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Schauspielernatur: manierirt, sentimental, betrog sie sich selber, indem sie den grossen Flecken ihrer Existenz durch kleines Wohlthun abwaschen zu können wähnte, und über den dunkeln Punkt in ihrer Geschichte so leicht wegsprang, während er doch nur entschuldigt werden konnte, wenn sie den Herzog wirklich liebte und ihm treu blieb. Dass dies ihre Ehre just fordert, davon aber hat sie nach echter Maitressenart gar keine Ahnung, wenn sie zu Ferdinand sagt:

Meine Leidenschaft, Walter, weicht meiner Zärtlichkeit für Sie.

Stolz, ehrgeizig und grossartiger Auffassung allerdings wenigstens in leidenschaftlicher Aufwallung zugänglich, ist sie doch schon zu viel Courtisane, um irgendein wahres Gefühl lange und dauernd zu nähren. Englisch ist an diesem Charakter vor allem der Hochmuth, der sich unter keinen Umständen verleugnet, jener rasende Anfall von Spleen, in welchem sie, nachdem ihr das Project auf Ferdinand mislungen und sie beschämt vor Luisen gestanden, ihr ganzes Los mit Füssen tritt, und die Schaubühne verlässt, auf der sie bisher Gebieterin war, vielleicht am allerehesten auch die hartnäckige Laune, mit der sie sich einbildet einen Mann zu lieben, den sie bisher noch nie gesprochen hatte. Dieselbe Willkür der Phantasie, die sie heisst sich dem Unbekannten in die Arme zu werfen, die ihr erlaubt, sich der Hoffnung hinzugeben, ein Mann von Ehre werde ihre frühere Laufbahn vergessen, würde uns auch die geringe Nachhaltigkeit ihrer Caprice verbürgen, wenn solche Frauen nicht oft gerade in der Caprice allein eine eiserne Beharrlichkeit zeigten. Nimmt man sich die Mühe, den Charakter von diesem Standpunkte aus genauer zu betrachten und der geschraubten und pathetischen Dialektik, die ihm der Dichter in den Mund legt, zu entkleiden, in der er uns viel häufiger das mittheilt, was er über den Charakter denkt, als was dieser letztere denken und sagen kann, so wird man immer wieder über die Meisterschaft der Anlage trotz der Mangelhaftigkeit der Ausführung erstaunen, die bei aller Verwilderung, die uns das Schiller’sche Talent in dieser ersten Periode zeigt, immer durchbricht, uns mit einer Art von Bewunderung und

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/115&oldid=- (Version vom 1.8.2018)