Untersuchungen über Thierstaaten

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Autor: Carl Vogt
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Titel: Untersuchungen über Thierstaaten
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Auflage: 1
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Literarische Anstalt (J. Rütten)
Drucker: C. Krebs-Schmitt
Erscheinungsort: Frankfurt am Main
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Quelle: Universität Michigan, Google bzw. Commons
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Der Bienenstaat.
Ihre Majestät haben geruht, sich zu vermählen.
Untersuchungen
über
Thierstaaten.


Von
Carl Vogt.


 Jungen und Alten zu Fromm und Nutz
 Und den Professoren zum Trutz.


Mit drei Abbildungen.


Frankfurt am Main.
Literarische Anstalt.
(J. Rütten.)
1851.

All’ diese süße Poesie,
Die göttlicher Natur Magie
Aus Seele, Duft und Lichte wob –
Beschreib’ ich sie dem Schulpedanten,
Dem sich Gehirn und Herz verschrob?
Was wissen sie, die Sykophanten,
Des krassen Unsinn’s Hierophanten
Voll abgeschmackter Prüderie,
Die Wühler in gelehrtem Schunde
Mit stierem Aug’ und trock’nem Munde,
Die Traurigen – was wissen sie
Von der Physik der Poesie,
Was von der Liebe Pflanzenkunde,
Von ihrer Terminologie
Und ihrer Farbenharmonie?
 Hafis.

„Laß die Todten ruh’n! schrieb mir ein Freund vor einiger Zeit. Warum diese Gothaer noch ferner verfolgen? Sie sind keine Partei mehr. Ihr Blatt, die Deutsche Zeitung, ist aus Ueberfluß an Abonnentenmangel zu Grunde gegangen – sie selbst sind nicht nur gestorben, sondern auch stumm geworden, was, wie Du weißt, bei Professoren noch mehr sagen will, denn deren Zunge geht auch nach dem Tode um, wie die Zunge jener berühmten Ehefrau, welche aus der andern Welt her noch allabendlich zu Gardinenpredigten inspirirt wurde. Laß sie ruhen in dem Grabe, das sie sich selbst unermüdlich geschaufelt haben – ziehe ihre Leichen nicht hervor – sie modern und ekeln die Welt an, die jetzt keine Leichenzergliederungen will, sondern Operationen an frischem Fleische.“

Du magst Recht haben, antwortete ich ihm. Ich will glauben, daß sie todt sind und daß ihnen nichts mehr geblieben ist, als die Freude, sich an altpreußischen Kamaschenknöpfen zu spiegeln, nachdem sie dieselben mit der Kreide ihrer Leber so aufgeputzt haben, daß sie ihr eigenes Bild zurückstrahlen. Ich will sie an so heiterer Idiotenbeschäftigung, wie Held Droysen sie an dem Junkerfetisch York von Wartensleben sich macht, nicht stören – hätten sie nie mit etwas Anderem sich beschäftigt, es stünde besser um Deutschlands Sache. Ich weiß auch, daß sie stumm geworden sind und daß zuweilen nur noch ihre Schatten als Robinsone jenes Freytags umgehen, der auf der wüsten Insel der Gränzboten sich als souveräner Verstand geberdet. Ich weiß, daß nur von Zeit zu Zeit ihre edlen Geisterstimmen in die kimmerische Nacht hinein heulen, welche durch Manteuffel’s Fürsorge mehr und mehr vom Nordpole her über unser Vaterland ausgebreitet wird. Aber glaube mir, die edlen Mistkäfer, die sich jetzt in die Vergangenheit Deutschlands einwühlen, nachdem sie dessen Gegenwart verunreinigt hatten, die sich jetzt todt stellen und so der Gefahr zu entgehen hoffen, werden wieder ihre Krallen ausstrecken, sobald sie die Nadel des Sammlers und die Gefahr, gespießt zu werden, in weitere Ferne gerückt wissen. Sie werden dann auf’s Neue hervorkriechen und unendliche Dinge zu erzählen wissen von ihren Seelenleiden, von ihrem Märtyrerthum hinter wohl besetzten Tischen und werden auf’s Neue das Volk anzulügen suchen, wie sie es im Jahr 1848 angelogen haben.

„Angelogen! – erwiederte mein Freund. Du solltest Dir diese harten Worte abgewöhnen. Sie nützen nichts und ärgern nur. Zudem hast Du, glaube ich, in der Sache selbst Unrecht. Die Leute meinten es ehrlich. Sie sind an mißbrauchtem Vertrauen zu Grunde gegangen – das gibt, wie der Berliner Jordan richtig behauptete, Zeugniß für ihren Character. Jetzt bessern sie sich ja. Hat man Dir nicht erzählt, daß sogar das Opferlamm Heinrich, dieser Sündenbock der Partei, jetzt Republikaner geworden ist? Du sitzest in Deinem fernen Winkel am Ufer des Meeres und hörst nicht über dem Wellengeräusche den leisen Fortschritt der revolutionären Fluth in den Gemüthern der besten Männer. Die meisten haben den selbstaufgeworfenen Damm des Monarchismus, der in ihrem Gehirne die Fortpflanzung der revolutionären Gedankenschwingungen hemmte, niedergerissen und lassen nun die Wellen ungehindert sich ausdehnen, so daß viele schon bei dem Socialismus angelangt sind. Läugne doch nicht den Einfluß der Zeit und des Ministers Westphal. Beide, ich gebe Dir mein Wort darauf, modeln Dir jetzt den zahmsten Constitutionellen in eine rothhaarige Bestie um, welche die Zähne gegen die bestehende Ordnung der Dinge bleckt. Selbst Dahlmann soll schon zwei seiner besten Stereotypwitze, den Sauerkrautwitz und den Gerümpelwitz, die beide, Republikaner und Absolutisten, gleichmäßig mit Hohn überschütteten, zum großen Verdrusse seiner Zuhörer aus dem Hefte ausgemerzt haben. Man sagt, er habe sie seit der schmerzlichen Behandlung seines Schwiegersohnes Reyscher in Tübingen durch einen, der deutschen Jugend gewidmeten Begeisterungswitz ersetzt. Verstehst Du auch recht die Bedeutung dieser Thatsache? Das ist ein Lächeln unter Thränen, ein blutiger Humor, der die Verzweiflung maskirt; – es ist das Grinsen der Rache unter dem Deckmantel der Resignation. Wehe den Handhabern der deutschen Gegenwart, wenn Dahlmann den dritten Witz löscht. Dann hat ihre Stunde geschlagen und Ihr werdet wieder gemeinschaftlich nach Einem Ziele ringen.“ –

Vertrauensseliges Gemüth der germanischen Rasse, wirst du ewig eine Stammeseigenthümlichkeit bleiben? Werdet Ihr niemals müde werden, jedes flackernde Irrlicht, welches aus dem Sumpfe deutscher Gelehrsamkeit aufsteigt, für eine sichere Leuchte in Euren Irrsalen zu betrachten? Was muß man noch aufrufen, wenn Euer Ruin in jeder Hinsicht nicht mächtig genug war, Euere Götzen Euch aus dem Leibe zu reißen?

Die Verblendung löst sich nicht leicht, weil einige Sätze, auf denen sie beruht, Glaubensartikel geworden sind, die man, wie alle zum Glauben gehörigen Sätze, gerade deßhalb glaubt, weil sie unwahr und unmöglich sind. So Etwas hält schwer auszurotten. Beweiset man die Unwahrheit des Geglaubten, so bestärkt man nur um so mehr den Glauben, der die Vernunft von sich weist – beweist man die Wahrheit, so sucht der wankende Glaube in der verschmähten Vernunft eine Stütze.

So gehe denn hin, du kleines Büchlein, als alte Wahrheit in neuem Gewande. Pilgre umher in jenem unseligen Lande, dessen Sprache du redest, dessen Sinn dir aber schwerlich entgegenkommen wird. Ein schlechter Trost ist es, Prediger in der Wüste zu sein, und ein schlechter Spaß, zu kämpfen mit dem Geist der Lüge, wenn er sich unter den abgerissenen Talar des Professors verbirgt. Der Sieg ist der Mühe nicht werth. Was hilft es, ihnen die erborgten Fetzen vom Leibe zu reißen und sie in ihrer Nacktheit zu zeigen? Man sieht dann nicht die zorngeschwellten Glieder eines überwundenen Helden, dessen Formen Zeugniß ablegen von der Hartnäckigkeit des Streites und der Größe des Sieges, sondern nur die ekelhaft fleckige Haut des schleichenden Reptils, das seine Häßlichkeit unter dem Schleime barg, mit dem es sich umhüllte. O Professoren! Kuckuksspeichel an der deutschen Eiche! Das tropft und thränt unter den glühenden Strahlen des Absolutismus, daß man inniges Mitleid empfinden möchte! Untersucht man aber die tropfenden schaumigen Stellen näher, so findet man unter der aufgeblasenen Seifenflüssigkeit eine häßliche Zecke, die ihren Saugstachel in des Zweiges Mark gebohrt hat und ihm den Lebenssaft aussaugt – zu welchem Zwecke? Um den süßen Saft nach ärmlicher Verdauung aus dem Hintern von sich zu geben und sich aus dem schaumigen Kothe eine Hülle zu bauen zum Schutze gegen die brennende Sonne, welche ihren weichen Körper zur Mumie ausdorren würde. Was kümmert’s die Zecken, daß die Blätter des Baumes, die er in die freie Luft hinausstreckt, unter ihrem Saugen welken und abfallen? Was kümmert sie’s, daß der Baum leidet, seine innersten Lebenssäfte sich verzehren, verderben und vergiften? daß die Blüthen stocken, die Früchte unreif abfallen? Ihnen ist’s ja wohl, diesen Zecken, ihre Nahrung ist ihnen garantirt, ihre Verdauung gewährt ihnen ausreichenden Schutz und sie sitzen hoch genug, um mit ihrem flüssigen Zuckerwasserkothe noch obenein das Erdreich unter ihnen zu beschmutzen![1]

Partei der Lüge und der Heuchelei, die mit unerhörter Frechheit das Wesen eines jeden Begriffes, den Begriff eines jeden Wortes umdrehte, um sie ihrer Eitelkeit, ihrem gemeinen Eigennutze dienen und

fröhnen zu lassen. Sie sprachen von Freiheit – man mußte Unterdrückung darunter verstehen, – die engsten Schranken in allen Dingen, die stärksten Gängelbande und Leitseile, welche die Intrigue und die Perfidie in politischen Dingen einem Volke umlegen können. Wir haben den reinsten Extract der Partei thätig am Werke gesehen in dem Ministerium Gagerns, in den Statthalterschaften Holsteins. Freiheit, wo war sie unter ihnen zu finden? Soll ich daran erinnern, daß in Hessen nach dem März 1848 die Polizei geübt wurde mit Compagnien Soldaten, wo früher ein Polizeidiener hinreichte; daß man Demagogen roch auf Weg und Steg und dem niedrigsten Spionirsystem Thür und Thor öffnete – daß in Holstein die Demagogenjagd eine Lieblingsbeschäftigung der Partei und ihrer vorragenden Männer war, über die sie mit rechtem Behagen in ihren Blättern berichtete? Freiheit unter der Herrschaft einer Partei, die nicht einmal den Gedanken ertragen konnte, daß Andere andere Ansichten haben könnten als ihre souveränen Doktrinen! Sie sprachen von Freiheit und wollten die Unterjochung anderer Völker – ja sie gingen in ihrer Raserei so weit, durch den Mund des edlen Gagern dem Kaiser von Oesterreich dieselben Dienste gegen Ungarn anzubieten, die später Rußland leistete. Sie sprachen von Einheit des Vaterlandes – und mit der Wuth der Verzweiflung und der Hartnäckigkeit des Unverstandes arbeiteten sie an seiner Zerstückelung, öffentlich und heimlich, mit den niedrigsten Intriguen und den schamlosesten Entstellungen der Thatsachen. Wo man hinblickte in das öffentliche oder private Gebahren dieser Partei – überall sah man dieses Spinnengewebe des Truges, der Lüge, der Heuchelei ausgebreitet, in dem sich der unvorsichtigen Fliegen viele fingen. Uneigennützigkeit war das erste Wort dieser Menschen, und wo ein Thaler flüssig gemacht werden konnte, waren sie bei der Hand. Jordan, der Dulder, und Welker steckten die hohen Bundestags-Gesandten-Besoldungen, gegen welche sie früher so heiligen Eifers gewettert hatten, mit patriotischer Befriedigung in die Tasche; die Edlen und Besten votirten sich die berühmten Besoldungen des Präsidenten, der Minister und Ministerialräthe, der Commissarien und Sekretäre! Der Abschaum andrer Parteien, von diesen ausgestoßen, die verächtlichsten Individuen, die ihre Ueberzeugungen schneller wechselten als Hemden, waren willkommene Werkzeuge der Partei. Abgenutzte Revolutions-Agenten, die in dem Exile Trunkenbolde geworden waren und nun gegen dasselbe Prinzip den Säbel zogen, von dem sie früher eine ärmliche Existenz gefristet hatten; verliederlichte Poetaster, die keine Kraft mehr in sich fühlten, den Magen durch das Product eigener Arbeit zu füllen; aufgeblasene Faullenzer, die ihre Wissenschaft dem Vaterlande geopfert hatten, wie sie sich selbst in der Phraseologie der dreißiger Jahre ausdrückten, und die der Republik ewigen Haß geschworen hatten, weil ihnen Nordamerika ohne Arbeit kein Essen verabreichen wollte – solche moralische Größen dienten dieser Partei als willkommene Helfer, die man als Wahlagenten, Zeitungsschreiber, als Reichs-Polizei- und Marineräthe, ja sogar als Lehrer an Universitäten anzustellen sich nicht entblödete.

Genug wäre dieß, um einer politischen Partei auch nach ihrem Falle entgegenzutreten und zu ihrer Vernichtung für die Zukunft alle Kräfte anzustrengen. Wer einmal diesem Volke in die faulen Eingeweide geschaut hat, der wird stets mit Ekel sich von ihm abwenden müssen. Da hilft kein Chlorkalk der Reue und Buße, keine Beräucherung des guten Willens – der faule Stoff ist ihnen in Fleisch und Blut gedrungen und nur ihre gänzliche Auflösung wird auch die Zersetzung dieses Miasma’s herbeiführen können. Wenn ich aus der Ferne die ohnmächtigen Bestrebungen dieser Partei ansehe, wie sie jetzt wieder an die Spitze der oppositionellen Bestrebungen zu treten sich müht – wie Einige von ihnen sich’s unendliche Anstrengungen kosten lassen, um durch „Vier Monate äußerer Politik“ und dergleichen, unschädliche Blitzstrahlen und harmloses Märtyrerthum auf ihr Haupt zu lenken – wenn all dies Gewimmer in ihren Zeitungen mit den Gestalten der ehrsamen Musikanten an mir vorüberzieht, entkörpert und entseelt, wie bleiche Schatten einer weitentrückten Vergangenheit, dann kann ich mich des Lachens nicht enthalten. Aber wenn ich mir sie dann wieder lebhaft in das Gedächtniß zurückrufe, diese abgeschmackten Gefäße falscher Wissenschaftlichkeit mit ihren steifen, eingetrockneten Gehirnen, welchen die Doktrin ihre Paragraphen unzerstörbar eingebrannt hat wie Kainszeichen – dann überfällt mich unwillkürlich eine wahre Seekrankheit des Zornes und der Erbitterung. Wir werden allmälig alt und lassen uns lieber in die rosenfarbene Zukunft unangenehme Schatten hineinmalen, als daß wir unsere Erinnerungen durch häßliche Bilder befleckt sehen möchten. Und unser ganzes Innere sollte nicht aufkochen bei dem Gedanken an jenes Jahr, in welchem wir, unselig gebannte Galeerensclaven in dem Bucentaurus der Zeit, an die gleichen Bänke gefesselt saßen, auf denen jene kopflosen Piloten nach der verkehrten Seite hin ruderten und das Steuer stets so zu stellen wußten, daß das Schiff scheitern mußte?

Was sagt Hafis, die mystische Zunge?

[XVI]

„Die ganze Welt in einen Mörser stoßen,
Mit Herzensblut die Himmel alle färben
Und hundert Jahr im tiefsten Kerker leben
Ist leichter, als ein Augenblick mit Dummen.“

Möge das deutsche Volk Mitleid mit den Unglücklichen haben, die ein ganzes Jahr, nicht blos einen Augenblick, mit Gagern und Beckerath, mit den Bieder- und Wippermännern gothaischer Partei zubringen mußten. Sie haben viel gelitten um des Vaterlandes willen!

Nizza im Juni 1851.


[1]
Einleitung.

Von Zeit zu Zeit drängt sich mir ein leiser Zweifel auf, ob auch der Mensch wirklich das vollkommenste Geschöpf sei? Man hat sich so viel Mühe gegeben, uns dies von Jugend auf begreiflich zu machen! Wenn wir als Kinder kopfschüttelnd dem Fluge des Weih’s mit den Augen folgten, und nicht einzusehen vermochten, warum der vollkommene Mensch niederträchtig und langsam auf dem festen Boden einherstelzen müsse, während der so unvollkommene Vogel dennoch als Konig im Reich der Lüfte hoch in den Wolken hinsegelt – wenn wir das nicht einzusehen vermochten, so sagte man uns, das Auge des Falken sei zwar scharf, aber unser geistiges Auge sei noch viel schärfer; sein Flug sei zwar schnell, aber unser Gedankenflug sei noch schneller und könne sich über die Wolken hinaus selbst bis zu den Sternen, und bis zu dem lieben Gott erheben.

Wir begriffen diese Schlußfolgerung damals nicht, aber sie prägte sich uns ein und wurde nach und nach ein Axiom, das keines Beweises bedurfte. Ja es kam eine Zeit, wo wir verächtlich auf den Vogel blickten und achselzuckend seinen Flug geringschätzten, einzig im unzerstörbaren Bewußtsein unserer Menschenwürde und unserer Menschen-Vollkommenheit. Das Stückchen Erde, welches der Falke überschaut, war so unendlich klein gegen die unermeßliche Gedankenwelt, die wir im Kopfe herumtrugen! Wir mußten durch die Schwere an den Boden gefesselt sein, sonst hätten uns die luftigen Ausgeburten unseres Gehirnes gänzlich, materiell der Erde entrückt und unseren Körper, wie ein Schifflein am Luftballon, durch den Weltenraum emporgetragen. Unsere Unvollkommenheit galt uns als ein Beweis mehr für unsere Vollkommenheit. Wir glaubten fest und innig daran.

Ein Stück Kinderglaubens läßt sich nicht immer leicht loswerden. Die Alten behaupteten, der Mensch erneuere sich alle sieben Jahre. Seitdem ich einen evangelischen Pfarrer kennen gelernt habe, der nur alle sieben Jahre ein Kind bekam (er hatte nichts desto weniger deren fünfe), seitdem bin ich fest überzeugt, daß die Alten Recht hatten. Die Erneuerung erfolgt aber nicht plötzlich, denn in diesem Falle würde der Kinderglauben durch einen anderen ersetzt; sie kommt nur nach und nach. Ein Fäserchen ersetzt das andere, ein Blutkügelchen legt sich an die Stelle eines abgenutzten, aber die Tradition des Glaubens bleibt durch die Anlagerung der neuen Atome an die alten. Der Glaube ist ansteckend. Es ist die alte Geschichte von dem Schiffe des Theseus, von dem man später nicht wußte, ob es noch das alte sei, da kein Stück unersetzt geblieben, oder ob es wirklich ein neues sei geworden, durch den successiven Ersatz des Schadhaften. Hätten die Holzmoleküle gläubige Eigenschaften, wie die menschlichen Moleküle, so würde das Schiff sicher den Glauben gehabt haben, einst in Creta gewesen zu sein, wenn auch kein Atom seiner Zimmerung jemals den Sieger des Minotaurus getragen hätte. So geht es uns mit dem Kinderglauben. Wenn auch die Integralerneuerung unseres Leibes drei- und viermal vor sich gegangen wäre (die sichtbaren Zeichen dieser Erneuerung sind nicht überall so deutlich, wie bei dem erwähnten Pfarrer), und wenn auch die alten gläubigen Atome gänzlich gegen neue ungläubige vertauscht wären, so pflanzt doch die erneute Totalität den alten Glauben fort, wenn auch in immer abnehmenden Schwingungen.

Ich habe schon seit längerer Zeit an der relativen Vollkommenheit des Menschen gezweifelt. Eine absolute existirt ja überhaupt nicht, vielleicht selbst nicht einmal in den Hirndestillationen junghegelischer Philosophen. Ich glaubte aber, der Mensch sei das vollkommenste Thierwesen. Kinderglauben! Ich wurde in Frankfurt eines Besseren belehrt. Dort sah ich ja täglich die Edelsten der Nation, die besten Männer Deutschlands, die feinsten Blüthen des indo-germanischen Sprachstammes, ich war auf geeignetem Platze, um die Vollkommenheit des Menschen an concreten lebenden Körpern zu studiren. Mein Kinderglaube schwand täglich mehr. Vielleicht mag auch die veränderte Lebensweise dazu beigetragen haben, denn da der Glaube nur eine Eigenschaft der Körperatome ist, so hängt eine Veränderung des Glaubens nur von der Art und Weise der Ersetzung der Körperatome ab. Die Teltower Bauern sind so verstockt stabil, weil sie ihre Körperatome stets wieder durch Steckrüben-Atome ersetzen. Welche bessere Erklärung für die unbegreifliche geistige Ausbildung der Uckermärk’schen Granden kann es geben, als die, daß „Gans-Sauer“, jener Abfall der Spickgänse und Gänsebrüste, ihre Hauptnahrung bildet? Der preußische Thron wird feststehen, so lange Gänseriche und Steckrüben in menschlicher Gestalt seine Stütze in den Marken bilden. – Das ganze staatliche und gesellschaftliche Leben, ja die ganze Denkweise des Menschen ist in ihren Grundanschauungen durch die Einführung des Kaffee’s, dieses wühlerischen, höllenschwarzen Getränkes verändert worden. Der Kaffee hat der Menschheit den legitimen Staatsschlaf geraubt und sie in die beunruhigenden Traumphantasieen gestürzt, in welchen sie sich schlaflos umherwälzt. Die bürgerlich sittsame, schwer bewegliche, knollig gestaltende Kartoffel hält einzig noch diesem zerstörenden orientalischen Gesellschaftsgift das Gleichgewicht. Die Kartoffelkrankheit war das Signal zu den europäischen Revolutionen. Der Kaffee überwand die Kartoffel in ihrer krankhaften Schwäche. Sie war faul, theilnahmlos geworden. Die beste Thätigkeit für den Treubund wäre Anfeuerung des Kartoffelbaues, wirksamer für die Ausbreitung seiner Grundsätze und die Anerkennung seiner Mitglieder, als königliche Händedrücke bei militärischen Staatsfeierlichkeiten und offiziellen Enthüllungen. Die Monarchie weiß das – sie wird bald ganz Deutschland so weit finanziell ruinirt haben, daß alle Unterthanen nur noch Kartoffeln zum Ersatz ihrer Körperatome verwenden können. Die Natur kommt zu Hülfe. Auf Java ist die Kaffeeernte mißrathen, und die Pflanzungen auf Jahre hinaus ruinirt. Kein Zweifel, daß die Reaktion längere Zeit hindurch siegen wird. Die Exilirten können ruhig nach Amerika gehen – bis der Kaffe wieder gerathen ist.

Die Gesetze, nach welchen die Welt regiert wird, sind geheimnißvoll. Die mechanischen Gesetze sind leider! nur zu sehr bekannt – die Oeffentlichkeit indeß konnte sogar der Weltordnung nicht schädlich werden. Als Laplace seine mécanique celéste dem Kaiser Napoleon überreicht hatte, fragte ihn dieser, warum er in dem Buche nicht von Gott spreche. „Sire,“ antwortete Laplace, „ich hatte diese Hypothese nicht nöthig!“ Man schaudert bei dem Gedanken, daß Laplace seinen Scharfsinn auf Erforschung der Gesetze gerichtet hätte, welche die menschliche Gesellschaft regieren. Der christlich germanische Staat hätte ihn als Professor nicht brauchen können; sogar regenerirte Märzministerien hätten ihn absetzen müssen bei solchen, für die Jugend verderblichen Grundsätzen. – Es ist ein wahres Glück für den Neubau der Staaten, daß die geheimnißvollen, theilweise auf Kartoffeln, Kaffee, Steckrüben und Gänse basirten Gesetze nur noch von Wenigen geahnt, von Keinem begriffen worden sind.

Aber eine dunkle Ahnung leitet das feine Gefühl der Staatsmänner, wie das Vorschweben eines einigen Deutschlands, reich an Ehre, das Kabinet Schwarzenberg-Schmerling leitet. Allen schwebt die Wichtigkeit der materiellen Fragen vor. Unbewußt haben sie das dunkle Gefühl, daß hierin die Lösung der socialen, der politischen, der religiösen Fragen begründet ist. Der Kukuruz und die ungarische Konstitution sind auf’s Engste mit einander verbunden. Sobald die Ungarn statt Mais und Speck Seefische und Austern essen, so wird ihre Gesinnung eine andere sein.

Die staatlichen Formen der Menschheit waren stabil, dauernd, unverwüstlich, so lange ihre Nahrung dieselbe war, so lange der Ersatz der Atome und somit des Glaubens und des Wissens bei Kindern und Kindeskindern in derselben Weise vor sich ging. Der Austausch der Produkte hat die Unruhe, den Wechsel in die staatlichen Formen gebracht – die Ersetzung der Atome wechselt zu oft, der Stoff, aus dem Söhne und Enkel ihre Materie und deren Eigenschaften erneuen, ist ein anderer als der, woraus der Vater Nahrung seines Leibes und Geistes zog. Welcher Vergleich zwischen den unendlichen Dynastieen der alten Zeit und dem regen Wechsel in unseren Tagen! Das Consulat und das Kaiserreich, die Restauration und die Julidynastie werden von Guizot ernsthafte, dauerhafte Regierungen genannt – man halte ihre Dauer gegen die Dynastieen der älteren Zeiten!

Die Staatsformen der Thierwelt haben eine ermüdende Dauer. Nicht, daß sie besondere konstitutionelle Garantien, wie Gesetze über Belagerungszustand und dergleichen mehr böten – die einzige Garantie ihres Bestandes ist die Gleichartigkeit in der Nahrung der Staatsangehörigen. Blumenstaub und Honig – Honig und Blumenstaub sind die einzigen Erhaltungsmittel des Bienenlebens. Zwar stehen sich auch hier die Gegensätze gegenüber, wie im Kaffee und der Kartoffel – frischer Blumenstaub im Sommer reizt das Bienenvolk zum Schwärmen, zum Wandern, während im Winter die Honignahrung sie in den Stock bannt und dort, ehrsamen Bürgern gleich, in Gesellschaft festhält, wo sie höchstens ein wenig brummen. Aber dennoch bleibt die Veränderung in einen höchst engen Kreis gebannt – legaler Fortschritt! – für das blöde Auge des in die Geheimnisse des Bienenstaates uneingeweihten Menschen gänzlich unbemerkbar, aber trotzdem vorhanden. So bemerkt auch das blöde Auge des Bauers, des Bürgers oft den legalen Fortschritt nicht, womit zuweilen sogar Märzminister ihr Land beglückt haben.

Der Forscher über Thierstaatengeschichte bedarf deßhalb keiner Folianten, keiner alten Urkunden. Die Gegenwart bietet ihm meist denselben Stoff unverändert, den die Vergangenheit zeigen würde. Nicht, daß wir keine Urkunden besäßen. Ueber viele Thierstaaten reichen unsere Kenntnisse bis in die Zeit der Sagen und Mährchen zurück; über einige, der Civilisation näher gerückte, wie z. B. Bienen- und Ameisenstaaten, finden wir in den alten Schriftstellern oft sehr genügende Auskunft. Wo schriftliche Documente fehlen, da besitzen wir häufig Monumente und Denkmäler, die bis in das graueste Alterthum hinaufreichen. Die Gazelle und der Büffel in den Ebenen der Cafferei[WS 1] halten noch heute auf Städten und Palästen Wacht, welche von altehrwürdigen Dynastieen der Termiten, Zeitgenossen der Pharaonen, vielleicht selbst des Schmiedes Tubalkain, aus Lehm und Erde aufgethürmt wurden; – alte, zersplitterte Eichstämme zeigen uns oft in ihrem Innern die Schleichwege und krummen Gänge, durch welche sich verschmitzte Diplomatenwürmer aus dem Käferstaate zu Christi Zeiten oder noch früher hindurchwanden. Ja, weiter noch zurück in die Geschichte der Erde reichen die hinterlassenen Dokumente der Thierstaaten, als diejenigen der menschlichen Gesellschaftsformen. Die socialistischen Monster-Phalansterien der Korallen und Polypen hatten sich schon in den Meeren angesiedelt, welche von den grimmigen Ichtyosauren und Plesiosauren durchfurcht wurden, und die Seebodenbautreibenden Kolonien der Austern und Bohrmuscheln, welche als Hörige auf die Hufe gebannt und an die Scholle gebunden sind, vegetirten schon in ihrem Helotenleben unter der Herrschaft der eben genannten Königseidechsen der Ozeane.

