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Walther Kabel: Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 7)

Im Januar 1843 erhielten die Nachkommen des verschollenen Kaufmanns ihr Erbe. –

Am 22. Februar 1831 verließ der Staatsrat Baron Charles de Gyptaure in Paris, der schon seit einiger Zeit Spuren von Geistesgestörtheit gezeigt hatte, seine in der Rue de Rivoli gelegene Wohnung, hob von der französischen Staatsbank sein gesamtes Barvermögen im Betrage von 82 300 Franken ab und wurde dann am späten Abend desselben Tages von der Polizei in einer gewöhnlichen Kneipe des Montmartreviertels aufgegriffen, wo er einen harmlosen Menschen, der ihm angeblich nach dem Leben getrachtet haben sollte, mit einem Dolche bedroht hatte. Bald wurde Verfolgungswahnsinn festgestellt und Baron Gyptaure in die Privatanstalt des Irrenarztes Doktor Martasin übergeführt.

Inzwischen hatte die Familie des Kranken in Erfahrung gebracht, daß dieser sein Vermögen an jenem Tage abgehoben hatte. Das Geld blieb trotz aller Nachforschungen verschwunden. Es blieb nur die Annahme, daß man es dem Wahnsinnigen, der ziellos von Kneipe zu Kneipe gewandert war, gestohlen hatte. Alle Versuche, von dem Baron über diesen Punkt eine vernünftige Erklärung zu erlangen, schlugen fehl.

Dreiundzwanzig Jahre blieb der Staatsrat in jener Privatanstalt. Dann erlitt er kurz vor Vollendung des siebzigsten Lebensjahres einen Schlaganfall. Als die Lähmungserscheinungen langsam wichen, stellte sich heraus, daß der Bluterguß in das Gehirn eine seltsame Wirkung auf den Kranken ausgeübt hatte: die Wahnvorstellungen waren vollkommen behoben, und mit der fortschreitenden Genesung erlangte der Baron die volle Erinnerung an die Zeit vor dem Ausbruch seiner Geisteskrankheit wieder.

Jetzt war er auch imstande, anzugeben, was er damals mit dem Gelde angefangen hatte. Es war von ihm bei den drei im Jahre 1831 in Paris bestehenden Sparkassen, der städtischen, der staatlichen und einer privaten, in genau gleich großen Summen von je 27 400 Franken eingezahlt worden. Die Sparkassen händigten die Beträge, die inzwischen auf das Doppelte angewachsen waren, ohne weiteres aus.

W. Kabel.


Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Romanhaftes aus der Geschichte der Sparkassen (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 7). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1916, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Romanhaftes_aus_der_Geschichte_der_Sparkassen.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)