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Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/107

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„Nachts“ – heißt es dagegen in der poetischen Erzählung ‚Kateryna‘ – „schreien die Eulen, der Eichwald schläft, die Sterne glänzen; längs des Weges laufen die Zieselmäuse unter den Amaranthen. Die guten Leute schlafen ermüdet, die einen vom Glück, die andern von Tränen; alles wird von der Nacht verhüllt. Alle bedeckt die Nacht mit ihrem dunkeln Schleier wie eine Mutter ihre Kinder.“ – Hier aber spürt man vielleicht noch die Einwirkung der romantischen Balladenstimmung, die noch deutlicher in den ersten Zeilen des Gedichtes „Die Besessene“ hervortritt:

„Es braust und stöhnt der Dnipró, der breite,
der Sturmwind heult im grimmen Lauf,
beugt hohe Weiden in der Weite
und peitscht die Wellen berghoch auf.

Nur selten schien in dieser Stunde
der blasse Mond durchs Sturmgewirr
und wie ein Kahn im Meeresschlunde,
so kam und sank es für und für.

Noch kündete kein Hahnenruf den Morgen,
man hörte keines Menschen Wort;
der Uhu schrie, allüberall im Wald verborgen,
die Esche knarrte fort und fort.“[1]

In diesem Naturgemälde spürt man noch etwas vom literarischen Einfluß der deutschen Romantik, gleichwie bei Zhukowskij und Mickiewicz. Hier offenbart sich noch nicht der naive volkstümliche Realismus, der sonst für Schewtschenko kennzeichnend ist. Wenn er eine Landschaft poetisch schildert, sieht der Leser nicht ein generalisiertes Landschaftsbild, wie z. B. die stilisierte Naturmalerei in Djerzhawins „Wasserfall“, sondern eben die Ukraine, mit deren Flora der Dichter vertraut ist. Da stehen die Eichen, Espen und Pappeln; da blühen die Weichselbäume und der Schneeball; da sind die Felder mit Lilien, Löwenzahn, Schlüsselblumen, Königsblumen und Immergrün[2] geziert.


  1. Nach der Übersetzung von Ostap Hrycaj.
  2. „Barwinok“, bei Hochzeiten, Leichenbegängnissen und sonstigen Feierlichkeiten in der Ukraine sehr gebräuchlich.