Ist dies nicht ein Zeichen der Vollkommenheit? Kann die historische Schule, kann die legitimistische Partei, können die Verfechter des Regierungsrechtes von Gottes Gnaden, die Verehrer der Stammbäume es läugnen, daß Etwas deßhalb um so heiliger, unantastbarer, um so vollkommener ist, je älter und nebelgrauer sein Ursprung in der Nacht der Zeiten sich verliert? Werden die Erbauer der Frankfurter Kaiserverfassung, die sich in kühnem Stolze vermaßen, einen mächtigen Dom für die Ewigkeit des deutschen Reiches zu wölben, und die doch nur ein Kartenhaus fertig brachten, welches bei dem ersten Manteuffel’schen Hauche, trotz des Stemmens des edlen Gagern zusammenbrach; werden sie nicht von Staunen und Ehrfurcht erfüllt werden, wenn sie diese Thierstaaten betrachten, welche die ungeheuersten Revolutionen durchmachten, und aus Zerstörungen, von deren Furchtbarkeit wir uns keine Vorstellung machen können, aufs Neue wieder sich heranbildeten, unvergänglich in ihrem Wesen, wie in ihrer äußeren Gestaltung? Zu wiederholten Malen hat sich der Schoß der Erde geöffnet, um Berge aus dem Inneren emporsteigen, Länder in den Abgrund versinken zu lassen; Sündfluthen und Feuerausbrüche haben zu wiederholten Malen alle lebenden Wesen vernichtet und das Leichentuch allgemeiner Verwüstung über unseren Planeten ausgebreitet – aber stets hat sich wieder aus diesen entsetzlichen Katastrophen die Idee des Austernstaates, der Quallen-Republik, des Polypen-Phalansteriums, und so vieler anderer staatlichen Formen des denkenden Thierorganismus herausgerettet und aufs Neue ihre gestaltende Verkörperung begonnen. Wird die staatliche Idee der Professoren, die im Kaiser verkörperte deutsche Einheit in gleicher Weise alle Revolutionen überdauern und stets wieder aus den Stürmen der Gegenwart und der Zukunft erstehen, wie der Phönix aus den Flammen? Wir zweifeln daran und senken traurig das Haupt bei diesem Gedanken! Wie die ephemere Erscheinung des Drontenstaates auf Isle Bourbon, oder der Seekuhmonarchie an den Küsten Kamtschatka’s ist diese staatliche Idee der besten Männer dahingegangen, zermalmt worden in dem gewaltigen Anprall zwischen Absolutismus und Demokratie. Sie ist verschwunden, um nicht mehr hervorzutreten. Aber wie man aus den Resten der Bäume, die in den Zahnfurchen der fossilen Nashörner stecken, auf die Nahrung dieser Thiere schließen konnte, so werden auch einst spätere Forscher aus den versteinerten Resten der deutschen Kaisermacher schließen, daß sie von Pergament lebten und mit Paragraphen sich nährten.

Der Thierstaat, so wie er aus dem materiellen Bedürfnisse hervorgeht, gründet er sich auch auf die Befriedigung dieser materiellen Bedürfnisse, und daher seine Dauer in formeller Beziehung. Unsere Professoren mißkannten diese einfache Bedingung der Stabilität – ihre staatliche Idee starb an Auszehrung, vertrocknete gleich einer Pflanze in freier Luft, und der befruchtende Thau, den eine Revolution bringen könnte, wird diese ausgedörrte Idee nicht wieder in’s grüne Leben zurückrufen! Blickt hin auf die Thiere, mit welcher Weisheit sie den Boden zu einem neuen Staatengebäude auswählen, bearbeiten, zurüsten und ebnen. Selten benutzen sie gegebene Verhältnisse; – sie zwingen das Vorhandene, sich der neuen Schöpfung gemäß umzugestalten. Die jugendlich umherschwärmenden Austern, die einen neuen Staat (Bank von den Geldmenschen genannt) gründen wollen, werden sich niemals vermessen, ihn auf alte mächtige Austernstaaten, auf bestehende Polypen-Phalansterien, auf lebenskräftige Wurm-Raubstaaten zu gründen – sie suchen einen frischen Boden aus, da ihnen die Mittel fehlen, ihn zu erobern. Die Mauerbiene baut Zellen für die Ewigkeit, fester als der Mörtel römischer und egyptischer Denkmale – aber der nächstfolgende Kolonist benutzt nicht die verwitterten Staatstrümmer seiner Vorfahren, ohne sie von Grund aus umzubauen und neu zu gestalten. Das Thier weiß, daß der Schwache, welcher beginnt und zukünftiger Macht entgegenstrebt, nicht an den Starken sich anlehnen darf, ohne Gefahr, von ihm verschlungen zu werden, und ebenso ist das Thier sich wohl bewußt, daß der Starke, der seine Gegner entwaffnet hat, ihnen nicht die eroberten Waffen zurückgeben darf, da sie sonst unfehlbar gegen ihn gekehrt werden. Man begreift nicht, daß Menschen, die von Vollkommenheit (ihrer Ansicht nach) strotzten, diese einfachen Grundsätze der Thierpolitik unbekannt geblieben waren.

O! sie sind schlau, die Gründer thierischer Staaten, diese Heroen animalischer Civilisation. Je mehr ich in Betrachtung ihrer Verfassungen, ihrer staatlichen Formen, ihrer fortschreitenden Entwicklung mich vertiefe, desto mehr erröthe ich über uns selbst! Wie hoch stehen diese schaffenden Intelligenzen über der Unvollkommenheit unseres, von der Selbstüberschätzung für vollkommen erklärten Geschlechtes! Mit welcher Vorsicht gehen die thierischen Staatsweisen zu Werke, um den Grund für die Freiheit und Einheit ihres Staates, ihres Vaterlandes zu legen, mit welch’ weiser Berechnung der Zukunft wissen sie die Grundzüge zu befestigen, die Keime zu fernerer Entwicklung ihrer Größe zu säen! Ein weiser Plan in stufenweiser Ausbildung wird befolgt, und alle Umstände mit solcher Einsicht vorausberechnet, daß der Erfolg mit Sicherheit zu erwarten steht.

So lohnt der staatliche Gedanke, der in diesen oft verachteten Geschöpfen wohnt, sich meist durch das Gelingen ihres mit Ausdauer verfolgten Planes. Der neu gegründete Staat dehnt sich aus, wächst, nimmt zu an Stärke, Größe und Macht; seine auswärtigen Beziehungen vermehren sich, hier herrscht er durch Eroberung, dort durch weise Schonung der Nachbarinteressen, und stets sehen wir, vermöge der stets gleichen Nahrung, eine anhaltende Zufriedenheit, ein gleichförmiges Behagen innerhalb der gesetzlichen Schranken, welche die Gemeinschaft regieren. Aber auch hier tritt uns die Wichtigkeit der materiellen Bedingungen entgegen. Werden sie verändert durch gewaltige Vorgänge in der Natur, welche weder thierische noch menschliche Klugheit voraus berechnen können, so tritt Demoralisation, Entmuthigung, Auflösung des staatlichen Organismus ein, und zwar um so schneller und nachhaltiger, je tiefer dieser materielle Wohlstand des Staates zerstört wird. Die materielle Wohlfahrt ist das Band, welches alle Thierstaaten zusammenhält; die Befriedigung aller Bedürfnisse des Einzelnen durch die Gesammtheit ist die einzige Bedingung ihres ruhigen Fortbestandes. Welches auch im Uebrigen die Form sein mag, in welcher sich das staatliche Bedürfniß des Thieres ausgeprägt hat, absolute oder konstitutionelle Monarchie, Republik mit oder ohne Kastenunterschiede, demokratischer oder aristokratischer Socialismus – stets ist das materielle Bedürfniß der Hebel, wodurch die ganze Staatsmaschine bewegt und in Gang gebracht wird.

Vergebens würde eine Ameise von der Gattung der „Edlen“ ihren Genossen schöne Reden deklamiren über die Macht, Größe und Einheit ihres Haufens, vergebens würde sie ihre Fühlhörner pomphaft ausstrecken und mit dem Vorderbeine gestikulirend von dem ärmlichen Zustande der Ameisen in fremden Landen, auf entfernten Bäumen und Sträuchen, von ihrer Schutzlosigkeit und Ohnmacht reden; vergebens würde sie die Schönheit der Aussicht von dem Gipfel jenes Eichbaumes rühmen, vergebens die Nothwendigkeit einer Flotte mit den eindringlichsten Gründen darthun, um die rothröckigen Wanzen über dem Bache drüben für ihren Uebermuth züchtigen zu können, vergebens würde sie versprechen, Gut und Blut einzusetzen und voran in den Kampf zu ziehen für Freiheit, Einheit, Macht und Größe des Ameisenhaufens. Sie würde kein Gehör finden! „Phrase! Langweilerei! Gehe hin und arbeite!“ würden die zärtlichen Wärterinnen der Puppen, die kriegerischen Johannesritter, die Arbeiter und Vertheidiger, die praktischen Staatsmänner des Stockes rufen.

Aber laßt eine Andere herantreten, eine jener struppigen Ameisen aus der Kaste der Arbeiter und Wühler und ihren Kameraden zurufen: „Was schleppt Ihr Euch hier ab mit Hölzchen und Rindenschüppchen? Ihr quält Euch um ärmliche Nahrung in erbärmlichen Verhältnissen! Eure Puppen gedeihen nicht, weil der Wanzenstrauch drüben ihnen die Sonne nimmt, Euer Haufen wächst nicht, weil Ihr das Holz aus der Ferne herbeischleifen müßt. Drüben aber ist’s anders! Alle Blätter sitzen voll von herrlichem Blattlaus-Melkvieh, alle Gräser sind von Honigthau überzogen. Zwar wehren uns die rothröckigen Wanzen den Uebergang, aber wir werden sie schlagen! Auf denn, eine Brücke gebaut, eine Flotte auf den Bach geschickt, Straßen angelegt zur Beischaffung des Kriegsmaterials – auf, drüben winkt ein sorgenfreies Leben, ein Leben voll Honig und süßer Blattlausmilch!“ Nach solcher Rede würde die ganze Staatsgesellschaft ihre äußersten Kräfte anstrengen. In Laufgräben und bedeckten Wegen dringt sie zum Ufer vor; ihre Schiffe bedecken den Bach und bilden bald eine Brücke; ob auch Tausende der Pioniere vom Strome fortgerissen werden, die Reisigen stürzen in zahllosen Schaaren zum Angriff, wüthend fallen sie über die Rothröcke her und bald sind die Sträucher erobert, die Blattläuse dienstbar gemacht und gemolken. Das ist die Macht der materiellen Verhältnisse im Thierstaate! –

Man will bemerkt haben, daß bei solchen Schlachten die Ameisen von der Gattung der Edlen sich nicht zwischen die streitenden Brüder werfen, wenn sie dies auch früher versprochen haben sollten; sondern daß sie sich aus dem Kampfe zurückziehen und, wenn die Wanzen siegen sollten, sogar diesen sich unterwerfen, ihnen schmeicheln und schön thun. Zuweilen gelingt es ihnen dann, im Wanzenstaate zu Ehrenstellen zu gelangen – meist aber werden sie mit Fußtritten und Rüsselstößen zurückgewiesen. Dann ziehen sie sich als einsame „Edle“ (Formicae Cincinnati nach Linné) auf irgend einen Zweig zurück, melken dort ihre Blattläuse, tragen den Mehlthau umher und beschäftigen sich vielfach mit diesen und ähnlichen Zweigen ameisentlicher Landwirthschaft.

Ich kann auf solche Einzelheiten jetzt nicht eingehen. Faßt ja doch stets der Deutsche die Frage erst in ihrer Allgemeinheit auf, um dann in’s Specielle einzudringen (praktische Völker machen es umgekehrt), warum sollte ich mich so weit von meiner deutschen Natur entfernen? Klebt doch überhaupt, nach Herrn Laube, der Linken so viel französisches Wesen an, daß man stets sich selber im Auge haben muß, um nicht hie und da auf dem deutschen Rocke ein wälsches Fäserchen zu entdecken. Ich fahre fort, um Herrn Laube keinen Stoff zu wälschen Entdeckungen zu geben, im Allgemeinen über Thierstaaten zu plaudern. Was könnten wir auch Besseres thun? Wir hatten uns das Plaudern so sehr angewöhnt in der Frankfurter Atmosphäre, daß es eigentlich ganz gegen unsere Natur ist, von den Wahlen zum preußischen Reichstage abzurathen. Die besten Männer der deutschen Nation sind in dieser Beziehung freilich besser daran – auch schreien sie sich die Hälse heiser nach dem deutschen Reichstage und nach der badischen Kammer, ohne beide erhalten zu können. Aber sie schreien doch darum, während uns die fatalen Grundsätze den Mund schließen. Ich hasse wirklich die Principien seit einiger Zeit – ich hätte Lust, eine tellergroße schwarz-roth-goldene Kokarde an meinen weißen Hut zu stecken und Deutschland zu bereisen, um mich ausweisen zu lassen und Reden für das Wählen zum Erfurter Reichstage zu halten. So aber muß ich still sein und über die Staatsformen der Thierwelt grübeln, um am Ende noch mein letztes Restchen Verstand über dem Erforschen des Thierverstandes zu verlieren.

„Was? Thierverstand!“ höre ich einen der zufriedenen Weisen sagen, die von der Kanzel und vom Katheder herab von den Werken Gottes reden, und psalmirend sie preisen, ohne je ein einziges derselben nur einmal aufmerksam betrachtet zu haben. „Die Thiere haben nur Instinkt, meist keinen Verstand und absolut keine Vernunft! Ihre Staatsformen, wie du sie nennst, sind nur durch den Instinkt geregelte Gesellschaften, ihre weisen Pläne Naturnothwendigkeiten, begründet durch ihre Organisation. Seit tausend Jahren baut die Biene ihre Waben auf dieselbe Art, und selbst die junge Biene, welche niemals hat bauen sehen, bereitet die Zellen wieder ganz in derselben Weise wie die Alten es thaten. Ist das nicht Instinkt? Woher sollte es die Biene wissen, daß sie in einer gewissen Gestalt ihre Wabe bauen muß?“

Ich will nicht von der Vernunft reden. Ob das, was beim Menschen so genannt wird, auch wirklich existirt, lasse ich dahingestellt sein – wenn ich auch die Negation, die Unvernunft, als im reichsten Maße vorhanden anerkenne. Wer jene, den hörnertragenden Wiederkäuergesellschaften nachgebildete Association der Centren in der Frankfurter Nationalversammlung näher studirte, wird mir Recht geben. Von der Vernunft aber sagt Göthe ganz richtig:

Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein
Um thierischer als jedes Thier zu sein!

Die Philosophen haben mit dem Namen Instinkt jene Gedanken belegt, welche sich stets wieder auf’s Neue in derselben Weise reproduciren – der Instinkt bildet gleichsam den allgemeinen Stramingrund, auf welchem das Gehirn mit Verstand und Vernunft, d. h. mit außergewöhnlichen Farbentönen, zu sticken pflegt. Aber selbst diejenigen, welche die Thiere nur als Maschinen betrachten wollten, mußten dennoch anerkennen, daß einzelne Thiere zuweilen über die Grenze des Maschinenwesens hinaus in die freie Selbstbestimmung einen Schritt thaten – man erkannte an, daß viele Thiere auch Verstand hätten. Die Abstraktion gab sich unendliche Mühe, diesen Satz festzustellen; – durch nüchterne, materielle Beobachtung konnte man ihn mit weniger Selbstqual zu Tage fördern.

Einer meiner Freunde hatte ein Bienenhaus – einen monarchischen Bundesstaat von, glaube ich achtzehn oder zwanzig konstitutionellen Bienenmonarchien – ein wahres Musterbild für die Herren Waitz, Beseler und Dahlmann. Die Competenz der einzelnen selbstständigen Staaten war vollkommen genau begränzt; der Bund selbst durch einen festen Verfassungsbau geschlossen, welcher freilich sich nicht zum Dome wölbte (aus diesem Grunde nannte ich oben nicht Hrn. von Beckerath), sondern mit einem nordischen Ziegeldach endete. Auch war, zum Troste für die wühlerische Partei sei es gesagt, dieser Bundespalast nicht von Stein, sondern einfach von Holz, und ruhte auf vier Pfählen, welche in steinernen Sockeln eingesenkt waren. Das Bienenhaus stand an einer alten Mauer, an welche es mit eisernen Kloben befestigt war – es lehnte sich, wie man sieht, an die bestehenden Verhältnisse an. Einige Lindenzweige überschatteten es. Man hatte, um den wühlerischen Ameisen keinen Zugang zu gestatten, die Sockel, auf welchen die vier Pfähle standen, oben schüsselförmig ausgehöhlt und mit Wasser gefüllt, so daß das Ganze insularisch abgesperrt war, bekanntlich eine der nothwendigsten Bedingungen zum Gedeihen einer konstitutionellen Monarchie. Die Ameisen sammelten sich in Schaaren auf den Sockeln – der See, welcher den Fuß der Pfähle umspülte, war zu breit für ihre Pioniere. Wir bewunderten selbst unseren Verstand, der durch solche Vorsichtsmaßregeln dem Instinkte der Ameisen zuvorgekommen war.

Nach einigen Tagen waren die Ameisen dennoch im Bienenhause. Sie hatten, als ächte Wühler, den Anschluß an die bestehenden Verhältnisse zum Ausgangspunkt für die Ausführung ihrer verderblichen Pläne benutzt und zogen in großen Schaaren an der alten Mauer hinauf und über die eisernen Kloben hinüber durch eine Ritze der hinteren Verkleidung in das Bienenhaus. Der Verstand brach die Kloben ab – zwar wurde der Bundesstaat hierdurch etwas weniger fest, und wankte, und knarrte bei heftigem Winde – aber man wollte um jeden Preis die social-demokratischen Söhne der Ameisenrepublik aus dem monarchischen Bienenstaatenbunde ausschließen. Einige Tage lang bewunderten wir auf’s Neue die Ueberlegenheit des menschlichen Verstandes über den Instinkt der Ameisen.

Die Social-Demokraten waren auf’s Neue im monarchischen Bundesstaate. Wir suchten geraume Zeit, bis wir ihre Gänge fanden. In langen Colonnen zogen sie an den Lindenbäumen hinauf, die Aeste entlang zu den Zweigen, und als sie über dem Dache waren, ließen sie sich fallen, klammerten sich auf den Ziegeln fest und schlüpften ins Innere. Der Rückzug war ihnen freilich abgeschnitten – sie setzten sich in den Bienenstaaten fest, und schon zeigte sich dort fieberhafte Unruhe, ängstliches Summen, revolutionäre Agitation der Flügel und Fühlhörner. – Wir sägten die überhängenden Lindenäste ab. – Der monarchische Bundesstaat war noch einmal gerettet – gerettet durch die Ueberlegenheit des Verstandes über den Instinkt.

Das Wasser in der schüsselförmigen Aushöhlung des einen Sockels war ausgetrocknet. Das ganze Sockel wimmelte von Ameisen – das vollkommene Gegentheil von der Rheinstraße der großherzoglich hessischen Haupt- und Residenzstadt Darmstadt, von der es im Liede heißt:

Die ganze Rheinstraß’, so breit sie ist,
Es wimmelt darauf – ein Accessist!

Aber, trotz der ungeheuren Ameisenmenge, herrschte, wie in Prag bei der Anwesenheit des Kaisers, Ruhe und Ordnung. Der Zufall hatte dem Bienenhause noch besser genützt, als der Verstand. Wir glaubten, es stände auf vier Pfählen – es stand nur auf dreien. Der vierte Pfahl erreichte den Boden der schüsselförmigen Vertiefung im Sockel nicht – es war ein Abstand von etwa einem halben Zolle, und die Ameisen, so sehr sie sich reckten und streckten, konnten vom Sockel aus den Pfahl nicht erreichen. Sie stiegen eine auf die andere – vergebens! Mit den Fühlhörnern erreichten sie dann den Fuß des Pfahles, aber sie konnten sich nicht festhalten. Kriegsrath! Sie unterhalten sich mit den Fühlhörnern über die Schwierigkeiten der Lage. Plötzlich erscheint eine ungewöhnlich große Ameise. Zwei Genossen stellen sich fest zusammen, sie steigt auf ihren Rücken, hebt sich auf den Hinterbeinen senkrecht in die Höhe – endlich, nach unsäglichen Anstrengungen gelingt es ihr, mit einem Fühlhorne und einem Vorderfuße ein vorragendes Spähnchen zu umklammern. Sie hält sich fest, schwingt sich auf – sie hat den Pfosten erobert! Der Instinkt würde die Siegerin fortgetrieben haben nach den Honigwaben der Monarchisten – aber unsere Ameise war Socialist im Sinne des Hrn. Druey, eidgenössischen Bundesrathes; – sie wollte und übte (in Letzterem verschieden von Hrn. Druey) die Unterordnung des Individuums unter das Ganze. Unsere Ameise blieb sitzen, sie klammerte sich fest mit ihren sechs Beinen und streckte den Hinterleib und den Kopf mit den Fühlhörnern so weit nach unten als möglich. Die Ameisen im Sockel packten mit ihren Fühlhörnern die ihrigen, hackten sich an, schwangen sich auf und marschirten so, ein Mann hoch, über die lebende Brücke auf den Pfosten und weiter in’s Innere des Bienenhauses. Mein Freund wollte die kühnen Vorkämpfer zerquetschen, ich hielt ihn zurück. „Laß sie,“ rief ich, „sie haben mehr Verstand als wir!“

Man muß Jemanden nicht tödten, der freiwillig für das allgemeine Beste hungert. Der Mord jener Ameise wäre mir in diesem Augenblicke wie ein Verbrechen an der Menschheit erschienen.

Ich dachte lange und oft über diese Beobachtung nach und ich hielt andere mit ihr zusammen. Ich fand die Lösung des Räthsel’s vom Verstande. Das Microscop hat den Weg dazu gebahnt. Es hat das Leben und Vergehen aller Theile des Körpers gezeigt; es hat uns bewiesen, daß selbst die festesten Theile des Körpers beständig vergehen und sich erneuen, abgenutzt und ersetzt werden. Knochen und Fleisch, Nerven und Häute, Hirn und Eingeweide – Alles ist in beständiger Verwesung, in beständiger Erneuerung begriffen. Die Art und Weise, wie diese Erneuerung bewerkstelligt wird, ist nicht einerlei. Die Fleischfaser des Fleischfressers ist eine andere, als die des Pflanzenfressers. Wir essen deßhalb weder Füchse noch Katzen. Die Aussonderungen der Fleischfressenden Thiere sind andere, als die der Pflanzenfressenden. Ich kann sie willkürlich ändern durch Aenderung der Nahrung – ich kann nach Belieben Hippursäure, Benzoesäure oder Harnsäure in den Urin schaffen. Und die Aussonderungen der Hirnsubstanz, die Gedanken, sollten diesem Gesetze nicht unterliegen?

Die Natur kennt keine Ausnahmen. Der Schlüssel des Räthsels lag in meiner Hand. Gleichmäßige Nahrung – gleichmäßige Gedanken – Instinkt; ungleichmäßige Nahrung – außergewöhnliche Gedanken – Verstand!

Ich forschte nach in dem Thierreiche – mein Gesetz war richtig. Der dumme Constitutionalismus der Bienen mit seinen ewig wiederkehrenden Revolutionen und der Unmöglichkeit eines Fortschrittes durch dieselben zu höherer Staatsform erklärte sich ebenso sehr durch die ewig gleichförmige Nahrung, als der social-demokratische Ameisenstaat mit seiner individuellen Anarchie und dem hohen Verstande des Einzelnen seinen Grund in der unendlich wechselnden Nahrung fand. Blumensäfte, Blattlausmilch, Holzfasern, Thierleichen – Alles dient der Ameise zur Nahrung und sie erklimmt durch diese Diversität die höchste Stufe der Intelligenz im Thierreiche. Woher die hohe parlamentarische Bildung des Raben und der ganzen Krähenfamilie als durch die Verschiedenheit der Nahrung? Woher diese Stupidität der Hörnerträger, wenn nicht von der ewigen Gleichförmigkeit des Grases?

Viele Erscheinungen, deren Grund man noch sucht, wurden mir klar. Die Hausthiere sind zum Theil durch die Zähmung auf eine höhere Stufe der Intelligenz gelangt, zum Theil aber auch davon zurückgegangen. Die wilde Gans ist ein Muster schlauer Klugheit – sie muß im freien Felde mit Gräsern, Würmern, Schnecken, Fischen, Körnern, Beeren – mit Allem, was die karge Natur des Winters bietet, vorlieb nehmen. Die zahme, nur von Getreide und Kartoffeln lebend, ist ein Muster der Dummheit. Der Hund veredelte sich; indem sein Nahrungskreis sich durch die Zähmung erweiterte, und auf zubereitetes Fleisch so wie auf Vegetabilien ausdehnte, nahm sein intellectueller Gesichtskreis in gleicher Weise zu. Der zahme Elephant, der Reis, Rüben, Kartoffeln, Kraut, Rum und Wein verschlingt, wie hoch steht er über dem wilden, der nur eine einförmige Nahrung in Baumzweigen findet!

Aehnliche Effecte traten mir in der Menschenwelt entgegen. Wenn Herr Bassermann früher, während seiner vergessenen wühlerischen Periode, seine Wähler mit Wein und Bier in reichlichem Maße tractirte, so geschah dies sicherlich in dem geheimen materialistischen Bewußtseyn, daß durch diese bedeutende Zufuhr ungewohnter Stoffe die Hirnsekretion der Gedanken in bedeutendem Maße geändert werde. Hungersnoth und Ueberfluß haben beide meist politische Umwälzungen in ihrem Gefolge – sie verändern die gewöhnliche Gedankensekretion, welche allein die Basis, die feste Grundlage der staatlichen Stabilität bildet. „Sage mir, was du issest und ich sage dir, wer du bist,“ steht als Motto vor dem Buche von Brillat-Savarin über die Physiologie des Geschmackes. Nie hat ein Sterblicher ein wahreres Wort gesprochen; nie aber auch ist der Ausspruch eines Weisen weniger geachtet worden.

Eine Ahnung freilich hatten Viele. Sprach ja sogar Herr Sepp von dem Unterschiede zwischen Wein-, Bier- und Schnapps-Völkern! Man kann wirklich behaupten, daß das Bekenntniß einer physischen Wahrheit unbestritten sein muß, wenn sie sogar in jenen Schichten niederster Geistesthätigkeit, in welchen Herr Sepp wuchert, Wurzel geschlagen hat. Aber die genaueren Nachweise fehlen; die specielleren Studien sind vernachlässigt worden. Nur obenhin hat hie und da ein Literat von weingrünen Herren, von Kartoffelkrankheit des Volkes gesprochen – aber die wissenschaftliche Verfolgung der Erscheinungen im politischen und socialen Gebiete mit Hinblick auf die Nahrung und den Zusammenhang mit derselben ist noch ein neues Feld für künftige Forscher. Diese wissenschaftliche Bearbeitung wird unermeßliche Resultate erzeugen – davon bin ich im Voraus überzeugt – Resultate, welche uns der geträumten glückseligen Zeit näher bringen, den politischen Haß, die Verfolgungslust der Parteien von der Erde verbannen werden. Die Apostasie, der Rückfall, die Böswilligkeit, aristokratische oder revolutionäre Gesinnung und Handlung wird man nicht mehr von dem verschiedenen Standpunkte der Parteien hassen und verfolgen – man wird sie einfach als Resultat der genossenen Nahrung betrachten und durch zweckmäßige Anordnung des Regime’s der Betreffenden ihre Gesinnungsänderung zu erklären oder zu bewirken suchen.

Herr Rießer kam zum Vorparlamente drall und stramm genährt von kernigem Hamburger Rindfleische, von Seefischen und Caviar – er sprach mit Begeisterung für das allgemeine Stimmrecht. Er lebte längere Zeit in Frankfurt schwabbelig und wabbelig von Brühfleisch, Gänsleberpasteten und anderen geléeartig-zitternden Substanzen, von welchen die Frankfurter Küche überströmt – war es ein Wunder, daß er von Zittern und Furcht über die Zukunft des Staates befallen wurde, und nun gegen seine frühere Ansicht sprach? Er mußte es thun, seine durch die Frankfurter Nahrung veränderte Gehirnsekretion zwang ihn gebieterisch zu einer sogenannten Gesinnungsänderung! Wer will den Einfluß berechnen, welchen Austern und Champagner, vom Fürsten Lichnowsky geboten, auf den ausgehungerten, ausgedörrten Körper des Berliners Wilhelm Jordan hatten? Woher die vielen Klagen der Wahlbezirke, die Männer von ganz anderer Gesinnung gewählt zu haben glaubten, als sie nachher sich in Frankfurt zeigten? Diese Ehrenwerthen waren keine Ueberläufer, keine Schwachen, welche allenfalls durch Droysen oder Biedermann sich beschwatzen ließen – nein! die veränderte Lebensweise in Frankfurt änderte ihre Hirnsekretion und sie dachten in der That jetzt anders, als sie bei der Wahl gedacht hatten, während die Wähler, in denselben Verhältnissen verbleibend, stabil bei derselben Nahrung und denselben Gedanken verblieben und nun über Abfall, Täuschung, Verrath ihres Abgeordneten bittere Klagen erhoben.[2]

Man wird gewiß dereinst in Verfolgung dieser Studien dazu kommen, für besondere Gedankenreihen auch besondere Nahrungsreihen zu finden, welche einander wechselseitig bedingen. Ich glaube, man würde nur durch zweckmäßige Anordnung der Nahrung (sobald die Prämissen einmal genau feststehen) Staatsmänner, Bureaukraten, Theologen, Revolutionärs, Aristokraten, Socialisten, ja sogar Referendarien je nach Belieben bilden können, und der unendliche Scharfsinn, der jetzt auf Constitutionen, Gesetze, Verordnungen und dergleichen Staatsgrundlagen verwendet wird, würde sich dann auf Erfindung gewisser Brühen, Breie und Fleischarten richten, die jedenfalls dem menschlichen Geschlechte besser munden und doch dieselben Resultate haben würden.

