herrschen ist das Ziel ihres Strebens, ihrer Wünsche, und um zu diesem Ziele zu gelangen, scheut sie keine List, kein Verbrechen.
Die Königin legt, wie wir schon oben bemerkten, zuerst nur Eier von Arbeitern in großer Menge, dann von Drohnen, endlich von jungen Königinnen, die nur in geringer Zahl sind. Sobald diese dem Zeitpunkte ihrer Reife sich nähern, so bemerkt man eine große Lebendigkeit in dem Bienenstaate. Schaaren von Arbeitern wimmeln in der Nähe der Königszellen, bedecken sie mit ihren Leibern, halten sie warm und scheinen durch schärferes Summen der eingeschlossenen Puppe Lieder von ihrer künftigen Größe vorzusingen. Besonders die jüngeren, kaum ausgeschlüpften, noch schwachen und zur Arbeit weniger geeigneten Arbeiterbienen sitzen in dicken Haufen in der Nähe der Königszellen, während die älteren Staatsbürger oft außen vor dem Flugloche sich anhängen und Volksversammlung halten. Die Erfahrenen wissen, was die Geburt einer Königin zu bedeuten hat. Sie berathen, was sie thun sollen. Bleiben und Partei nehmen in dem jetzigen Streite um den Thron, der sich zwischen den beiden Nebenbuhlerinnen entspinnen wird? Und gegen wen Partei nehmen? Gegen die ältere Königin, der sie so treu anhingen, die sie noch jetzt, trotz ihrer Fehler, lieben und ehren? Oder gegen die jüngere Königin, welche sie selbst erzogen, gewartet, gepflegt haben? Sollen sie kämpfen mit ihren jüngeren Geschwistern, deren Jugend sie leiteten? Sollen Tausende geopfert werden, um des Besitzes eines Thrones willen? Das sind die Fragen, über welche die vor dem Flugloche hängenden älteren Bürger berathen, während die jüngeren drinnen neugierig auf den Königszellen sitzen und dem Augenblicke entgegen harren,
Carl Vogt: Untersuchungen über Thierstaaten. Literarische Anstalt, Frankfurt am Main 1851, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Untersuchungen_%C3%BCber_Thierstaaten-Carl_Vogt-1851.djvu/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)