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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 14. November 1867

 Meine liebste Mutter, diesmal soll Dir Marie mein Geburtstagsbrieflein bringen, in das hinein ich mit lauter Buchstaben der Liebe und des Dankes schreiben möchte. Ich möchte wohl auch einmal wieder einen Geburtstag mit Dir feiern. Seitdem Marie und ich damals in Weiltingen Deine einzigen Töchter waren, die Du um Dich hattest, ist mir die Freude nicht mehr zuteil geworden, und auch diesmal muß ich mich mit unsichtbaren Besuchen begnügen. Ich kann kaum einen besonderen Wunsch finden, den ich Dir aussprechen möchte, sondern alles, was gut und heilsam und zeitlich und ewig nütze und dienlich ist, das wünsche ich meiner liebsten Mutter...

 Ihr habt vielleicht schon gehört, daß am 2. November unsere liebe Schwester Cäcilie[1] ihre selige und fröhliche Heimfahrt gehalten hat. Ihr letztes Wort, das sie noch mit sterbenden Lippen hauchte, war: „Loben und danken.“ Oft während der Zeit ihres Krankenlagers hat sie uns ernstlich ermahnt, ja recht zu loben, wenn sie vollendet habe. Ihre langen, schweren Leiden haben alles nacheinander weggeschmolzen durch die Wirkung der göttlichen Gnade, was im Leben an ihr störend war, und ihre edle Seele reifte sichtlich, zu unser aller Verwunderung und zu gesegnetem Beispiel, für die Ewigkeit. Ihr sehr interessanter Lebenslauf wird gedruckt werden. Ich habe nie jemand auf dem Krankenbett so einfach und nüchtern von jener Welt reden hören, wie unsere Cäcilie. O wie viel hat der Herr auch durch dies Kranken und Sterben zu unsern Seelen geredet!...

Deine dankbare Tochter Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 15. Dezember 1867

 Mein liebstes Mütterlein, heut erhielt ich einen Brief mit der Nachricht, daß Du unwohl seiest. Wie leid tut mir das! Ich wollte, ich wäre statt Deiner krank und dürfte um Deinetwillen die Schmerzen haben, damit sie Dir abgenommen wären. ...Liebste Mutter, ich hätte einen Wunsch für das kommende


  1. „Lebensläufe“, S. 56–68.
Empfohlene Zitierweise:
Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/169&oldid=- (Version vom 10.11.2016)