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und durch eure Liebe, eure stille Bemühungen und eure Gefälligkeit das Gefühl jenes Verlustes zu lindern und die Wunde zu heilen gesucht? Haben wir jetzt nicht alle nöthiger, eben jene gesellige Schonung auszuüben, die oft mehr wirkt, als eine wohlgemeynte aber rohe Hülfe. Jetzt, da nicht etwa in der Mitte von Glücklichen ein oder der andere Zufall diesen oder jenen verletzt, dessen Unglück von dem allgemeinen Wohlbefinden bald wieder verschlungen wird, sondern wo unter einer ungeheuren Anzahl Unglücklicher kaum wenige, entweder durch Natur oder Bildung, einer zufälligen oder künstlichen Zufriedenheit geniessen.

Karl. Sie haben uns nun genug erniedrigt, liebe Tante, wollen Sie uns nicht wieder die Hand reichen?

Baronesse. Hier ist sie, mit der Bedingung, daß ihr Lust habt euch von ihr leiten zu lassen. Rufen wir eine Amnestie aus! man kann sich jetzt nicht geschwind genug dazu entschliessen.

In dem Augenblicke traten die übrigen Frauenzimmer, die sich nach dem Abschiede noch recht herzlich ausgeweint hatten, herein und konnten sich nicht bezwingen Vetter Karl’n freundlich anzusehen.

Kommt her, ihr Kinder, rief die Baronesse: wir haben eine ernsthafte Unterredung gehabt, die, wie ich hoffe, Friede und Einigkeit unter uns herstellen, und den guten Ton, den wir eine Zeitlang vermissen, wieder unter uns einführen soll; vielleicht haben wir nie nöthiger gehabt uns an einander zu schliessen, und, wäre es auch nur wenige Stunden des Tages, uns zu zerstreuen.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)