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Körper‘ oder ‚mein Busen‘ besagen, ersetzt. Auch ein rein räumlicher Ausdruck, z. B. ein Wort, das seiner Grundbedeutung nach etwa mit ‚Mittelpunkt‘ wiederzugeben wäre, kann in diesem Sinne verwendet werden[1]. In ähnlicher Weise wird z. B. im Hebräischen das Reflexivpronomen nicht nur durch Worte wie Seele oder Person, sondern auch durch solche wie Antlitz, wie Fleisch oder Herz wiedergegeben[2] – wie ja auch das lateinische persona ursprünglich das Antlitz oder die Maske des Schauspielers bedeutet und in seiner Verwendung im Deutschen noch lange gebraucht wird, um das äußere Ansehen, die Figur und Statur eines Einzelwesens zu bezeichnen[3]. Im Koptischen bedient man sich zur Wiedergabe des Ausdrucks „Selbst“ des Nomens ‚Leib‘, dem die Possessivsuffixe angehängt werden[4]. Auch in den indonesischen Idiomen wird das Reflexivobjekt durch ein Wort bezeichnet, das ebenso wohl Person und Geist, wie Leib besagt[5]. Schließlich reicht dieser Gebrauch auch bis in die indogermanischen Sprachen, wo z. B. im vedischen und klassischen Sanskrit das Selbst und das Ich bald durch das Wort für ‚Seele‘ (atmán), bald durch das für ‚Leib‘ (tanu) wiedergegeben wird[6]. In alledem zeigt sich, daß die Anschauung des Selbst, der Seele, der Person dort, wo sie in der Sprache aufzuleuchten beginnt, zunächst noch verhaftet an den Körpern klebt – wie ja auch in der mythischen Anschauung die Seele und das Selbst des Menschen anfangs als bloße Wiederholung, als „Doppelgänger“ des Leibes gedacht wird. Auch in der formellen Behandlung bleiben die pronominalen und die nominalen Ausdrücke in vielen Sprachen auf lange Zeit hin ungeschieden, indem sie mittels der gleichen Formelemente flektiert und in Numerus, Genus und Kasus einander angeglichen werden[7].


  1. [1] Näheres hierüber bei H. Winkler, Der ural-altaische Sprachstamm, S. 59 ff., 160 f., bei Hoffmann, Japan. Sprachlehre, S. 91 ff. u. bei J. J. Schmidt, Grammat. der mongol. Sprache, Petersb. 1831, S. 44 f.
  2. [2] Über das allgemeine Verfahren, das die semitischen Sprachen zum Ausdruck des Reflexivpronomens anwenden, s. Brockelmann, Grundriß II, 228 u. 327; in den meisten Fällen muß das Reflexivum mit dem Wort für ‚Seele‘ oder seinen Synonymen (Mann, Kopf, Wesen) umschrieben werden.
  3. [3] Näheres in Grimms Deutsch. Wörterb. VII, Sp. 1561/62.
  4. [4] Steindorff, Kopt. Grammatik § 88; ähnlich im Altägyptischen vgl. Erman, a. a. O., S. 85.
  5. [5] Vgl. Brandstetter, Indonesisch u. Indogermanisch im Satzbau, Luzern 1914, S. 18.
  6. [6] Whitney, Indische Grammatik, S. 190; Delbrück, Vergl. Syntax I, 477.
  7. [7] Vgl. Wundt, Die Sprache II, 47 f. u. die dort aus Fr. Müller’s Grundriß angeführten Beispiele. – Nicht auf der gleichen Stufe, wie die hier betrachteten Erscheinungen, stehen solche substantivischen oder adjektivischen Umschreibungen der persönlichen Fürwörter, die durch Rücksichten der Etikette und des Zeremoniells bedingt [212] sind, und nach Humboldt (W. VI, 1, 307 f. u. Kawi-Werk II, 335) einem „Zustande halber Zivilisation“ angehören. Hier werden für die zweite, angeredete Person Ausdrücke der Erhabenheit (wie Herrscher, Herrlichkeit), für das eigene Ich Ausdrücke der Erniedrigung (wie Diener, Sklave u. s. f.) gebraucht. Am weitesten hierin ist das Japanische gegangen, in welchem durch solche Höflichkeitsumschreibungen, die nach dem Range des Sprechenden und des Angeredeten aufs genaueste abgestuft werden, der Gebrauch der persönlichen Pronomina völlig verdrängt worden ist. „Die Unterscheidung dreier grammatischer Personen (ich, du, er)“ – sagt Hoffmann (Japan. Sprachlehre, S. 75) hierüber – „ist der japanischen Sprache fremd geblieben. Alle Personen, sowohl die des Sprechenden, als die, zu der oder von der man spricht, werden als Inhalt der Vorstellung, also, nach unserem Idiom, in der dritten Person aufgefaßt und die Etikette hat, die Bedeutung der Eigenschaftswörter betrachtend, zu entscheiden, welche Person mit diesem oder jenem Worte gemeint sei. Die Etikette unterscheidet allein zwischen dem Ich und Nicht-Ich, erniedrigt das eine, erhöht das andere.“
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/227&oldid=- (Version vom 17.12.2022)