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der Verfeinerung den Landmann immer mehr seiner einfachen Sitten entwöhnen, wo der Besitz unstet schwankt, und ein ewiger Wechsel das Loos hoher und niederer Stände täglich mischt und ändert, wie könnte da der Sinn für die Freude zur Reife gedeihen? Wann wird sie einst wiederkehren jene glückliche Zeit, wo jeder in Ruhe und Frieden, am Ruder des Staates sowohl, als am Pfluge, den Pflichten seines Berufes mit Zuversicht und Glauben an beständige Dauer folgen und die Früchte seines Fleisses geniessen kann?

A. P.     

Der Sommertag.[1]

Auf den Sonntag Lätare, gewöhnlich der Sommertag genannt, gehen an manchen Orten die Mädchen von 6 bis 12 Jahren, mit Kränzen von Buxbaum oder Epheu, mit Blumen und Bändern geziert, im Dorfe, wohl auch auswärts, von Haus zu Haus, und kündigen durch ihren Gesang den Frühling an. Oft wehen noch um diese Zeit die rauhen Stürme des Nords, nicht selten fallen Schneeflocken auf den grünen Kranz, der die Nähe des Frühlings verkünden soll, und die Kinder gehen dennoch, treu der alten Gewohnheit, oft starr von Kälte, umher und singen:

Ja, Ja, Ja,
Der Sommertag ist da!
Er kratzt dem Winter die Augen aus
Und jagt die Bauern zur Stube naus.

Ehdessen gingen alle Mädchen, reich und arm, ohne Unterschied umher, und sangen ihren Mitbewohnern den Frühling an, jetzt aber ist es blos der ärmern Klasse überlassen, und dieser schöne alte Volksgebrauch ist bis zur Bettelei herabgesunken. Folgendes Lied wird am gewöhnlichsten an diesem Tage gesungen:

Heut ist Mitten Fasten,
Da leeren die Bauern die Kasten,
Thun sie die Kasten schon leeren,
Gott will was neues bescheeren,
Im Sommer da deiben die Früchte wohl,
Da kriegen sie Scheuern und Kasten voll.
Wo sind denn unsre Knaben?
Die den Sommertag halfen tragen,
Sie sitzen wohl hinter dem Wengertsberg
Und ruhn ihre zarte Händelein aus;
Wir gehen jetzt in das Wirthshaus,
Da schaut ein Herr zum Fenster heraus,
Er schaut heraus und wieder hinein,
Er schenkt uns was ins Beutelein nein;
Wir wünschen dem Herrn ein goldenen Tisch,
Auf jedem Eck ein backenen Fisch,
Und mitten drein ’nein
Eine Kanne voll Wein
Da kann der Herr recht lustig seyn.

Diese alte Gewohnheit herrscht noch hie und da in einigen Dörfern des Odenwaldes und Neckarthales; seltener ist hingegen der sonderbare Gebrauch, nach


  1. Badische Wochenschrift. Nr. 12. Freitags den 20. März 1807. Sp. 177 bis 180. – Vgl. oben S. 80.
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Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)