In keinem Thierstaate existirt eine geschriebene Constitution – überall haben sich die Gesetze unter zweckmäßiger Vertheilung der Nahrung im Laufe der Zeiten, wie in England, herangebildet, und trotzen allen Stürmen der Zeit. Wann wird jene glückliche Epoche eintreten, wo man das Menschengeschlecht, statt mit papiernen Gesetzen, mit substantieller Nahrung regieren wird?

Nicht alle Thiere leben unter staatlichen Formen vereinigt. Streng geschlossene Gesellschaften stehen oft anarchisch umherschweifenden Individuen entgegen. Stets aber haben Thiere derselben Art auch dieselbe Staatsform, dieselbe logische Gedankenfolge in der Verwirklichung ihrer socialen Ideen – wie leicht ersichtlich, aus dem einfachen


Seefische, in genügender Quantität absorbirt, in seine Circulation übergegangen und seinem erschlafften Körper assimilirt, als Herr Rießer wieder drall wurde und aus der Tiefe seines Magens aufs Neue revolutionäre Dünste aufstiegen. Bald hatten sich diese so sehr verdickt und das Gehirn eingenommen, daß der Edle Anfangs sich weigerte, nach Erfurt zu gehen. Die Uebersendung einer Pastete von Hornau bestimmte den Entschluß. In Erfurt trat er auf, wie im Vorparlamente, kühn, radikal, begeistert, revolutionär. Die Festungskost schwächte etwas die Wirkung der Hamburger Nahrung in ihrer Nachhaltigkeit – das Experiment dauerte leider, trotz der verzweifelten Kunstvorstellungen des preußischen Cagliostro’s, nicht lange genug, um aufs Neue zu jenen Resultaten von Frankfurt zu führen – aber der eingeschlagene Weg ließ sich schon deutlich erkennen. Herr Rießer wurde von der Festungskost erlöst und dem Hamburger Rindfleische wiedergegeben – seit einem Jahre genießt er es wieder – täglich und reichlich – und aufs Neue glänzt er als mächtiger Stern an dem schwach gefärbten Himmel deutscher Opposition, feurige Strahlen schießend gegen diejenigen, welche die Einheit und Größe des Vaterlandes durch rettende Thaten verretteten. O Göttin der Freiheit! Erhalte uns dieß Objekt wissenschaftlicher Beobachtungen noch lange bei wechselnder Nahrung, damit die Theorie eines deiner Jünger nicht an ihm zu Schanden werde!
Späterer Zusatz.     
Grunde ihrer gleichmäßigen Nahrung. Aber man würde Unrecht haben zu glauben, daß die Thierstaaten in ihrer räumlichen Begränzung gegeneinander abgeschlossen und fremd seien. Nicht nur unter verschiedenen Staaten derselben Art, sondern auch unter verschiedenen Arten herrschen die mannichfaltigsten Beziehungen, und die internationalen Verhältnisse werden in umfassender Weise gehegt und gepflegt. Was nur der menschliche Verstand ersinnen, die Phantasie erdichten, das Herkommen oder die Gewohnheit erwachsen lassen konnte in staatlicher Hinsicht – Alles findet eine gewisse, höhere dauernde Ausprägung in der Thierwelt. Republiken und Monarchien mit männlicher und weiblicher Erbfolge, Kasten- und Standes-Einrichtungen jeder Art, demokratische und aristokratische Socialstaaten, Sklaverei und erbliche Berechtigung zur Faulheit, Wahlreiche und Erbreiche, Bundesstaaten und Staatenbündnisse, Schutz- und Trutzbündnisse, ewige Friedensverträge und nimmer endende Kriegszustände – Alles dieses kreuzt sich in buntem Wechsel und greift, wie mit genau gefeilten Rädern, zum Fortgang der Thierwelt in einander ein. Was die Geschichte des Menschengeschlechts nur in unvollständigen Bruchstücken uns darstellt, noch obenein gefärbt durch die eigenthümliche Auffassung des Forschers, das gibt uns die Betrachtung der Thierwelt rein, ungeschminkt in ursprünglicher Nacktheit. Die Ursache einer jeden Wirkung zeigt sich alsbald dem forschenden Auge; die ewigen Grundsätze, welche das Ganze lenken, werden nicht durch falsche Beleuchtung, künstliche Verdeckung unkenntlich gemacht.

Die Naturforschung wird bei künftigen Staatsgestaltungen innerhalb der Menschheit in ihr natürliches Recht eingesetzt werden. Der strebende Kopf kann jetzt nur nach zwei Seiten hin seine Thätigkeit entfalten, nach der friedlichen Organisation hin oder nach dem gewaltsamen Umsturz. Die Erstere beherrscht der Naturforscher, die Letztere der Krieger. Deutsche Jünglinge, die Ihr für die Einheit und Freiheit Eures Vaterlandes wirksam und thätig sein wollt, Ihr dürft nur Zoologen oder Soldaten werden. Auf allen andern Wissenschaften ruht der Fluch der Unfruchtbarkeit – nur wenn die junge Generation mit dem Schwerte in der einen und dem Codex der Thierverfassungen in der andern Hand auf den Kampfplatz tritt, wird die neue Zeit siegen können. Wir glauben deßhalb jetzt noch an keine Revolution. Manteuffel kann ruhig auf dem von der Gothaer Partei gemachten Bette schlafen – die demokratischen Wühlmäuse werden ihm nicht das Stroh unter dem Leibe zernagen. Die revolutionären Zoologen und die revolutionären Feldherren gehen eben noch in die Schulen und Cadettenhäuser – man wird warten müssen, bis ihre Erziehung vollendet ist.

Ein Resultat nur erlaube ich mir noch als ein wesentliches und allgemeines hervorzuheben. Wie vollkommen auch der Thierstaat sein mag, den eine specielle Art durch ihre schöpferischen Gedanken herangebildet hat, stets wird man bemerken, daß die verwandten Arten, welche in mehr oder minder vollkommener Anarchie leben, auf einer höheren Stufe der Organisation stehen. Es gibt Thierstaaten von verschiedener Vollkommenheit – je tiefer sie stehen, desto mehr heben sie das Individuum auf und schmelzen seine Rechte in Pflichten gegen die Allgemeinheit um. Die Verkümmerung der Organisation hält damit gleichen Schritt; die Individuen selbst gehen nach und nach in solchen allzu wohl regierten Staaten zu Grunde, und oft erstreckt sich die Reduction so weit, daß die einzelnen Individuen nur noch als Organe der Gesammtheit erscheinen, ohne bestimmenden freien Willen, ohne Ortsbewegung, ohne Selbstständigkeit in jeder Beziehung.

In dieser Weise rächt sich die Verfolgung der gouvernementalen Idee innerhalb der Thierstaaten durch die Verkümmerung und Erniedrigung der Individuen. Vollkommen gleichgültig erscheint es hierbei, ob das Princip des Thierstaates im Socialismus, im republikanischen, aristokratischen oder monarchischen Systeme liege. In dem reinen Socialstaate der Polypen ist das einzelne Individuum eben so zu der Rolle eines bloßen Steuerzahlers (Nahrung-schaffers für den Gesammtstaat) und eines Kinderzeugers herabgewürdigt, wie in dem monarchischen Helotenstaate des Bandwurmes, nur daß hier, vermöge der monarchischen Tendenz des Ganzen, die Herabwürdigung des Individuums (Gliedes) sogar bis zu gezwungener Auswanderung und Abstoßung der Individuen vom Mutterstaate sich steigert.

Ganz die entgegengesetzte Richtung findet bei der allmähligen Ausbildung zur Anarchie statt. Das Individuum wird um so vollkommener, je mehr es sich von dem Staate emancipirt – seine einzelnen Organe und damit auch seine Fähigkeiten nehmen an innerer Energie, an äußerer Schönheit zu; es hebt sich im Ganzen wie im Einzelnen auf eine höhere Stufe der Vollendung. Die Anarchie stählt die Organe, schärft die Sinne, vermehrt die geistige Kraft – als Einzelnes den Elementen wie seinen Feinden gegenüber übt das Individuum in der Anarchie alle seine Organe und Fähigkeiten, um im Kampfe die Selbstständigkeit zu erringen, deren es bedarf. Welcher Unterschied zwischen dem Schakal oder dem Wolfe, die in freilich ziemlich losen republikanischen Gesellschaftsverbänden leben, und dem schlauen Fuchse, der anarchisch in selbstgebauter Höhle sein Wesen treibt, und nur während der kurzen Kinderzeit unter patriarchalischer Zucht der Eltern steht!

Wie beschämt mögen diejenigen, welche der Staatsmacht vor der Staatsfreiheit den Vorgang einräumen, vor dieser einfachen Thatsache dastehen, die sich bis in das kleinste Detail hinein nachweisen läßt. Wahrlich, mein Freund L. Simon von Trier hatte Recht, wenn er von philosophischen Grundsätzen aus die Anarchie, die vollkommene Freiheit des Individuums als den höchsten Zweck der Menschheit bezeichnete; wenn er behauptete, daß jede Staatsform, jedes Gesetz ein Zeichen der mangelnden Vollendung unseres Culturzustandes sei. Jedes belebte Atom lechzt nach Anarchie, strebt nach Freiheit, entwickelt sich nur im Lichte dieser Sonne zu höherer Vollendung!

Mögen sich darum Alle, welchen die Vervollkommnung des Menschengeschlechtes am Herzen liegt, angelegen sein lassen, ihr ganzes Sinnen und Trachten darauf zu richten, wie die Anarchie so bald als möglich, so vollständig als möglich, so allgemein als möglich herbeigeführt werden könne. Das sind die falschen Propheten, welche durch Gesetze, Systeme, Staatseinrichtungen das Heil der Menschheit herbeiführen zu können glauben; das sind die falschen Propheten, welche durch Veränderung der Regierung und durch systematische Beglückung von Oben auch wirklich meinen, das Menschenvolk glücklich machen zu können! Der Fortschritt der Menschheit zum Besseren liegt nur in der Anarchie, und das Ziel ihres Strebens kann nur die Anarchie sein.

Ja! die Anarchie! Aber ihre Herbeiführung wird nur möglich durch die Berücksichtigung jener Grundsätze, welche uns die Betrachtung des Thierreiches gelehrt hat. Nur die Aenderung der materiellen Zustände, die successive Verbesserung der Ernährung, die endliche Herbeiführung des Gleichgewichtes in den Gehirnsekretionen durch zweckmäßige Anordnung der Lebensmittel macht jenen anarchischen Zustand möglich, der dem Kurzsichtigen als krause Unordnung, dem Weiterblickenden als Abbild der Harmonie der Sphären erscheinen muß.

Komm denn, du süße, welterlösende Anarchie, welcher das bedrückte Gemüth des Regierten wie des Regierenden entgegenseufzt, als der einzigen Retterin aus diesen Zuständen der Verdumpfung, komm’ und erlöse uns von dem Uebel, das man Staat nennt! Ein arger Revolutionär, Proudhon, hat neulich die Ironie aufgerufen zur Rettung des Menschengeschlechtes! Mir, dem conservativen Thierstaatenforscher ist die Ironie fern! Mit dem heiligen Ernste der Ueberzeugung weise ich hin auf unsere Brüder, die Thiere, auf unsere zurückgebliebenen Genossen im Streben nach Vollkommenheit, und rufe Euch blöden Staatsweisen, Euch Würmern im Paragraphenstande zu: Schauet hin und belehret Euch! Nehmet Euch ein Beispiel an Euren Lebensgenossen auf dieser Erde! Sehet, wie sie, gefesselt in staatlichen Banden, sich vergebens abmühen, vergebens ringen nach Vervollkommnung, wie sie auf der Stufe stehen bleiben, auf welche die Gesetze der Gesellschaft des Staates sie gestellt haben! Blicket hin und überzeuget Euch, wie die, welche sich losgerungen haben von diesen Ketten, frei emporstreben nach dem Ziele der Vollendung, welches ihnen erreichbar ist, wie sie kämpfen und siegen in der Anarchie, mit der Anarchie, durch die Anarchie!

Die nachfolgenden Untersuchungen machen keinen Anspruch auf künstlerische oder wissenschaftliche Vollkommenheit. Sie sind das Erzeugniß eines Gemüthes, das aus dem Drang des staatlichen Lebens und aus der Dummheit des politischen Treibens sich hinausgeflüchtet hat in die freie Natur, um dort dem Summen der Fliegen und dem Brummen der Bienen zu lauschen und aus dem freien Thierleben neuen Muth zu neuen Gedanken zu schöpfen. Sie sollen kein Evangelinm zu neuem politischen Glauben sein – die Zeit der Evangelisten und Propheten ist vorüber. Aber dastehen sollen sie, ein ernster Wegezeiger für das kommende Geschlecht, eine eherne Warnungstafel für die Frevler, welche sich an dem Menschenleben versündigen, weil sie das Thierleben nicht kennen, nicht verstehen. Mögen sie auch mit essigblickendem Gesichte sich abwenden und ferner in großen und kleinen Kammern, in dicken und dünnen Büchern ihre Kuckuks-Eier zur Knechtung des Menschengeschlechtes ausbrüten – die Geister, welche wir hier aus Bienenstöcken und Ameisenhaufen, aus dem Schlamm der Gewässer und aus der Tiefe der Meere, aus den Urwäldern und den Savannen hervorzaubern, werden sie verfolgen in unbewachten Augenblicken, vor ihren Augen tanzen, wenn sie Paragraphen zusammenstellen und in das Getöse ihrer Kammerverhandlungen mit scharfem Tone hinein pfeifen:

Anarchie! Anarchie!

Bern, Dezember 1849.


I.
Der Bienenstaat.

Seit den ältesten Zeiten ist der Bienenstaat bekannt; unzählige Beobachter haben ihren Scharfsinn daran erprobt, ihrer Phantasie bei seiner Betrachtung freien Spielraum gelassen. Ein Urtypus monarchischer Einrichtung war er schon den Griechen – und dennoch konnte die Nähe des Hymettos die Athenienser nicht überzeugen, daß die monarchische Staatsform die beste sei. Die Unglücklichen! Sie hatten wohl einen Demosthenes, aber keinen Dahlmann, der sie von der Nothwendigkeit hätte überzeugen können, daß die „alten Esel“ auf den Thron ihrer Vorfahren kommen müßten. Die Athenienser aßen den süßen Honig, brannten das weiße Wachs der Bienen des Hymettos und blieben, trotz des monarchischen Beispiels, Republikaner, die ihre Staatsgeschäfte sogar auf offenem Markte und nicht wie die monarchischen Bienen, in wohl verschlossenem, dunkelem Kämmerlein abthaten.

Möge diese souveräne Verachtung des Thierbeispiels fern von unserer civilisirten Epoche bleiben. Sie würde sich furchtbar rächen, so wie sie sich an den Atheniensern oder den arkadischen Schäfern gerächt hat, die in paradiesischer Unschuld ihren schwärmenden Bienen auf der Hirtenflöte Concerte gaben, ohne die tiefe Bedeutung zu ahnen, welche in diesem Schwärmen, in dem ganzen Leben und Weben dieser unscheinbaren Thiere ihnen entgegen treten konnte.

Des Beispiels halber wähle ich den Bienenstaat als Gegenstand der ersten Betrachtung. Ich könnte vielleicht auch sagen, weil man den Bienenstaat länger und besser kennt – wenn ich zugeben könnte oder dürfte, daß das Wort „Kennen“ in solcher Weise profanirt würde. Geht doch hin und fragt die Staatsmänner, welche Euch die Monarchie als die beste Staatsform gepriesen haben, geht hin und fragt sie, wie viel Augen oder Füße eine Biene habe, eine Biene, deren Staat Euch von ihnen so eben als Muster gepriesen wurde – der Staatsweise wird beschämt die Augen niederschlagen und seine Unwissenheit gestehen müssen. So behaupten sie die Fäden zu kennen, an welchen die Geschichte auf geheimnißvollen Wegen die Menschheit leitet; und wenn Ihr sie fragt, wie der Mensch gebildet sei, wie das Innere aussehe, von dem sie so viel reden und schwatzen – so werden sie wieder die Augen niederschlagen und ihre Unkenntniß eingestehen müssen.

Sie kennen die Thiere nicht, sie kennen den Menschen nicht – nur seine schale, auf Papier reflektirte Außenseite haben sie mit blöden, durch die Studirlampe verqualmten Augen in verzerrtem Abbilde gesehen. Sie kennen die Thiere noch weniger – sie haben sich von ihnen abgewendet, als ob sie unwürdig seien, den Blick der besten Männer auf sich zu ziehen. Die Kenntniß ist der Grund nicht, weßhalb ich den Bienenstaat vorziehe.

Der deutsche Himmel hängt jetzt voll von konstitutionellen Geigen. Sie sind zwar vorerst einigermaßen verstimmt; die ministeriellen Bögen scheinen mit Seife, statt mit Colophonium geschmiert und locken nur heisere Töne hervor – aber was thut’s? Die Debatte über die Frage, ob Dur oder Moll die wahre Tonart des Concerts sei, beschäftigt dennoch das deutsche Volk. Man fragt nicht mehr, ob Dieß oder Jenes gut, zweckmäßig, verständig, – man fragt nur, ob es konstitutionell sei. Hier ist man konstitutionell, indem man bestehenden Verhältnissen Rechnung trägt; dort ist man konstitutionell, indem man bestehende Verhältnisse nicht achtet; hier hält man scheinbar das gegebene Wort, um konstitutionell zu scheinen. Konstitutionell! schreit’s in allen Kammern, konstitutionell wispert’s an allen Höfen. Auf der Bierbank, hinter dem Ofen, in Eisenbahnwaggons und auf Bauernkarren, überall dreht sich das Gespräch um das Wort konstitutionell; überall fragt man: was ist konstitutionell?

Nun wohl denn, Ihr Konstitutionellen, ich will Euch eine Antwort auf Eure Fragen geben, die Hörner und Zähne haben soll! Ich will sie Euch zeigen, diese konstitutionelle Monarchie im Thierreiche, mit dem Alleinherrscher an der Spitze, der sogar seine eigenen Kinder tödtet, um sich auf dem Throne zu erhalten, mit der erblichen Pairie, gestützt auf die Nichtverpflichtung zur Arbeit, mit dem armen, gedrückten Volke, das seine rührende Sorge auf Pflegung der Kinder und Ernährung der Nachkommenschaft richten muß, und das nur zuweilen aus der Sklaverei sich aufrafft, um auf’s Neue wieder darin zu versinken! Ich will sie Euch zeigen, diese konstitutionelle Monarchie im Thierreiche, mit den geheimnißvollen Rädern ihres Regierungsorganismus, welche das Licht scheuen, mit ihren periodisch wiederkehrenden Revolutionen, die in der Existenz bevorzugter Stände beruhen, mit ihrer systematischen Verdummung des Volkes, mit ihrer planmäßigen Auferziehung eines verkümmerten, zur Arbeit und zur Entsagung verdammten Proletariats! Ich weiß zwar wohl, daß Ihr darum doch nicht klüger werdet; Ihr glaubt der Stimme der Natur so wenig, wenn sie durch die Thiere, als wenn sie durch den Menschen spricht – Ihr habt das Seufzen des Volkes in seinem Unglücke, die Donnerstimme seines Zornes in seiner Erhebung nicht gehört – Ihr hört nicht das dumpfe Brausen, welches unter Euren Füßen durchzieht und den Boden des alten Europa’s mit leisen Schwingungen durchzittert – Ihr werdet auch nicht hören, was die Biene mit leisem Summen Euch in die Ohren raunt!

Die Bienen gehören zu jener unendlich zahlreichen, über die ganze Landoberfläche des Erdballs verbreiteten Klasse der Insekten, welche unter den wirbellosen Thieren in vielfacher Beziehung die Rolle spielt, die den Vögeln unter den Wirbelthieren zugefallen ist. Wie diese, leben sie meist in der Luft, fliegend und hüpfend; wie diese wetteifern sie an Mannigfaltigkeit der äußeren Gestalt, an herrlichen Farben. Die Insekten haben alle einen deutlich geschiedenen Kopf, welcher Augen, Fühlhörner und die mannigfach gebildeten Mundtheile trägt, einen Mittelkörper, dessen Ringe auf der Unterfläche drei Paar Beinen, auf der Oberfläche bis zu zwei Paar Flügeln zum Ansatz dienen, und einen geringelten Hinterleib, in welchem das Herz, die Verdauungs-, Athmungs- und Geschlechtsorgane sich befinden. Diesem allgemeinen Organisations-Gesetze gemäß ist auch die Biene gestaltet. Ihr Kopf sitzt auf einem kurzen, dünnen Halse, auf dem er sich leicht nach allen Seiten hin dreht; zwei peitschenförmige, aus einer kurzen Handhabe und einem gegliederten Ende zusammengesetzte Fühlhörner, einem Kantschu an Gestalt ähnlich, sind an der vorderen Seite dieses Kopfes befestigt. Zu beiden Seiten liegen zwei gewaltige Augen, aus tausenden von mikroskopischen Augen zusammengehäuft, die aus einer gemeinschaftlichen, durchsichtigen Hornhaut hervorschauen. Oben auf dem Kopfe stehen noch im Dreieck drei punktförmige, runde, vereinzelte Aeuglein, welche den Flug in die Ferne leiten. Mit den großen zusammengesetzten Augen schaut die Biene in der Nähe, scharf, genau, wie wir mit Lupen und Vergrößerungsgläsern – die kleinen runden Augen oben auf dem Kopfe blicken in die Ferne hinaus nach Schwalben und Bienenfressern, nach Blumen und nach der geliebten Heimath. So ist der Blick der Biene gleichzeitig auf das Nahe und das Entfernte gerichtet. Die kleinsten Blumenstäubchen entgehen ihrem forschenden Auge eben so wenig, wie die großen Verhältnisse des Raumes, in welchem sie, Nahrung suchend, umherschweift.

Was würden wir, was würde das deutsche Volk gewonnen haben, wenn man den „besten Männern“, den Centralmenschen, den konstitutionellen Tag- und Abendschwärmern solche Fern-Aeuglein, wie sie die Bienen besitzen, hätte einsetzen können. Gütiger Himmel, welchen Umschwung würde die deutsche, die europäische Geschichte genommen haben! Die blöden Stiel-Augen der konstitutionellen Partei sahen aber stets nur die anarchischen Stäubchen, welche der Wind vor ihnen auftrieb, im vergrößerten Maaßstabe des Sonnenmikroskopes als Hydren, Riesenschlangen und andere fabelhafte Seeungeheuer; – es fehlten ihnen die Fern-Aeuglein zum Blicken in die entlegenen Räume. Die trüben Wolken der Reaktion, aus denen die Blitze des Standrechts auch nach ihren Häuptern geschleudert wurden, hielten die Kurzsichtigen für schönfaltige, im tiefsten Blau des Vertrauens gefärbte Vorhänge, hinter welchen sie die reine, goldene, konstitutionelle Sonne vermutheten. Ihr Armen! Hättet ihr Bienen-Augen gehabt – ihr stündet jetzt nicht im Platzregen und Hagelguß, watend in aufgeschwemmtem Flugsande oder tief durchweichtem Kothe, und frierend in dem durchlöcherten, konstitutionellen Bußhemdlein vor des Herren Schloß, elend und ohne Krone, wie Kaiser Heinrich in dem Hofe der Mathilde vor dem absoluten Gregor. Schafft euch Bienen-Aeuglein!

An der unteren Fläche des senkrecht stehenden Kopfes der Biene befinden sich die Mundtheile. Eine ziemlich große Oberlippe deckt den Eingang – wenn auch bedeutend, so erreicht sie doch nicht jene verhältnißmäßige Größe dieses Organs, wie wir sie bei Herrn Dahlmann oder Schubert aus Königsberg zu schauen gewohnt waren. Das waren doch Lippen, von welchen constitutioneller Honig träufte! Unter diesen Lippen stehen zu beiden Seiten zwei hornartige, scharfe, säbelartig gekrümmte Kiefer, deren scharfe Schneiden wagerecht gegen einander wirken, und im Verhältniß zu dem Thierchen eine bedeutende Kraft entwickeln können. Sie sind Waffen und Werkzeuge zugleich, die beim Bauen der Waben, beim Sammeln des Blumenstaubes, bei Raufereien und Zänkereien die vortrefflichsten Dienste leisten. Daneben finden sich noch gestielte Bürsten, scheidenartige Fühlspitzen und endlich, als Schluß des Ganzen, eine lange, behaarte, zungenartig ausgezogene Unterlippe, die als Rüssel und Saugorgan dient. Mit dieser rüsselartigen Unterlippe schlürft die Biene den Honig auf in ähnlicher Weise, wie der Hund mit seiner Zunge den Trank aufschlürft.

Die Bildung der Flügel, deren viere vorhanden sind, hat die Biene mit den Wespen, Hummeln, Gallwespen und Schlupfwespen gemein, weßhalb sie auch mit ihnen in der Ordnung der Hautflügler sich befindet. Die Flügel sind häutig, durchsichtig, geadert, meist mit Härchen besetzt, und können durch kleine Häkchen so verbunden werden, daß die zwei Flügel jeder Seite nur einen einzigen auszumachen scheinen.

Die specielle Charakteristik des Konstitutionellen liegt in den Beinen. Er steht beständig mit jeder Konstitution, und wenn er auch hie und da bei passenden Gelegenheiten begeistert schwört, mit der Verfassung nicht nur zu stehen, sondern auch zu fallen, so ist das nur eine Redensart, die keine praktische Anwendung findet. Der Konstitutionelle ist wie die Hollundermännchen, welche man am einen Ende mit Siegellack oder Blei beschwert – wie ihn der Absolutismus auch würfeln, umherschleudern und drillen möge, er steht auch unter der absoluten Herrschaft als isolirtes Individuum auf dem konstitutionellen Beine. In jeder Gefahr, bei jedem Kampfe sind die Beine die Zuversicht des Konstitutionellen; ihnen vertraut er sich an, um bald vor der Demokratie in das Lager des Absolutismus, bald vor dem Absolutismus in das Lager der Demokratie zu flüchten. Besonders aber, wenn es gilt, sich zwischen die Bajonette der kämpfenden Brüder als Opfer zu werfen und den brennenden Streit mit seinem Blute zu löschen, besonders in diesem Falle erscheinen die Beine des Konstitutionellen mit Flügelkraft begabt, um ihn von dem Kampfplatze hinweg in abgewendeter Richtung zur Ruhe und Ordnung hinter den Ofenschirm des Standrechtes zu tragen.

Die wesentlichen Charaktere der konstitutionellen Bienen liegen ebenfalls in den Beinen[WS 2]. Die Hinterbeine der Arbeiterinnen sind in dem letzten Gliede des Unterschenkels breit, platt, auf der inneren Seite eingedrückt, so daß sie löffelförmig erscheinen. Sinnig haben die Zerleger diesen Eindruck das Körbchen genannt. Das erste Glied des Fußgelenkes, welches unmittelbar nach diesem Körbchen folgt, ist breit, viereckig und auf seiner inneren Seite mit feinen Seidenhärchen in Querreihen besetzt, so daß es einer Bürste gleicht. Bürste und Körbchen sind die beiden wesentlichen Werkzeuge der Biene zum Einsammeln des Blumenstaubes. Ihr ganzer Körper ist mit Borstenhaaren besetzt, die oft noch, Federn gleich, auf beiden Seiten Nebenhärchen tragen. So behaart und bestachelt kriecht die Biene in die Blumen, beißt mit ihren scharfen Kiefern die Staubbeutel auf, kehrt den Blumenstaub mit den Bürsten der Hinterfüße von dem Körper herunter, befeuchtet ihn ein wenig mit Honig aus dem Munde, ballt ihn mit Vorder- und Mittelfüßen, und bringt endlich in dem Körbchen der Hinterfüße einen gelblich, röthlich oder weißlich gefärbten Ballen zusammen, etwa von der Größe eines halben Pfefferkornes. So sammelt sie in jedes Körbchen einen solchen Ballen, und kehrt mit diesen Höschen, so wie mit einer Ladung Honig im Magen, nach Hause zurück.

Nicht alle Bienen haben indeß diese Bürstchen und Körbchen – die beiden Stände, welche an der erblichen Nichtverpflichtung zur Arbeit Theil nehmen, die Königinnen und die Pairs oder die Drohnen besitzen beide Arbeitsinstrumente nicht; sie tragen auch keine Höschen ein, und beschäftigen sich weder beim Bau der Waben, noch beim Einsammeln der Vorräthe.

Das Wachs ist ein wahres Produkt der Bienen. Sie fressen Blumenstaub und schlürfen Honig ein; letzterer scheint besonders zur Nahrung zu dienen, während die Thätigkeit der Verdauungsorgane aus dem Blumenstaube das Wachs bereitet. Dieses schwitzt zwischen den Ringeln des Hinterleibes hervor, der aus einzelnen über einander gelegten Hornschienen besteht. Die zarte Haut, welche die Hornringel verbindet und beweglich macht, scheint das Absonderungsorgan des Wachses zu sein, das in dünnen Blättchen zwischen den Schienen liegt, von der Biene mit den Füßen hervorgezogen und mit den Kiefern verarbeitet wird.

Drohnen und Königin zeigen sich auch hier unfähig zur Gestaltung – sie bringen kein Wachs hervor; – nur das arbeitende Proletariat erzeugt dieses für den Bienenstaat unentbehrliche Baumaterial.

