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Aufnahme beschert hatte. Stranmur von Castelgunt erwies mir alle Ehre und zeigte immer deutlicher, daß er mir wohl wollte. Wir wurden täglich vertrauter mit einander. Da bat er mich eines Tages, ihm meine Schätze, die Waren, die ich im Schiffe führte, zu zeigen.

Er sah voll Erstaunen die schöne Ladung, die das Schiff barg. „Gerhard,“ sagte er, „Deine Schätze sind so kostbar, wer könnte sie Dir bezahlen, wenn ich es nicht könnte? Ich will Dir auch meinen Schatz zeigen, und, behagt er Dir, so biete ich ihn Dir zum Tausch an. Es ist ein eigen Ding mit diesem Schatze. Hier zu Lande gilt er nichts, doch dort bei Euch im Christenlande gäb’ es wohl kaum etwas, womit er bezahlt werden könnte. Mir ist der Schatz ein lästig Gut, doch Du magst wohl den zwanzigfachen Preis mit ihm gewinnen.“

„Gewinn zu suchen,“ sprach ich, „ist jedes Kaufmanns Pflicht. Zeig’ mir Deinen Schatz, vielleicht einen wir uns, wie wir einander vertrauen lernten.“ Ich vermutete, den Reichtum aller Juden dort zu finden, edle Spezereien, Gold, Perlen und kostbare Steine. Wie bestürzt war ich aber, als mein Wirt mich in ein entferntes Gemach führte, und ich statt Ballen reichen Gutes den Anblick größten Elendes vor mir fand. Zwölf junge Ritter lagen in schweren Banden hier gefesselt. Zwei und zwei an einander geschlossen zog die Last der Ketten fast zur Erde nieder. Sie waren so jung, daß kaum der erste Bart ihnen sproßte, doch sah man die edle Abkunft deutlich auf ihren Gesichtern ausgeprägt. Erschrocken, gepeinigt stand ich solchem Jammer gegenüber. Noch heute wird mir weh zu Mut, wenn ich daran denke. Ich wandte meinen Blick hinweg. Da zog der Burgvogt mich hinaus aus diesem Gemach und meinte, noch größeren Kaufschatz werde er mir zeigen. Als er eine andere Thür öffnete, wuchs mein Entsetzen noch. Fast derselbe Anblick ward mir hier. Aber nicht Jugend und Schönheit zeigten sich mir, sondern gramentstellte Greise fand ich im feuchten, kalten Gemach eingekerkert: zwölf edle Gestalten, alle Anzeichen fürstlicher Geburt an sich tragend, von Elend mehr noch als von den Jahren gebeugt, je zwei und zwei an einander gekettet. Stranmur sah das Grausen, was mich bei diesem Anblick erfaßte, und verließ mit mir den schauerlichen Ort.

Wankenden Schrittes, das Herz voll Erbarmen, folgte ich ihm zu

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Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/234&oldid=- (Version vom 1.8.2018)