Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 1.djvu/248

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aber die Herrschaft eines Lieblingstriebes, der über alle andere unumschränkt regiert.


Fünftes Kapitel.
Absonderung der leidenschaftlichen Aufwallung von der Leidenschaft selbst.

Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger Bewegung unserer Reitzbarkeit zum Voraus. Darin ist man allgemein einverstanden. Aber wenn wir nicht alle Begriffe verwirren, und ganz verschiedene Zustände unsers Wesens mit einerley Nahmen bezeichnen wollen; so müssen wir nothwendig den einzelnen leidenschaftlichen Moment von der Leidenschaft, und in dieser wieder die Zeit ihres Strebens von der ihrer Beendigung durch völlige Ausführung oder Verzweiflung unterscheiden.

Lauter verschiedene Bewegungen unsers Wesens! – Jeder heftige Ausbruch einer Begierde ist ein leidenschaftlicher Moment, aber er ist darum keine Leidenschaft. Und selbst während dieser letzten sind die beyden Perioden, worin wir zugleich fürchten und hoffen – und nichts mehr zu fürchten und zu hoffen haben: das Streben der Sehnsucht, und wieder ihre Stillung durch Sättigung des Genusses, oder Ermüdung des vergeblichen Nachstrebens, ganz verschieden in ihren Wesen und in ihren Wirkungen.

Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger aber anhaltender Sehnsucht zum Voraus, die sich durch ihre Dauer noch verstärkt, und in ihrer Höhe alle Kräfte unsers Wesens nach Erlangung eines Gegenstandes hinspannt.