Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 1.djvu/249

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Man hat längst bemerkt, daß in jeder Leidenschaft etwas von Wahnsinn liege, und daß sich die Ideen und Gefühle bey uns figieren. Leidenschaft setzt die Wirksamkeit solcher Triebe in uns zum Voraus, deren Befriedigung uns mit Wonne erfüllt; der Gegenstand muß von der Art seyn, daß wir ihn wollen, daß wir darnach streben würden, wenn wir durch keinen äußern Beweggrund getrieben würden. Wer bloß durch physische oder moralische Nothwendigkeit gespornt wird, nach einem gewissen Zustande zu streben, der ihm außerdem gleichgültig oder unangenehm seyn würde; wer sich aus Hunger, nach unschmackhaften Speisen; aus Furcht, nach einem sichern aber höchst unangenehmen Aufenthalte; aus Zwang, nach qualvoller Beendigung einer Arbeit sehnt; der handelt zwar leidenschaftlich, d. h. seine Aeußerungen ähneln den Wirkungen der Leidenschaft; aber er fühlt nicht, was Menschen im Stande der Leidenschaft fühlen: er handelt nicht aus Leidenschaft.

Demohngeachtet deutet schon der Nahme auf Leiden, auf Bedürfniß hin. Und so ist es in der That! Wir fühlen in der Leidenschaft die Unentbehrlichkeit einer gewissen Wonne. Der innere Reitz des Zustandes, in den wir zu gelangen streben, hat uns überwältigt. Wir wollen nicht mehr dasjenige, was wir auch frey wählen würden, wir müssen wollen, was wir vermöge der Herrschaft unserer Triebe nicht anders können.

Also ist Leidenschaft die figierte Sehnsucht nach einer gewissen Wonne, die wir zu unserm Daseyn und Wohl unentbehrlich fühlen.

Alle diejenigen Begierden, deren Befriedigung Wonne gewährt, sie mögen höchst selbstisch oder liebend