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zwey so schöne Louisd’or, sonst thäts eine auch.“ Das schlaue Mädchen aber stellte sich, als wenn es die Sache ganz anders verstünde. Denn weil er sagte: „Für deine zwey schöne Augen“ – nahm es ganz züchtig die zwey Louisd’or vom Teller weg, steckte sie in die eigene Tasche, und sagte mit schmeichelnden Gebehrden: „Schönen herzlichen Dank! Aber seyd so gut und gebt mir jetzt auch noch etwas für die Armen.“ Da legte der Herr noch einmal zwey Louisd’or auf den Teller, kneipte das Mägdlein freundlich in die Backen, und sagte: „Du kleiner Schalk!“ Von den andern aber wurde er ganz entsetzlich ausgelacht, und sie tranken auf des Mägdleins Gesundheit, und die Musikanten machten Tusch.


Ein gutes Rezept.


In Wien der Kaiser Joseph war ein weiser und wohltätiger Monarch, wie jedermann weiß, aber nicht alle Leute wissen, wie er einmal der Doktor gewesen ist, und eine arme Frau kurirt hat. Eine arme kranke Frau sagte zu ihrem Büblein: „Kind hol mir einen Doktor, sonst kann ichs nimmer aushalten vor Schmerzen.“ Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum zweiten, aber keiner wollte kommen, denn in Wien kostet ein Gang zu einem Patienten einen Gulden, und der arme Knabe hatte nichts als Thränen, die wohl im Himmel für gute Münze gelten, aber nicht bei allen Leuten auf der Erde. Als er aber zum dritten Doktor auf dem Weg war, oder heim, fuhr langsam der Kaiser in einer offenen Kutsche an ihm vorbey. Der Knabe hielt ihn wohl für einen reichen

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Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/252&oldid=- (Version vom 1.8.2018)