Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/130

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Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag.

Wenn es eine ernste Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken