Sinns der Verknüpfung treten hier also immer mehr oder weniger material gefaßte Ausdrücke, die noch gleichsam die Farbe einer einzelnen sinnlich-gegebenen Wirklichkeit an sich tragen[1].
Und auch dort, wo die Sprache bereits dazu fortgeschritten ist, alle diese Sonderbestimmungen der Existenz in einen allgemeinen Seinsausdruck zusammenzufassen, bleibt noch immer der Abstand fühlbar, der zwischen jedem noch so umfassenden Ausdruck des bloßen Daseins und dem „Sein“ als Ausdruck der reinen prädikativen „Synthesis“ besteht. Hier spiegelt die Sprachentwicklung ein Problem wieder, das weit über ihren eigenen Umkreis hinausreicht, und das noch in der Geschichte des logischen und philosophischen Denkens eine entscheidende Rolle gespielt hat. Deutlicher als an irgend einem andern Punkte läßt sich hier erkennen, wie dieses Denken sich zwar mit der Sprache, aber zugleich immer auch gegen sie entwickelt. Von den Eleaten an läßt sich das große Ringen verfolgen, das der philosophische Idealismus mit der Sprache und mit der Vieldeutigkeit ihres Seinsbegriffs zu führen hat. Mit der reinen Vernunft den Streit um das wahre Sein zu entscheiden – das war die scharf bestimmte Aufgabe, die Parmenides sich stellte. Aber ist dieses wahrhafte Sein der Eleatik rein im Sinn des logischen Urteils gegründet, entspricht es lediglich dem ἔστι der Kopula, als der Grundform jeder gültigen Aussage, – oder haftet auch ihm noch eine andere, eine konkretere Urbedeutung an, durch die es der Anschauung einer „wohlgerundeten Kugel“ vergleichbar wird? Parmenides unternimmt den Versuch, sich ebenso wie aus den Fesseln der gewöhnlichen sinnlichen Weltansicht auch aus den Fesseln der Sprache zu lösen. „Darum – so verkündet er –
„gegeben, gesetzt, vorhanden“, während andere die Lage an einem bestimmten Ort oder das Geschehen zu einer bestimmten Zeit andeuten. (Vgl. Seler, Das Konjugationssystem der Maya-Sprachen, S. 8 und 14.) Eine analoge Besonderung findet sich in den melanesischen Sprachen und in vielen afrikanischen Sprachen. „Ein eigentliches Verbum substantivum – so sagt z. B. H. C. v. d. Gabelentz – fehlt im Fidschi; zuweilen kann es durch yaco geschehen, werden, tu da sein, vorhanden sein, tiko da sein, dauern usw. gegeben werden, doch immer mit einer dem eigentlichen Begriff dieser Verba entsprechenden Nebenbedeutung.“ (Die melanes. Sprachen, S. 40; vgl. bes. S. 106.) Für die afrik. Sprachen vgl. z. B. die verschiedenen Ausdrücke für das Verbum substantivum die Migeod (Mende Language, S. 75 ff.) aus den Mande-Negersprachen und die Westermann (Ewegrammat., S. 75) aus dem Ewe anführt.
- ↑ [1] So bleibt z. B. im Nikobarischen das Sein der bloß kopulativen Verknüpfung stets unausgedrückt: das „Verbum substantivum“ hat hier stets den Sinn des Daseins, des Existierens und Vorhandenseins, insbesondere des Daseins an einem bestimmten Orte, s. Roepstorff, A Dictionary of the Nancowry Dialect of the Nicobarese language, Calcutta 1884, S. XVII, XXIV f.
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/305&oldid=- (Version vom 22.3.2023)