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sonst noch in einer auf freies Empfinden Anspruch machenden Seele vorfinden mögen.[1]
Ein Jahr lang dauerte der polnische Insurrektionskrieg, während welcher Zeit ich mich zu einem kleinen Politiker herangelesen hatte. Namentlich in Herzählung der alle vier Wochen im Ober-Kommando wechselnden polnischen Generale, kam mir niemand
- ↑ Ich habe in Vorstehendem den Grund für meine getheilten Sympathien in einem gewissen Ordnungssinne gesucht, in einem an die Zahl, bez. die Machtüberlegenheit zu stellenden natürlichen Anspruch. Und es liegt in der That so. Wenn sich zwei Jungen auf der Straße schlagen und der ganz Kleine siegt über den ganz Großen, so freuen wir uns über den Kleinen, ärgern uns aber über den Großen dermaßen, daß die dem Kleinen zu gute kommende Freude sehr erheblich beeinträchtigt wird. Also noch einmal, wir ziehen aus dem Machtverhältniß ganz bestimmte Consequenzen. Aber vielleicht spielt in dieser Frage auch noch ein anderes, auf’s Moralische hin angesehn ganz gleichgültiges Moment mit, dessen trotzdem hier gedacht werden muß: die Macht der rein äußerlichen Erscheinung. Friedrich Wilhelm III, als es sich um den Einzug in Paris handelte, wollte von der Heranziehung des York’schen Corps, das doch die Hauptsache gethan hatte, zu diesem Einzugszwecke nichts wissen, weil die Hosen der Landwehrleute zu sehr zerrissen waren. Manche hatten gar keine Hosen mehr und deckten ihre Blöße nur noch mit ihrem Mantel. Der König ist oft dafür getadelt worden, ich meinerseits aber habe mich immer auf seine Seite gestellt. Das Ästhetische hat eben auch sein Recht, mitunter sogar ein weit- und tiefgehendes, trotzdem ich nicht verkenne, daß dabei schließlich ein Dorfspitz herauskommen kann, der wohlgekleidete Lumpe passiren läßt und ehrliche Leute, die gerad um ihrer Tugenden willen in Lumpen gehn, anbellt. Bedarf das der Abstellung, muß das aus unserer Seele heraus, so müssen wir nach ganz anderen, von der Erscheinung absehenden Principien erzogen werden und es lernen, unter allen Umständen immer nur das Eigentliche, den Kern der Sache zu befragen. Davon sind wir aber vorläufig noch weit ab.
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Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/205&oldid=- (Version vom 1.8.2018)
Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/205&oldid=- (Version vom 1.8.2018)