Die letzte Eigenthümlichkeit, auf welche ich bei den Bienen aufmerksam machen muß, liegt in dem Vorhandensein einer gefährlichen Vertheidigungs- und Angriffswaffe, des Stachels, der aus dem hinteren Ende des Leibes hervorgedrückt werden kann, und mit einer Blase in Verbindung steht, die ätzendes Gift absondert und in die Wunde spritzt. Das Gift der Verleumdung, der Stachel, der hinterlistig gezückt wird, war den Konstitutionellen niemals fremd; das „Organ der besten Männer“, die deutsche Zeitung, bewies dieß sowohl unter der Leitung des edelsten Literarhistorikers gegen Hecker und Herwegh, wie jetzt unter dem Fünfer-Direktorium der Haimonskinder von Gotha gegen die Kämpfer für die Reichsverfassung – die thierischen Konstitutionellen aber besitzen die giftige Waffe in noch höherer Potenz der Gefährlichkeit. Den Pairs oder Drohnen geht sie ab – sie waren ja auch in den meisten konstitutionellen Menschenstaaten vom Kriegsdienste befreit. Die Natur, indem sie bei den Bienen einen bevorzugten Adel schuf, trieb die herkömmliche Entbindung desselben vom Kriegsdienste so weit, daß sie ihm, als unwürdig, die Waffe gänzlich nahm, und nur zum Ersatz einige unbedeutende Zähnelungen an den Kiefern verlieh. Der Adel ist dadurch gefräßiger geworden, aber nicht geschickter zur Vertheidigung des Staates. Es mag deßhalb als eine große Versündigung am konstitutionellen Staatszwecke erscheinen, wenn man die Offiziere vorzugsweise aus dem adeligen Stande wählt. Die Pairs der Bienen haben keine kriegerische Bestimmung, sie verzehren nur ihre Renten, machen der Königin die Cour, und verbringen mit Essen und Trinken, Kinderzeugen und Nichtsthun ein ächt adeliges Leben. Sie tragen keine Waffe. – Die Königin dagegen besitzt den Stachel – er ist selbst länger und schärfer als derjenige des Arbeiters. In den Zweikämpfen mit ihren Nebenbuhlern, in dem Streite um Thron und Herrschaft bedient sie sich dieser furchtbaren Waffe, die selbst die eigene Nachkommenschaft, die Geschwister und Ebenbürtigen bedroht.

Es geht schon aus dem Vorigen hervor, daß der Bienenstaat aus dreierlei verschiedenen Kasten zusammengesetzt ist, die sich auch durch äußere Kennzeichen unterscheiden – aus einem Monarchen, der Königin – aus einer Pairie, den Drohnen – und aus dem dritten Stande, den Arbeitern. Die Königin ist das Weibchen – sie allein hat das Recht und die Fähigkeit, Eier zu legen – sie ist in Wahrheit der Inbegriff des ganzen Volkes, wie der frühere Republikaner Keller in Berlin das Volk definirt; – sie trägt wirklich eine Zeit lang ihr Volk im Keime in ihrem Hinterleibe mit sich herum.

Die Königin sieht den Arbeiterbienen ähnlicher als den Drohnen – der Thron stützt sich, den Anmaßungen des Adels gegenüber, auf den dritten Stand. Nur ist ihr Hinterleib bedeutend länger als derjenige der Arbeitsbienen, und ihre Flügel bedeutend kürzer, so daß ihre Bewegungsfähigkeit sehr beschränkt ist. Auch verläßt sie nur höchst selten die Residenz – entweder um ihren Lüsten zu fröhnen oder um einer Nebenbuhlerin zu weichen. Die Drohnen oder die Männchen sind bedeutend größer als die Arbeiterinnen; ihre zusammengesetzten Augen, die nur nach Nahrung und Liebe umschauen, sind so groß, daß sie oben auf dem Kopfe zusammenstoßen, die Flügel lang und breit, die Füße ohne Arbeitsinstrumente, der Leib ohne Waffe.

Die Volkszahl der Staaten ist begränzt. Das Thier weiß, daß eine allzugroße Ausdehnung der Staaten eine schlechte Willkürregierung der unteren Klassen, besonders für die der entfernteren Theile des Reiches bedingt, und daß eine zu bedeutende Vermehrung der Volksmenge Armuth und Hungersnoth in schlechten Jahren herbeiführt. Die konstitutionellen Bienenmonarchien vereinigen deßhalb unter einer Monarchie nur 600–1000 Drohnen und 15–20,000, in seltenen Fällen sogar 30,000 Arbeiter. – Und es gibt Menschen, die einem solchen Zahlenverhältnisse gegenüber noch eine Pairie in einem Staate gründen wollen, wo auf 16 Millionen Arbeitende nur etwa 800 Individuen sich finden, die 10,000 Thaler Renten jährlich haben und demnach zu keinerlei Arbeit verpflichtet sind! Dieß wäre wahrlich die wahre Lumpazo-kratie! In dem konstitutionellen Bienenstaate gibt es auf je zwanzig bis dreißig arbeitende Individuen einen Adlichen, der die Renten verzehrt, welche ihm die Natur bescheert, ohne daß er zu arbeiten brauchte – und diesem Beispiele gegenüber wollt Ihr in einem reinen Arbeitsstaate, wo auf 20,000 Individuen erst ein Mensch mit zehntausend Thalern Renten kommt, eine Pairie, ein Institut erblicher Nichtverpflichtung zur Arbeit errichten! Unsinnige Gesetzgeber, gehet hin zu den Haidschnucken auf die Lüneburger Haide und studirt in ihrer Gesellschaft Bienenzucht!

Den Arbeiterbienen, welche die größte Zahl in dem Bienenstaate bilden, hat nicht die Natur, wohl aber eine schändliche Erziehung den süßesten aller Genüsse versagt. Die Natur stattete sie mit den herrlichsten Gaben aus: mit Werkzeugen und mit Lust zur Arbeit, mit den zärtlichsten Gefühlen für die Nachkommenschaft, welche von ihnen gehegt, gepflegt, genährt, erzogen wird, mit der rastlosesten Ausdauer und mit einer Aufopferungsfähigkeit, – welche selbst die des Herrn Heinrich von Gagern übertrifft, der, nach des wohlriechenden Biedermann’s Versicherung, jeden Augenblick bereit sein soll, für Deutschlands Größe, Macht und Einheit, ein zweiter Curtius, sich als Opfer in den geöffneten Schlund zu stürzen.[3] Die Arbeiterbiene ist nicht nur in jedem Augenblicke bereit zu jedem Opfer für die Allgemeinheit – sie bringt es auch wirklich! Wie reich auch der Antheil an Honig und Blumenstaub sein mag, den sie sammelt, sie behält nichts für sich, sie trägt Alles dem Staate, den Jungen zu; ja selbst die genossene Nahrung bricht sie wieder aus, um die unbehülflichen Würmer in den Zellen, die wartenden Ammen, die faulen Drohnen, die nichtsthuende Königin zu füttern! Man könnte einer Biene zweitausend Blumenstaub-Beutel monatlich bieten unter der Bedingung, sie für sich anzunehmen und sich ein schuldenfreies Blumenbeet damit zu erkaufen – sie würde den reichen Gehalt zurückweisen und, edler als mancher menschliche „Edle“, die reiche Gabe für die Allgemeinheit benutzen. So handeln freilich nur arme, besitzlose, von harter, täglicher Arbeit lebende Bienen!

Die Arbeiterbiene ist ein Weibchen – aber ein verkümmertes Weibchen, dessen Geschlechtsorgane durch Mißhandlung und kümmerliche Nahrung in der Jugend zurückblieben, unausgebildet verharrten und zur Zeugung unfähig wurden. Die Arbeitsbienen besitzen diese Theile und können, wie wir sehen werden, auch durch gehörige Behandlung und reiche Nahrung in den ersten Tagen zu Königinnen, zu fruchtbaren Weibchen ausgebildet werden. Meist aber geschieht dies nicht. Die armen Würmer des Proletariats werden, wenn auch mit Zärtlichkeit und Liebe behandelt, so doch schlecht gefüttert und mangelhaft ernährt. Indem eine teuflische Staatseinrichtung sie des geschlechtlichen Genusses beraubt, schafft man die verkümmerte Jugend zu Proletariern und Zeitlebens unglücklichen, verdummten, zu harter Arbeit verurtheilten Individuen. So entsetzlich wirkt bei den Thieren die konstitutionelle Staatsform auf die Moralität der unteren Klassen, daß diese, obgleich den Kindern in treuer Liebe anhänglich, sich dennoch selbst zu Werkzeugen der Erniedrigung dieser Geschöpfe hergeben, daß sie selbst mit berechneter Absicht, mit einer Art grausamer Wollust die Nachkommenschaft verkümmern lassen, um aus ihnen Proletarier zu erziehen, Proletarier wie sie, Unterthanen, welche nur dazu geschaffen scheinen, eine faule, nichtarbeitende Adelsklasse und eine grausame, herrschsüchtige Monarchin zu ernähren! So wirkt, bei den Thieren und speciell bei den Bienen, die Niederhaltung jener unterdrückten Arbeiterkaste auf das Gemüth der Paria’s ein, daß sie den Gedanken, aus solch’ elendem Leben wenigstens die Nachkommenschaft zu retten, nicht zu fassen vermögen; daß sie glauben, die Jungen müßten wieder Arbeiter werden, weil sie selbst Arbeiter sind. Entsetzliches Beispiel, wie weit die Verdummung, die geistige Knechtung der niederen Klassen durch die Existenz bevorzugter Stande getrieben werden kann.

Aber auch ein Beweis für die Wahrheit des Satzes, daß das Proletariat nicht geboren, sondern daß es erzogen werde. Königin und Arbeiterin, Herrscherin und Proletarierin sind bei der Geburt einander vollkommen gleich – die Eier, aus welchen sie schlüpfen, stehen durchaus auf derselben Stufe der Ausbildung; die Würmchen, welche aus den Eiern hervorgehen, sind in den ersten drei Tagen in Nichts von einander verschieden. Aber die Eier der königlichen Familie werden in wohlverwahrte, weite Räume, in große Zellen gebracht, mit unendlicher Emsigkeit gepflegt, die jungen Würmchen mit ausgesuchter Nahrung gefüttert, von besonderen Wartfrauen erzogen und gereinigt. Die Proletariereier dagegen werden in enge, dünnwandige Zellen gestopft, die Würmchen kärglich gefüttert, wenig besorgt, niemals gereinigt – ist es ein Wunder, daß hier Proletarierinnen, dort Königinnen erzeugt werden? Es kommt vor, daß Proletariereier in königliche Zellen gelegt, als Königinnen gewartet, genährt, erzogen werden – es gehen Königinnen aus ihnen hervor. Während der ersten drei Tage des kindlichen Wurmlebens des Proletariers gelingt dieß – später hat das Gift der Vernachlässigung so tief eingefressen, daß das verkümmerte bienliche Wesen keiner höheren Ausbildung mehr fähig ist.

So wird dieses Proletariat erzogen, erzogen durch Proletarier, die selbst unter dem Drucke der Bevorrechtung schmachten, durch Proletarier, welche ihre ganze Thätigkeit aufwenden, die ganze Frucht ihrer Arbeit hingeben müssen, um bevorrechteten Ständen geräumige Wohnungen zu bauen, um ihre Kinder zu füttern, zu warten, zu pflegen! Ein Theil der armen Proletarierzöglinge wird kräftig, stark, wohlgenährt – aus der Ungunst der Verhältnisse ringt sich wenigstens ein starker, arbeitsfähiger, wenn auch theilweise verkümmerter Körper hervor. Diese fliegen aus nach Honig und Blumenstaub, nach Nahrung und Baumaterial. Sie können wenigstens frei in frischer Luft sich herumtummeln, mit den Blumen kosen, sich im Anblicke der blühenden Wiesen, der duftigen Repssaaten, der röthlichen Kleefelder erfreuen – können für Augenblicke ihre Sklaverei zu Hause vergessen, und mit den Genossen umherschweifen in Feld und Wald, auf Haiden und in Gärten. Zwar lauert dort manche Gefahr auf diese Laufmägde der Bienengesellschaft, wie man sie genannt hat; breitmäulige Schwalben schnappen nach ihnen, bissige Wespen verfolgen sie, sogar die gefräßigen Sperlinge scheuen zuweilen ihren Stachel nicht. Aber dennoch fliegen sie unermüdlich von Blume zu Blume, beißen Staubbeutel und Honiggefäße auf, bürsten und scheuern den Staub von ihrem Körper und kehren endlich mit herrlichen Höschen und gefülltem Honigmagen fröhlich summend nach Hause zurück.

Dort sitzen unterdessen die schmächtigeren, schwächeren Proletarier, die Wartfrauen und Kindermägde, denen die Sorge der Jungen, die Wartung der Würmer und Puppen, das Reinigen der Zellen anvertraut ist. In geschäftiger Eile kriechen diese treuen Ammen der jüngeren Generation von Zelle zu Zelle, um die hungrigen Würmer mit der Speise zu füttern, welche sie aus ihrem Magen hervorbrechen; dort machen sie einen Deckel auf die Vorrathskammern, die mit Honig oder Blumenstaub gefüllt sind; hier schließen sie die Zelle, in welcher ein reifer Wurm sich verpuppen will, um dem Tage seiner Geburt als Biene entgegen zu schlafen; dort räumen sie das Gespinnst aus einer königlichen Zelle, in welcher die Puppe ausgeschlüpft ist, und schaffen den Unrath bei Seite. Sind die Jungen versorgt, so bauen diese treuen, in das dunkle Haus gebannten Geschöpfe neue Zellen, um neue Vorräthe, neue Bruten aufzunehmen. Sie lecken und bürsten die heimkehrenden Genossen, die bevorrechteten Drohnen, und wenn es kalt werden will, drängen sie sich in dichten Haufen um ihre geliebte Königin, um sie zu erwärmen und durch liebliches Flügelsummen zu erheitern. Rührende Treue eines armen, verkümmerten Geschlechtes, das für die erfahrenen Mißhandlungen mit Wohlthaten lohnt, und in der Besorgung niedriger, dunkeler Geschäfte mit dem Gefühl treuer Pflichterfüllung sich selbst befriedigt!

Verfolgen wir, um eine Anschauung von dem Entstehen, Dauern und Vergehen des Bienenstaates zu erhalten, einen Schwarm von seinem Ausfluge an. Die Königin fliegt in der Mitte einer Schaar treuer Diener, welche sich von allen Seiten um sie drängen. Beobachter aus früheren Zeiten haben behauptet, daß sie besonders von ihren Pairs, den Drohnen, umgeben sei, und daß erst in weiterer Distanz die Arbeiter folgen. Dieß ist nicht der Fall – im Gegentheile sind es hauptsächlich die Laufmägde, die stärkeren Arbeitsbienen, welche die Königin stützen, tragen, umgeben – die trägeren Drohnen und die schwächeren Wartfrauen folgen unmittelbar. Vielleicht auch, daß in früheren Zeiten die Standesunterschiede der Bienen bei solchen öffentlichen Aufzügen mehr gewahrt wurden, daß die Drohnen das Vorrecht hatten, als Pairs in der nächsten Umgebung der Königin zu fliegen, daß sie dieses Privilegium aber unterdessen verloren haben. Wenigstens sprechen die Beobachter, welche nach der französischen Revolution aufgetreten sind, nicht mehr von dieser Thatsache, oder zeihen geradezu ihre Vorgänger der Ungenauigkeit. Vielleicht haben beide Recht, und es könnte aus dieser einfachen Thatsache ein sehr langsames Hinneigen des Bienenstaates zu mehr demokratischer Grundlage gefolgert werden. Wir lassen diese schwierige Frage, welche den Ausgangspunkt vieler verwickelter Untersuchungen für spätere Geschichtsforscher bilden mag, unerörtert – wahrscheinlich werden die Historiker Schleswig-Holsteins, nach rühmlicher Lösung ihrer denkwürdigen, gesetzlichen Revolution durch das Schwert Deutschlands und den befreundeten Dänenkönig, sich dieser Erspähung langsamen, gesicherten, legalen Fortschrittes mit Erfolg dereinst zuwenden[4].

Die Königin setzt sich, nach einigem Schwärmen, an einen Ast oder sonst irgendwo fest. In dicken Massen bedecken sie ihre Diener; – das ganze Volk hängt sich zusammen – und ruht aus. Einige Laufmägde fliegen aus. Sie haben schon früher einen hohlen Baum, eine Felsritze, ein Astloch entdeckt – sie recognosciren es, statten Bericht ab, und nun fliegt das ganze Volk jener Kolonie zu, wo der neue Staat gegründet werden soll. Meist tritt, noch ehe die rapportirenden Laufmägde ihre Reise antreten, der Mensch mit seiner List dazwischen, und bietet eine vollkommene Wohnung an. Die Biene nimmt das großmüthige Anerbieten mit Dank an; sie bezieht die neue Wohnung, richtet ihren Staat darin ein – ach! sie weiß nicht, daß sie dadurch einem schnöden Egoisten anheim gefallen ist, der

sie ihres Honigs berauben, der ihre künstlich angelegten Waben zerstören und sich aneignen wird. Für einige Brettchen und strohgeflochtene Ringe verlangt der unersättliche Mensch das Recht, über Eigenthum und Leben der Bewohner seines Lehens schalten und walten zu können. Die Bienen treten durch die Annahme des Stockes in eine Art Leibeigenschaft gegenüber dem Menschen. Er glaubt sie in jeder Art mißhandeln zu können; – um ihnen den Honig und das Wachs zu nehmen, räuchert er sie aus, betäubt sie mit Schwefel, mit Wasser, jagt sie aus einer Behausung in die andere, tödtet sie sogar, wenn es ihm scheint, daß dem Volke Hungersnoth drohe. Zuweilen freilich glaubt er sich auch verpflichtet, seine Lehensdiener und Leibeigenen in harten Wintern zu nähren – aber welche erbärmliche, kärgliche


legte. Das Heer wurde nur so viel gebildet, als nöthig war, um der Komödie den Schein des Ernstes zu geben – je mehr die Zeichen des Verrathes sich mehrten, desto mehr hielt man darauf, es unter solcher Leitung zu lassen, daß seine Desorganisation jeden Augenblick möglich war. Alles trompete, paukte und lärmte in allen Theilen von Deutschland über die Sache Schleswig-Holsteins und keiner dachte daran, mit prüfendem Blicke vorauszuschauen und sich zu fragen: Welches Resultat wäre erreicht worden, wenn diese Statthalterschaft gesiegt hätte? Man prüfe das heute – die Antwort wird nicht schwer sein. Nach dem Siege würde man das Land zu den Füßen desjenigen gelegt haben, für den man während des Kampfes betete! Man würde Garantieen verlangt haben, höre ich rufen. Garantieen? Für wen? Für den Bauer, für den Hörigen, für den Proletarier, für den Arbeiter? O nein! Aber wohl für die Herren Etatsräthe, Pastore und für die edle Ritterschaft, jene Brutstätte der Augustenburge und ihrer Genossen! Welche Bürgschaften haben denn diese Menschen hergestellt für das Volk während der drei Jahre, innerhalb deren sie im Namen des Königs-Herzogs das Land regierten? Sagt es uns doch, wir bitten Euch. – – Wir kennen keine!
18. Juni 1851.     
Nahrung reicht er ihnen dann! Das ist das paternelle, väterliche Regiment des Menschen über die lehenspflichtigen, leibeigenen Bienenstaaten. Laune und Willkür sind in solchen patriarchalischen Verhältnissen das einzige Gesetz; das Eigenthum hat nur in so fern Geltung, als es dem Herrn gehört, und wenn er aus Eigennutz zuweilen seine verhungernden Unterthanen ernährt (er nahm ihnen ja früher ihre Vorräthe), so verlangt er dafür noch Dank und Belohnung durch verdoppelte Arbeit. Wir wenden von diesem egoistischen Raubsystem unsere Blicke ab – das Bewußtsein unserer Zeit hat darüber gerichtet, und der Augenblick wird kommen, wo auch die Biene ihres ursprünglichen thierischen Rechtes sich bewußt, dasselbe sich von den Sternen holen wird, wenn sie es nicht auf Erden erhalten kann.

Die erste Arbeit der Bienen, nachdem sie die neue Wohnung bezogen, besteht in der Verklebung und Verstopfung aller Zugänge bis auf ein kleines Flugloch; – in der gänzlichen Absperrung alles Lichtes, welches in das Innere des Stockes dringen könnte. Auf den Knospen und Sprossen der Pappeln, der Roßkastanien, der Eichen und vieler anderer Bäume kratzen die Arbeiter mit ihren Kiefern eine klebrige harzige Masse ab, welche die Außenseite dieser Sprossen überzieht, sammeln diese Masse in ihren Körbchen und brauchen sie dann zu Hause zu dem Zwecke der Verfinsterung. Mit diesem Stopfwachse werden nicht nur Ritzen, Luftlöcher und Spalten, sondern auch die Gläser verklebt, welche Licht in den Bienenstock einlassen könnten, so daß nicht sowohl Abhaltung der Feinde, des Luftzuges, der Kälte oder des Regens, sondern wesentlich Abhaltung des Lichtes Zweck dieser Verklebung ist.

Die Bienen wollen nicht, daß das Licht in ihr konstitutionelles Staatstreiben eindringe. Sie wissen, daß nur im Dunkeln die Räder der konstitutionellen Regierung zum Zwecke der Volksbeglückung sich drehen können, und daß strenges Festhalten des Amtsgeheimnisses die erste Bedingung eines geordneten monarchischen Staatslebens ist. Die Korruption des konstitutionellen Staates, die Polizeiwirthschaft, welche schändliche Intriguen mit nichtsnutzigen Subjekten gegen rechtliche, geschätzte und geliebte Individuen spielt, die Sklaverei des Volkes, das, dummen Vorurtheilen fröhnend, sich in Abhängigkeit erhalten läßt, die Frechheit des Adels, der lotternd nur der Freude und dem Genusse lebt, die sittliche Verderbniß des Hofes, an dem Palastrevolutionen, Intriguen, Verbrechen sich häufen und erneuen – wir sprechen hierbei immer nur von Thierstaaten – alle diese Flecken und Gebrechen deckt das kluge Thier mit Nacht und Dunkelheit – es hat wenigstens das Schamgefühl, seine schmutzige Wäsche im Dunkeln bei sich zu reinigen und sich nach außen nur als fröhlicher, freier Arbeiter zu zeigen. Zu Hause seufzt es unter dem Drucke, dem Elend, der Arbeit – aber es verbirgt diese Leiden, welche es nicht ändern kann, zu deren Hebung ihm der Muth, oder die Einsicht, oder die Kraft abgehen. Die konstitutionelle Regierung kann sich im Thierreiche nur im Schatten des Geheimnisses halten. Hier kann sie durch feingesponnene Fäden niederträchtige Subjekte bestechen, durch Fälschung und unwahre Dokumente die Volksfreunde verdächtigen, in Anklage versetzen, Monatelang einkerkern und endlich zu Tode martern.

Nur in der Dunkelheit kann diese konstitutionelle Regierung des Thierreiches die Erbärmlichen, welche sie durch Geld oder Thronstellen erkauft, auch schützen vor der rächenden Sühne der Verachtung, womit die Oeffentlichkeit sie straft; nur durch die Dunkelheit kann sie das Volk in der Abhängigkeit, in der Verehrung der Königin, in der rastlosen Arbeit für die faulen Bevorrechteten erhalten – sobald der Lichtstrahl des hellen Tages auf diesen versumpften Pfuhl der Korruption fällt, zeigen sich alle jene häßlichen Giftpilze, welche unter dem Schutze der Nacht in dem ekelen Staatsgebäu empor wuchern konnten, und sinken dann verdorrt zusammen, gefolgt von dem Hohne und der Verachtung. Freilich aber bilden diese Giftpilze wieder die Säulen des konstitutionellen Thierstaates, und die Dunkelheit ist eine der Garantieen seines Bestehens. Er fällt auseinander, sobald man auf der Beleuchtung seines innersten Wesens beharrt. Man hat versucht, gläserne Bienenstöcke zum Studium des konstitutionellen Systems zu gebrauchen. Die Bienen überklebten die Glasscheiben mit Stopfwachs. Man machte Schieber über das Glas, durch welche nur von Zeit zu Zeit Licht einfiel, während man hineinschaute. Bei dem ersten Strahl gerathen Alle, besonders aber die adligen Müssiggänger, in große Unruhe – eilig kriechen sie an die beleuchtete Stelle und verfinstern sie mit ihren Leibern – die Laufmägde fliegen aus und holen Stopfwachs, um dem Tag den Eingang zu verkleben. Stundenlang aber bemerkt man nach solch’ einer Beleuchtung revolutionäre Agitation im Innern, heftiges, scharfes Summen der Arbeiter, Störung der Bauten, unruhiges Betragen der adligen Drohnen, besorgtes Hin- und Herwandern der Königin.

Besteht man darauf, den Bienenstaat zu beleuchten, das Stopfwachs immer wieder von den Glasscheiben abzukratzen, so nimmt die revolutionäre Agitation zu. Die Proletarier erhalten Einsicht in ihre Lage. Sie arbeiten nicht mehr, sie füttern die Jungen nicht, sie bauen keine Waben, sie beachten die Königin nicht. Scharf summend sitzen sie in Haufen beisammen. Entsetzen ergreift die Drohnen. Das königliche Prinzip genießt keine Achtung mehr – verlassen und hungrig kriecht die Königin an den leeren Waben umher. Die ausfliegenden Laufmägde kehren ohne Höschen heim – sie geben keinen überflüssigen Honig ab – sie emanzipiren sich und wollen nur für sich selbst arbeiten. Die Steuerzahlung von süßem Honig an die Königin hört nach und nach auf; die früher so ergebenen Unterthanen schweifen selbstständig, ohne heimzukehren, in Feld und Wald umher – die jungen Würmer verhungern elend. Die Königin wird matter und matter, die Zahl der Unterthanen geringer. Aber auch jetzt, in diesem Stadium der höchsten Gefahr, zeigen sich die Drohnen ohne Aufopferungsfähigkeit, ohne Hingebung für den Thron. Endlich stirbt die Königin, das konstitutionelle Thierstaatsprinzip, durch die Steuerverweigerung des Honigs vor Hunger und Elend. Die letzten Proletarier, die allenfalls noch treu waren und im Stocke ausharrten, zerstreuen sich; die Drohnen haben schon längst den Staat verlassen, und sich mit ihren Renten in anderweitige blühende Auen zurückgezogen. Die Arbeiter schwärmen frei, anarchisch auf Feldern und Wiesen, in Thälern und Gründen umher, freuen sich des Honigs und des Blumenstaubs, den die üppige Natur ihnen bietet, und lösen sich endlich, wenn das Ziel ihres Lebens erreicht ist, als freie Thiere in dem Kosmos auf, aus dem sie entsprungen sind.

So endet der konstitutionelle Thierstaat, sobald das helle Tageslicht in sein Inneres dringt. Der Uebervortheilte kommt zur Einsicht seines jämmerlichen Verhältnisses, er schüttelt es von sich ab, stürzt sich mit Leib und Seele in die anarchische Bewegung, und sucht als einzelnes Individuum das Glück zu erhaschen, das ihm der Staat nicht bieten konnte. Freilich endet dieser Versuch unglücklich für die Meisten. Denn die lange Sklaverei, die methodische Verdummung, die gänzlich verfehlte Erziehung haben die meisten Arbeitsbienen der Fähigkeit beraubt, sich in der Anarchie bewegen und forthelfen zu können. Eben so unmöglich ist es ihnen, einen andern Staat zu gründen. In dem engen Zirkel thierisch-konstitutioneller Anschauungen erzogen, vermögen sie nicht, ihren Blick zu andern socialen oder nur republikanischen Staatsformen zu erheben und so einen allmäligen Uebergang vom Konstitutionalismus zu der Anarchie der Kultur zu bilden. Sie sind unfähig, eine andere Staatsform zu begreifen, als diejenige, welche sie um jeden Preis von sich abgeschüttelt haben und zu welcher sie in keinem Falle zurückkehren wollen. So stürzen sie sich denn in die Anarchie der rohen Individualität, und der Bienenstaat geht zu Grunde.

Zuweilen gibt es reuige Anarchisten, welche zum konstitutionellen System zurückzukehren streben, indem sie einen andern Bienenstaat suchen, worin sie Bürger zu werden trachten. Vergebliches Beginnen! Mit Hohn, mit Verachtung, mit Haß wird der reuige Sünder zurückgewiesen, aus dem Staate weggeschafft, exilirt, ja selbst zuweilen von erbitterten royalistischen Proletariern standrechtlich behandelt und dem beleidigten konstitutionellen Systeme als Opfer dargebracht.

Darum, du lieber Anarchist,
Bleib’ stets, was du gewesen bist!

Wir haben gesehen, daß das konstitutionelle Thierstaatensystem sich nur in der Dunkelheit halten kann, und es darf uns deßhalb wohl nicht verwundern, zu erfahren, daß die Bienen in ihrer verstockten konstitutionellen Wuth sich alle Mühe geben, in jeder Weise die Beleuchtung, die Kritik von ihrem Systeme und ihrem Staate abzuhalten. Sie erlauben jede statistische Berechnung über Ein- und Ausfuhr der Höschen und des Honigs am Flugloche – jede staatsökonomische Untersuchung über die Zahl der Arbeitsstunden der Proletarier – aber über die Verwendung der eingeführten Stoffe und der Produkte im Staatshaushalte selbst gestatten sie nur eine oberflächliche Einsicht. Die Steuern, welche in Honig an die Regentin unmittelbar, in Höschen und Honig an die bevorrechteten Stände geliefert werden, sind durchaus unberechenbar.

Patriarchalische Einrichtung, wo noch keine Stände des Volkes an der Civilliste ihres Herrschers von Gottes Gnaden, und somit an seiner Würde mäkeln und deuteln! Freilich aber auch ein Zeichen unvollständiger Ausbildung konstitutioneller Sitte. Kein Budget! Keine regelmäßige Steuerumlage! Selbst jene Perle der Volksrechte, das Recht der Steuerverweigerung, welche das Volk nach Beseler und Dahlmann deßhalb besitzt, damit es dieses Recht nicht ausübe, selbst diesen Schmuck der Volksrechte entbehrt der Bienenstaat! Und dennoch hat seine Königin das absolute Veto, ebenfalls zum Schmucke, um es nicht auszuüben. O Keller und Gerlach, wenn ihr dies gewußt hättet, welcher Triumph würde von euch gefeiert worden sein! Aber vergönnt, daß ich einen Tropfen Wermuth in diesen verspäteten Freudenkelch träufeln lasse. Das konstitutionelle Thierstaatensystem vermag dem Lichte der Kritik nicht zu widerstehen und fällt schon vor dieser geistigen Potenz ohne weiteren materiellen Angriff auseinander, um sich in Anarchie aufzulösen. Bedenklicher Fingerzeig!

