Seite:Steig Ueber Grimms Deutsche Sagen.djvu/45

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

mit Germanien wirft.“ Diese Begebenheit erzählt Görres nun, und Grimms haben sie auf ganze Strecken hin wörtlich, an einzelnen Stellen mit kleinen stilistischen Änderungen oder Schreibabweichungen unter dem Titel „Des Teufels goldnes Haus“ in ihre Sagen aufgenommen. Daraus erklärt sich auch Grimms mangelhaftes Zitat. Die absichtlichen Änderungen entbehren doch nicht des Interesses. Teilweise sind sie puristischer Art. So wenn der Teufel in Gestalt eines Engels sagt: „um das Haupt ein Diadem von Gold“, wofür Grimms setzten: „um das Haupt eine Goldbinde“; oder wenn Görres von „verschiedenen Arten polierten Marmors“, Grimms aber von „verschiedenen Arten glatten Marmors“ sprechen. Zweimal ist ein zweideutiges „er“ bei Görres von Grimms mit dem entsprechenden Wort „der Knabe“ oder „der Teufel“ ersetzt. Wenn Görres bietet: „sogleich riß der Strick, er (!) fiel zur Erde, und stand unverletzt auf, wurde darauf getauft“, die Grimmsche Sage aber: „sogleich riß der Strick, der Knabe (!) fiel zur Erde, stand unverletzt und wurde getauft“, so darf man wohl an der Grimmschen Stelle den unbeabsichtigten Ausfall von „auf“ annehmen und dies Wort wieder in den Text einführen. Gegen Schluß spricht Görres „von Sümpfen, die voll waren mit langen Binsen und Geröhren“; offenbar weil Grimms an der Verbindung „voll mit“ Anstoß nahmen, haben sie eigenmächtig ein Wort eingeschoben und geschrieben: „von Sümpfen, die voll Wassers waren, mit langen Binsen und Geröhren“, sicherlich eine Verschlechterung des Görresschen Textes. Wichtig und interessant aber bleibt vor allen Dingen das bisher nicht festgestellte Resultat, daß ein Stück Prosa von Görres ruhig bisher wie Grimmsche Prosa in den Deutschen Sagen mitlaufen konnte: so nahe also standen sich damals noch Görres und Grimms nicht nur in der Auffassung, sondern auch in der Darstellung der gemeinsam von ihnen behandelten Stoffe, die Heidelberger Romantik lebt eben noch in Grimms Märchen und Sagen.

Nr. 481 (Der Teufelsturn am Donaustrudel). Die Quelle ist Aventins Bairische Chronik S. 330, in der Ausgabe von 1566, die ich benutzte. Bei Grimms soll der Strudel bei der Stadt Crain an der Donau sein, und die Gräfin, bei der der Kaiser absteigt, heißt Richilta. Der Urtext aber gibt den Namen des Ortes als Grein und den der Gräfin als Richlita, den ihres Sohnes als Adalber (nicht Aleman). Vielleicht war in Grimms Sage diese oder jene Kleinigkeit, in der sie bewußt oder vielleicht auch irrend abwichen, beizubehalten. Auch Ritter nennt die Stadt am Donaustrudel Grein; man sieht leicht ein, wie in der Druckerei statt des unbekannten „Grein“ das bekanntere Wort „Crain“ eintreten konnte.

Nr. 485 (Kaiser Heinrich V. versucht die Kaiserin). Hat zur

Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/45&oldid=- (Version vom 1.8.2018)