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Ueberzeugung etwas abmarkten, von der Welt abschleifen zu lassen, – wer erkennte da nicht den Chirurgus aus der Karlsschule?

Auch das Schneidige, Kampflustige des Charakters ist nicht minder bezeichnend; haben die Goethe’schen Gestalten, die wir eben erwähnt, etwas Weichliches, so erquickt uns bei Schiller der durchweg männliche Nerv, der in Ferdinand allerdings noch sehr an die Studentenzeit und ihre Raufwuth erinnert.

Nirgends mehr aber empört sich diese angeborene Mannhaftigkeit und Tüchtigkeit des Wesens als so einer taffetenen Lumpenseele gegenüber, wie sie der Dichter uns im Hofmarschall Kalb gezeichnet hat. In dieser Situation sehen wir denn den Major, wie er dem Hofmarschall sagt:

Marschall, dieser Brief muss Ihnen bei der Parade aus der Tasche gefallen sein – und ich war zum Glück noch der Finder. . . . . Lesen Sie! Lesen Sie! Bin ich auch schon zum Liebhaber zu schlecht, vielleicht lass’ ich mich desto besser als Kuppler an.
Hofmarschall. Verflucht!
Ferdinand. Geduld, lieber Marschall! Die Zeitungen dünken mich angenehm! Ich will meinen Finderlohn haben! (Hier zeigt er ihm die Pistole.)

So sehr man sich auch gewöhnt hat, über seine Carikirung zu scherzen, konnte der Marschall doch vielleicht kaum meisterhafter skizzirt werden, als der Dichter in den paar Scenen ihn malt, und zugleich mit ihm das ganze grenzenlos klägliche und nichtige Treiben jener Klasse, die sich an Fürsten von mittelmässiger Fähigkeit und despotischem Naturell von jeher so leicht angesammelt hat, wie jeder nur einigermassen mit solchen Kreisen Vertraute in seiner Erinnerung Beispiele dafür wird zusammenfinden können. Auf einen an sich unbedeutenden Menschen muss die als das Haupterforderniss alles feinen Gesellschaftstons betrachtete Hofgewöhnung, das Banale mit Grazie zu umkleiden und mit affectirter Wichtigkeit zu sagen, das Bedeutende aber mit anscheinender Nachlässigkeit und sorgloser Leichtigkeit zu behandeln, den verflachendsten Einfluss üben; das Product dieses Tons sehen wir nun im Hofmarschall, dieser Fliege,

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/100&oldid=- (Version vom 1.8.2018)