daß er zu jenen disproportionirten Leuten gehörte, bei denen Linien und Maße nicht recht stimmen. Man suchte sofort nach einem Buckel, trotzdem dieser eigentlich nicht existirte oder doch nur ganz embryonisch. Dafür war aber etwas anderes da: der bekannte große Kopf mit eindringlichem Gesicht und Leberteint, wozu sich, dicht neben dem rechten Auge, auch noch eine sogenannte „Himbeere“ von apart dunklem Farbenton gesellte. Den Schluß machte eine große Brille mit Silberfassung, die er, wenn er etwas genau sehen wollte, jedesmal abnahm und putzte. Das Ganze von Schönheit weit entfernt. Dennoch darf man sagen, daß er auch äußerlich einen guten Eindruck machte, weil man ihm Wohlwollen, Humor und Idealismus von der Stirn herunter lesen konnte. Solche Menschen giebt es nicht mehr oder doch kaum noch. Sie waren das Produkt einer armen, aber zugleich geistig strebsamen Zeit. In kleinen Verhältnissen geboren, hatten sie sich mit Nothgroschen und Stipendien durchgeschlagen und unter Bitternissen und Demüthigungen aller Art doch keinen Augenblick den Muth verloren. Ich kann mir diesen ihren Zustand, aus meiner eigenen Vergangenheit heraus, sehr wohl konstruiren. Als ich, zwischen 16 und 20, Lehrling in einer Berliner Apotheke war, noch dazu an der Ecke der Haidereuter Gasse, lag
Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/231&oldid=- (Version vom 1.8.2018)