Sobald die zukünftige Wohnung überall wohl verstopft und bis auf ein kleines Flugloch verklebt ist, beginnt die Aufrichtung des eigentlichen Staatsgebäudes, der Honigwaben. In dieser Vorsicht unterscheiden sich die konstitutionellen Bienen von ihren Gesinnungsgenossen beim Menschengeschlecht. Die Thiere wissen, daß ihr System nur in der Dunkelheit gedeiht, daß nur nach gehöriger Bearbeitung und Sicherung des Bodens, auf dem sie bauen wollen, ihre Waben Festigkeit, ihr ganzes Staatsgebäude Dauer erhalten könne. Sie hängen nicht auf’s Gerathewohl ihre Waben hier oder dorthin – sie untersuchen erst, ob auch die Stütze ihnen nicht fehle und ob hinlängliche Festigkeit in den dargebotenen Verhältnissen vorhanden sei. Sie bauen nicht Waben und Bögen in die Luft hinaus, zufrieden, sie wohl geeckt und geordnet neben einander zu sehen, so daß sie ein Ganzes bilden – ihre erste Sorge geht auf den Schutz, die Sicherheit, die Festigkeit des Werkes, welches sie zu bauen gesonnen sind. Zu diesem Ende stopfen sie die Löcher, durch welche der absolute Wind streicht, von dem man nicht weiß, von wannen er kommt und geht, verkleben sie die Spalten, durch welche der Schwall reaktionärer Regengüsse eindringen könnte, verrammeln sie die Eingänge, durch welche größere Feinde einen Angriff wagen könnten, und lassen nur ein leicht zu vertheidigendes Flugloch.

Wie anders handelten ihre Genossen im Geiste und im Systeme, die konstitutionellen Kaisermacher und Gothawanderer! Je schärfer der Wind durch die Ritzen der bestehenden Verhältnisse pfiff, je heftiger die Reaktion schwoll und durch alle Löcher in unendlichen Güssen sie überschwemmte, desto eifriger bauten sie an ihren theoretischen Waben, zirkelten ihre Paragraphenzellen aus, glätteten ihre Wachsscheiben oder steckten gar, wenn das Unwetter zu arg wurde, Kopf und Hintern in die Zellen, um ja nichts weder zu hören, noch zu fühlen. Man mochte ihnen hundertmal zurufen: Stopft den österreichischen Riß! Verklebt das preußische Loch! Verrammelt den Eingang auf der dänischen Seite! – Sie hörten und sahen nicht – summten und brummten in ihren Paragraphen umher, und nur zuweilen schaute die edle „römische“ Stirne des „muthigen Bassermann“ oder der trotzige Bart des kühnen Freiheitskämpfers Droyssen aus einer Zelle hervor, um geschwind beim Scheine der Blitze wieder unterzutauchen und sich unterthänig zu ducken, bis das Unwetter vorüber war. Vergebens bauten sie ihre Waben – als sie dieselben aufhängen wollten, brach der schwarzweiße Zweig, der sie halten sollte, und das Unwetter spülte Zellen und Paragraphen, Artikel und Waben – die ganze Verfassung im Strudel fort, um sie gänzlich zu vernichten. O! Edle Freunde des Volkes, Essigblicker der Zukunft, Curtiusse des Vaterlandes, Cincinnatusse Deutschlands, schafft Euch nur ein Bischen konstitutionellen Bienenverstand an, in Ermangelung des gesunden Menschenverstandes, der Euch ewig abgehen wird!

Nach sorgfältiger Vorbereitung des Ortes beginnen die Bienen den Bau der Waben – stets nach demselben Schema, ohne irgend welche Veränderung. Diese Waben oder Honigkuchen hängen senkrecht herab von der Decke des Stockes – die Zellen, aus welchen sie bestehen, liegen horizontal mit den Böden gegeneinander. Jede Zelle besteht aus sechs Wänden und aus drei rhomboidalen Stücken, welche den Boden bilden und so zusammengesetzt sind, daß der Boden jeder Zelle auf drei andern Zellen ruht. Mit unendlicher Schnelle wird der Bau dieser Zellen bewerkstelligt, indem die Bienen die Wachsscheibchen zwischen den Ringeln des Hinterleibes hervorziehen, sie mit den Kiefern zuschneiden, modeln und so die Zellen gleichsam um ihren Körper formen. Eine heimkehrende Laufmagd verdrängt die andere; die Höschen, welche sie mitbringen, werden ihnen von den zu Hause sitzenden Wartfrauen und Ammen abgenommen, verkaut, verschluckt, und kurze Zeit nach dem Genusse haben auch diese die Fähigkeit, Wachs zu erzeugen und zu bauen. Alle Bienen sind gleichmäßig Meister in der Kunst des Zellenbaues, jede nachfolgende kann unmittelbar das Geschäft der abgehenden fortsetzen. Die Schablonen des konstitutionellen Systemes sind so entsetzlich kahl und leer, daß sogar ein Bienenverstand sie mit Leichtigkeit fassen, behalten, ergänzen, anpassen kann! Jede Zelle hat ihren angewiesenen Platz, ihren genau zugemessenen Raum, ihre bestimmte Gestalt und Größe – die Arbeiterzellen sind die kleinsten, – die Zellen des bevorzugten Adelstandes etwas größer – die königlichen Paläste bedürfen so viel Wachs, als zu 150 Arbeiterzellen nöthig ist. Die Orte, wo Arbeiterzellen, Honigzellen, Blumenstaubzellen und Drohnenzellen angelegt werden, sind ebenfalls nach den Schablonen genau bestimmt. Glückliches Bienenvolk, wie weit bist du dem Menschengeschlecht voraus! Wir zanken und streiten, verwunden und tödten uns um Verfassungsformen, um staatliche Systeme; – du hast deine unwandelbaren Formen, deine stehenden Schablonen, nach welchen du seit Jahrtausenden, Zelle für Zelle, Wabe für Wabe, deine Staaten, deine Kolonien baust. Nur unsere Professoren haben sich auf gleiche Stufe mit dem Insekte erheben können – auch sie hatten ihre pergamentenen Schablonen, nach welchen sie, Paragraph für Paragraph, Artikel für Artikel, das deutsche Reich aufbauen wollten, und wenn Einer von ihnen aus der „geistigen Werkstätte des Verfassungsausschusses“ etwa ausfiel, so konnte der Nachfolger unmittelbar in dem Geschäfte des Vorgängers fortfahren, ohne daß der Paragraph dadurch im mindesten litt – er hatte ja die Schablone ebenso gut im Kopfe als sein Vortreter im Amte. Armseliges Menschenvolk, warum nimmst du die Schablonen deiner Professoren nicht unmittelbar an, und erhitzest dich über Formen, die das Wesen dennoch nur mittelbar berühren!

Die Drohnen nehmen an diesem emsigen Bau der konstitutionellen Bienenzellen keinen Antheil. Spät gegen die Mittagszeit fliegen sie aus, summen um Blumen und Blüthen und kehren gesättigt früh wieder heim, während die rastlosen Proletarier mit dem ersten Sonnenstrahle aus dem Flugloche schlüpfen und öfter sechs- bis achtmal in einem Tage mit frischen Höschen und gefüllter Honigblase nach Hause eilen. Was kümmert auch den Freiherrn, die Drohne die Arbeit? Seine Rente sichert ihm die Natur, seine Stellung die Gunst der Monarchie, der verdummte Arbeiter baut für ihn, als ob es so sein müßte, pflegt im Frohndienste seiner Jungen, wartet seiner Familie – was kümmert ihn die Arbeit? Er sorgt nur für die Erhaltung seiner Privilegien und seines Standes. Zu diesem Ende spricht zuweilen eine Drohne vor den Arbeitern mit tiefem, im Baßtone vorgebrachten Flügelsummen von der herrlichen Frucht der konstitutionellen Freiheit, von dem beseligenden Gefühl, in der wahren Freiheit zu leben. „Ich habe stets Farbe gehalten,“ versichert der freiherrliche Pair seinen Zuhörern, „ich habe stets die wahre Freiheit gewollt, ich habe ihr Opfer zu bringen gewußt, obgleich ich stets Drohne geblieben bin. Ich verbinde die Treue zum Fürsten mit der Liebe zum Vaterlande, mit der Liebe zur Freiheit! Ich habe das letzte Schwärmen unseres Stockes zwar benutzt, um mich zum Favoriten unserer Königin aufzuschwingen und die geheimsten Geschäfte Ihrer Majestät zu übernehmen – aber ich habe dennoch die Revolution stets verabscheut und nur in so ferne gebilligt, als sie meine Renten um 2000 Höschen monatlich vermehrte, welche ich mit Appetit verzehrt und zur Verbesserung meiner liegenden Gründe verwendet habe, die stark verschuldet waren, durch die Opfer, welche ich dem Volke brachte. Ich halte die Monarchie für die beste Staatsform, weil sie mir meine Stellung, meine Renten sichert; ich könnte zwar auch in der Republik leben, aber es wäre mir unangenehm. Wir haben aber jetzt eine treffliche monarchische Konstitution, wir werden fest daran halten, fest, ewig! Als Biene, als Drohne, als Mann, als Freiherr schwöre ich, für diese Konstitution Gut und Blut zu lassen, und ihr wißt, ich halte mein Wort! Auf meinen Verstand, liebe Freunde, bilde ich mir nicht viel ein – es ist nur ein gewöhnlicher Drohnenverstand – aber auf meinen Charakter – ja! Gut und Blut für unsere Verfassung, für die wahre Freiheit!“

Die übrigen Drohnen summen Beifall, die Proletarier sind meist still bei solchen Vorträgen. Man hat beobachtet, daß die Drohnen, welche solche Reden halten, später zuerst den Stock verlassen und mit irgend einer andern Gebieterin einen neuen konstitutionellen Staat bilden – in der figürlichen Drohnensprache heißt „Festhalten an einer Verfassung“ soviel, als sie bei der ersten Schwierigkeit verlassen. Auch sonst ist das Wörterbuch der Drohnen sehr sonderbar. So bezeichnen sie im Bienenstaate mit dem Ausdrucke „wahre Freiheit“ die Sklaverei der Proletarier und die Kriecherei der Drohnen. Vom Leben der Drohnen aber kann man noch Folgendes sagen. Faul und träge schlafen sie noch lange, während die emsigen Arbeiter schon auf den Feldern einsammeln. Dann stehen sie auf und begeben sich an Hof, um der Königin ihre Cour zu machen. Sie kennen die Fürstin, sie lieben sie sogar – ja meist hat die Königin sogar einen oder den andern Favoriten, mit welchem die Liebe nicht auf dem platonischen Standpunkte stehen geblieben ist. Wahrhaft erniedrigend ist das Schauspiel, welches eine solche Cour darbietet. Im Getümmel, der Königin nahe zu kommen, stürzen die Drohnen übereinander her, eine stößt die andere weg, – tief gebückt, dienstbeflissen, mit Kratzfüßen und Bücklingen, mit gebogenem Hinterleibe, ausgestreckten Flügeln und gesenkten Fühlhörnern stehen sie da, den Wink der Herrscherin zu erwarten. Jedem Schritte folgen sie, einander überkletternd; die näheren Hofdiener drängen sich dicht heran, lecken die Königin mit der rüsselförmigen Zunge, putzen ihr die Borsten und Haare, die Flügel und Beine. Und während sie diese niedrigen Lakaiendienste verrichten, schauen diese Drohnen mit Stolz und Verachtung auf den Plebs des armen Bienenvolkes herab, der emsig bauend und zutragend nicht nur für sich, sondern auch für dies fette Hofgeschmeiß im Schweiße den Honig einträgt! Gebückt gegen oben, gesteift gegen unten, das ist der Wahlspruch dieser konstitutionellen Bienenpairs. Aber die Rache bereitet sich vor. Dumpf brummt und summt es bisweilen unter den Proletariern; hie und da sammeln sich Gruppen, und ehe die faulen Drohnen die Wolke sehen, entladet sich das Gewitter auf ihre Häupter!

Sobald die ersten Waben im Stocke angelegt, die ersten Zellen gebaut sind, beginnt die Königin ihr eigentliches Geschäft. Sie zeigt sich nun als Landesmutter, als wahrer alleiniger Kollektivbegriff des ganzen Volkes. Ich sagte schon oben, daß sie in Wahrheit jener herrlichen Definition des Monarchen durch den berühmten Philosophen und Rechtsgelehrten Keller aus Zürich entspricht, wonach der König eigentlich das verkörperte Volk, das Volk aber nur der zerstreute, in unendliche Individuen aufgelöste Monarch ist. Das Heer von Individuen mit ihren Einzelwillen läßt sich selten in Uebereinstimmung bringen, aber diese Einzelwillen concentriren sich in dem Gesammtwillen des Herrschers und werden so in einen einzigen Kopf zusammengezogen. Heil diesem einzig wahren, konstitutionellen Gedanken, den Keller sicherlich dem Bienenstaate entnommen hat. Recht muß doch Recht bleiben, sagt Vincke; – Wahrheit muß doch Wahrheit sein. Aber was ist Wahrheit? fragte Pilatus. Im Bienenstaate ist konstitutionelle Wahrheit! Die Bienenkönigin ist in Wahrheit der Inbegriff des ganzen Volkes, denn sie trägt es mit sich im Leibe herum! Sie allein legt die Eier, aus denen das ganze Volk, später Königinnen, Drohnen und Arbeiterbienen entstehen. Der wahre Beruf der konstitutionellen Königin ist, wie schon Ruge es so wahr hervorhob, Nachfolger zu erzeugen, und wir sehen, daß die hohen Herrscherinnen solcher Länder, welche ein wahrhaft konstitutionelles Regiment haben, wie England und Portugal, sich auch in der That dieser Regentenpflicht in erfreulichem Grade befleißigen. Das hohe Urbild freilich, welches in der konstitutionellen Bienenkönigin aufgestellt ist, können diese Herrscherinnen, die dem unfruchtbaren Menschengeschlechte angehören, trotz allen Eifers nicht erreichen. Die Bienenkönigin legt bis 200 Eier im Tage – in anderthalb bis zwei Monaten zuweilen selbst bis 12,000 Eier! Welche Perspektive für Englands Größe und staatliche Entwicklung, wenn die konstitutionelle Viktoria sich diesem erhabenen Vorbilde auch nur einigermaßen nähern könnte! Aber auch welche Gefahr für Prinz Albert! Die Bienenkönigin hat sechshundert Drohnen, Viktoria nur einen Albert!

Die Neugierde der Naturforscher ist selbst bis in die tiefsten Geheimnisse des königlichen Familienlebens gedrungen. In den Morgenstunden, wo die faulen Drohnen noch schlafen, die fleißigen Arbeiter schon theils ausgeflogen, theils mit Fütterung der Jungen beschäftigt sind, erhebt sich die Königin, um für das Glück ihres Volkes, für die Vermehrung desselben zu sorgen. Ein Dutzend Hebammen etwa, aus den Arbeiterinnen genommen, begleiten sie, indem sie die hohe Herrscherin von allen Seiten umgeben. Voll Ehrfurcht wendet ihr jede Biene den Kopf mit gesenkten Fühlhörnern zu, die vor ihr stehenden gehen rückwärts. Die Ammen an den Kinderwaben halten, wenn die Königin naht, in ihrem Geschäft ein wenig ein, grüßen sie mit gesenkten Fühlhörnern und freudigem Summen der Flügel. (Hier wende ich mich erröthend ab und lasse den alten Oken erzählen.) „Die Königin geht gravitätisch über die offenen Zellen hin und steckt, sobald ihr eine leere Zelle angedeutet wird, zuerst bedächtig den Kopf hinein, um sich von der richtigen Konstruktion derselben zu überzeugen. Jetzt dreht sie sich um; – bedeutungsvoll summen die Hebammen und drängen sich dicht an die Herrscherin, sie in diesem entscheidenden, hehren Augenblicke den Blicken der Menge zu entziehen. Die Glasscheibe, durch welche vielleicht das lüsterne Auge des Naturforschers schaut, wird augenblicklich von den Bienen verdeckt, oder, wenn sie hell bleibt, so läßt die Königin ab und zieht sich, verschämt, in ihrem innersten, weiblichen Sinne beleidigt, zurück, ohne das Ei zu legen. Wird sie aber nicht gestört, so streckt sie den Hinterleib[5] tief in die Zelle, und im nächsten Augenblicke hängt an dem Grunde derselben ein längliches weißes Eichen, welches, mit dem einen Ende angeklebt, mit dem andern frei in der Luft schwebt.“

So legt die Königin vielleicht fünf Eier, dann ruht sie ein halbes Viertelstündchen aus, um Wochenbette zu halten. Die Hebammen umgeben sie mit der größten Sorgfalt; sie bürsten den hohen Leib mit ihren Fußbürstchen, klopfen sanft auf Kopf und Brust mit ihren Fühlhörnern, reinigen mit ihren Füßen die Flügel der Monarchin, lecken ihren ganzen Körper mit der Zunge und bieten ihr auf der zierlich gebogenen Rüsselspitze ein Tröpfchen Honig dar, welches sie schlürfend verzehrt. Ein freudiges Summen tönt dabei durch den ganzen Stock. Offenbar werden die Bülletin’s über das Befinden der hohen Wöchnerin durch die telegraphische Flügelsprache, welche die Bienen seit uralter Zeit besitzen, in kürzester Zeit dem ganzen Stocke mitgetheilt und erregen freudige Begeisterung. „Ihre Majestät haben so eben 5 Proletarier-Eier zur Welt zu bringen geruht. Die hohe Wöchnerin fühlt sich auffallend wohl; – Sie haben so eben mehrere Tropfen Honig zu sich genommen und scheinen disponirt zu sein, sogleich ihren hohen Regentenpflichten noch weiter obzuliegen. Die neugelegten Eier lassen durch ihre Gesundheit ein langes Leben voraussetzen. Der Himmel segne unsere vielgeliebte Königin, die auf’s Neue ihr treues Volk beglückt hat.“

„Die Oberhebamme der Königin.“     

Diese Bülletins, täglich am Morgen von Viertelstunde zu Viertelstunde wiederholt, geben zugleich den Ammen und Wartfrauen die Richtung der Thätigkeit an, welche sie zu entfalten haben. Anfangs legt die Königin nur Arbeiter-Eier, oft so schnell, daß die Maurer nicht Zeit finden, die Zellen zu vollenden und nur immer neue Zellen beginnen, um dem Drange ihrer Herrscherin nach Volksbeglückung so entsprechen zu können.

Drei Tage nach dem Legen des Eis schlüpft aus demselben ein kleines weißliches wurmartiges Wesen, mit einem harten, gelblichen Kopf, aber ohne Füße. Nackt und hülflos, wie der Mensch, kommt die Biene auf die Welt – die mütterliche Sorgfalt ersetzt beiden die fehlenden Eigenschaften. Das arme Würmchen, welches meistens im Halbkreise gebogen in seiner Zelle liegt und nur zuweilen, wenn es Hunger fühlt, seine harten Freßspitzen an dem Wachse reibt, wird der Gegenstand der zärtlichsten Aufmerksamkeit von Seite der Arbeiterinnen. Sie putzen und reinigen es, suchen ihm die Einsamkeit in der Zelle durch anmuthiges Summen zu erheitern und füttern es beständig mit einer Art Kindsbrei, welchen sie aus Honig und Blumenstaub zusammenkneten und mit der Spitze des Rüssels dem Kleinen eingeben. Die Einrichtung der ganzen Abwartung ist ähnlich wie in Findelhäusern oder in Kleinkinderkrippen. Von Bettchen zu Bettchen, von Zelle zu Zelle wandeln die sorgsamen Wartfrauen, bieten den Kleinen Nahrung, streicheln sie mit den Fühlhörnern, liebkosen sie mit den weichen Freßspitzen. Die Würmchen wachsen und gedeihen und selten nur sieht man, bei so sorgsamer Pflege, Krankheiten unter ihnen ausbrechen. Freilich erhalten sie doch nur Proletarierbrei, bei dessen Genuß sich nicht alle Organe gleichmäßig entwickeln können!

Die Drohnen bekümmern sich nicht um die Kleinen; – sie kennen die Sorge für die Familie nicht. Unter sich sprechen sie zwar viel von ihren Wappenschildern, ihren Ahnen, ihren Stammbäumen und fast sollte man glauben, hier, in diesen bevorzugten Ständen, sei die größte Kindesliebe, die zärtlichste Aufopferung für die Nachkommen. Ein großer Irrthum! In den Kreisen der Proletarier, wo der tägliche Honig mit harter Arbeit, mit Mühe und Noth herbeigeschafft wird, wo in schlechten Jahren oft Tagelang die Armen nicht ausfliegen können, um Honig und Blüthenstaub für die Jungen zu sammeln, wo die Arbeiter von dem eigenen Munde weg die spärliche Nahrung sich abbrechen müssen, um die saugenden Würmchen zu nähren, die sie daheim in ihren leeren Zellen haben – in diesen untersten Schichten der Gesellschaft herrscht jene aufopfernde Kindesliebe, die wir bewundern und ehren müssen. Nicht nur ihre eigenen Nachkommen, nein, auch die jungen Drohnen und die jungen Königinnen werden von diesen armen Arbeitern gepflegt, genährt, beherbergt und erzogen, so lange sie noch in Wurmgestalt sich befinden. Sie sind eben so zärtlich für diese, wie für jene; ja ihre Sorgfalt geht sogar so weit, daß sie der aristokratischen Natur dieser Bevorrechteten Rechnung tragen und ihnen einen besonders zubereiteten Kindsbrei geben, welcher feiner, besser geknetet und aus aromatischen Substanzen zusammengesetzt ist. So opfert die Grasmücke in ihrer Dummheit ihre eigenen Kinder, um den Kukuk zu nähren, dessen Ei durch fremde Bosheit ihr in’s Nest gelegt wurde – so vernachlässigen die Arbeiterinnen im Bienenstocke ihre eigene Nachkommenschaft, um ihre letzte und größte Sorgfalt einer bevorzugten Aristokratie und einer königlichen Familie zu widmen! Sie scheinen nicht zu wissen, daß auch in ihren nackten Würmchen der Stoff zu Königinnen liegt; daß auch ihre Kinder Herrscherinnen werden können, wenn sie königlich genährt und gepflegt werden – sie scheinen dieß nicht zu wissen oder vergessen zu haben, bis die Zeiten der Noth ihnen in das Gedächtniß zurückrufen, daß auch aus dem Volke Träger der Kronen hervorgehen können.

Die Würmchen der Arbeiterinnen werden auf diese Weise fünf Tage, die der Drohnen einige Tage länger gefüttert. Dann schließen die Wartfrauen die Zellen. Von feinem Wachse legen sie einen Ring nach dem andern um die Oeffnung, bis endlich nur noch ein feines Löchlein bleibt, das mit einem Wachskorne geschlossen wird. Der Wurm im Inneren spinnt sich nun aus feinen Seidenfäden ein Gehäuse – eine Arbeit, zu welcher er, bei seiner Unbehülflichkeit, drei Tagen bedarf. Endlich ist er fertig und zur Puppe geworden, die am bestimmten Tage sich öffnet. Die Biene zerreißt dann mit ihren Kiefern das Gespinnst, in welches sie eingeschlossen ist, nagt den Wachsdeckel ab, sprengt ihn mit dem Kopfe und erscheint als vollkommenes Insekt in ganzer Gestalt und Größe, als Arbeiter, Drohne oder Königin.

Die Entwicklung der Drohnen dauert, vom Augenblicke an, wo das Ei gelegt wurde, bis zum Momente des Ausschlüpfens, vier und zwanzig Tage; diejenige einer Arbeiterin zwanzig, die einer Königin nur sechszehn Tage. Eine merkwürdige Thatsache! Also auch hier in dem Thierreiche, haben die Glieder der königlichen Familie das Privilegium, früher als ihre Thiergenossen großjährig und regierungsfähig zu werden. Zur Erziehung eines armen Proletariers, der freilich lernen muß Honig und Blüthenstaub zu sammeln, Waben zu bauen, Junge zu pflegen, zur Heranbildung eines solchen gehorchenden, unterthänigen, armen Schluckers bedarf es einer längeren Erziehung, als für das Haupt des Staates, dem die schweren Regierungssorgen obliegen. Haben die Menschen es den Bienen abgelernt? Die Bauern und Tagelöhner, die Handwerker und Künstler werden erst mit vier und zwanzig Jahren großjährig und selbstständig – aber den Sprossen der hohen Herrscherfamilien, den Blutjungen und Thronfolgern, denen bringt schon das achtzehnte Jahr die Fähigkeit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für Millionen Unterthanen zu sorgen. Die Behauptung, daß diese Befähigung mit der größeren geistigen Entwicklung den bevorzugten Familien verbunden sei, dürfte um so weniger Stich halten, als die tägliche Erfahrung im Bienenstaate und selbst in der menschlichen Gesellschaft entschieden dagegen spricht. Bei den Bienen wenigstens ist die Herrscherin, wie wir sehen werden, allergeringstens eben so dumm und bornirt, als die Drohnen, und bei Weitem weniger geistig entwickelt, als die Arbeiter – nichtsdestoweniger ist sie früher zum Herrschen tüchtig, als der Arbeiter zum Arbeiten. Sollte ein gewisses Maaß von Dummheit zum Regieren der Bienen nöthig sein? – Für die menschliche Gesellschaft das Gleiche nachzuweisen, dürfte in den gegenwärtigen Zeiten, wo wieder Kollektivbeleidigungen sämmtlicher regierenden Majestäten von den Gerichten geahndet werden, und wo jeder Zweifel an der hohen geistigen Vollkommenheit eines Herrschenden oder der Herrschenden überhaupt als solche Kollektivbeleidigung gelten könnte, eine unthunliche Sache sein – auch gehört dieß nicht in den Bereich unserer Forschung. Was gehen uns die Menschen und ihre herrschenden Majestäten an? Sie haben lange genug zum Gegenstand unserer zoologischen Forschungen in Frankfurt gedient – heute haben wir es nur mit den Bienen zu thun.

Die Erklärung dieser Eigenthümlichkeit, daß die Dummheit regiert, findet sich vielleicht in dem konstitutionellen Systeme der Bienen, dessen Schablonen so ausgebildet, dessen Paragraphenzellen so stabil sind, daß die ganze Staatsmaschine sich gleichsam von selbst regiert. Die Bienenkönigin kann keine Regierungshandlungen ausüben – sie ist auch bornirt genug in ihrem Gehirne, eine solche Ausübung gar nicht zu wollen. Sie will nicht regieren – sie will nur Herrscherin sein. Darauf richtet sie ihr alleiniges Streben, und gerade deßhalb wird sie geachtet und verehrt. Die Biene ist frei, sie gehorcht nur dem Gesetze, nicht ihrer Königin. Sie verehrt diese als Inbegriff, als verkörperte Spitze des Staates – aber sie nimmt durchaus keine Befehle von ihr an und ihre Person ist ihr vollkommen gleichgültig. Die Bienen, erzogen im konstitutionellen Prinzip, erwachsen in seiner Anwendung, haben die Abstraktion zwischen der Person der Königin und dem Prinzip der Herrscherin zur Vollendung und höchsten Ausbildung gebracht. Ohne Königin zerfällt ihr Staat, sie zerstreuen sich in Anarchie und individueller Wühlerei – im Uebrigen aber ist es ihnen vollkommen gleichgültig, ob ein Ei, ein Wurm, eine Puppe oder ein vollkommenes Insekt Vertreter und Inhaber des monarchischen Prinzipes ist. Man nehme den Bienen ihre Königin und gebe ihnen eine andere – der Personenwechsel wird ohne die mindeste Notiznahme im Stocke vor sich gehen und die verwechselte konstitutionelle Herrscherin wird dieselbe Verehrung finden. Selbst der Tod der Königin wirkt nicht auf den Staat, so lange Eier oder Puppen von Königinnen vorhanden sind. Bei den Bienen kann also die konstitutionelle Regierung durch ein bewegungsloses, unvernünftiges, nach außen hin todes Ei, durch einen königlichen Wurm oder eine in steten Schlaf versunkene Puppe geübt werden. Die geistigen Fähigkeiten des Herrschenden sind nur ein Hinderniß für das konstitutionelle Räderwerk des Thierstaates – je unfähiger, geistloser, dümmer die Verkörperung des regierenden Prinzipes ist, desto vortrefflicher bewegt sich der konstitutionelle Staat in seinen gesetzlichen Schranken. In diesem Verhältnisse liegt denn auch ohne Zweifel der Grund der so frühen Großjährigkeit der Bienenkönigin. Sie bedarf nur einer gewissen körperlichen Entwicklung, um Kinder zeugen zu können – ihre geistigen Fähigkeiten sind für den Staat vollkommen gleichgültig.

Als die Belgier sich einen König geben wollten, schrieb Nathusius an Cokerill den Rath, sie möchten sich einen von Eisen gießen – der thue ihnen vollkommen dieselben Dienste, koste keinen Unterhalt und könne umgegossen werden, wenn er ihnen nicht mehr gefiele. England wurde groß unter der Herrschaft eines Blödsinnigen, eines Trunkenbolds und eines Narren. Die thierische Natur reflectirt sich oft in der menschlichen! Ein Lichtstrahl! Sollte die Geistesfülle der regierenden Häupter die ersehnte Verwirklichung des konstitutionellen Prinzips in Deutschland aufhalten? Mir schwindelt! – Sollte ein Gegensatz bestehen müssen zwischen Regierenden und Ministern? Die geistig verkümmerten Könige Englands hatten große Minister, umgekehrt hatten oft geistvolle Könige dumme Minister – ein entsetzliches, weltgeschichtliches Räthsel scheint sich zu lösen – ich denke an den Erzherzog und Gagern, an den Kaiser Franz Joseph und Schmerling, an Ludwig Napoleon und Odilon Barrot, an den König von Preußen und Manteuffel – Dahlmann hilf!

