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dem Bau des Griechischen und dem des Sanskrit, wie die einzelnen Glieder dieser Gruppe in Hinsicht auf die Kraft und Freiheit des beziehentlichen Denkens und des rein beziehentlichen Ausdrucks, auf ganz verschiedenen Stufen stehen. In der Urzeit scheint auch hier die Hauptsatzform gegenüber der Nebensatzform, die parataktische gegenüber der hypotaktischen Verbindung deutlich den Vorrang zu behaupten. Wenn diese Urzeit bereits Relativsätze besaß, so hat ihr doch, nach dem Zeugnis der Sprachvergleichung, ein fester Bestand scharf gegeneinander abgegrenzter Konjunktionen zum Ausdruck des Grundes, der Folge, der Anreihung, des Gegensatzes u. s. f. noch gemangelt[1]. Im Altindischen fehlen die Konjunktionen als eine fest ausgeprägte Wortklasse fast gänzlich: was andere Sprachen, vor allem das Lateinische und Griechische durch subordinierende Konjunktionen zum Ausdruck bringen, wird hier durch das in seinem Gebrauch fast unumschränkte Prinzip der Nominalkomposition und durch Erweiterungen des Hauptsatzes durch Partizipien und Gerundien ersetzt[2]. Aber auch im Griechischen selbst hat sich der Fortgang von dem parataktischen Bau der Homerischen Sprache zu dem hypotaktischen der attischen Kunstprosa nur allmählich vollzogen[3]. In alledem bewährt sich, daß dasjenige, was Humboldt den Akt des selbsttätigen, des synthetischen Setzens in den Sprachen genannt hat, und was er, außer im Verbum, besonders im Gebrauch der Konjunktionen und des Relativpronomens ausgeprägt sah, eines der letzten ideellen Ziele der Sprachbildung ist, zu dem sie nur durch mannigfaltige Vermittlungen gelangt.

In besonderer Schärfe und Deutlichkeit stellt sich dies schließlich in


    verbes, par leurs mots composés, par la délicatesse de leurs particules. Possédant seules l’admirable secret de la période elles savent relier dans un tout les membres divers de la phrase … Tout devient pour elles abstraction et catégorie. Elles sont les langues de l’idéalisme.“ Renan, De l’origine du langage 8, S. 194.

  1. [1] „Die Relativsätze“ – sagt Meillet, Introduct. à l’étude comparative des langues indo-européennes, dtsch. Ausg. von Printz, S. 231 – „sind die einzigen subordinierten Sätze, die man füglich als idg. ansehen darf. Die anderen Typen, namentlich die Konditionalsätze, haben in jedem idg. Dialekt eine andere Form.“ Etwas anders wird das Verhältnis von Brugmann gefaßt, der die mangelnde Übereinstimmung daraus erklärt, daß konjunktionale Partikel in der Urzeit zwar vorhanden gewesen seien, daß sie aber in ihr noch einen weiteren Gebrauchsbereich gehabt hätten und noch nicht als Ausdruck für ein bestimmtes einzelnes Gedankenverhältnis fixiert gewesen seien (Kurze vgl. Grammat. S. 653).
  2. [2] Beispiele s. bei Whitney, Ind. Grammatik, S. 394 f. und bei Thumb, Handbuch des Sanskrit, S. 434, 475 ff.
  3. [3] Näheres bei Brugmann, Griech. Grammat. ³, S. 555 f.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/302&oldid=- (Version vom 22.3.2023)