Ein Zwergensieg gegen Riesen verwirrt mich und erscheint mir in so weit ungehörig, als er gegen den natürlichen Lauf der Dinge verstößt. Ich kann es nicht leiden, daß ein alter Schäfer eine Kur ausführt, die Dieffenbach oder Langenbeck nicht zu Stande bringen konnten. Jeder hat ein ihm zuständiges Maaß, dem gemäß er siegen oder unterliegen muß und in diesem Sinne blicke ich auch auf sich gegenüberstehende Streitkräfte. Ich verlange von 300,000 Mann, daß sie mit 30,000 Mann schnell fertig werden und wenn die 30,000 trotzdem siegen, so finde ich das zwar heldenmäßig und wenn sie für Freiheit, Land und Glauben einstanden, außerdem auch noch höchst wünschenswerth, kann aber doch über die Vorstellung nicht weg, daß es eigentlich nicht stimmt. Ich habe nichts dagegen, dies mich stark beherrschende Gefühl, das mich mehr als einmal von der meine Sympathie fordernden Seite auf die schlechtere Seite hinübergeschoben hat, als philiströs oder subaltern oder meinetwegen selbst als moralisches Manko gekennzeichnet zu sehen, es kommt mir nicht auf Feststellung dessen an, was hier zu loben oder zu tadeln ist, sondern lediglich auf Aufklärung über einen bestimmten inneren Vorgang und demnächst darüber, ob sich solche Gefühlsgänge, sie seien nun richtig oder falsch, auch wohl
Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/204&oldid=- (Version vom 1.8.2018)