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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

nicht“, bestimmte mich, das bei Grimms verstellte „selbst“ an den rechten Ort zu rücken.

In Nr. 94 (Johann von Passau) heißt es bei Grimms: „da wird der Mann scheltig und fluchet den gewöhnlichen Fluch“ – in Luthers Tischreden (1576) steht aber „schellig“, ebenso in der Ausgabe 1568 S. 213a, woraus es das Deutsche Wörterbuch zitiert. Trotzdem habe ich „scheltig“ nicht geändert, da Grimms vielleicht absichtlich das ungewöhnliche Wort „schellig“ durch das verständlichere „scheltig“ ersetzt haben.

Nr. 102 (Die heiligen Quellen) ist aus einer Reisebeschreibung herausgeschält, die ein Ungenannter im Morgenblatt 1808 Nr. 247 S. 987 gibt. Ich stelle seine Schilderung und Grimms Sage nebeneinander.

Morgenblatt: Grimms:
„Im Geiste des Volkes … war mir besonders die Mischung von religiösen oder auch ganz fabelhaften Umständen … auffallend: so die heiligen Quellen, die im Rütli während des Eides plötzlich entsprungen seyn sollen; so die Sage, daß einer der Schwörenden den Bund verrathen habe, und ihm sogleich Feuer zu Mund und Nase herausgefahren sey, und sein Haus von selbst zu brennen angefangen habe usw.“ Das Schweizer Landvolk redet noch von den heiligen Quellen, die im Rütli plötzlich entsprungen, als da der große Eidschwur geschah, und wie einem der Schwörenden, der den Bund verrathen, sogleich Feuer zu Mund und Nase ausgefahren sei, auch sein Haus von selbst angefangen habe zu brennen.

Man sieht, daß Grimms scheinbar einheitliche Sage eigentlich aus zweien zusammengearbeitet ist, auf die die Überschrift „Die heiligen Quellen“ eigentlich nicht mehr ganz paßt.

Nr. 105 (Der Liebenbach). Eine stilistische Vorgestalt der Sage findet sich im Briefwechsel zwischen Arnim und Grimms (S. 324; vgl. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin 1903. S. 301), wo Wilhelm schreibt: „In einer kleinen hessischen Landstadt fließt ein Bach, der das Trinkwasser gibt und der Liebenbach heißt. Zwei Liebende nämlich konnten die Einwilligung zu ihrer Verheiratung von ihren Eltern nicht erhalten, bis sie versprachen, eine Quelle auf einem gegenüberliegenden Berg herüberzuleiten und der Stadt dadurch Wasser zu verschaffen. Sie gruben nun zusammen 40 Jahre, und als sie fertig waren, starben sie beide in demselben Augenblick.“ Für die „Sagen“ ist dann eine stilistische Fortbildung erfolgt, die Stadt heißt jetzt Spangenberg in Hessen. Übrigens zeigt auch der Zusammenhang, in dem die Vorgestalt erscheint, den politischen Gesichtspunkt, unter dem Wilhelm die Sage ursprünglich aufgefaßt hat.

Nr. 108 (Hessental). Aus einem sich durch mehrere Nummern des Freymüthigen 1806 fortziehenden Artikel des Freiherrn

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)