In früheren Zeiten waren in Deutschland die Stände eben so geschieden, wie in dem konstitutionellen Bienenstaate. Die Universitäten hatten damals den Brauch, daß ein Adeliger seine Matrikel, seine Honorare, sein Doktordiplom doppelt so theuer bezahlen mußte, als ein bürgerlicher. Die nivellirende Zeit hat diesen Unterschied weggeschwemmt; nur die Georgia Augusta, deren hannöver’scher Zopf unverändert durch Jahrhunderte hindurch in die neue Zeit hineinstarrt, hat ihn vielleicht beibehalten. Ich habe oft über den Grund dieser doppelten, dem Adel auferlegten Wissenschaftssteuer nachgedacht, ohne ihn entdecken zu können. Der Adel war ein bevorzugter Stand – aber nirgends bezahlte er diesen Vorzug – der Vorzug bestand im Gegentheil darin, daß er nicht bezahlte. Er war ja frei von Grundsteuern und Gemeindelasten; er zahlte da nicht, wo der Bürgerliche zahlen mußte. Warum hatte er auf den Universitäten das zweifelhafte Vorrecht, doppelt bezahlen zu müssen! War es die Ehre, die er bezahlte? Aber worin bestand die Ehre des Adels? Ebenfalls darin, nicht zu bezahlen, wo er hätte bezahlen müssen. Waren seine Güter nicht durch Fideikommisse und Majorate dem gewöhnlichen Schuldverfahren entzogen? Bestand die Ehre des Adels nicht in leichtsinnigem Schuldenmachen, Prellen des Bürgers, bestand die der Ahnen nicht in Wegelagerei, Stegreifritterschaft und Plünderung der bürgerlichen Kaufleute? Waren nicht eine Menge Ausnahmsgesetze für den Adel vorhanden, die ihn im Nichtzahlen schützten? Er bezahlte also die Ehre nicht – seine Ehre bestand im Nichtzahlen. Vielleicht aber war es eine progressive Wissenschaftssteuer, auf den Reichthum des Adels gegründet? Wenn ich aber dann wieder die Tausende von Adeligen mir vor die Augen brachte, welche nur des Königs Rock vor dem Hunger schützt, wenn ich erwog, daß meist nur ein falscher Flitterglanz das Elend und die Lumperei mit geringfügiger Hülle deckte, so konnte ich nicht glauben, daß die weisen Männer der Universitäten der Armuth eine doppelte Steuer auflegen sollten.

Der Bienenstaat hat meine Zweifel gelöst. Die adeligen Drohnen sind die unnützesten Geschöpfe im Staate. Ohne Arbeitskraft, ohne geistige Fähigkeit sind sie nur eine bevorzugte Bürde der Gesellschaft. Aber die geistige und körperliche Trägheit liegt so tief in ihrer Natur begründet, daß selbst ihre Jungen eine weit längere Zeit zur Ausbildung bedürfen, als die Arbeiter. Eine Proletarierbiene geht nach zwanzig Tagen aus der Zelle hervor, geschickt zu jeglicher Arbeit, brauchbar zu jedem Geschäft im Staate; eine adelige Drohne bedarf vier und zwanzig Tage, um arbeitsunfähig, ohne Talent, ohne Wissen, nur mit glatten Beinen und dickem Leibe in der Gesellschaft zu erscheinen. Um eine adelig geborene Biene nur zu dem Stadium zu bringen, daß sie mit Anstand, wenn auch mit leerem Kopfe und ungeübten Armen, auf der Weltbühne erscheinen könne, bedarf es also sichtlich schon längerer Erziehung, größerer Anstrengung von Seite der Erziehenden. Ist es ein Wunder, wenn die Professoren, die weisen Bildner der Jugend, sich diese doppelte Anstrengung auch mit doppelten Louisd’oren bezahlen ließen?

Die Königin eines neuen Staates legt anfangs nur Arbeiter-Eier, so daß die Volkszahl stets zunimmt und neue Kräfte dem Stocke zugeführt werden. Später bauen die Arbeiter größere Zellen, die indessen ganz die Form der Arbeiterzellen haben. In dieser wachsen die Würmer der Drohnen auf, deren Eier nach den Arbeitereiern gelegt werden. Endlich bauen die Arbeiter an unbestimmten Stellen ungeheure, flaschenähnliche Zellen mit engem Halse, deren Oeffnung nach unten schaut und die bald, wie Tropfsteine, unten an den Waben hängen, bald auch auf die Vorrathszellen aufgeklebt sind. Diese Zellen sind die Brutstätten der Königinnen, deren höchstens 12–20 ausgebrütet werden. Die Königliche Made hängt in diesen Zellen mit dem Kopfe nach unten und wird, wie die Drohnen, mit einem ganz besondern Kindsbrei gefüttert.

Die tiefere Einsicht in das konstitutionelle Staatsleben der Bienen wird uns besonders durch die genauere Betrachtung des Lebens der Königin selbst geboten, da diese ja der verkörperte Inbegriff des Volkes ist. Wir werden sehen, daß sie zugleich den Gegensatz zu diesem Volke bildet, und daß durch die Eigenschaften, welche der Krone inhäriren und deßhalb bei jeder Kronenträgerin hervortreten, die Prärogative der Krone sowohl, wie die Berechtigung des Volkes in das genaueste Gleichgewicht gebracht sind. So besitzt die Königin das absolute Veto, welches sie indessen den Drohnen gegenüber niemals, den Arbeitern gegenüber nur manchmal und zwar besonders bei Gründung einer neuen Staatskolonie geltend macht. Im Uebrigen ist das absolute Veto durchaus obsolet geworden, da bei den revolutionären Gelegenheiten, von welchen wir am Schlusse reden werden, die Bienen stets die weise Vorsicht gebrauchen, sich zuerst der Königin zu versichern und dann erst über ihre aristokratischen Gegner herzufallen. Die Arbeiterbienen sind in solchen Fällen weder einfältig noch gutmüthig genug, ihre Herrscherin ausfliegen zu lassen, – sie wissen, daß unmittelbar an der Gränze sie Umtriebe anzetteln, die weniger Festen allmälich an sich heranziehen, durch alle Mittel der Korruption und der Intrigue die Revolution schwächen und am Ende vielleicht gar durch fremde Hülfe sie besiegen würde. Die Bienen stürzen sich demnach bei Revolutionen zuerst auf die Königin und versichern sich ihrer Person – sie wünschen ihr weder glückliche Reise, noch befördern sie ihr Fortkommen – sie halten diesen Inhaber der Krone fest, um später, nach vollendeter Revolution, über sein Schicksal zu entscheiden. So handelten die Bienen schon lange vor dem Jahre 1789!

Den Prärogativen der Krone stehen gegenüber die Rechte des Volkes. Die französische Monarchie war vor der Revolution Absolutismus, gemildert durch Spottlieder; die russische ist noch gegenwärtig Despotie, gemildert durch Verschwörungen und Meuchelmord; man könnte vielleicht die Bienenmonarchie auch eine Autokratie nennen, gemildert durch socialistische Kommunaleinrichtungen und mangelhaftes Volksbewußtsein. Die heimkehrende Biene bietet ihren Genossen den Ueberfluß ihres Honigs, ihrer Höschen an – für sich nimmt sie nur, was sie zur Stillung ihres Hungers braucht – alles Uebrige liefert sie in die Staatsmagazine und Vorrathskammern ab.

Hier zeigt sich also ein gewisses socialistisches Element, welches sogar bis zum Kommunismus sich steigert. In der That sind trotz der monarchischen Spitze des Staates, trotz der Existenz eines bevorzugten Standes, die Verhältnisse der Arbeiterbienen rein auf den Kommunismus begründet und einzig in und durch diesen zu erklären. Dieser Kommunismus geht in der Arbeiterklasse bis zur gänzlichen Aufhebung des Eigenthums, ja selbst der Familie; keine Arbeiterin hat eine eigene Wohnung – sie zieht sich in die Zelle zurück, welche sie gerade findet, oder schläft meistens, wie die Leibeigenen der russischen Großen, mit ihren Genossen in den Gängen und vor den Thürschwellen der königlichen Paläste. Die Kinder werden nicht in der Familie, sondern gemeinschaftlich in den Waben ernährt und erzogen – jede Wartfrau füttert so viele, als sie kann, ohne besondere Zuneigung zu diesem oder jenem Würmchen zu zeigen. Privateigenthum existirt nicht; den Ueberfluß an Honig, an Blumenstaub liefert die Biene in die gemeinschaftlichen Staatsmagazine ab, von welchen in Hungerzeiten, im Winter der Unterhalt der Kolonie bestritten wird. Aber nur die Arbeiter haben ein Anrecht auf diese Magazine, welche sie selbst füllten, die Drohnen sind von dem Genusse derselben ausgeschlossen, und ihre gewaltsamen Versuche, sich auch dieser letzten Hülfsquelle der Arbeiter zu bemächtigen, rufen die blutigsten Revolutionen hervor.

Die Existenz socialer Einrichtungen, welche bis zu den weitesten Gränzen des Kommunismus sich erstrecken, ist demnach mit der konstitutionell-monarchischen Staatsform vollkommen vereinbar. Warum also dieser Zorn gegen den Socialismus, ihr Konstitutionellen? Er hat durchaus keinen haltbaren Grund. Man könnte auch den Bienenstaat eine social-demokratische Monarchie mit erblichen Kasten-Einrichtungen nennen, wenn man nicht fürchten müßte, das konstitutionelle Staatsbewußtsein der besten Männer Deutschlands dadurch auf das Tiefste zu erschüttern. Unsern Staatsweisen ist schon die Existenz einer demokratischen Monarchie mit allgemeinem Stimmrecht unbegreiflich – sie verlangen einen gewissen Census, Garantien gewisser Rechte dem Volke gegenüber, gezwungene Anleihen, gesetzlichen Steuerzwang, Beschränkung der Preßfreiheit, des Vereinsrechts, Garantie des Eigenthums und des Erbrechtes – wie sollten sie gar eine kommunistische Monarchie ohne eigentliche starke Regierung mit steter Selbstbetheiligung und freiwilliger Selbstbesteuerung des Bürgers begreifen? Schonen wir darum das Bewußtsein der besten Männer, der Edlen, welche berufen sind, durch ihr konstitutionelles System das deutsche Volk zu retten und das Reich deutscher Nation wieder herzustellen. Sie könnten irre werden an sich selbst – sie könnten die bodenlose Leere ihres konstitutionellen Hirnkastens in schauderhafter Nacktheit erblicken – sie könnten sogar, nach dem Prinzip, daß die Pflicht nicht weiter gehe als die Möglichkeit, den hellen Schmuck der Volksvertretung, das unabwendbare Steuerverweigerungsrecht gegenüber drängender Nothwendigkeit, aufgeben – und wie sollte, nach solcher Erkenntniß, das deutsche Volk gerettet werden? Die besten Männer sind das Salz Deutschlands – womit aber soll man salzen, wenn das Salz dumm geworden ist?

Nein, nein, sagt ihnen nichts vom Bienenstaate, nichts von der kommunistischen Basis dieser thierischen Monarchie! Sie sollen’s nicht erfahren – sie sollen ihr Ideal ihres konstitutionellen Staates behalten und unverzerrt, unbeirrt von Camphausen’schen und Schwerin’schen Vermittlungsvorschlägen, es tragen in ihrem Herzen; – sie sollen glauben, daß dieses System, wie sie es in ihrem souveränen, volksbeglückenden Unterthanen-Verstande ausgebrütet haben, das einzig mögliche, einzig begreifliche sei! Ich mache mir Vorwürfe, diese Resultate meiner Studien veröffentlicht zu haben – wenn sie nur beitragen könnten, einen einzigen Edlen in seiner rechten Ueberzeugung wankend zu machen, ihn abzulenken von dem Glauben an Manteufels aufrichtigen Konstitutionalismus und an den aufrichtigen Willen der preußischen Krone, ein ächt konstitutionelles Staatsleben für das engere Vaterland, den engeren Bund und selbst den weiteren Bund einzuführen – mein Gemüth ertrüge den nagenden Vorwurf eines solchen Verbrechens an der Menschheit und dem heiligen Geiste des Konstitutionalismus nicht!

So einfach, wie das Steuersystem der Bienen, ist auch die übrige Staatseinrichtung. Die Einnahmen bestehen, wie schon bemerkt, nur aus freiwilligen Steuerbeträgen, die jeder Arbeiter nach seinem Einkommen abschätzt. Die Adligen tragen zu den Lasten des Staates nichts bei – sie zahlen keine Steuern – sie haben aber auch kein Recht auf die Magazine des Staates oder auf besoldete Staatsämter. Sie leben und wohnen im Staate, aber um ihre Einkünfte, um ihr sonstiges Treiben bekümmert sich der Staat weder, noch sucht er sie für nicht geleistete Dienste durch fette Aemter zu entschädigen. Der Adlige ist durch seinen Stand, durch seine Nichttheilnahme an den Staatslasten von allen materiellen Staatsunterstützungen durchaus ausgeschlossen. Er genießt den Schutz der Gesetze, ist in der Garantie der allgemeinen Sicherheit mit inbegriffen, bewohnt die von den Arbeitern für ihn aufgeführten Gebäude, aber weitere Staatsbeiträge aus den Vorrathskammern werden ihm unter keinen Umständen gewährt.

Das Staatsbudget ist in der einfachsten Weise geregelt. Die fressende Wunde der heutigen Staaten, das stehende Heer, existirt nicht in der Bienenmonarchie. Der einfache Thierverstand begreift nicht, wie man eine Menge unnützer Lungerer auf Staatskosten ernähren könne, die zur Arbeit nicht beitragen und nur Verzehrer sind. Jeder Proletarier ist bewaffnet, jeder ist mit der Führung seiner Waffe vertraut – die Sicherheit des Staates ist der Gemeinschaft der Bürger anvertraut. Wehe aber auch der Wespe, der Hornisse, dem Bienenkukuke, die sich bis in einen Stock wagen sollten! Hunderte stürzen auf den frechen Feind und durchbohren ihn mit ihren Stacheln, und sollte ihnen auch der Stich den Tod bringen, die tapfern Arbeiter vertheidigen sich bis auf den letzten Mann! So ist für die Sicherheit nach Außen, wie für die Ruhe im Inneren gesorgt. Jene herrlichen Scenen der modernen Kultur, die aus dem Säbelregiment der Ruhe und Ordnung hervorgegangen sind, kennt die Geschichte der Bienenmonarchie nicht. Man weiß dort nichts von Ueberfällen friedlicher Bürger durch bewaffnete Soldaten, nichts von Demolirungen einzelner Wirthshäuser und Gasthöfe durch wüthende Rotten trunkener Säbelraßler, nichts von Belagerungsständen und ähnlichen modernen Gemeindeordnungen unter dem Gesetze der Kugeln und dem Schutze der Bajonette. Der Arbeiter trägt im Bienenstaate seine Waffe und weiß sie zu gebrauchen zum Schutz gegen Feinde – er verbirgt sie im friedlichen Haushalte. Die Garantie des Fortbestandes im konstitutionellen Bienenstaate liegt wesentlich mit darin, daß dem monarchischen Princip, daß der Krone keine unbedingt zum Gehorsam verpflichtete, bewaffnete Macht zu Gebote steht, mit welcher sie die Freiheit des Volkes unterdrücken könnte, unter dem Vorwande, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.

Die beiden Hauptansätze des Budgets beziehen sich auf die Erziehung und auf den Hof, sowie auf die Unterstützung der Bürger in Zeiten der Noth. Weitere Bedürfnisse kennt der Staat nicht. Die Polizei wird von den Bürgern selbst geübt, die Sicherheit gegen Außen ist den bewaffneten Bürgern anvertraut, die Verwaltung in so einfacher Weise geregelt, daß sie nur unbesoldete Ehrenämter begreift.

Polizeiknüppel sind freilich die Bürger geworden. Es existirt noch, als Zeichen einer wenig fortgeschrittenen Zeit, jene Abgeschlossenheit wie in dem Mittelalter, wo jeder von einer Mauer umgebene Maulwurfshügel gegen den Nachbar sich abschloß und ihn befehdete. Daß sie gegen äußere Feinde mit Energie verfahren, die Gränze ihres Flugloches auf’s Aeußerste vertheidigen und nicht erlahmen im Kampfe um die Unabhängigkeit ihres Staates, ist bei den Bienen gewiß nur zu loben, – daß aber diese Abgeschlossenheit auch so weit geht, mit Bissen und Stichen ihre verirrten Brüder zu empfangen und Bienen aus andern Staaten nicht einmal zum Besuche zuzulassen, dieß gehört zu jenen Sonderbarkeiten, welche die fortschreitende Civilisation noch nicht hat verbannen können. Sobald ein neuer Schwarm den alten Stock verlassen hat, um eine Kolonie zu gründen, so wird offenbar die Parole geändert – die Wächterinnen am Flugloche des alten Stockes empfangen den etwa zurückkehrenden Kolonisten mit Bissen und Stichen und erkennen ihn nicht mehr für den ihrigen an.

So findet jener egoistische Partikularismus, der das Unglück der Volker bildet, schon in der Bienenwelt seine Begründung, vielleicht gar seine Berechtigung. Er beruht auf keinem sichtbaren Grunde – der Bienennachbar ist eben so konstitutionell geboren, erzogen und gesinnt, als derjenige, welcher ihn mit Stichen von der Staatsgrenze zurückjagt; – mit derselben dummen, entsagenden Treue würde er, nach dem Beispiel der Deutschen Zeitung, der Monarchie dienen, der er sich unterordnen will, und nicht einmal einen Flüster- oder Summverein zu Fortsetzung zahmer Opposition bilden; er würde in dem neuen Staate dieselben engen konstitutionellen Zellen, dieselben Schablonen, denselben Staatsmechanismus finden und ihm unbedingt zuschwören – aber nichts desto weniger weist der Nachbar ihn zurück. Vielleicht nur aus dem Grunde, weil er grüne, der andere gelbe Höschen trägt, weil er beim Gruße das linke Fühlhorn senkt, während der andere das rechte beugt – wer will dieß untersuchen? Geht es ja bei den Menschen gerade so, und ist doch besonders Deutschland der Boden, wo sich diese Aermlichkeiten, die man Stammes-Eigenthümlichkeiten zu nennen beliebte, so recht breit machen. Wie Bienen aus verschiedenen Stöcken feinden sie sich darum an, weil der eine einen schwarzgelb geringelten Haselstock, der andere eine schwarzweiß gebänderte Peitsche küssen muß, weil der eine eine weißrothe, der andere eine grünweiße Kokarde auf dem Hute tragen darf! Haben sie nicht überall die gleiche Misere, die gleiche Erbärmlichkeit zu tragen und darunter zu leiden?

Bei den Bienen gibt es ein Mittel, diese Stammesfeindschaft zu tilgen. Es ist das Wasser. Um zwei Stöcke mit einander zu vereinigen, wirft man ihre Bewohner in das Wasser. Sie werden bewußtlos – man fischt die Scheintodten auf und legt sie an die Sonne. Allmälich wachen sie aus der Betäubung auf. Sie schütteln sich, regen Flügel und Füße, strecken sich, wie wenn sie aus einem langen Schlafe erwachten, und suchen dann die scheintodten Kameraden durch Bürsten und Lecken aufzuwecken. Nach diesem gemeinschaftlichen Unglücke ist alle „Stammes-Eigenthümlichkeit“ vergessen, die feindlichen Brüder sind versöhnt, beide Theile beziehen denselben Stock und leben friedlich mit einander.

Muß bei dem deutschen Volke ebenso, wie bei den Bienen, erst das Wasser dazwischentreten, um es von seinen Stammes-Eigenthümlichkeiten, jener Erfindung nichtswürdiger Heuchler, zu erlösen und die einzelnen Stöcke zusammenzuschmelzen? Ist es denn ein unabänderliches Gesetz für die Deutschen, daß sie erst das große Wasser passirt haben müssen, um drüben, in einem andern Welttheile, sich als Deutsche, nicht aber als Schwaben oder Franken zu fühlen? – Fast will es so scheinen!

Ich vergaß aber dennoch eines wichtigen Momentes zu erwähnen. Das Wasserbad ist auch bei den Bienen unwirksam, sobald man die Königinnen beider Stöcke am Leben läßt. Zwar das Arbeitervolk vereinigt sich brüderlich – aber der Haß der beiden Herrscherinnen bricht unmittelbar nach dem Beziehen des neuen Staates in hellen Flammen aus. Für jede Königin nimmt ein Schwarm Partei – die schwächere Anzahl wird aus dem Stocke vertrieben und die alte Feindschaft nur um so grimmiger fortgesetzt. Nicht also in den Bienen selbst, nein, in den Dynastieen derselben lebt der Haß der Nachbarn, die Verfolgungssucht; durch sie werden die Stammesfeindschaften künstlich genährt, gehegt, gepflegt und gesteigert.

O mein deutsches Vaterland, wie sehr gleichst du den Bienenstaaten!

Herrlich ist die ausgiebige Sorgfalt, womit für die Jugend und für die darbenden Bürger gesorgt wird. Hier ist dem Staate kein Opfer zu groß, kein Honig zu süß, daß er ihn nicht in reichem Maße hingeben sollte. Die Erzieher der Jugend, die Wartfrauen, welche daheim die Kleinen warten, werden genährt von den Laufmägden und den eintragenden Arbeitern – ihre Stellung ist eine vollkommen unabhängige, sorgenfreie, dem hohen Berufe, dem sie obliegen, durchaus angemessene. Denn die Bienen betrachten eine tüchtige, sorgfältige Erziehung der Jugend als die heiligste Pflicht des Staates, ja selbst als den ersten Zweck seiner Existenz, und sie ehren und belohnen die Jugendlehrer nach dem Maße ihrer Einsicht. Das Amt der Wartfrau, der erziehenden Arbeiterbienen ist ihnen ein geheiligtes, ehrenvolles – denn auf der gehörigen Erfüllung dieses Amtes beruht für sie die Zukunft des Staates, die ungehemmte Entwicklung seiner Geschichte.

Bei den Menschen möchte es noch lange dauern, bis gleiche Verhältnisse eintreten. Nur einzelne Republiken, in welchen fluchwürdiger Weise durch die Radikalen aller Boden unterwühlt ist, sind so unverständig gewesen, dem Bienenvolke nachzuahmen und den größten Antheil ihrer Einnahmen auf die Erziehung der Jugend zu verwenden, während die Monarchien, den Bienen entgegengesetzt, kaum den zehnten Theil dessen, was das stehende Heer kostet, für die Erziehung der Jugend aufbieten. Freilich ist dann auch das Resultat darnach! In den Republiken (vor welchen der Himmel Deutschland bewahren möge,) herrscht Ordnung und Gesetz, in den Monarchien Säbel und Standrecht; in den Republiken lebt der Schullehrer zufrieden, in den Monarchieen verhungert er; in den Republiken gebietet der Wille des Volkes, in den Monarchieen die Willkür der Regierung. Jeder aber sieht ein, daß das Letztere das Vorzüglichere sei, da nicht Alle gleichmäßig befähigt sind, das Wohl des Staates zu begreifen und zu fördern. Bei so vielem souveränem Unverstande, der sogar jetzt noch durch unbegreifliche Thaten der Opposition sich kund gibt, thun erleuchtete Regierungen noth, welche unbeirrt von der Volksmeinung ihren eigenen Weg gehen. Wer begreift nicht, daß Deutschland unrettbar verloren wäre, wenn es anders würde? Der Bienenstaat ist nicht maßgebend für die menschliche konstitutionelle Monarchie – lassen wir dem zweibeinigen Herren der Schöpfung seine Eigenthümlichkeit!

Lassen wir ihm die hungernden Invaliden der Arbeit, das Elend seiner Brüder, für die er kein Mitleiden kennt, lassen wir ihm seine schlesischen Weber, seine irischen Kartoffelesser und seine algierischen Kolonisten, lassen wir ihm als Eigenthümlichkeit die Tausende von Armen, die jährlich auf offenen Straßen verhungern, während ihre Mitmenschen bei geschlossenen Thüren schwelgen. Bei den Bienen keine Erscheinung dieser Art. Die Vorrathskammern des Staates sind für Jeden geöffnet, der Hunger hat; – jeder Arbeiter theilt dem andern brüderlich mit, und so lange noch Einer im ganzen Staate ist, der etwas besitzt, so lange besitzen Alle noch. Freilich gibt es Jahre, wo die Vorrathskammern nur schlecht gefüllt werden konnten und wo Hungersnoth einbricht – dann aber sind ihr auch Alle in gleichem Maße unterworfen, und wenn nicht Hülfe eintritt, so erliegt das ganze Volk dem großen gemeinsamen Unglücke. Wenn so die Hand des Geschickes sich schwer auf einen Bienenstaat senkt, so duldet darunter die ganze Gemeinschaft – die Leiden des Einzelnen unter Hunger und Durst, Noth und Elend kennt der Bienenarbeiter nicht – denn alle seine Brüder beeilen sich, dem Darbenden mitzutheilen, alle Honigzellen öffnen für ihn ihre Schätze, sobald er krank oder arbeitsuntauglich ist. – Wir reden hier nicht von den Drohnen – der bevorzugte Stand kommt bei solchen Gelegenheiten nicht in Betracht – denn er existirt dann nicht mehr. Die Bienen, wohl wissend, daß in den Pairs kein Herz für die Leiden der Proletarier schlägt, daß sie nur für sich leben und die Armen nicht unterstützen wollen, vernichten den ganzen bevorzugten Stand, sobald solche Gefahr für den Staat eintritt.

Nach dem Bienenstaat schaut, ihr Konstitutionellen, wenn Ihr wissen wollt, auf welche Grundlage man eine Monarchie dauernd stellen kann – dorthin schaut, wenn Ihr erfahren wollt, wie es möglich sei, den monarchischen Sinn so fest in einer jeden Brust zu pflanzen, wie in den Adern des Herrn Welcker. Baut Eure konstitutionelle Monarchie auf das Wohlbehagen der Arbeiter, auf die Garantie ihrer Arbeit, auf die Sicherheit ihres Alters, auf die Unmöglichkeit, Hunger und Kummer zu leiden. Zeigt ihnen, daß sie in Eurer konstitutionellen Monarchie Gelegenheit zur Arbeit, Gelegenheit zum Erwerb finden, daß die Einkünfte des Staates, welche sie doch herbeischafften, auch für sie verwendet, zur Besserung ihrer Lage benutzt werden, zeigt ihnen, daß in Eurer konstitutionellen Monarchie ihre Kinder gut erzogen, zur Arbeit tüchtig gemacht werden, daß kein Faullenzer und Nichtsthuer, kein stehendes Heer und kein überflüssiger Beamtenschwarm die Staatseinkünfte verzehrt, während der fleißige Arbeiter darbt – zeigt Euren Arbeitern, Euren Proletariern solche Aussichten – sie werden durch und durch, bis auf’s letzte Fäserchen Monarchisten werden und mit Freuden, wie die Bienen, die Erstlinge ihrer Arbeit der herrschenden Person darbieten und deren segensreichen Einfluß ehren. Aber so lange Ihr nur schwatzen könnt von Einheit, Macht, Größe, Ruhe, Ordnung, starker Regierung, und statt Wohlthaten nur Worte, statt Brodes nur Steine bietet – so lange wird der Monarchismus nicht erstarken in den Herzen und Adern Eurer Mitmenschen. – Gehet hin und lernet am Bienenstaat!

Die letzte, allgemeine Ausgabe ist für die Königin. Die Bienen sind indessen nicht der Ansicht, daß die Würde der Herrschenden in genauem Verhältnisse zu dem Gelde stehe, welches sie verzehren, und noch viel weniger gehen sie so weit, ein Zehntel oder gar ein Drittel sämmtlicher Staats-Einkünfte dem Hofe zur Disposition zu stellen. Die Gaben für die Königin sind freiwillig – auf der Spitze des Rüssels bieten ihr die heimkehrenden Bienen das beste Tröpfchen Honig an, welches sie draußen sammelten. Die Gaben der Königin sind also im Verhältniß zu der Liebe, zu der Ehrfurcht, zu der Hingebung, die für sie gehegt werden; – nur unter der Bedingung, daß sie solche Gefühle jedem Unterthan einflöße, ist überhaupt die Existenz der Königin möglich. Laßt sehen, ihr Konstitutionellen, deren Körper von monarchischen Adern durchwoben ist, laßt sehen, ob Eure Liebe zum monarchischen Prinzip eben so aufopferungsfähig ist, als diejenige der Bienen. Streicht die Civillisten, die Apanagen, die Domanialeinkünfte aus dem Staatsbudget, und laßt Eure geliebte Herrscherfamile von den freiwilligen Beiträgen leben, welche die Liebe der konstitutionell-monarchischen Vereine und der Gutgesinnten im Lande ihnen entgegen bringt. Jede Behauptung ist ihrer Probe werth – die Liebe bestätigt sich durch Opfer. Ihr behauptet, der monarchische Sinn sei tief im Volke gegründet, es liebe seine Fürsten, es hänge an ihnen mit wahrer Herzensneigung – laßt doch sehen, ob diese Liebe auch so groß ist, daß sie Opfer hervorrufen würde?

