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aus, daß jede Erklärung der Sprache, die auf dem Postulat der Ähnlichkeit gegründet ist, notwendig zuletzt bei ihrem eigenen Gegenpol anlangen und damit sich selbst aufheben muß.

Auch dort, wo die Worte nicht als Nachahmungen der Dinge, sondern der subjektiven Gefühlszustände gefaßt werden, wo sie, wie bei Epikur, nicht sowohl die Beschaffenheit der Gegenstände, als vielmehr die ἴδια πάθη des Sprechenden wiedergeben sollen[1], steht die Sprachbetrachtung, wenngleich ihre Norm gewechselt hat, im wesentlichen noch unter dem gleichen Prinzip. Wird die Forderung der Abbildung als solche aufrecht erhalten, so gilt es zuletzt gleichviel, ob das Abgebildete selbst ein „Inneres“ oder ein „Äußeres“, ob es ein Komplex von Dingen oder von Gefühlen und Vorstellungen ist. Ja gerade unter dieser letzteren Voraussetzung muß die Skepsis gegen die Sprache nicht nur wiederkehren, sondern sie muß jetzt erst ihre schärfste Fassung annehmen. Denn noch weit weniger als die Unmittelbarkeit der Dinge kann die Sprache beanspruchen, die Unmittelbarkeit des Lebens zu ergreifen. Jeder bloße Versuch, diese Unmittelbarkeit auszudrücken, hat sie vielmehr bereits aufgehoben: „spricht die Seele, so spricht, ach, schon die Seele nicht mehr“. So bildet die Sprache wiederum schon ihrer reinen Form nach das Widerspiel zu der Fülle und Konkretion der sinnlichen Empfindungs- und Gefühlswelt. Der Einwand des Gorgias: „es redet der Redende, aber nicht Farbe oder Ding[2]“, gilt in verschärftem Maße, wenn wir die „objektive“ Wirklichkeit durch die „subjektive“ ersetzen. In dieser letzteren herrscht durchgängige Individualität und höchste Bestimmtheit; in der Welt der Worte dagegen die Allgemeinheit, d. h. aber die Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit bloß schematischer Zeichen. Indem die „generelle“ Wortbedeutung alle Differenzen, die das wirkliche psychische Geschehen charakterisieren, verwischt, scheint uns daher der Weg der Sprache, statt uns ins geistig-Allgemeine hinaufzuheben, vielmehr ins Gemeine hinabzuführen: denn nur dieses, nur das, was einer individuellen Anschauung oder Empfindung nicht schlechthin eigentümlich, sondern ihr mit anderen gemeinsam ist, ist der Sprache faßbar. So bleibt diese nur ein Scheinwert – nur eine Spielregel, die um so zwingender wird, je mehr Mitspieler sich ihr unterwerfen, die aber, sobald sie sich selbst kritisch


  1. [1] Vgl. ob. S. 90.
  2. [2] De Melisso, Xenophane et Gorgia, Cap. 6, 980 a 20: ὃ γαρ εἷδε, πῶς ἄν τις, φησί, τοῦτο εἴποι λόγῳ; ἢ πῶς ἂν ἐκείνῳ δῆλον ἀκούσαντι γίγνοιτο, μὴ ἰδόντι; ὥσπερ γὰρ οὐδὲ ἡ ὄψις τοὺς φθόγγους γιγνώσκει, οὕτως οὐδὲ ἡ ἀκοὴ τὰ χρώματα ἀκούει, ἀλλὰ φθόγγους · καὶ λέγει ὁ λέγων ἀλλ᾽ οὐ χρῶμα οὐδὲ πρᾶγμα.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/150&oldid=- (Version vom 3.10.2022)