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wir täglich an dem lieblichen Orte zu bestimmter Stunde zusammenkommen zum stillen gemeinschaftlichen Gebet. Auf einem gedruckten Zettel werden demnächst die Gegenstände des Gebets zusammengestellt erscheinen.

 Vorigen Freitag hatten wir abends Abendmahl in der Dorfkirche. Immer noch zögert die Erlaubnis vom Konsistorium, daß wir unsere eigenen Abendmahlstage haben dürfen. Wahrscheinlich ist die Beichtstuhlgeschichte an dem Verzug schuld. Hast Du schon davon gehört? Jedermann weiß, daß Herr Pfarrer Privatbeichte hält. Das ist bis jetzt immer in der Sakristei, zuweilen auch in seinem Haus geschehen. Um nun eine bessere Einrichtung zu diesem Zweck zu treffen, ließ Herr Pfarrer einen Beichtstuhl machen, und darüber sind nun die Herren ungehalten, obwohl doch der Beichtstuhl nicht etwas der lutherischen Kirche Fremdes ist. Herr Pfarrer hat ihn jedoch alsbald wieder herausnehmen lassen, weil’s ja doch nicht auf die bequemere Einrichtung, sondern auf die Sache selbst ankommt. ...Den Tag vorher, Donnerstag, feierten wir die Hochzeit unseres Gärtners (Herr Neupert). Bei dem Mahle floß manch schönes Wort aus Herrn Pfarrers Munde. Die Sängerinnen hatten allerlei schöne Sachen eingeübt. Als nun eine Pause eintrat, erhob sich mit einem Male Herr Pfarrer und sagte in herausforderndem Tone: „Wer dem Gärtner nicht gut ist, der hat’s mit mir zu tun.“ Und diesen Satz behauptete er, indem er aus der Heiligen Schrift nachwies, wie hoch man die Gärtnerei achten müsse...

 Heute vormittag predigte uns Herr Pfarrer über 2. Tim. 3. Schon seit mehreren Wochen wählt er immer die Texte aus den Timotheusbriefen. Die Herren unseres Ortes haben nämlich alle Donnerstag abend Kapitel, und da lesen sie die Pastoralbriefe. Jeder hat eine andere Ausgabe des griechischen Testaments, einer die Vulgata etc., und wir genießen auf die angedeutete Weise eine Frucht dieser Zusammenkünfte. ...Die beiden letzten Predigten (vor acht Tagen war der Text 2. Tim. 1, 14 ff.) waren besonders wichtig. Sie zeigten uns die Not und das Elend der gemischten Kirche und wie das in der Welt nicht anders sein könne. Daran schlossen sich ernste Mahnungen an die Unzufriedenen unter uns, die unglücklich über die Enttäuschung sind, in der sie sich finden, weil sie gehofft,

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/106&oldid=- (Version vom 10.11.2016)