der logischen Analyse zu leisten vermag. Ihrem logischen Gehalt und Ursprung nach geht die Zahl auf eine Durchdringung, auf ein Ineinander ganz verschiedener Denkmethoden und Denkforderungen zurück. Das Moment der Vielheit geht hier in das Moment der Einheit, das der Sonderung in das der Verknüpfung, das der durchgängigen Unterscheidung in das der reinen Gleichartigkeit über. Alle diese Gegensätze müssen sich miteinander in ein reines geistiges Gleichgewicht gesetzt haben, damit der „exakte“ Begriff der Zahl sich bilden kann. Dieses Ziel bleibt für die Sprache unerreichbar; aber nichtsdestoweniger läßt sich in ihr deutlich verfolgen, wie die Fäden, die sich zuletzt zu dem kunstreichen Gewebe der Zahl verschlingen, sich einzeln knüpfen und sich, ehe sie zu einem logischen Ganzen zusammengehen, einzeln ausbilden. In dieser Ausbildung verfahren die verschiedenen Sprachen verschieden. Bald ist es das eine, bald das andere Motiv der Zahl- und Mehrheitsbildung, das sie herauslösen und dem sie vor allen anderen eine bevorzugte und gesteigerte Bedeutung geben – aber der Inbegriff all dieser besonderen und in irgendeiner Hinsicht einseitigen Ansichten, die die Sprache vom Zahlbegriff gewinnt, macht doch zuletzt eine Totalität und eine relative Einheit aus. So vermag die Sprache den geistig-intellektuellen Kreis, in welchem der Zahlbegriff liegt, von sich aus zwar nicht völlig zu durchdringen und zu erfüllen – aber sie vermag ihn seinem Umfang nach zu umschreiten und damit mittelbar seine Inhalts- und Grenzbestimmung vorzubereiten. –
Dabei bewährt sich zunächst wieder der gleiche Zusammenhang, der uns in der sprachlichen Erfassung der einfachsten Raumverhältnisse entgegengetreten ist. Die Unterscheidung der Zahlverhältnisse geht, wie die der Raumverhältnisse, vom menschlichen Körper und seinen Gliedmaßen aus, um sich von hier aus fortschreitend über das Ganze der sinnlich-anschaulichen Welt zu verbreiten. Der eigene Leib bildet überall das Grundmodell der ersten primitiven Zählungen: „Zählen“ heißt zunächst gar nichts anderes, als bestimmte Unterschiede, die sich an irgendwelchen äußeren Objekten finden, dadurch bezeichnen, daß sie gleichsam auf den Körper des Zählenden übertragen und an ihm sichtbar gemacht werden. Alle Zahlbegriffe sind demgemäß, ehe sie zu Wortbegriffen werden, reine mimische Handbegriffe oder sonstige Körperbegriffe. Die Zählgebärde dient nicht als bloße Begleitung des übrigens selbständigen Zahlwortes, sondern ist in die Bedeutung und in die Substanz desselben gleichsam eingeschmolzen. Die Eweer z. B. zählen an den ausgestreckten Fingern; beginnend am kleinen Finger der linken Hand, indem sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand je den gezählten Finger einknicken:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/199&oldid=- (Version vom 28.10.2022)