Doch ich kehre zu dem Leben der Königin zurück. So lange sie allein im Stocke ist, widmet sie sich ganz der Sorge des Staates, legt ihre Eier, unterhält sich mit den Drohnen, kurz ist das herrlichste, gemüthlichste, gutmüthigste, weiblichste Wesen unter der Sonne. Geliebt und geachtet von ihren Unterthanen, gefolgt von ihrer Sorgfalt und Anhänglichkeit, verlebt sie glückliche Tage inmitten eines treuen Volkes, das sich in jeder Weise bestrebt, sie zu erheitern und ihr dienstbar zu sein. Man kann sie ohne Gefahr zwischen die Finger nehmen, auf der Hand herumlaufen lassen, sie streicheln und packen – man hat keinen Stich zu fürchten. So gutmüthig ist die Herrscherin, daß die Alten ihr sogar zum Theil den Stachel absprachen – einige Schriftsteller behaupteten selbst, es sei des Königs unwürdig, die Waffe zu tragen und selbst den Scharfrichter zu machen. Aber dieß sanfte, gutmüthige, scheinbar nur von Liebe zu seinen Unterthanen erfüllte Geschöpf hat eine entsetzliche Leidenschaft, welche sie zu den gräßlichsten Verbrechen hinreißt und mit zerstörendem Gifte das Innere dieser schönen Seele verwüstet. In den Ausbrüchen dieser Leidenschaft scheut sie keine Familienbande, keine äußeren Verhältnisse; – mit giftigem Stachel greift sie Eltern, Geschwister und Kinder an, um sie ihrer Raserei zu opfern. Die Herrschsucht bringt diese schauderhafte Veränderung hervor, wandelt den Engel in ein teuflisches Wesen. Einzig und allein zu herrschen ist das Ziel ihres Strebens, ihrer Wünsche, und um zu diesem Ziele zu gelangen, scheut sie keine List, kein Verbrechen.

Die Königin legt, wie wir schon oben bemerkten, zuerst nur Eier von Arbeitern in großer Menge, dann von Drohnen, endlich von jungen Königinnen, die nur in geringer Zahl sind. Sobald diese dem Zeitpunkte ihrer Reife sich nähern, so bemerkt man eine große Lebendigkeit in dem Bienenstaate. Schaaren von Arbeitern wimmeln in der Nähe der Königszellen, bedecken sie mit ihren Leibern, halten sie warm und scheinen durch schärferes Summen der eingeschlossenen Puppe Lieder von ihrer künftigen Größe vorzusingen. Besonders die jüngeren, kaum ausgeschlüpften, noch schwachen und zur Arbeit weniger geeigneten Arbeiterbienen sitzen in dicken Haufen in der Nähe der Königszellen, während die älteren Staatsbürger oft außen vor dem Flugloche sich anhängen und Volksversammlung halten. Die Erfahrenen wissen, was die Geburt einer Königin zu bedeuten hat. Sie berathen, was sie thun sollen. Bleiben und Partei nehmen in dem jetzigen Streite um den Thron, der sich zwischen den beiden Nebenbuhlerinnen entspinnen wird? Und gegen wen Partei nehmen? Gegen die ältere Königin, der sie so treu anhingen, die sie noch jetzt, trotz ihrer Fehler, lieben und ehren? Oder gegen die jüngere Königin, welche sie selbst erzogen, gewartet, gepflegt haben? Sollen sie kämpfen mit ihren jüngeren Geschwistern, deren Jugend sie leiteten? Sollen Tausende geopfert werden, um des Besitzes eines Thrones willen? Das sind die Fragen, über welche die vor dem Flugloche hängenden älteren Bürger berathen, während die jüngeren drinnen neugierig auf den Königszellen sitzen und dem Augenblicke entgegen harren, wo die eingeschlossene Puppe ihre Hülse sprengt, um als Gebieterin hervorzutreten.

Endlich enscheint der ersehnte Augenblick. Eine der jungen Königinnen nagt mit ihren Kiefern ein Loch in den Deckel ihrer Zelle. Der Flügeltelegraph der Bienen kündigt sogleich durch gehobenes Summen das Ereigniß bis in die entferntesten Winkel. Die Königin-Mutter, gefolgt von ihren Dienern und Drohnen, naht sich der Zelle, von welcher das Summen ausgeht. Kommt sie, ihr Kind zu begrüßen? Nein! Sie naht in feindlicher Absicht, im lebhaftesten Zorne, mit allen Anzeichen der Wuth. Die jungen Arbeiter, welche die Zelle der Neugeborenen decken, werfen sich dazwischen; die Einen stopfen die Löcher zu, welche die junge Königin bricht, um sie vor dem Zorne ihrer Mutter zu schützen; die Anderen stellen sich dieser entgegen, hindern sie, vorzudringen und schützen mit ihren Leibern das Kind gegen die eigene Mutter. Zuweilen dringt diese wirklich bis zur Zelle vor und senkt unerbittlich ihren Stachel in dieselbe, um die Eingeschlossene, deren Ringel noch weich sind, zu tödten. Meist aber gelingt es der Aufopferung der jungen Bienen, sie fern zu halten. Endlich steht die Megäre von ihrem Beginnen ab. In ungeheurer Aufregung läuft sie auf dem Boden des Stockes hin und her. Nichts kann sie besänftigen; – die Schmeicheleien der Diener weißt sie zurück, den dargebotenen Honig verschmäht sie. Endlich eilt sie hinaus zu ihren Getreuen. Diese haben ihre Berathung geschlossen. „Königin,“ rufen sie, „wir sind kräftig, geübt in der Arbeit, treu dir ergeben. Aber wir kämpfen nicht um den Besitz des Stockes, über den die junge Königin herrschen mag. Sollen wir die Kinder, die wir verpflegt und genährt haben, die Arbeiterinnen, die kaum ausgeschlüpft und noch schwach sind, erwürgen und tödten um dynastischer Interessen willen? So dumm ist keine verständige Biene! Lassen wir ihnen die gefüllten Vorrathskammern, die kunstreichen Waben – alls Gut dieser Erde kann das Bienenblut nicht aufwiegen, welches um leerer dynastischer Streitigkeiten wegen vergossen wird. Laß dich erweichen, Königin! Auf! Das Wetter ist schön, der Sommer liegt vor uns. Gründen wir eine neue Colonie, einen neuen Staat, und überlassen wir es den Jungen, den ihrigen einzurichten.“ Die Königin gibt nach langem Sträuben endlich diesen vernünftigen Vorschlägen nach. Summend und sausend erhebt sich der Schwarm der Getreuen in die Lüfte, um ein neues Vaterland zu suchen, und dort auf’s Neue einen Staat zu gründen. Die Kindesliebe, welche in der Brust der Proletarier wohnt, scheut kein Opfer – ihr Genügen ist, die Nachkommen glücklich zu sehen!

Während so der Schwarm der Auswanderer, meist aus alten Arbeitern und Drohnen bestehend, den Stock verläßt, entwindet sich die junge Königin ihrer dunklen Kammer. Die Bienen, welche sie gegen die Wuth ihrer Mutter schützten, huldigen ihr. Aber der erste Gedanke, der die Neugeborene erfüllt, ist die Befestigung ihrer Herrschaft. Mit geflügelter Eile läuft sie nach den Zellen, in welchen ihre Geschwister im Puppenzustande der Erlösung entgegen harren. Erschreckt weichen ihr die wachehabenden Arbeiter aus. Sie aber stürzt sich auf die Zelle, stellt sich auf den Deckel und durchbohrt diesen und den Kopf der Schwester, welche dahinter liegt, mit giftigem Stachel. Nicht eine von ihnen verschont sie – alle müssen ihrer Wuth, ihrer Eifersucht erliegen. Das Entsetzen über diese Greuel lähmt die Arbeiter, welche sich in dem Staate befinden. Traurig lassen sie die Flügel hängen, mit gesenkten Fühlhörnern stehen sie umher – keine wagt ein Wort oder ein leichtes Summen. Langsam öffnen sie die Zellen, in welchen, oft noch im letzten Zucken des Todes, die getroffenen jungen Königinnen liegen. Wimmernd umstehen sie die Leichen – da stürzt die rachelustige Königin noch einmal hervor, und läßt noch einmal, als wäre es an einem Todesstreiche nicht genug, ihre Wuth an der todten Schwester aus. Die Leiche wird hinausgeschleift, vor das Flugloch geworfen, ohne Summen und Brummen, ohne Feierlichkeit. Mit innerlicher Erbitterung stürzen sich die Arbeiter auf die leeren Königszellen, die sie mit ihren Kiefern zerstören. Bis auf den tiefsten Grund vertilgen sie die letzte Spur der Gebäude, in welchen solche Gräuel vorgehen konnten. Die Königin aber herrscht jetzt unumschränkt und dasselbe Volk, welches kaum noch seinen Abscheu vor dem Verbrechen kund that, küßt unmittelbar nachher die Füße der Schwestermörderin, füttert sie aus dem eigenen Munde, und ehrt und liebt sie als Herrscherin!

Zuweilen begegnet es auch, daß mehrere Königinnen zu gleicher Zeit ihre Zellen verlassen, und daß die telegraphische Summdepeschen einander kreuzen. Die alte Königin steht dann von ihren Versuchen des Kindermordes ab – sie entflieht sogleich mit ihren Getreuen, um einen neuen Staat zu bilden. Die Zurückgebliebenen aber schaaren sich um die Königinnen und marschiren im Stocke selbst gegen einander. Die Heerhaufen nähern sich von beiden Seiten, sie erreichen sich – werden sie einander anfallen und sich eine mörderische Schlacht liefern? Bei den Menschen würde es so sein. Tausende von Tapferen würden in den Tod gehen und ihr Blut vergießen, um der Herrschaft eines Einzigen willen. Die Bienen sind klüger – was kümmert sie in ihrem konstitutionellen Staate, ob ein Hohenzoller oder ein Habsburger es ist, der die Zügel der Regierung in Händen hat? Mögen sich die ehrgeizigen Bewerber im Einzelkampfe schlagen und tödten, um die Throne zu erringen – sie schauen in Frieden zu, und stellen sich ruhig unter die Herrschaft des Obsiegenden. Der Kampf um den Thron ist nur ein Zweikampf der Prätendenten – wie viel Blut wäre der überall mit Leichen gedüngten Erde entzogen worden, wenn das so kluge, so weise, so vollkommen sich dünkende Menschengeschlecht diesen einfachen Grundsatz angenommen hätte! Die beiden Bewerberinnen um den Thron gehen mit fürchterlicher Zorneswuth gegen einander, während die Arbeiter von beiden Seiten mit verschränkten Vorderbeinen zuschauen. Die Kämpfenden packen sich mit ihren Kiefern am Hals, am Kopf, an den Beinen; sie schlagen mit den Flügeln, um den Gegner zu betäuben, rennen mit den Köpfen an einander, umfassen sich mit den Füßen, und suchen beständig mit dem Giftstachel zu stechen. Sie zielen nach den Zwischenräumen der Panzerringe aus Hornsubstanz, mit welchen Brust und Bauch belegt sind, nach dem Halse, nach dem Stiele zwischen Brust und Hinterleib. Endlich trifft ein solcher Dolchstich; der Stachel fährt zwischen den Ringen durch in das Innere – die Getroffene taumelt zurück, sinkt zusammen, zuckt noch ein paar Mal und schließt dann ihre Augen für immer.

Mit unendlichem Stolze naht die Siegerin der Leiche und verhöhnt dieselbe, vergessend, daß es die Schwester ist, welche todt zu Boden gestreckt liegt von ihrer eigenen, fluchwürdigen Waffe. Sie gibt ihr noch einige Fußtritte, stößt sie weg, um sich zu überzeugen, daß sie auch wirklich todt sei. Dann nimmt sie die Huldigungen der Arbeiter entgegen, die indessen, in diesem Augenblicke, noch sehr gering sind. Kaum daß hier oder da ein Arbeiter sich findet, der ihr einigen Honig anbieten möchte – die einfachen Proletarier haben noch immer das schreckliche Bild des Zweikampfs vor Augen, und können sich nicht entschließen, eine Königin zu verehren, welche ihre Geschwister aus Herrschsucht gemordet hat.

Um so eifriger zeigen sich die Drohnen in ihren Bemühungen um die junge Königin. So träge und faul sonst diese Vertreter der Nichtverpflichtung zur Arbeit sind, um so beschäftigter erscheinen sie, der definitiven Herrscherin sich vorzustellen und ihr den Hof zu machen. Vorhin hielten sie klug sich zurück und warteten, wem die Krone zufallen würde. Jetzt umgeben sie die Siegerin von allen Seiten mit höfischem Flügelsummen, lecken ihr Rücken, Kopf und Füße, bürsten ihre Flügel und Fühlhörner, unterhalten sich mit ihr in der sympathetischen Fühlhornsprache – kurz, sie sind wie umgewandelt in ihren Eigenschaften. Die Königin empfängt diese Huldigungen mit Gelassenheit, anfangs selbst abstoßend. Allmälich aber wird sie lebhafter – ihre Zeichensprache wird gefühlvoller – sie gibt den Vorstellungen der Hofschranzen nach. Ein Hoffest wird angeordnet. Man will die Blumenbeete, die Parks, die stillen Waldwiesen besuchen, wo die Drohnen ihre liegenden Güter haben, und die fleißigen Arbeiter ihre Honiggärten. Beim ersten Sonnenblick eines schönen heißen Tages werden die Drohnen durch lebhaftes Summen zusammengerufen. Die Königin, strahlend in Anmuth und jungfräulicher Schönheit, stellt sich an die Spitze ihres Hofgesindes. Die geputzten Drohnen folgen ihr – kein Arbeiter darf sie begleiten. So verläßt die Gesellschaft den Stock, sammelt sich noch vor dem Flugloche, und schwirrt dann in fröhlicher Ausgelassenheit in die blaue Luft, hoch hinauf, bis das Auge des Beobachters sie in der Ferne verliert.

Was bei solchen Festlichkeiten geschehen mag, ist noch unentdeckt. Die Vergnügungen der Bienenhofes sind in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt, welches nur die Folgen einigermaßen aufzuklären vermögen. Der Hirschpark zu Versailles war nicht verschwiegener, als die stillen Blumen-Lusthäuser der Drohnen. Aber eine Viktoria findet immer ihren Prinzen Albert und – ich bemerkte es schon früher – das absolute Veto ist bei der Bienenkönigin durchaus obsolet und seit Jahrhunderten nicht angewandt worden. Ist die Wollust nicht die Schwester der Grausamkeit? Hat man nicht gefunden, daß die grausamsten, blutdürstigsten Geschöpfe zugleich unersättlich in niederer Gier sind? Und ein weibliches Wesen, das alle sanfteren Gefühle so sehr in seinem Inneren erstickt hat, daß es seine eigenen Geschwister mit kalter Grausamkeit erdolcht, sollte dieß nicht auch ein Ungeheuer in sittlicher Verkommenheit sein? … Wir schweigen, denn die Trophäen, welche die Königin manchmal von ihrem Ausfluge heimbringt, können als eine grausame Potenzirung des Thurmes von Nesle angesehen werden.

Genug, die Königin kehrt nach einigen Stunden abgeflogen, müde, bestäubt und oft sogar beschmutzt wieder heim, gefolgt von ihren Drohnen, welche flügellahm und ermattet scheinen. Jetzt aber wird sie mit wahrem Jubel von den Arbeitern empfangen. Sie drängen sich so dicht um sie, daß sie im Eifer sogar über sie hinweg schreiten, oder unter ihr durchkriechen; im Triumph wird sie im Stocke herumgetragen, beleckt, gebürstet, geliebkost, gefüttert, gehätschelt – wie nur eine Geliebte von einer Biene könnte behandelt werden. Die telegraphische Kunde: „Ihre Majestät haben geruht sich zu vermählen“ läuft mit Windeseile durch den Stock, und bald sieht man überall nur Arbeiter, welche sich den lebhaftesten Freudenbezeugungen hingeben. Die Art und Weise, wie sie dieß thun, ist freilich sonderbar. Mit den sechs Füßen klammern sie sich fest an den Boden, stecken den Kopf zwischen die Vorderfüße und heben den Hinterleib senkrecht in die Höhe, indem sie den Stachel herausstrecken und in feinem Tone mit den Flügeln summen. So wandelt die Königin durch Spaliere von Arbeitern, die das Bajonnet präsentiren, bis zu ihrer Zelle.

Sonderbar! die so monarchische Biene schätzt nur eine Herrscherin, welche ihrem Berufe, Kinder zu zeugen, auch nachkommen kann. So lange die Königin ihre Brautfahrt noch nicht gemacht hat, bekümmern sich die Arbeiter fast nicht um sie – nach dieser Brautfahrt aber ist sie Gegenstand der Verehrung des ganzen Volkes. Denn nun ist sie auch wirklich die Verkörperung des ganzen Volkes, dessen Zukunft sie in ihrem Innern birgt. Was ist auch ein Herrscher ohne Kinder für das konstitutionelle System anders, als eine Anomalie, ein konkreter Gegensatz? Das konstitutionelle System kennt keine Persönlichkeit des Herrschers – die bestimmende Person des Absolutismus ist in ihm zu einem durchaus willenlosen, unvernünftigen Gedankenwesen abgeschwächt, das nur als Spitze des Systemes, nicht als Person einen Werth hat. Wäre diese Spitze ewig, der konstitutionelle Staat würde sie unwandelbar behalten – da sie aber in ein sterbliches Wesen gleichsam gesteckt ist, so findet dieses nur dann Geltung, wenn es sich in Nachkommen fortpflanzen kann. Die Bienen sind konsequente Konstitutionelle – sie achten eine unfruchtbare monarchische Spitze nicht, verlassen sie, den Stock, den Staat und zerstreuen sich, während eine fruchtbare, unendliche Nachkommenschaft zeugende Spitze auch um so mehr in ihrer Verehrung und Achtung steigt. Welche tief begründete, feine, ja selbst poetisch-idealistische Auffassung des konstitutionellen Systems von Seite einfacher, tief unter dem Menschengeschlecht an Vollkommenheit stehender Insekten! Wann wird bei uns gleiche Klarheit im Verständniß staatlicher Begriffe herrschen? Gütige Vorsehung, verleihe uns noch viele oktroyirte Wahlgesetze und konstitutionell-monarchische Kammern, noch viele königliche Botschaften und ächt biedersinnige konstitutionelle Turniere um erbliche Pärie, Staatsgerichtshöfe, Steuerverweigerung und ähnliche unschätzbare Errungenschaften der deutschen Märzrevolution, damit die Professoren des Staatsrechts, die heiligen Dahlmann, Waitz, Beseler, Gagern, Camphausen, Simson ihre allein seligmachenden Begriffe des konstitutionellen Systems dem durch Radikale und Wühler bethörten Volke klar machen mögen! Zwar wäre es vermessen, zu behaupten, daß auch diese ehrwürdigen Gelehrten immer in ihren konstitutionellen Ab- und Aussichten die Zeugungsfähigkeit in erster Linie berücksichtigt hätten – aber – –

Man sieht aus dem Vorhergehenden, daß die konstitutionelle Bienenmonarchie auf die weibliche direkte Erbfolge gegründet ist. Das Prinzip der Sicherheit und der reinen Erhaltung des Stammes wiegt bei den Bienen vor, und da es im konstitutionellen Systeme vollkommen gleich ist, ob ein Mann, ein Weib, ein Greis oder ein Kind, ein Blödsinniger (nur kein aufgeweckter Kopf!) an der Spitze des Staates steht, so haben die Bienen die weibliche Erbfolge als die sicherste und direkteste gewählt. Der Vater der Geschichte bemerkt schon sehr witzig und scharfsinnig von einem Volke in Kleinasien, das seine Stammbäume nach den Müttern aufstellte, daß hier gewiß weit weniger Gelegenheit, besonders zu unwissentlichen Irrthümern vorliege, als bei der griechischen männlichen Stammbaumfolge. Die Bienen waren so klug wie Herodot – sie wußten, daß der Stamm nur in weiblicher Erbfolge ganz rein erhalten werden könne. Um den King-consort bekümmern sie sich durchaus nicht – es ist ihnen völlig gleichgültig, ob er Prinz Albert, Serrano oder Munoz heißt – sie betrachten dieß als reine Privatsache der Königin und gehen sogar so weit in ihrer abstrakten Unterscheidung, daß er nicht einmal offiziell bekannt wird, und daß sie über seinen manchmal höchst grausamen Tod nicht einmal sprechen. Aber sie vermeiden durch ihr besonnenes Verhalten das Verderben der Raçe, was sonst bei Herrscherfamilien so gewöhnlich ist. Jede Königin gleicht der andern bis in die kleinsten Familienzüge – man sieht nicht jene disparaten Bildungen, die in manchen Herrscherfamilien so sonderbar auffallen – es ist noch nie vorgekommen, daß die eine Königin blondes Haar, blaue Augen, feinen weißen Teint, hohen Wuchs, große Füße; die andere schwarzes Haar, schwarze Augen, braunen Teint, kleinen Wuchs und kleine Füße gehabt hätte. Freilich haben auch die Väter stets gleichen Wuchs und Haarfarbe.

Es gibt Fälle, wo die Familie ausstirbt. Die Erben in Seitenlinien, die nachgeborenen, werden ja alle unbarmherzig ermordet – die Zukunft der Monarchie steht meistens nur auf zwei Augen. Zwar verläßt die verheirathete Königin, welche jetzt sich alle Mühe gibt, die Erinnerung an ihre Unthaten durch Sanftmuth, Güte und Wohlwollen zu verwischen, den Stock nimmer, oder nur in dem Falle, wenn sie ihren Kindern den Thron übergeben muß. Aber dennoch kommt es nicht selten vor, daß sie stirbt oder auf gewaltsame Weise im Kampfe gegen fremde Eindringlinge umkommt. Hinterläßt die gestorbene Königin Eier, Würmer oder Puppen von Königinnen, so hat ihr Tod auf den Staat nicht den mindesten Einfluß. Die Arbeiten gehen ruhig fort in gewohnter Weise, keine Aenderung läßt sich spüren, nicht einmal eine Regentschaft wird eingesetzt. Die laufenden Geschäfte werden wie bisher besorgt und die erste Prinzessin, welche die Zelle verläßt, als Königin begrüßt.

Anders aber verhält es sich, wenn die Gestorbene keine direkte Nachkommenschaft hinterläßt, wenn sie z. B. in der Periode starb, in welcher sie Arbeitereier legte. Die Krone sinkt dann an die Volkssouveränität zurück – die Arbeiter disponiren aus freier Wahl über sie. Zu der Höhe republikanischer Ideen können sich auch in solchen Fällen die Bienen-Proletarier nicht aufschwingen – ihr Gehirn sondert nur monarchische Gedanken ab – ihre Organisation macht es ihnen unmöglich, sich von dem konstitutionellen Systeme zu entfernen[6]. Vielleicht auch werden sie von irgend einer altersschwach gewordenen Biene überredet, daß eine Königin die beste Republik sei. Sie wählen eine neue Königin. Aber sie sind weit entfernt, zu glauben, daß nothwendig ein Prinz das monarchische Prinzip repräsentiren müsse. Sie wählen keinen Sprossen eines bisher absoluten Hauses – weder aus dem Grunde weil, noch obgleich er ein Fürst ist – sie wissen nur zu wohl, daß der absolut gewesene Fürst nie aufrichtig konstitutionell werden kann, und daß der Konstitutionalismus übel verwahrt ist, wenn er in früher absolute Hände gelegt wird. Sie wissen, daß ein so abstraktes, unnatürliches Wesen, wie der konstitutionelle Herrscher, von Jugend auf in eigener Weise erzogen sein muß, wenn er anders im Sinne des Systemes regieren soll. Deßhalb wählen, wenn keine Kronerben vorhanden sind, die Bienen aus ihren Proletarierjungen einige aus, die zum Regieren erzogen werden.

Eine ungeheure Geschäftigkeit zeigt sich dann unter dem Bienenvolke. Die Einen reißen in der Nachbarschaft einer Zelle, in welcher ein Ei oder eine zweitägige Arbeiterlarve liegt (später ist die Umwandlung unmöglich) die übrigen Zellen ein und vergrößern diejenige, worin das ausersehene Ei liegt. Andere tragen Wachs, Andere königliches Futter herbei. In größter Eile werden so mehrere königliche Zellen errichtet, die Würmer hineingeschafft, mit königlichem Futter gespeist und sorgsam gepflegt, bis sie eingesponnen sind. Die veränderte Nahrung, die umgekehrte Lage mit dem Kopfe nach unten, während die Arbeiter horizontal liegen, der größere Raum in der Zelle, die sorgfältigere Wartung genügen, um aus der Arbeiterlarve eine Königin heranzubilden, die unmittelbar nach dem Ausschlüpfen die Regierung mit denselben schändlichen Handlungen beginnt, mit welchen das Andenken ihrer Vorfahren im Reiche belastet ist. Dieselbe Metzelei ihrer Genossinnen, dieselbe kalte Grausamkeit, dieselbe Zügellosigkeit im Genusse.

Wie ist es möglich, daß der Besitz der Herrschaft so unendlich zerstörend auf Geist und Charakter wirken, die guten Eigenschaften unterdrücken, die bösen entwickeln kann? Das einfache Kind des Volkes, das seine Lust an der Arbeit, seinen Genuß in der Liebe und Pflege der Jungen gefunden haben würde, die neidlose Arbeiterbiene, welche still und emsig auf Blumen Honig und Blüthenstaub gesammelt, Zellen gebaut, Würmchen besorgt und gefüttert, ihre Königin verehrt haben würde, – ist durch den Besitz des Thrones in ein genußsüchtiges, eitles Wesen umgewandelt, welches jeder Arbeit abhold, keine Nebenbuhlerin duldet, die Liebe zu Eltern, Geschwistern, Kindern in ihrem Busen erstickt hat – in ein Wesen, das nur Rache, Eifersucht und Herrschbegierde kennt! Welche entsetzliche Umwandlung! Welch’ trauriges Spiegelbild menschlicher Verhältnisse! Menschen! Menschen! Ihr wundert Euch, wenn der einfache Mann des Volkes, der für die Freiheit wirkt und stritt, wenn dieser ein Despot, ein Tyrann wird, indem er die Zügel der Regierung ergreift? Blickt her auf den Bienenstaat und hüllt dann das Haupt in Trauer um Jeden, der in eine Regierung eintritt. Er ist verloren. Dem ewigen Naturgesetze entzieht sich Keiner – schaut hin auf die langen Reihen Eurer Freunde, welche in diese Feuerprobe eingingen – die Freiheit hat in diesem Augenblicke den Todtenhügel über ihrem früheren Wirken gethürmt und das Trauerkreuz auf denselben gesetzt. Die Freiheit beklagt sie als todt – und in ihrem Dienste gibt es keine Auferstehung![7]

Wir haben in dem Vorhergehenden den Bienenstaat in seiner systematischen Ausbildung betrachtet. Ein Proletariat mit außerordentlicher Hingebung an die Allgemeinheit, unermüdlich in der Arbeit, sorgsam für die Jungen, erzogen in der Ehrfurcht vor dem Gesetze und dem regierenden Haupte, verbunden durch sozialistische Einrichtungen, harmlos, gesellig, friedfertig, theilnehmend, unterwürfig, bescheiden in seinen Ansprüchen; – eine Adelskaste aus laut brummenden, dickleibigen, großaugigen Individuen bestehend, träg, faul, feige, ohne Talent, ohne Liebe zur Arbeit, ohne Fähigkeit die Waffe zu führen, weder zum Nutz noch zum Schutz des Staates tauglich, ohne Liebe zu seinen Jungen, zum Staate, zur Allgemeinheit, von egoistischer Rentenverzehrung lebend, aber hofdienerisch, kriechend, artig gegen die Königin, übermüthig stolz und wegwerfend gegen das Proletariat; – und endlich eine Anfangs grausame und herrschsüchtige, später liebenswürdige und duldsame Herrscherin ohne Arbeitsfähigkeit, aber in höchst engen Regierungsgränzen eingeschlossen, verehrt, weil sie sich nirgends einmischt, geliebt, weil sie unermüdlich in Vermehrung des Volkes ist – dieß sind die drei Elemente, aus welchen der Bienenstaat zusammengesetzt ist. Mit aller Weisheit scheinen die Prärogative und Befugnisse der einzelnen Stände abgewogen, die verschiedenen Staatsgewalten gegen einander abgegränzt und fast will es scheinen, als müßte diese Staatsform ewig dauern und nur auf ruhigem, legalem Wege Aenderungen zulassen. Der monarchische Sinn steckt so tief

in den Bienen, daß sie sogar in solchen Fällen, wo die Volkssouveränität in ihre Rechte eintritt, eine Königin für die beste Republik erklären und sich selbst dann wieder einen Herrn geben, wenn die Natur oder der Zufall sie davon befreit haben. Bedenklicher Wink für politische Denker! Was hilft es, einen König zu entthronen, zu tödten, wenn der monarchische Sinn wirklich noch tief im Volke gewurzelt ist, wenn wirklich der Leib jedes Individuums in ähnlicher Weise, wie der des Hofraths Welcker, von monarchischen Adern durchzogen ist? Nach Augenblicken der Freiheit, welche sie nicht verstehen, nicht zu benutzen wissen, geben sie sich dennoch einen König, einen Herrscher wieder, hoffend, daß er die Volkssouveränität achten werde, aus welcher er entsprungen ist. Was aber kümmern den Inhaber des Thrones die Stufen, auf denen er zu seinem Sitze hinanstieg? Ob sie legitim oder revolutionär, aus Gottesgnadenholz oder aus Volkssouveränitätsbalken gebaut waren – der Sitz ist derselbe und sein Inhaber wird in gleicher Weise handeln. Der Verlust der königlichen Dynastie führt die Bienen niemals zur Freiheit, sondern nur zur Bildung einer neuen Dynastie – die Lafayette’s und Thiers fehlen nie im Bienenstaate und das monarchisch gesinnte Volk ist zufrieden, wenn es nur eine monarchische Spitze sieht, mag sie nun Bourbon, Orleans oder Napoleon heißen.

