ihr dem ganzen Hunnenlande einen reichen Ersatz für die schöne Helche, König Etzels erste Gemahlin, versprechen zu können. An ihr hatte besonders das Gesinde mit großer Vorliebe gehangen.
Nach siebentägigem Aufenthalte in Bechelaren ritten sie in zwölf Tagen an den Rhein. Zu Worms sah man mit Verwunderung auf die schweren Lasten, welche ihre Saumtiere trugen. „Gott heiße Euch bei uns willkommen, Ihr wackeren Degen!“ rief ihnen Hagen zu, welcher Herrn Rüdiger sogleich erkannt hatte. König Gunther fragte, wie es mit Etzel und Helche im Lande der Hunnen stehe. Rüdiger antwortete: „König Etzel lässet Euch bitten, daß Ihr ihm seine Not klagen helfet. Helche, die Vielreiche, meines Herrn Weib, ist gestorben. Nun hat man meinem Herrn gesaget, Siegfried sei tot, und Kriemhilde ohne Mann. Wenn das ist, und Ihr wollet es verstatten, so soll sie Krone tragen vor Etzels kühnen Recken an seiner Seite.“ Drei Tage wurde nun beraten am Hofe König Gunthers, ehe der Antrag an Kriemhilde gelangte. Ihre drei Brüder wollten sie gern verheiraten, damit die Traurigkeit von ihr wiche. Aber Hagen warnte vor ihrer Verheiratung. Sogar wenn sie selber dazu willig sein würde, sollte man ihr seiner Meinung nach die zweite Verheiratung mit dem reichen und mächtigen König nicht gestatten. Der staatskluge Held wußte, daß sie ihren Einfluß in dem mächtigen Hunnenreiche nur benutzen würde, um den Tod ihres ersten Gemahles zu rächen.
Auf das Bitten ihrer Brüder Gernot und Giselher erlaubte Kriemhild wenigstens, daß Etzels Bote sie sehen dürfe. Sie erwartete Rüdiger am andern Tage in ihrer Kemenate mit zwölf anderen Rittern. Der hehre Bote sprach: „Wollet erlauben, daß wir stehend Euch verkündigen, weshalb wir nach Worms kommen sind. König Etzel bietet Euch in Treuen große Liebe. Geruhet Ihr zu minnen den edlen Herren, so sollen zwölf reiche Kronen Euer sein. Er verleiht Euch das Land von dreißig Fürsten, welche alle von seiner gewaltigen Hand bezwungen sind.“ Sie beschied sie für den anderen Morgen wieder. Unterdessen beriet sie sich mit ihrer Mutter Ute und mit Giselher. Doch faßte Kriemhilde noch immer keinen festen Entschluß. Zur Messe kamen die Könige wieder zusammen und redeten ihrer Schwester abermals zu, König Etzel ihre Hand zu reichen. Sie ließen auch den Markgrafen Rüdiger herbeiholen. Dieser sprach ins
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)