, ist übrigens fraglich und bestritten: näheres hierüber bei Georg Curtius, Grundz. der griech. Etymologie 5, S. 110 u. 330.
  2. [2] Nähere Nachweisungen über diesen ursprünglichen Sinn des Gegensatzes von φύσει und νόμῳ, der erst später in alexandrinischer Zeit, durch den Gegensatz von φύσει und θέσει ersetzt wird s. bei Steinthal, Gesch. der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern I, 76 ff., 114 ff., 319 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/148&oldid=- (Version vom 3.10.2022)