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innere Selbstbefreiung vollzieht. Wenn wir diese Stufen als die des mimischen, des analogischen und des eigentlich symbolischen Ausdrucks bezeichnen, so enthält diese Dreiteilung zunächst nicht mehr als ein abstraktes Schema – aber dieses Schema wird sich in dem Maße mit konkretem Gehalt erfüllen, als sich zeigen wird, daß es nicht nur als Prinzip der Klassifikation gegebener Spracherscheinungen dienen kann, sondern daß sich in ihm eine funktionale Gesetzlichkeit des Aufbaus der Sprache darstellt, die in anderen Gebieten, wie in dem der Kunst oder der Erkenntnis, ihr ganz bestimmtes und charakteristisches Gegenbild hat. Je mehr wir uns den eigentlichen Anfängen der Lautsprache nähern können, um so mehr scheinen wir noch ganz in jenem Kreis der mimischen Darstellung und Bezeichnung festgehalten zu werden, in welchem auch die Gebärdensprache wurzelt. Was der Laut sucht, ist die unmittelbare Nähe zum sinnlichen Eindruck und die möglichst getreue Wiedergabe der Vielfältigkeit dieses Eindrucks. Dieses Streben beherrscht nicht nur die Entwicklung der Kindersprache auf weite Strecken hin, sondern tritt auch in der Sprache der „Primitiven“ überall aufs stärkste hervor. Die Sprache lehnt sich hier noch so eng an den konkreten Einzelvorgang und sein sinnliches Bild an, daß sie ihn mit dem Laut gleichsam auszuschöpfen versucht, daß sie sich nicht an einer allgemeinen Bezeichnung genügen läßt, sondern jede besondere Nuance des Vorgangs auch mit einer besonderen, eigens für diesen Fall bestimmten Lautnuance begleitet. So gibt es z. B. im Ewe und in einigen verwandten Sprachen Adverbien, die nur eine Tätigkeit, einen Zustand oder eine Eigenschaft beschreiben und die demgemäß nur mit einem Verbum verbunden werden können. Viele Verba besitzen eine Fülle derartiger, ihnen allein zugehöriger qualifizierender Adverbia, von denen die meisten Lautbilder, lautliche Nachbildungen sinnlicher Eindrücke sind. Westermann zählt in seiner Ewe-Grammatik für das einzige Verbum des Gehens nicht weniger als 33 derartiger Lautbilder auf, deren jedes je eine besondere Weise und Eigentümlichkeit des Gehens, wie schlotternd oder schlendernd gehen, hinkend oder schleppend gehen, watschelnd oder wackelnd gehen, kräftig und energisch oder lässig und wiegend gehen, beschreibt. Aber hiermit ist, wie er hinzufügt, die Reihe der Adverbien, die das Gehen beschreiben, nicht erschöpft; denn die meisten derselben können doppelt, in der gewöhnlichen und in der Diminutivform vorkommen, je nachdem das Subjekt groß oder klein ist[1]. Wenn im weiteren Fortgang der Sprachentwicklung


  1. [1] Westermann, Grammatik der Ewe-Sprache, Berlin 1907, S. 83 f., 130; ganz analoge Erscheinungen, wie die hier berichteten, finden sich in den amerikanischen Eingeborenensprachen; [138] vgl. z. B. den Übergang von rein onomatopoetischen Lauten zu allgemeinen verbalen oder adverbialen Ausdrücken, den Boas aus dem Chinook anführt (Handbook of American Indian Languages, P. I, Washington 1911 (Smithson Inst. Bullet. 40), S. 575, 655 f.)
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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/153&oldid=- (Version vom 3.10.2022)