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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

Stil gehört ganz allein Grimms, nur an einzelnen Stellen trifft man auf Stichwörter, die beiden Darstellungen gemeinsam sind. Daher wächst an einer bei Grimms verdorbenen Stelle („hüte dich mir“, wo wohl „vor mir“ zu lesen ist) aus der Quelle keine Hilfe zu. Sehr interessant ist die Anrede, die der Zwerg auf dem Felsgrat an den Gemsjäger tut: „Warum erlegst du mir lange schon meine Gemsen und lässest mir nicht meine Herde?“ Denn da die Worte in Wyß’ Hexametern keine Stütze haben, liegt unzweifelhaft in Rede und Duft Schillers Gedicht vom „Bergesalten“ in dem Mittel.

Ebenso steht es in allem wesentlichen mit den Sagen 298 (Das Bergmännchen), 220 (Die Schlangenkönigin) und einigen anderen. Prächtig und ganz eigenartig ist Grimms Nacherzählung „Der Grenzlauf“ in Nr. 287, wie der Urner den Glarner mit seinen letzten Kräften aufwärtsträgt; die Vergleichung der Sage mit Wyß’ Hexametern bringt zwei Verbesserungen: „gegen die Scheideck“ (nicht „das“) und das „Lintthal“, nicht „Linthal“, wie bei Grimms gedruckt ist, denn es handelt sich um das Tal der Linth.

Nr. 303 (Der Zwerg und die Wunderblume). Aus Otmars Volkssagen S. 145 ff. Bei Otmar steigt ein armer Hirt zum Kyffhäuser auf, der mit einem guten, aber ebenfalls armen Mädchen verlobt ist. Weil er sie nicht heiraten kann, ist er betrübt; die glänzenden Steine aber, die er auf dem Kyffhäuser findet, und die sich in lauter Goldstücke verwandeln, ermöglichen ihm den Ankauf von einem Hüttchen und einem Stück Acker dazu, und sie wurden in einem Monat Mann und Frau. Grimms haben die Verlobung des Schäfers gänzlich ausgeschieden und die Sage rein für sich erzählt; nur freilich der Eingang, daß der Schäfer „immer trauriger“ den Berg hinanstieg, deutet noch auf die Fassung bei Otmar hin, denn in Grimms Sinne ist der Ausdruck „immer trauriger“ ohne Grund.

Nr. 304 (Der Nix an der Kelle). Ist fast wörtlich aus Otmar S. 328, nur war aus der daselbst gegebenen Ortsbestimmung der Kelle, daß sie „unweit der Werne im Hohensteinischen“ liege, die entsprechende Angabe „unweit Werne“ durch Zufügung eines „der“ zu berichtigen; denn Werne ist kein Ort, sondern ein kleines Flüßchen.

Nr. 305 (Schwarzach). Der zweite Absatz einer Sage, die in der Badischen Wochenschrift 1807. Stück 34 erzählt worden war. Die anonyme Erzählerin war, wie ich früher in den Neuen Heidelberger Jahrbüchern (1891, 6, 62 ff.) dargetan habe, die Frau Auguste (von) Pattberg, geb. von Kettner, die auch zu des Knaben Wunderhorn einige Lieder geliefert hat. Aber die Brüder haben ihre etwas umständlich erzählte Sage von der Burg Schwarzach sehr energisch zusammengestrichen und so einen Text hergestellt,

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)