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eine spezifische Aktivität des Bewußtseins auf, die sich von aller Gegebenheit der unmittelbaren Empfindung oder Wahrnehmung unterscheidet, um sich dann doch eben dieser Gegebenheit selbst als Vehikel, als Mittel des Ausdrucks zu bedienen. Damit wird die „natürliche“ Symbolik, die wir im Grundcharakter des Bewußtseins selbst angelegt fanden, auf der einen Seite benutzt und festgehalten, während sie auf der anderen Seite überboten und verfeinert wird. Denn in dieser „natürlichen“ Symbolik war es immer ein gewisser Teilbestand des Bewußtseins, der, aus dem Ganzen herausgehoben, dennoch die Kraft behielt, eben dieses Ganze zu vertreten und es durch diese Vertretung im gewissen Sinne wiederherzustellen. Ein vorhandener Inhalt besaß die Fähigkeit, außer sich selbst zugleich ein anderes, nicht unmittelbar Gegebenes, sondern nur durch ihn Vermitteltes vorstellig zu machen. Die symbolischen Zeichen aber, die uns in der Sprache, im Mythos, in der Kunst entgegentreten, „sind“ nicht erst, um dann, über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeutung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung. Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf. Hier ist das Bewußtsein, um das Ganze im Einzelnen zu erfassen, nicht mehr auf die Anregung des Einzelnen selbst, das als solches gegeben sein muß, angewiesen, sondern hier erschafft es sich selbst bestimmte konkret-sinnliche Inhalte als Ausdruck für bestimmte Bedeutungskomplexe. Weil diese Inhalte, als selbstgeschaffene, auch ganz in der Gewalt des Bewußtseins sind, darum vermag es durch sie, wie der bezeichnende Ausdruck lautet, auch alle jene Bedeutungen immer von neuem mit Freiheit „hervorzurufen“. Indem wir z. B. eine gegebene Anschauung oder Vorstellung mit einem willkürlichen Sprachlaut verknüpfen, scheinen wir zunächst ihrem eigentlichen Inhalt nicht das geringste hinzugefügt zu haben. Und doch nimmt, schärfer betrachtet, in dieser Schaffung des Sprachzeichens auch der Inhalt selbst für das Bewußtsein einen neuen „Charakter“, weil eine neue Bestimmtheit, an. Seine scharfe und klare geistige „Reproduktion“ erweist sich geradezu an den Akt der sprachlichen „Produktion“ gebunden. Denn nicht dies ist die Aufgabe der Sprache, Bestimmungen und Unterschiede, die in der Vorstellung schon vorhanden sind, lediglich zu wiederholen, sondern sie als solche erst zu setzen und kenntlich zu machen. Und so ist es überall die Freiheit des geistigen Tuns, durch die sich das Chaos der sinnlichen Eindrücke erst lichtet und durch die es für uns erst feste Gestalt anzunehmen beginnt. Nur indem wir dem fließenden Eindruck, in irgendeiner Richtung der Zeichengebung, bildend gegenübertreten, gewinnt er für

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Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/58&oldid=- (Version vom 20.8.2021)