Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/132

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ist nicht blind für die Schattenseiten des grauenhaften Kulturbildes und es heißt nicht umsonst im Gedichte:

„Uns allen auf Erden gib’
Gesinnungsgleichheit, lieber Gott,
und send uns Nächstenliebe! …“

Aber ein Meisterwerk sind die „Hajdamaken“ nicht und sie halten keinen Vergleich aus z. B. mit dem kroatischen „Smail-agas Tod“.[1] Die Charakteristik und die Komposition sind zu schwach. Die Farben sind allzu grell und die Schilderungen der Metzeleien eintönig, auch einseitig. Der epische Teil wird mitunter durch lyrische Einschläge getrübt. Überhaupt war Schewtschenko, meiner Ansicht nach, eine viel zu lyrische Natur, um als echter Epiker gelten zu können (was übrigens in bezug auf slawische Dichter im allgemeinen bestätigt wird) und es fehlte ihm vielleicht auch die Fähigkeit, einen umfangreichern Stoff künstlerisch zu beherrschen. In der Skizzierung, in der Kleinmalerei war er Meister; aber wenn es sich um die ruhige harmonische Komposition eines breiten epischen Stoffes handelte, versagte er. Schließlich bleibt noch zu erwägen, ob der Hajdamakenstoff sich überhaupt zur dichterischen Behandlung eignet. Die innerste Ursache der Revolte war allerdings ethisch, ein flammender Protest gegen Ungerechtigkeit; die Mittel aber, die zum Erreichen der guten Ziele verwendet wurden, waren nichts weniger als ethisch.

Will man den wahren ukrainischen Nationalepiker in Schewtschenko kennen lernen, dann soll man seine epischen Fragmente lesen, in welchen die alte echte Kosakenzeit besungen wird. Niemals klingt seine Kobsa klarer und fröhlicher, als wenn er von den volkstümlichen Helden des XVI. und XVII. Jahrhunderts singt. Eine lebensprudelnde Melodie quillt hell hervor aus dem im Jahre 1840 verfaßten „Iwan Pidkowa“.

Pidkowa (Hufeisen, wegen seiner Stärke so benannt) war ein aus der Moldau gebürtiger Kosak, der von dem


  1. Deutsche Übersetzung von C. Seeberger (1864) und W. Kienberger (1874).