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eroberte Paris rief, ich sollte die aus einigen Gegenden Preußens geraubten Handschriften ermitteln und zurückverlangen, nebenbei auch einige Geschäfte des Kurfürsten besorgen, der in dem Augenblick keinen Bevollmächtigten dort hatte. Zwar jener Auftrag brachte mich in ein unangenehmes Verhältniß zu den Pariser Bibliothekaren, die mich früher sehr gefällig behandelt hatten. Jetzt aber wurde einmal Langlès, den ich besonders drängte, so bitter, daß er mir nicht mehr gestatten wollte, auf der Bibliothek zu arbeiten, was ich in Nebenstunden immer zu thun fortfuhr; nous ne devons plus souffrir ce Mr. Grimm, qui vient tous les jours travailler ici et qui nous enlève pourtant nos manuscrits, sagte er öffentlich. Ich machte die Handschrift, die ich eben auszog, zu, gab sie zurück, und gieng nicht mehr hin um zu arbeiten, sondern nur um zu beendigen, was mir aufgetragen worden war. Zu Paris, wo ich diesmal ordentlicher (bei einem Advokaten in der rue de l’université) einquartiert war und ein tägliches Kostgeld von der Stadt bezog, erfreute ich mich besonders des näheren Umgangs mit dem preuß. Geh. Kammergerichtsrath Eichhorn, der gerade eine schwere Krankheit auszustehen hatte. Erst im Dezember giengen meine Geschäfte glücklich zu Ende und ich empfieng später zu Kassel ein Schreiben des Fürsten von Hardenberg (31. Aug. 1816), das mir Zufriedenheit mit meiner Verrichtung bezeugte.

Von jetzt an beginnt die ruhigste, arbeitsamste und vielleicht auch die fruchtbarste Zeit meines Lebens. Nach Strieders erfolgtem Tode, hatte ich endlich den früher gewünschten Platz bei der Kasseler Bibliothek erlangt, an der auch nun Wilhelm ein Jahrlang früher arbeitete. Eine Anstellung bei dem Bundestag zu Frankfurt, als Gesandtschafts-Sekretär, hatte ich entschieden abgelehnt. Ich wurde also zweiter Bibliothekar (16. April 1816) und behielt den bisherigen Gehalt von 600 Rthlr., Völkel war zum ersten Bibliothekar befördert worden. Die Bibliothek ist jeden Tag drei Stunden geöffnet, alle übrige Zeit konnte ich nach Lust studieren, und wurde nur durch kleine Nebenämter, wie das mir größtentheils aufgebürdete Zensorische, aber nicht bedeutend gestört. Mit meinem Kollegen Völkel lebte ich auf freundschaftlichem Fuß, nichts hätte gefehlt, als eine mäßige und gerechte Gehaltszulage für mich und meinen Bruder, und es würden uns in dieser Hinsicht wenig Wünsche übrig geblieben seyn. Schnell verflossen die Jahre.

Nach dem Tode des höchstseel. Kurfürsten traten in Verwaltung der Bibliothek Veränderungen ein. Während vorher die Bibliothekare den ausgeworfenen Fonds jährlich baar empfangen und darüber der Finanzkammer Rechnung abgelegt

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Jacob Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Jacob_Grimm).pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)