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Eindruck in einem nachahmenden Laute festzuhalten, sondern die qualitative Abstufung in einer Gesamtreihe von Lauten dient dem Ausdruck einer reinen Beziehung. Zwischen der Form und Eigenart dieser Beziehung und den Lauten, in denen sie sich darstellt, besteht kein Verhältnis der direkten materialen Ähnlichkeit mehr – wie denn überhaupt die bloße Materie des Lautes als solche nicht fähig ist, reine Verhältnisbestimmungen wiederzugeben. Der Zusammenhang ist vielmehr dadurch vermittelt, daß im Verhältnis der Laute einerseits und in dem der bezeichneten Inhalte andererseits eine Analogie der Form erfaßt wird, kraft deren nun eine bestimmte Zuordnung der inhaltlich ganz verschiedenen Reihen sich vollzieht. Damit ist jene zweite Stufe erreicht, die wir, gegenüber dem bloß mimischen Ausdruck, als die Stufe des analogischen Ausdrucks bezeichnen können. Der Übergang von der einen zur anderen stellt sich vielleicht am deutlichsten in denjenigen Sprachen dar, die den musikalischen Silbenton zur Unterscheidung von Wortbedeutungen oder zum Ausdruck formal-grammatischer Bestimmungen verwenden. Der mimischen Sphäre scheinen wir hier insofern noch ganz nahe zu stehen, als die reine Bedeutungsfunktion noch ganz am sinnlichen Klang selbst haftet und von ihm nicht ablösbar ist. Von den indochinesischen Sprachen sagt Humboldt, daß in ihnen durch die Differenzierung der Tonhöhen der einzelnen Silben und durch die Verschiedenheit der Akzente die Rede zu einer Art Gesang oder Rezitativ werde und daß z. B. die Tonstufen des Siamesischen völlig mit einer musikalischen Tonleiter verglichen werden könnten[1]. Daneben sind es insbesondere die Sudansprachen, die durch den verschiedenen Ton der Silben, durch Hochton, Mittel- oder Tiefton oder durch zusammengesetzte Tonschattierungen, wie den tiefhohen-steigenden oder hochtiefen-fallenden Ton, die mannigfachsten Bedeutungsnuancen zum Ausdruck bringen können. Teils sind es etymologische Unterschiede, die auf diese Weise bezeichnet werden, d. h. die gleiche Silbe dient, je nach ihrem Ton, zur Bezeichnung ganz verschiedener Dinge oder Vorgänge; teils drücken sich bestimmte räumliche und quantitative Unterscheidungen in der Verschiedenheit des Silbentons aus, indem z. B. hochtonige Wörter zum Ausdruck großer Entfernungen, tieftonige zum Ausdruck der Nähe, jene zum Ausdruck der Schnelligkeit, diese zum Ausdruck der Langsamkeit u. s. f. gebraucht werden[2]. Daneben aber sind es rein formale Bestimmungen und Gegensätze,


  1. [1] Humboldt, Einleit. zum Kawi-Werk (W. VII, 1, S. 300).
  2. [2] Näheres hierüber bei Westermann, Die Sudansprachen, Hamb. 1911, S. 76 ff.; Die Gola-Sprache in Liberia, Hamb. 1921, S. 19 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/157&oldid=- (Version vom 4.10.2022)