Begriff vom „Gegenstand“ der Erkenntnis begründet wird. So bewährt sich das Wort Descartes’, daß die Einheit des Objektiven, die Einheit der Substanz nicht in der Wahrnehmung, sondern nur in der Reflexion des Geistes auf sich selbst, in der inspectio mentis erfaßt werden könne. Es ist der schärfste Gegensatz zur empiristischen Theorie der „Association“, der sich in dieser Grundlehre des Rationalismus ausspricht – und doch ist auch hier die innere Spannung zwischen zwei grundverschiedenen Wesenselementen des Bewußtseins, zwischen seiner bloßen „Materie“ und seiner reinen „Form“, nicht aufgehoben. Denn der Grund für die Verknüpfung der Bewußtseinsinhalte wird auch hier in einer Tätigkeit gesucht, die irgendwie von außen her zu den einzelnen Inhalten hinzutritt. Die „Ideen“ der äußeren Wahrnehmung, die Ideen des Hellen und Dunklen, des Rauhen und Glatten, des Farbigen und Tönenden sind nach Descartes an und für sich nur als Bilder in uns (velut picturae) und in diesem Sinne als bloß subjektive Zuständlichkeiten gegeben. Was uns über diese Stufe hinausführt, was uns ermöglicht, von der Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit der Eindrücke zur Einheit und Konstanz des Gegenstandes fortzuschreiten, ist die von diesen Eindrücken völlig unabhängige Funktion des Urteils und des „unbewußten Schließens“. Die objektive Einheit ist eine rein formale Einheit, die als solche weder gehört noch gesehen, sondern nur im logischen Fortgang des reinen Denkens erfaßt werden kann. Der metaphysische Dualismus Descartes’ wurzelt letzten Endes in diesem seinen methodischen Dualismus: die Lehre von der absoluten Scheidung zwischen der ausgedehnten und der denkenden Substanz ist nur der metaphysische Ausdruck für einen Gegensatz, der bei ihm schon in der Darstellung der reinen Bewußtseinsfunktion selbst sichtbar wird. Und selbst bei Kant zeigt, im Beginn der Kritik der reinen Vernunft, dieser Gegensatz zwischen Sinnlichkeit und Denken, zwischen den „materialen“ und den „formalen“ Grundbestimmungen des Bewußtseins noch seine alte unverminderte Kraft – wenngleich hier sofort der Gedanke auftritt, daß beide vielleicht in einer gemeinsamen, wenngleich uns unbekannten Wurzel zusammenhängen möchten. Gegen diese Formulierung des Problems aber ist vor allem einzuwenden, daß eben die Entgegensetzung, die hier vorgenommen wird, erst ein Werk der Abstraktion, der logischen Schätzung und Bewertung der einzelnen Erkenntnisfaktoren ist, während die Einheit der Bewußtseins-Materie und der Bewußtseinsform, des „Besonderen“ und des „Allgemeinen“, der sinnlichen „Gegebenheitsmomente“ und der reinen „Ordnungsmomente“ eben jenes ursprünglich-gewisse und ursprünglich-bekannte
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/55&oldid=- (Version vom 20.8.2021)