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Zusammenhang stünden[1]. Daß bestimmte Vokaldifferenzen und Vokalabstufungen als Ausdruck bestimmter objektiver Gradabstufungen, insbesondere zur Bezeichnung der größeren oder geringeren Entfernung eines Gegenstandes vom Sprechenden verwendet werden, ist eine Erscheinung, die sich in den verschiedensten Sprachen und Sprachgebieten gleichartig wiederfindet. Fast durchweg bezeichnen hierbei a, o, u die weitere, e und i die geringere Entfernung[2]. Auch die Verschiedenheit des zeitlichen Abstands wird in dieser Weise durch die Verschiedenheit der Vokale oder Vokalhöhen angedeutet[3]. In derselben Weise werden gewisse Konsonanten und Konsonantengruppen als „natürliche Lautmetaphern“ verwendet, denen in fast allen Sprachgebieten eine gleichartige oder ähnliche Bedeutungsfunktion zukommt: – wie z. B. die labialen Resonanzlaute mit auffallender Regelmäßigkeit die Richtung zum Sprechenden hin, die explosiven Zungenlaute die Richtung vom Sprechenden fort bezeichnen, so daß die ersteren als „natürlicher“ Ausdruck des „Ich“, die letzteren als natürlicher Ausdruck des „Du“ erscheinen[4].

Aber in diesen letzteren Erscheinungen ist nun, so sehr sie gleichsam noch die Farbe des unmittelbar-sinnlichen Ausdrucks an sich tragen, der Kreis der bloß mimischen und imitativen Sprachmittel im Grunde bereits überschritten. Denn jetzt handelt es sich nicht mehr darum, einen einzelnen sinnlichen Gegenstand oder einen einzelnen sinnlichen


  1. [1] S. Deutsche Grammatik III, 1: „Unter allen Lauten der Menschenstimme ist keiner so fähig, das Wesen der Frage, die gleich im Beginn des Wortes gefühlt sein will, auszudrücken, wie das K, der vollste Konsonant, den die Kehle vermag. Ein bloßer Vokal würde zu unbestimmt erhallen und das Labialorgan kommt dem gutturalen an Stärke nicht bei. Zwar das T kann mit gleicher Kraft hervorgebracht werden wie das K, allein es wird weniger ausgestoßen als ausgesprochen und hat etwas Festeres; es eignet sich daher zum Ausdruck der ruhigen, ständigen und vor sich hinweisenden Antwort. K forscht, erkundigt, ruft; T zeigt, bedeutet und erwidert.“
  2. [2] Belege hierfür aus verschiedenen Sprachkreisen s. z. B. in Fr. Müllers Grundriß der Sprachwissenschaft, Wien 1870 ff., I, 2, S. 94 f., III, 1, 194 u. ö.; Humboldt, Kawi-Werk II, 153; s. übr. weiter unten Cap. 3.
  3. [3] S. z. B. Fr. Müller, a. a. O., I, 2, 94. Steinthal, Die Mande Neger Sprachen, Berlin 1867, S. 117.
  4. [4] In auffallender Übereinstimmung mit dem Indogermanischen dienen z. B. in den ural-altaischen Sprachen die Lautelemente ma, mi, mo bzw. ta, to, ti, si als Grundelemente für die beiden persönlichen Fürwörter: vgl. H. Winkler, Das Ural-altaische und seine Gruppen, Berlin 1885, S. 26; für die anderen Sprachkreise s. die Zusammenstellung, die Wundt (a. a. O. I, 345) auf Grund des Materials in Fr. Müllers Grundr. der Sprachwiss. gegeben hat.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/156&oldid=- (Version vom 4.10.2022)