Die universitas des Geistes, seine konkrete Totalität gilt daher erst dann als wahrhaft erfaßt und als philosophisch durchdrungen, wenn es gelingt, sie aus einem einzigen logischen Prinzip zu deduzieren. Damit ist die reine Form der Logik wieder zum Prototyp und Vorbild für jegliches geistige Sein und jegliche geistige Form erhoben. Und wie bei Descartes, der die Reihe der Systeme des klassischen Idealismus beginnt, so steht bei Hegel, der diese Reihe abschließt, dieser methodische Zusammenhang noch einmal in voller Deutlichkeit vor uns. Die Forderung, das Ganze des Geistes als konkretes Ganze zu denken, also nicht bei seinem einfachen Begriff stehen zu bleiben, sondern ihn in die Gesamtheit seiner Manifestationen zu entwickeln, hat Hegel mit einer Schärfe, wie kein Denker vor ihm, gestellt. Und doch soll andererseits die Phänomenologie des Geistes, indem sie diese Forderung zu erfüllen strebt, damit nur der Logik den Boden und den Weg bereiten. Die Mannigfaltigkeit der geistigen Formen, wie sie die Phänomenologie aufstellt, läuft zuletzt gleichsam in eine höchste logische Spitze aus – und in diesem ihrem Ende findet sie erst ihre vollendete „Wahrheit“ und Wesenheit. So reich und vielgestaltig sie ihrem Inhalt nach ist, so untersteht sie doch ihrer Struktur nach einem einzigen und im gewissen Sinne einförmigen Gesetz – dem Gesetz der dialektischen Methode, das den sich gleichbleibenden Rhythmus in der Selbstbewegung des Begriffs darstellt. Der Geist beschließt alle Bewegung seines Gestaltens im absoluten Wissen, indem er hier das reine Element seines Daseins, den Begriff, gewinnt. In diesem seinem letzten Ziel sind alle früheren Stadien, die er durchlaufen, zwar noch als Momente enthalten, aber auch zu bloßen Momenten aufgehoben. Somit scheint auch hier von allen geistigen Formen nur der Form des Logischen, der Form des Begriffs und der Erkenntnis eine echte und wahrhafte Autonomie zu gebühren. Der Begriff ist nicht nur das Mittel, das konkrete Leben des Geistes darzustellen, sondern er ist das eigentliche substantielle Element des Geistes selbst. Demnach wird alles geistige Sein und Geschehen, so sehr es in seiner spezifischen Besonderung erfaßt und in dieser Besonderung anerkannt werden soll, doch zuletzt gleichsam auf eine einzige Dimension bezogen und reduziert – und diese Beziehung ist es erst, in welcher sein tiefster Gehalt und seine eigentliche Bedeutung erfaßt wird.
Und in der Tat scheint diese letzte Zentrierung aller geistigen Formen in der einen logischen Form durch den Begriff der Philosophie selbst und insbesondere durch das Grundprinzip des philosophischen Idealismus notwendig gefordert zu sein. Denn verzichtet man auf diese Einheit, so
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/31&oldid=- (Version vom 4.8.2020)