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Ludwig Rellstab: Empfindsame Reisen: Nebst einem Anhang von Reise-Berichten, Skizzen, Episteln, Satiren, Elegien, Jeremiaden, usw., Band 2

daß sie nicht kam. – Ich sehe einen Brunnen im Hofe, im anstoßenden Zimmer gegenüber entdecke ich noch eine Waschschüssel und Karaffe, und mache also aus der Noth eine Tugend und hole mir das Wasser selbst. – Wir behelfen uns so gut wir können; bürsten unsere Kleider eigenhändig, und sind endlich fertig, um noch die Nachmittagspromenade zu besuchen. Denn außer dem „Gleich, mein Herr!“ war von dem Wirth und den Leuten im Hause nichts zu erlangen.

Kissingen ist noch kein Ort, es will erst einer werden. Man baut an allen Ecken und Enden. O herrlicher Sommeraufenthalt! Hinter Maurergerüsten zu wohnen! Die Fenster anmuthig voller Kalk gespritzt! Statt der Vögel vor dem Fenster die weißbestäubten Stiefeln der Maurer! Uns überm Kopf wird eine neue Etage aufgesetzt! Die angenehme Musik der Hämmer und Beilschläge, des Steinschüttens und ähnlicher Charivaritöne, weckt uns aus dem Morgenschlafe. Es ist auch Zeit, denn man muß auf die Promenade, muß an den Brunnen. Von 1100 Gästen sind 100 wirklich körperlich krank, 100 eingebildet, der Rest nur geisteskrank, weil er hier Vergnügungen sucht und findet. Das Kissinger Wasser schmeckt (und darin liegt seine beste Eigenschaft) wie meine Dinte, doch kaum so milde. Welch ein Glück,

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Rellstab: Empfindsame Reisen: Nebst einem Anhang von Reise-Berichten, Skizzen, Episteln, Satiren, Elegien, Jeremiaden, usw., Band 2. Brockhaus, Leipzig 1836, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rellstab_Empfindsame_Reisen_2.pdf/95&oldid=- (Version vom 1.8.2018)