dem allgemeinen politischen und kulturellen Verfall zufolge des Mongolensturmes im XIII. Jahrhundert. Die neuen Verhältnisse, in welche die ukrainischen Länder nachher gekommen waren, schufen neue Bedingungen für die literarische und kulturelle Betätigung des Volkes.
Je mehr die Ukrainer von den Polen wie auch von den polonisierten Landsleuten ausgebeutet wurden, destomehr suchten sie sich gegen diese Unterdrückung mit geistigen Waffen zu schützen, um ihre nationale Individualität zu wahren. Die geographische Nähe der abendländischen Zivilisation war dieser kulturellen Bewegung sehr förderlich. Schon seit dem Ende des XV. Jahrhunderts bezogen die Ukrainer die ersten gedruckten Bücher aus der Fremde (seit 1491 aus Krakau, seit 1517 aus Prag, seit 1525 aus Wilna) und frühzeitig (1573 in Lemberg, 1580 in Ostroh, 1614 in Kiew) wurden die aktivsten ukrainischen Druckereien gegründet, während Moskau 1564 nur einen verfehlten Versuch in dieser Richtung machte. Im XVI. Jahrhundert bildeten sich ukrainische Volksbildungsvereine, sogenannte Bruderschaften (bratztwa), welche die Pflege der Kirche, der nationalen Rechte und der Volksaufklärung bezweckten und durch Schulen, Hospize und Verbreitung von Druckschriften den geistigen Wohlstand förderten. Da das nationale Leben jener Zeit überwiegend von kirchlich-religiösen Interessen beherrscht wurde, hat die damalige literarische Produktion einen besonders starken polemisch-dogmatischen Charakter. Inmitten einer ganzen Reihe von seelenlosen scholastischen Machwerken treten Gestalten auf, deren Wirken einen hervorragenden poetischen, beziehungsweise sittengeschichtlichen Wert darstellt (Iwan Wyschenskyj, Meletius Smotrytzkyj). Der allgemeine Kulturaufschwung in der Ukraine im XVII. Jahrhundert darf überhaupt nicht unterschätzt werden; sein Einfluß erstreckte sich über die Grenzen des Landes. Dadurch erklärt es sich auch, daß, als Moskau die ersten Schritte zur Einführung der Zivilisation unternahm, fast sämtliche Pioniere der Kultur – Theologen, Lehrer und Staatsmänner – gebürtige Ukrainer waren. Peter I. hätte das reformatorische Werk nicht durchführen
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite XIV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/20&oldid=- (Version vom 17.6.2018)