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Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen

Quelle den cod. palat. Nr. 525 fol. 78, den Jacob Grimm auf seiner Frühjahrsreise 1817 (Steig, Arnim und die Brüder Grimm, 1904, S. 371) einsah und exzerpierte. Ihm ist auch die Formgebung der Sage zuzuweisen. Nun heißt es darin vom Kaiser und seiner Gemahlin: „Er ließ einen seinen Mann die Kaiserin um ihre Minne bitten“. Das Objekt „einen seinen Mann“ hat gewiß etwas recht Unbequemes, und dennoch muß von jeder Annahme eines Versehens oder gar von jeder Verbesserung abgesehen werden, denn der genannte Kodex bietet, wie die Bibliotheksdirektion von Heidelberg mir mitteilt: „Er ließ ainen seinen man die kayserin pitten umb ir mynne.“ Man erkennt daraus, wie unbesorgt Jacob bei Rezeption älterer Ausdrucksweise verfuhr; Wilhelm, glaube ich, würde das nicht geschrieben haben.

Nr. 487 (Die Weiber zu Weinsperg). Die Cronica van der hilliger Stat Coellen (Cölner Chronik) vom Jahre 1499 auf Blatt 169 berichtet: „Do liessen die vrauwen alle dynge varen und nam eyn yecklich yren man vp yr schulder ind droegen die vyss.“ Grimms haben: „Da ließen sie [die Weiber] alle Dinge fahren und nahm ein jegliche ihren Mann auf die Schulter und trugen den aus.“ Demnach wird man das bei Grimms etwas anstößige „ein jegliche“ nicht gut ändern mögen. Im übrigen ist die Anlehnung an den Originaltext bei Grimms fast wörtlich, auch daß der König „schmutzlachte“, haben sie ihrer Quelle entnommen, wo „smutzlachte“ steht.

Nr. 497 (Herzog Friedrich und Leopold von Oesterreich). In engem Anschlusse an Könighovens „Elsassische[WS 1] und Straßburgische Chronicke“, in Schilters Ausgabe von 1698, gegeben. In dem Satze „(es) kam ein wohlgelehrter Mann ein zu Herzog Leopold von Oestreich“ ist das zweite „ein“ anstößig und zu tilgen, da die genannte Quelle hat: „do kam ein wolgelerter meister zu hertzoge Lupolt“, und die gleichfalls zitierte Cölner Chronik von 1499 S. 250 bietet: „so quam eyn waill geleirt man ind was meyster in der swartzer kunst, tzo Hertzoch Lupolt.“ Das „ein“ bei Grimms beruht also auf irgendeinem äußerlichen Versehen.

Nr. 503 (Dietrichstein in Kärnten). Nach Megiser, Chronik des löblichen Hertzogthumbs Khärndten 1612, S. 973 f. Es war überall der Name „Dietrichstein“ herzustellen. Kleinigkeiten sind von Grimms absichtlich geändert, „ließen“ freilich einmal, wo der Urtext „ließe“ hat mit dem Subjekt Maultasch, ist bedenklich. Dagegen am Schlusse ist bei Grimms eine stärkere Abweichung. Es ist vom Werfen, Poltern und Sausen im verfallenen Gebäu die Rede, „gleich als wenn es alles über einen Haufen werfen wollt“; die sonst wörtlich befolgte Quelle hat hier: „gleich als wenn es alles vber einen hauffen fallen wollt“. Der Unterschied ist, daß Grimms bei ihrer Wiedergabe, abweichend von der Quelle, nur


  1. Vorlage: Esassische
Empfohlene Zitierweise:
Reinhold Steig: Über Grimms „Deutsche Sagen“. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Georg Westermann, Braunschweig und Berlin 1916, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Ueber_Grimms_Deutsche_Sagen.djvu/46&oldid=- (Version vom 1.8.2018)