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auch Weibspersonen[1] zu Priesterinnen zu haben, noch immer beybehalten; und es ist niemand in Abrede, daß dieselben ihre Inspirationen nicht durch eben die Canäle empfangen, durch welche sie ihre Vorfahren die Sibyllen ehemals empfangen hatten.

Und da der Geist des Menschen, wenn er seinen Gedanken einmal den Zügel läßt, nicht aufzuhalten ist, sondern natürlicher Weise auf beyde extrema von Höhe und Tiefe, von gut und böse zu springen pfleget; so bemerket man, daß der erste Flug seiner Einbildungskraft ihn zwar gemeiniglich auf Höhen führet, wo er sich lauter schönes, vollkommenes und erhabenes vorstellet. Allein wenn er sich da verstiegen, daß er selbst nicht mehr weiß wo er ist, und die Gränzen des Hohen und Tiefen nicht mehr gehörig unterscheiden kann, so fällt er denn mit eben der Geschwindigkeit auf einmal gerade in den tiefesten Abgrund herunter, und gleichet einem der von Osten nach Westen reiset, oder einer geraden und geschmeidigen Ruthe, welche sich durch ihre eigene Länge krumm bieget. Es mag nun dieses herkommen woher es will; von einer uns angebornen boshaften Neigung, jede schöne Idee auch von der umgekehrten Seite zu zeigen, oder daß unsere auf alles herabschauende Vernunft, gleich der Sonne, nur die eine Helfte der Erdkugel beleuchten kann, und die andere nothwendig im Schatten und in der Finsterniß lassen muß: Oder daß unsere Einbildungskraft,


  1. Die Quäker, bey denen auch den Weibspersonen erlaubt ist, in der Gemeine zu predigen, zu beten etc.
Empfohlene Zitierweise:
Jonathan Swift, übersetzt von Johann Heinrich Waser: Mährgen von der Tonne. [recte: Orell in Zürich], Hamburg und Leipzig 1758, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Swift-Maehrgen_von_der_Tonne-1758.djvu/204&oldid=- (Version vom 1.8.2018)