Ihre Lippen bewegten sich mit der trägen Bewegung von Schlangen, und ein Flüstern wehte ihm in das Gesicht.
Er verstand die Worte nicht, doch ihn durchdrang der unfaßbare Zauber ihres Klanges.
Er begleitete sie bis an die Tür ihrer Wohnung und wollte gehen.
„Werden Sie heute auf der Seance bei der Blawatska sein?“
„Ich habe es zwar versprochen, aber, aber …“
„Aber Sie werden kommen, ich bitte darum,“ flüsterte sie befehlend, als sie sich trennten.
Natürlich versprach er es und zündete, als er sich in seiner Wohnung befand, völlig mechanisch die Lampen an und setzte sich an den Schreibtisch; aber die angefangene Szene des Mysteriums ließ ihn völlig kalt. Denn er durchkostete diese unerwartete Begegnung mit Miß Daisy, jede Einzelheit, jeden ihrer Blicke und jedes Wort suchte er in sich zu erwecken und erwog alles mit tiefer Aufmerksamkeit. Und alles kam ihm so unfaßbar merkwürdig vor, daß eine noch geräuschvollere Woge der Unruhe sich über sein Herz ergoß und ihn um den letzten Rest des Gleichgewichts brachte. Er versuchte, sich aus diesem irren Kreise der Erinnerungen herauszureißen, doch der Zauber, der ihm aus ihnen entgegenstrahlte, schlug ihn in immer schwerere Bande.
„Sie hat mich ganz offenkundig verzaubert.“ Er erinnerte sich dieser Volksbezeichnung, und sie schien ihm nicht mehr so lächerlich kindisch wie einst, denn er fühlte geradezu seine physische Abhängigkeit von
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/263&oldid=- (Version vom 1.8.2018)