Seite:Steig Entstehungsgeschichte Maerchen Sagen Grimm.djvu/20

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen

Nun werden wir die sonderbare Fassung der Anmerkungen im Grimmschen Anhang begreifen. Zum Fischer S. X: „Dieses Märchen welches der seel. Runge aus der pommerschen Mundart treflich niedergeschrieben, theilte uns Arnim 1809 freundschaftlich mit, von demselben durch v. d. Hagen erhielt es auch Büsching und hat es in seiner Sammlung wiewohl nicht ohne Fehler abdrucken lassen.“ Das Schlußsätzchen entstand so unter der Fassung Reimers. Über das Märchen vom Machandelboom heißt es nur noch S. XXIX: „Dieses wunderschöne Märchen ist uns von Runge mitgetheilt worden,“ alles Ursprüngliche ist von Reimer bis zur Wesenlosigkeit abgestreift worden.

Unter diesen Umständen hatten die Brüder Grimm vor dem eigenen Texte, den sie mit ihrem Namen deckten, keinen Respekt. Jacob trug am Rande des Handexemplares eine Reihe von Bemerkungen, Bedenken oder Berichtigungen ein. Zum Fischer z. B.: S. 69 hinner anstatt hinne, lüttje anstatt lütte; S. 70. 73. 76 tom Butt anstatt tum Butt. S. 75 in dem Satze „Dar ging he recht vörzufft staan und sed“ markierte Jacob durch Unterstreichen und Fragezeichen sein Nichtverständnis des Wortes „vörzufft“, wo Büsching „vörtogtsten“ darbietet: „vörzufft“ ist jedoch später beibehalten worden und wird durch einen Klammerzusatz bei Grimms durch „verzagt“ erklärt. Zum Machandelboom z. B.: S. 204. 205 in stund das d notiert; S. 205 in „keene ruhige Stede“ das Adjektiv „ruhige“ als mundartlich fehlerhaft unterstrichen, was nach Dähnert „rauig“ heißen würde; S. 207 notierte er „daröver vörschrak“ anstatt „daräver varschrak“; S. 216 strich er in dem Satze „daar truck se de nien rooden Scho an“ das Verbum „truck“, wofür er am Rande tog, toog oder treckt versuchte, als bedenklich an und traf damit unbewußt auf Büschings Lesart „took“.

An die zweite Ausgabe der Grimmschen Märchen, von 1819 bis 1822, tritt man daher mit der Erwartung heran, daß die Mißverständnisse nun ins reine gebracht sein werden. Aber da irrt man sich. Die Fassung der Anmerkungen, jetzt zuerst gesondert im dritten Bande, zeigt zwar, daß den Brüdern die Erinnerung noch nicht verloren war. Beim Fischer, S. 29, ist der ganze Passus über von der Hagen und den angeblich fehlerhaften Text bei Büsching fortgelassen. Der Machandelboom,

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Zur Entstehungsgeschichte der Märchen und Sagen der Brüder Grimm. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen. Georg Westermann, Braunschweig 1907, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Entstehungsgeschichte_Maerchen_Sagen_Grimm.djvu/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)