Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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gleichen Anlagen wird gewiß die Empfindniß des Schönen bey dem schönen Menschen richtiger und sicherer seyn, als bey dem häßlichen.
Warum soll der edle Mann seine Geliebte gleichgültig gegen diesen Vorzug halten? Das wird er nicht! Aber freylich, er wird ihn bloß als eine Empfehlung betrachten, die ihm eine doppelte Verbindlichkeit auflegt, die gute Meinung die er für sich erweckt, zu rechtfertigen. Er wird seine Geliebte dadurch ehren, daß er diesem zufälligen Vorzuge im Verhältnisse zu den übrigen Vorzügen seines Geistes nur einen untergeordneten Rang einräumt. Die größte Schönheit verliert ihren Werth, wenn sie sich mit einer Anmaßung darstellt, welche auf die bloße körperliche Form alle Ansprüche zu gefallen bauet. Er wird seine Geliebte dadurch ehren, daß er ihr zu viel Geschmack zutrauet, als daß sie Formen, die nur der Buhlerin oder dem ungebildeten Weibe gefallen können, für schön halten sollte, und wenn er nur solche an sich trägt, so wird er gar keinen Werth darauf setzen. Aber er wird seinem Aeußern, welcher Art es seyn mag, einen Ausdruck beylegen, der seine liebende, sittliche, für alles Edle und Schöne empfindliche Seele darstellt; überzeugt, daß dieser auf das Herz des edeln Weibes einen stärkeren Eindruck macht, als die schönste, aber todte, ausdruckslose Form.
Es giebt einen Anstand, es giebt Blicke, Mienen, Geberden, die so gleich verkündigen, daß in dem Körper eine Seele wohnt, die sich ganz für Liebe aufopfern, alle ihre Zartheiten fühlen kann! Dieser Ausdruck ist vor allen andern reitzend. Aber er muß mit einem andern zusammengehen,
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/211&oldid=- (Version vom 1.8.2018)