hergeht, vom Dach hinweg und hob ihn schwebend in der Luft, wie einen Vogel über einem entsetzlichen Abgrund. Und als er eben in Gefahr war in die unermeßliche Tiefe hinab zu stürzen, und wäre seines Gebeins nimmer gefunden worden, da streifte die Lavine an ihm vorbey und warf ihn seitwärts an eine Halde. Er sagt, es habe ihm nicht wohl gethan, aber in der Betäubung umklammerte er noch einen Baum, an dem er sich fest hielt, bis alles vorüber war, und kam glücklich davon und gieng wieder heim zu seinem Bruder, der auch noch lebte, obgleich der Stall neben dem Häuslein wie mit einem Besen weggewischt war. Da konnte man wohl auch sagen: „Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich auf den Händen tragen. Denn er macht Sturmwinde zu seinen Boten, und die Lavinen, daß sie seine Befehle ausrichten.“
Anders ergieng es im Sturnen, ebenfalls im Canton Uri. Nach dem Abendsegen sagte der Vater zu der Frau und den drei Kindern: „Wir wollen doch auch noch ein Gebet verrichten für die armen Leute, die in dieser Nacht in Gefahr sind.“ Und während sie beteten, donnerte schon aus allen Thälern der ferne Wiederhall der Lavinen, und während sie noch beteten, stürzte plötzlich der Stall und das Haus zusammen. Der Vater wurde vom Sturmwind hinweggeführt, hinaus in die fürchterliche Nacht, und unten am Berg abgesetzt und von dem nachwehenden Schnee begraben. Noch lebte er, als er aber den andern Morgen mit unmenschlicher Anstrengung sich hervorgegraben, und die Stätte seiner Wohnung wieder erreicht hatte, und sehen wollte was aus den Seinigen geworden sey, barmherziger Himmel! da
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/259&oldid=- (Version vom 1.8.2018)