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u. s. f. gebraucht werden, auf ihren etymologischen Ursprung zurückverfolgt. Bei einer großen Anzahl dieser Suffixe wird die materiale Bedeutung, der sie entstammen, durch die sprachgeschichtliche Betrachtung unmittelbar aufgewiesen und sichergestellt. Immer zeigt sich hier als Grundlage ein konkreter, ein sinnlich-gegenständlicher Ausdruck, der aber diesen anfänglichen Charakter mehr und mehr abstreift und sich zu einem allgemeinen Verhältnisausdruck umgestaltet[1]. Erst durch diese Verwendung der Suffixe wird für die sprachliche Bezeichnung der reinen Relationsbegriffe der Boden bereitet. Was zunächst als spezielle Dingbezeichnung diente, das geht jetzt in den Ausdruck einer kategorialen Bestimmungsform, z. B. in den Ausdruck des Eigenschaftsbegriffs schlechthin, über[2]. Aber wenn dieser Übergang, psychologisch gesehen,


  1. [1] Im Deutschen bildet hierfür z. B. die Entwicklung der Suffixe -heit, -schaft, -tum, -bar, -lich, -sam, -haft einen bekannten Beleg. Das Suffix -lich, das eins der Hauptmittel für die Bildung adjektivischer Begriffe geworden ist, weist unmittelbar auf ein Substantivum lîka (= Leib, Körper) zurück. „Der Typus eines Wortes, wie weiblich – sagt H. Paul, Prinzipien der Sprachgesch. ³, S. 322 – geht zurück auf ein altes Bahuvrîhi-Kompositum, urgermanisch *wîbolîkis, eigentlich Weibesgestalt, dann durch Metapher ‚Weibesgestalt habend‘. Zwischen einem derartigen Kompositum und dem Simplex mhd. lîch, nhd. Leiche ist eine derartige Diskrepanz anfänglich der Bedeutungen, später auch der Lautformen herausgebildet, daß jeder Zusammenhang aufgehoben ist. Vor allem aber hat sich aus der sinnlichen Bedeutung des Simplex ‚Gestalt, äußeres Ansehen‘ die abstraktere ‚Beschaffenheit‘ entwickelt.“ Bei dem Suffix -heit ist das substantivische Grundwort, dem es entstammt, im Gotischen und Althochdeutschen, sowie im Altsächsischen und Altnordischen noch als selbständiges Wort im Gebrauch. Seine Grundbedeutung scheint hier die der Person, oder die des Standes und der Würde zu sein, aber daneben hat sich aus ihr schon früh die allgemeine Bedeutung der Beschaffenheit, der Art und Weise (got. haidus) entwickelt, die nun, in der Umprägung zum Suffix, für jede abstrakte Eigenschaftsbezeichnung verwendet werden konnte. (Näheres z. B. in Grimms Deutschem Wörterbuch IV, 2, Sp. 919 ff.) Von einer anderen Grundanschauung aus, aber in der gleichen Richtung und nach demselben Prinzip fortschreitend, haben die romanischen Sprachen ihre adverbialen Ausdrücke der Art und Weise geformt, indem sie hierfür zwar nicht den Begriff von einem körperlichen Sein und einer körperlichen Gestalt, wohl aber den zunächst noch ganz konkret gefaßten Ausdruck des Geistigen verwenden, der allmählich den reinen Suffix- und Beziehungscharakter gewinnt (fièrement = fera mente u. s. f.).
  2. [2] So geht z. B. im Sanskrit das Suffix -maya ursprünglich auf ein Substantivum (maya = Stoff, Material) zurück und wird gemäß der Bedeutung desselben zunächst zur Bildung solcher Adjectiva verwendet, die eine Stoffbezeichnung in sich schließen – erst im weiteren Gebrauch entwickelt sich sodann, kraft der Umformung des Nomens zum Suffix, aus dem speziellen Begriff der stofflichen Eigenschaft die allgemeine Eigenschafts- und „Qualitäts“-Bedeutung (mrn-maya aus Lehm gemacht, aber mōha-maya ‚auf Verblendung beruhend‘ etc.). Näheres bei Brugmann, Grundriß II, 13 u. bei Thumb, Handbuch des Sanskrit, S. 441.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/295&oldid=- (Version vom 20.3.2023)