Trotz aller dieser Garantieen aber würde man vergeblich hoffen, daß der gesetzliche Zustand ewig fortdauern, die Räder des Staatsorganismus unabgenutzt endlos sich fortdrehen könnten[8]. Der Bienenstaat hat seine Revolutionen, die in seiner sozialen Ordnung selbst begründet sind – Revolutionen, welche in gemessenen Zwischenräumen nach Naturgesetzen wiederkehren, ohne daß irgend eine Macht im Bienenstaate sie aufhalten könnte. Wie in den Epochen der Erdgeschichte nach langen Zwischenräumen der Ruhe und des Fortlebens in gegebenen Verhältnissen plötzlich Momente hereinbrechen, wo der alte Planet bis in seine innersten Eingeweide erzittert und seine Bewohner im Grimme vernichtet, so erscheinen auch im Bienenstaate nach bestimmten Zeiträumen jene Aufwallungen der Gesellschaft, welche mit ungerechten Anforderungen eines Theiles beginnen und mit Vernichtung der Unterliegenden endigen. Wehe dem unglücklichen Drohnen, den in diesen Zeiten der Gefahr sein Kleid, sein Fühlhorn, seine Augen verrathen! Erbarmungslos rächt die Menge an dem oft schuldlosen Individuum die Ungerechtigkeit, welche sie durch seinen Stand erleiden mußte – der Einzelne büßt das Verbrechen, welches die soziale Einrichtung des ganzen Staates seiner Kaste zuwies.

Heiter und zufrieden, ein Bild innerer Glückseligkeit, leben die Bewohner des Bienenstaates während des Sommers zusammen. Zellen und Vorrathskammern füllen sich durch die rastlose Thätigkeit der Proletarier. Nur selten entsteht Zank oder gar Streit unter den Arbeiterinnen. Die Gerichtsverfassung befindet sich noch in dem Stadium des Gottesgerichtes. Das Duell ist die einzige Entscheidung,

welche die Bienen kennen. Aber der Königin Haus ist gefriedet; in seinem Innern darf kein Zweikampf Statt finden. Die beiden Streitenden verlassen den Stock. Auf dem Flugbrette schon beginnt der Kampf. Wie Widder fliegen sie heftig mit den Köpfen gegen einander. Bald packen sie sich ergrimmt mit den Kiefern, krümmen sich gegen einander und zielen mit dem Stachel zwischen die Schienen des Hinterleibes. Die Getroffene sinkt augenblicklich sterbend zu Boden. Die Siegerin betrachtet meist den Todeskampf der Gegnerin mit gleichgültiger Miene, dreht sich etwa ein oder zwei Mal mit den Füßen um, offenbar in der Absicht, sich von ihrem Tode zu überzeugen und kehrt dann, fröhlich summend, in den Stock zurück. Das Duell zur Befriedigung verletzt geglaubter Ehre, wobei etwa durch einen zerfetzten Flügel der Ehre genügt wird, kennt die Biene nicht; – sie kämpft nur auf Leben und Tod, um ernsthafte Ursachen.

So naht der Spätsommer. Der Blumen werden weniger auf Wiesen und Feldern. Das Haidekraut, der Buchwaizen, die Obst- und Waldbäume haben längst abgeblüht und ihren süßen Tribut zu den Vorrathshäusern geliefert. Die Arbeiter kehren oft nach langem, ermüdendem Umherfliegen mürrisch heim, da sie keine Höschen, keine volle Honigblase zurückbringen. Die Drohnen versammeln sich hie und da in Haufen und berathen über den Verfall ihrer Renten. „Sind wir nicht der bevorzugte Stand,“ ruft eine Drohne übermüthig aus. „Stehen wir nicht in spezieller Gunst unserer hohen Herrscherin? Die Arbeiter sind unsere Leibeigenen, sie sind zur Arbeit verpflichtet; sie haben auch für uns gesammelt! Wir haben ein Recht, ein uns angeborenes Recht auf die Staatsgüter und deren Genuß. Mit tiefer Betrübniß müssen wir sehen, daß diese Rechte in Folge der Aufhetzerei des Volkes verkannt werden. Die Arbeiter sprechen diese Honigvorräthe als ihr einziges Eigenthum an, weil sie allein gesammelt hätten. Welche Verkehrung aller Rechtsbegriffe! Sind diese Vorräthe nicht Gemeingut des Staates, Domänen zur Bestreitung der staatlichen Bedürfnisse? Unsere Erhaltung aber ist ein anerkanntes staatliches Bedürfniß! Wer kann sich einen konstitutionellen Staat ohne bevorzugte Stände, wer einen Bienenstock ohne Drohnen denken? Die Vorräthe gehören uns – uns vor allen Dingen – wir werden gerne von dem Ueberflusse zur Erhaltung der ärmeren Arbeiter Etwas abgeben, nachdem wir genügend gesättigt sind! Kommt, laßt uns unsere Ansprüche bei dem Staatsoberhaupt geltend machen!“

Sie begeben sich zu der Königin, welche ihnen gnädig ihre Ansprüche gewährt. „Ich war immer der Ueberzeugung,“ sagt sie, „daß ohne eine erbliche, bevorzugte Pärie der Staat nicht bestehen könne, alle moralische und sittliche Grundlage der Gesellschaft zu Grunde gehen müsse. Ihre Treue, Ihre Anhänglichkeit zu meiner Person, zu dem Throne, muß gelohnt werden. Sie haben gerechte Ansprüche auf die vorzügliche Nutznießung der Staatsvorräthe. Mein königliches Wort darauf, Sie sollen mit meiner Zustimmung nicht verkürzt werden. Das Volk kann mich nicht kümmern. Sein Beruf ist, für Andere, für Sie namentlich, zu arbeiten, damit Sie, ungestört von Nahrungssorgen, Ihrem hohen Berufe nachleben können. Ich danke Ihnen, meine Herren, für diesen Beweis des Zutrauens zu ihrer Königin!“ Mit huldvoller Handbewegung entläßt sie die Herrscherin, und stolz stimmen alle Drohnen: „Es lebe unsere gütige, allverehrte, konstitutionelle Königin!“

Die Proletarier haben Nachricht von den Anschlägen der Drohnen erhalten. Auch sie versammeln sich. In dicken Haufen sitzen sie zwischen den Waben, bei den Honigzellen, und berathschlagen über die Maßregeln, die sie ergreifen sollen. „Fürchtet Euch nicht, Kinder,“ ruft ihnen eine kurze, blaugestippte Arbeiterin zu, welche oft einsam in den Wäldern umherflog und anderer Thiere Sitten kennt. „Fürchtet Euch nicht! Macht nur viel Lärm! Die Drohnen sind wenig, sie sind schwach und können nichts! Sie müssen Alle unter die Bank! Die Drohnen sind ein Dreck und Alle nichts werth! Geht ihnen ohne Weiteres auf die Blumenbeete, saugt ihre Astern und Spätblüthen aus! Fürchtet Euch nicht! Schärft Eure Stacheln, wetzt Eure Kinnladen, übt Euch im Gebrauch der Waffen! Ich bin bei anderen Thieren gewesen, die haben keine Drohnen, bei denen wird Alles vor das Volk gethan. Hier wird nichts vor das Volk gethan, hier, bei uns, hier soll Alles vor die Drohnen gethan werden! Das wollen wir nicht! Macht nur viel Lärm, Fürchtet Euch nicht!“ Mit lautem Beifall wird diese Rede begrüßt – die Proletarier schwingen in scharfem Summen ihre Flügel und lecken ihre Füße zum Zeichen des Beifalls.

„Ich schlage eine Petition an die Königin vor,“ ruft eine andere Arbeiterbiene mit zornigem, geröthetem Antlitz und ärgerlicher Geberde. „Unsere gütige, konstitutionelle Königin muß uns hören und uns gegen die Drohnen schützen. Jeder, der nur noch einen Tropfen monarchischen Blutes in seinem Rückengefäß hat, muß sich gegen den Vorschlag des Vorredners empören! Man muß die Gesetze, die Behörden achten. Man will Schindluder mit der Regierung spielen. Das darf nicht sein. Die Drohnen sind zwar ein bevorzugter Stand, ein feudaler Ueberrest aus früherer Zeit – („Eine Leiche!“ ruft eine rothbeinige Arbeiterin dazwischen) – „ja! eine Leiche, aber wir wollen diese Leiche zu neuem Leben erwecken! (Ungeheurer Beifall des konstitutionellen Bienenvieh’s.) Ich schlage noch einmal eine Adresse an die Königin vor. Ueberbringen wir sie durch eine Deputation. Sie wird uns hören, sie wird, wie eine gütige Mutter ihren Kindern, Alles bewilligen.“

„Warum nicht gar, eine Adresse!“ schreit eine blonde, langhaarige Biene. „Wollt Ihr Euch denn ewig im konstitutionellen Rade umherdrehen? Seht ihr denn nicht, daß die Königin mit den Drohnen gemeinschaftliche Sache macht? Ich sehe eine furchtbare Reaktion. Man spricht von gesetzlichem Wege. Es gibt keinen gegen die Gewalt. Die Drohnen wollen uns angreifen, unser Eigenthum rauben. Wenn wir nicht arm sein wollen, wie Ballenbienen, so müssen wir uns ihrer entledigen. Fort mit ihnen!“

„Gott mit uns und der Bienenstaat über Alles!“ ruft ein anderer Langhaar mit klebrigen Augen. „Doch eine Deputation! Lasset den Haß nicht einziehen in Eure Herzen! Lasset Euch nicht schrecken durch den Schrecken! Passiver Widerstand durch alle Verhältnisse! Seien wir Männer und setzen wir den Forderungen der Drohnen den kalten Muth des Mannes und die Geduld des Vernünftigen entgegen! Muth! Muth!“

Die Versammlung beschließt eine Deputation, die eine Adresse überbringen soll. Mitten zwischen lächelnden Lüneburgerhaide-Granden empfängt die konstitutionelle Fürstin ihre getreuen Unterthanen. Sie läßt den Sprecher nicht aussummen, sondern unterbricht ihn lebhaft. „Ich bedaure den schlechten Geist, der unter meinen sonst so braven Bienen herrscht. Er ist das Werk weniger Wühler. Einige unruhige Köpfe haben Euch verleitet, lieben Leute. Kehrt zu Eurer Arbeit zurück. Ich kann nicht zugeben, daß man die Rechte der Drohnen schmälert. Sie haben unbedingt Ansprüche, die ersten Ansprüche auf den Genuß der Staatsvorräthe. Geht und sagt das Euren Auftraggebern und laßt Euch warnen. Für dießmal werde ich Nachsicht haben – weitere aufrührerische Schritte wird die Strenge der Gesetze bestrafen!“

„Majestät,“ ruft die Sprecherin, „wir stehen für nichts! Die Aufregung ist ungeheuer unter dem Volk, wir können es kaum mehr zurückhalten. Eine furchtbare Revolution –“

„Bah! Bah!“ ruft die Königin aus und dreht ihnen den Rücken.

„Hören Sie uns, Majestät!“

„Sie sind entlassen!“

Die Königin wendet sich zum Abgehn, die Drohnen folgen ihr lächelnd – die Deputation steht bestürzt –

„Das ist das Unglück der Herrscher, daß sie die Wahrheit nicht hören wollen,“ ruft eine Arbeiterbiene aus. „Kommt, Kameraden, gehen wir zum Volke zurück. Die fürstliche Antwort wird ihm Freude machen.“

Das Arbeitervolk hört die königliche Antwort mit Erbitterung. Die Aufregung steigert sich – das Summen der Menge nimmt einen hohen, scharfen Ton an. Die Drohnen verachten diese Vorzeichen des nahenden Sturmes. Sie spazieren, gleichsam sorglos, nach den Honigzellen hin und suchen von den dort aufgehäuften Vorräthen zu naschen. Nun bricht die Wuth der Arbeiter in offene That aus. Sie stürzen sich massenhaft auf die Drohnen, beißen sie zusammen, stechen sie nieder, verfolgen sie in die entferntesten Winkel des Stockes. Das Flugloch wird von rachedürstenden Arbeitern besetzt und jede Drohne, die entfliehen will, ohne Gnade niedergemacht. Eine Abtheilung starker Arbeiter umgibt die Königin, ermordet die Drohnen ihres Hofes und hält die Herrscherin in ihrer Zelle gefangen.

Tagelang wüthet oft die Schlacht im Innern eines Stockes. Aber nicht nur die Drohnen, auch ihre Brut wird vernichtet. Eier und Würmer, Maden und Puppen werden aus ihren Zellen gerissen, mit kanibalischer Wuth zerfleischt und ihre Leichen mit Siegesjubel hinausgeschleift. Die Drohnenzellen sogar werden vertilgt, ihre Wände eingerissen – jede Erinnerung an die Verhaßten hinweggewischt.

Während dieser Zeit zittert die Königin, ihrer Schuld sich bewußt, in Mitten ihrer rasenden Leibwache. Aber das Volk ist so großmüthig, so edel selbst in den Augenblicken, wo es lange erduldetes Unrecht rächt. Der Herrscherin Angst rührt die erbosten Proletarier – sie vergessen, daß sie sich vergebens an ihre Königin wandten in der Stunde der Noth, sie vergessen, daß sie mit den Drohnen einverstanden war zu ihrer Beraubung; – sie verzeihen! Augenblicklich durchläuft eine telegraphische Flügeldepesche den ganzen Stock.


„An mein Volk!

Keine Macht der Erde soll sich künftig zwischen mich und mein Volk drängen. Das Volk der Arbeiter hat sich großmüthig und edel gegen mich betragen – ich werde dieß nie vergessen. Alle Freiheiten, die mein Volk verlangt, sind gewährt; die Standesvorrechte aufgehoben; die Drohnen abgeschafft.

Ich, die Königin.“     

Ueberall freudigstes Summen, Bezeigungen der innigsten Zufriedenheit. Man drängt sich herzu, liebkost die Königin, hält Zweckessen in Honig und Blumenstaub, und bringt feurige Toaste für die Allmacht des Volkes.

Armes, getäuschtes Volk! Du hast dich erhoben in der Allgewalt deines Zornes und die faulen Bäuche, die bevorzugten Fresser mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Dein Leben hast du daran gewagt und der Sieg ist dir gelungen. Du traust in dem Bewußtsein deines reinen Willens dem Worte einer Königin. Bleibe wach über deinen Errungenschaften!

Der Winter naht heran; die Bienen drängen sich zusammen und versinken in jenen träumerischen Halbschlaf, der so geeignet ist für die Entwicklung ruhiger und ordnungliebender Unterthanen. Sie wissen, daß sie gesiegt haben und ruhen nun auf ihren Lorbeeren. Die Königin aber sinnt auf weitere Pläne. Sie kann ihre Demüthigung, den Tod ihrer geliebten Drohnen nicht vergessen. Sobald der Frühling herankommt, legt sie Eier, aus denen sich Arbeiter – später solche, aus welchen Drohnen sich entwickeln.

Und die Arbeiter, in dem naiven Glauben, die jungen Drohnen werden sich der herben Lehre erinnern, füttern die Würmchen, besorgen die Puppen mit derselben Zärtlichkeit, wie ihre eigenen Kinder.

Die ausgeschlüpften Drohnen aber werden genau so wie ihre Vorfahren; – sie haben Nichts gelernt, Alles vergessen.


Was hilft den Bienen diese Revolution, die mit so furchtbarer Energie ausgeführt, mit so kalter Grausamkeit bis in ihre letzten Consequenzen durchgesetzt wird? Das ganze Institut der Drohnen ist vernichtet, die Monarchie aus einer konstitutionellen in eine demokratische verwandelt. Das Volk ist vor dem Throne stehen geblieben, vertrauend auf seine Starke. Während seines Zurücksinkens in träumerische Selbstbeschauung wird es von der Königin überlistet, eine Brut neuer Aristokraten wird von dem Throne aus gebildet, das alte Joch allmälich wieder hergestellt und dann die rechtliche Kontinuität der alten Zustände so lange behauptet, bis eine neue Revolution die Stände nivellirt und auf Augenblicke der Demokratie den Sieg verschafft.

O der Thörichten, die da glauben, mittelst der Gewalt Zustände auf die Dauer ändern zu können, welche in der Gesinnung des arbeitenden Volkes selbst begründet sind! Schaut hin auf den Bienenstaat und laßt Euch sagen, daß die Revolution eintreten muß in Folge fauler Staatszustände, durch Bevorrechtung einzelner Stände, durch Sklaverei und harte Unterdrückung der großen arbeitenden Menge; laßt Euch durch die Bienen sagen, daß diese Revolutionen ihr Gesetz haben, wie die Stürme, welche die Luft reinigen, wie die Gewitter, welche den schwülen Schwaden entladen; aber lernt auch von den Bienen, daß diese gewaltigen Kraftentwicklungen unfruchtbar sein müssen, wenn das Volk ihre Consequenzen nicht erfassen, seine Vortheile nicht zu benutzen versteht. Monarchisch verdummt, in Sklaverei erzogen, in harter Arbeit verkümmert, begnügt sich das arbeitende Bienenvolk mit dem unmittelbaren Vortheil, den ihm seine Rache bringt, denkt es nicht daran, diesen Vortheil für die Zukunft fest zu stellen. Ihr wollt Revolutionen machen? Ihr glaubt, ein Handstreich in der Hauptstadt genüge, die Republik herzustellen, die Gleichheit der Bürger zu befestigen? Ihr glaubt Freiheit, Bildung, Wohlstand für Alle dekretiren zu können? Mag auch Euer Unternehmen gelingen für den Augenblick, es wird nicht auf die Dauer sein, wenn der geistige Entwicklungsgrad der Gesammtheit Euren Anforderungen nicht entspricht. Ihr gebt Allen gleiches Recht – und die Mehrzahl, die gewohnt ist, sich unter das Joch zu beugen, sucht sich ein neues Joch, wenn das alte zerschmettert ist, und wendet sich nach der Schlacht von den Vorkämpfern ab. Ihr könnt nur das erringen, was in dem Bewußtsein der Masse liegt, nur das feststellen, was für sie unumstößlicher Glaubenssatz geworden ist.

Aber auch Ihr, konstitutionelle Reformer, nehmt Euch ein Exempel dran. Die friedliche Entwicklung führt uns stets mehr und mehr zur Sklaverei – aus dem konstitutionellen Staat entwickeln sich bei legalem Fortschritte nothwendig russische Zustände. Katharina II. mit ihren Bojaren und Höflingen, mit den russischen Kommunaleinrichtungen und den arbeitenden Leibeigenen – und die Bienenkönigin mit ihren Drohnen und dem zahllosen Volke der Arbeiter – wo ist der Unterschied? Dort durchziehen racheschnaubende Bauern das Gebiet des Reiches, zerstören Schlösser, zünden Höfe an, braten die Herren bei langsamem Feuer – alljährlich, mit grauenerregender Regelmäßigkeit, kehren diese Scenen wieder: – bringen sie mehr Besserung als die periodischen Drohnenschlachten im Bienenstaate? Nur um den elenden Zustand zu erhalten, nur um noch größerer Sklaverei Einhalt zu thun, sind diese blutigen Revolutionen nöthig – und Ihr wähnt in thörichtem Glauben, Besserung erwirken zu können, indem Ihr Gesetz und Rechte als ewige Krankheit mitschleppt? Der konstitutionelle Bienenstaat kennt keine Reform auf gesetzlichem Wege, in den hergebrachten Formen; selbst die Revolution ändert ihn nicht; – sie beugt nur größerer Degradation vor.

Wann wird die Zeit kommen, wo das Bienenvolk auch verstehen wird, seine Revolution zu benutzen?

In der zwölften Stunde des Erfurter Reichstages und des Konstitutionalismus in Preußen rufe ich Dich an, Beseler, gib Antwort vom hohen konstitutionellen Maste, auf den du die Vertrauensflagge nagelst!

Bern, Februar 1850.


Heuschrecken und verwandtes Gesindel.
II.
Heuschrecken und verwandtes Gesindel.
Eine Hirschkäferfamilie.

An einem herrlichen Sommerabende des Jahres 1849 saß eine Hirschkäferfamilie auf einem Nußbaumzweige, der über das Ufer des Brienzersee’s in das milchgrüne Wasser hinabhing. Der Gatte war sich seiner kolossalen Hörner so bewußt, daß er sie sogar dazu benutzte, ein halbverwelktes Blatt dazwischen festzuhalten. Rührender Beweis für die milden Sitten und die Hochkultur der aristokratischen Käfergeschlechter! Die Proletarier unter ihnen, die Borken-, Mist- und Laufkäfer sind eifersüchtig und würden lieber untergehen, als Hörner zur Schau tragen – wie anders unsere altadeligen, feingebildeten Schröter! Neben dem Hörnerträger saß sinnig die Gattin, mit den Vorderfüßen zierlich die sanftgekrümmten scharfen Kiefer putzend, während aus einem Loche des Astes die Larve ihren citrongelben Kopf hob und von Zeit zu Zeit etwas Mulm aus der Oeffnung herauswarf. Sie hatte jetzt keinen räuberischen Ueberfall zu fürchten, wie einst zu den Zeiten der Römer, welche die Hirschkäferwürmer (Cossus) und die Engerlinge für außerordentlich schmackhaft hielten und erstere besonders auf den Tafeln der Herrschaften servirten. Die Welt schreitet vor – wir essen weder Engerlinge noch Hirschschröterwürmer – aber wir stopfen uns die knurrenden Mägen mit Kartoffeln. Pfui über dieses Alterthum, das sich, Dohlen und Krähen gleich, mit Würmern und Rabenfutter ätzte! Niedrig ernährtes, aus kriechenden Atomen aufgebautes Geschlecht, in welchem einzelne Charaktere als außerordentliche auftauchten, weil sie emporragten über den andern Plebs, wie hohe Stämme über das niedrige Geschlecht des Waldes! Unsere jetzige, germanisch-christliche Forstkultur erzeugt nur noch Hochwald: Fichten in der Ukermark, freilich dem Raupenfraß und der Wurmtrockniß bedeutend stark ausgesetzt; hochstämmige, unbeugsame deutsche Kern-Buchen in Holsteins Buchten, deren Wipfel stark leiden unter wuchernden Professorenflechten und staatsmännischem, gesetzlichem Fortschrittsmoos; (edele) Eichen, wenn auch mit verdorrten Gipfeln und hohlen Stämmen, bei Monsheim und Nierstein, deren tiefere deutsche Wurzeln, trotz der sorgsamen Pflege in Buhl’s dunklen Kellern an der Haardt, in den unteren Schichten nicht recht Fuß fassen wollen; ja selbst wälsche Kastanien bei Homburg, deren Früchte süß und mehlig, wie die Reden des unvergeßlichen Abgeordneten von Homburg und Meisenheim zur Nationalversammlung! Solche Hochstämme, welche durchgängig gleichgezogene Schläge bilden, mit Lustwegen dazwischen für gekrönte Häupter und edele, verfassungstreue deutsche Fürsten, solchen Hochwald voll gleicher hehrer vaterländischer Gesinnung suchst du vergebens in der antiken Gestrüppgeschichte. O Jakob Venedey, du einsame Kastanie in dem wilden Waldgebüsch deines Vaterlandes, die du hinaufstrebst aus den Dornen und Stacheln der Standrechtsjustiz und der dynastischen Zerissenheitspolitik nach den lichten himmlischen Höhen des christlichen Vergebens und Vergessens, warum wurdest du deutscher Kernsohn keine biegsame Liane, wie Plathner, keine wuchernde Judenkirsche, wie Riesser, kein tugendhaft-ehrliches Residenz-Schlehengestrüppe, wie Reh? Du hättest hinranken können nach jener Tribüne, die in Erfurt errichtet ward, du hättest sie umstricken können mit liebeweichen Armen, sie überziehen mit blonden Ausläufern, sie vertheidigen mit deinen Stacheln gegen die Profanen, welche sie entweiht, die Schwarzweißen, welche sie begeifert, die Manteuffels, welche sie mißbraucht, die besten Männer, welche sie entehrt haben! Wehe, daß auch diese Tribüne sinken mußte, bevor du deinem gepreßten Herzen darauf Luft machen konntest! Wie würde dein Ausruf „Gott mit uns und Deutschland über Alles,“ jene Gerlach’s und Stahl’s, jene Manteuffel’s und Radowitz’s zu unwillkürlicher Begeisterung hingerissen haben! Wehe, daß „der Wind des Verraths“ über dein germanisches Urfeuer hingeweht hat, so daß es nur noch unter dem schützenden Scheffel deines blonden Ich glüht und nicht auf einer Tribüne in falschem Lichte glänzen konnte. Jetzt stehst du da, eine einsame Kastanie – du hast vergebens deine versöhnungsbedürftigen Zweige nach allen Seiten um eine Wahl ausgestreckt – sie verästelten sich nur in der leeren Luft, ohne jene starken Festungsmauern erreichen zu können, die dir eine neue Stütze, dem deutschen Volk einen neuen Trost gewährt hätten. – Verwöhntes Volk, das keine Kastanien will! O Venedey, kennst du das alte Lied:

Wo ist ein König ohne Land?
Wo ist ein Wasser ohne Sand?

Die Antwort lautet:

Der König in den Karten, der hat kein Land,
Das Wasser in den Augen hat keinen Sand!

Ich möchte Reichsthränen weinen um deines Schicksals willen, bittere, salzige Reichsthränen, die auf die kahlen Staatsschädel der so gänzlich über den Löffel barbierten Erfurter fallen sollten, wie glühendes Oel auf die nacktgeschorenen Schädel der Türken vor Rhodus! Gebt ihm eine Tribüne, ihr Elenden, nur eine Tribüne, mehr verlangt er ja nicht! – –

Warum mich der tribünenlose Jakob von der Hirschkäferfamilie abgelenkt hat? Ich weiß es nicht – aber er folgt jetzt allen meinen Gedanken, wie eine Ergänzungsfarbe dem Lichteindrucke. Heuschrecken und beste Männer, Erfurter und kriechendes Gewürm – Alles hat den tribünensüchtigen, versöhnungsschwelgenden, vergebungsquellenden Jakob als Schlagschatten, als Rahmen, als Vorgänger, als Nachfolger. Wohin ich schaue, streckt dieß blonde Gespenst seine Arme in meinen Sehkreis hinein, blickt mich mit thränenfeunchten Augen an und heult jammernd in meine Ohren: Eine Tribüne! Deutschland um eine Tribüne!

Laß mich in Ruhe! kann ich dir sie schaffen? Und wenn ich es könnte, glaubst du, daß ich es thun würde? Geh’ zu Max Dunker, deinem Freunde, zu Gagern und Dahlmann und Beseler und Reh, wende dich an den bundesstaatlichen Fürstenkongreß in Gotha, oder an den östreichischen Bundestag in Frankfurt, und heule diesen edlen Staatsmännern die Ohren voll! Hebe dich weg, Jakob! Schüttle nicht so die blonden Locken gegen mich! Du kannst nicht sagen, daß ich’s that! – –

Gelbe Lichter, die Vorboten der Abendröthe spielten auf der spiegelglatten Fläche des Brienzersee’s und verloren sich in tiefblauer Unbestimmtheit am Fuße des Rothhornes. Die steilen Matten des Augstmatthornes, die Felsabstürze des Faulhornes leuchteten über das Thal von Interlaken hinaus und um den Gipfel der Schwalmeren spielten einige leichte, duftige Wölkchen. Die Schnaken und Hafte am Ufer begannen sich zum Tanze zu rüsten. Ihre Puppen krochen über das feuchte Gelände hervor und zogen Leib, Füße und Flügel aus den unbeweglichen Hornscheiden, von welchen sie vorher umschlossen waren. Schon sah man hier und da über den Gesträuchen jene auf und ab wogenden Gesellschaften leichter Eintagsfliegen, die wie unbestimmte Rauchwölkchen an den Hecken hinschwebten und im Glanze der Abendsonne vergaßen, daß ein schneller Tod ihrer kurzen Freude ein Ende machen werde.

Der Hirschkäfer wartete der Dämmerung, um in Gesellschaft der Gattin seinen Abendflug machen zu können. Er lebte ehrsam und still auf dem Nußbaume, in dessen Mark er seine Jugendjahre zugebracht hatte. Morgens kletterte er auf den Zweigen umher und leckte mit seiner pinselartigen Unterlippe den Honigthau und den süßen Saft, der aus einigen Wunden des Baumes quoll; Nachmittags las er in alten Blättern, welche von Spanner- und Blattwickler-Raupen mit seltsamen Hieroglyphen beschrieben waren. Was Hirschkäfer aus entfernten Gegenden bei ihren einsamen Zügen in der Fremde den Verwandten berichtet hatten, was die Vorältern von befreundeten Familien, von Walkerkäfern aus dem Wallis, Nashornkäfern aus Norditalien, und weither kommenden Lucaniden aus den Tropengegenden erfahren hatten, das war durch schreibkundige Räupchen in jenen gewundenen Gängen aufgezeichnet, welche sie in dem grünen Marke der Blätter zwischen den Häuten ausgenagt hatten. Der Hirschkäfer studirte diese Sammlung vergilbter Familienpergamente und las der Gattin und der im Aste arbeitenden Larve die interessanten Stellen vor. Wenn die Sonne untergegangen war, so legte er das Blatt bei Seite, hob die schweren Flügeldecken, entfaltete die segelartigen Flügel und sauste, während das Weibchen zum Abschiede die Larve mit den Fühlhörnern liebkoste, hinaus nach dem See oder nach den großen Nußbäumen von Interlaken, wo er Freunde besuchte. Ihm nach schwirrte das Weibchen, ängstlich umherschauend nach Eulen oder Fledermäusen, welche ihnen zuweilen auf dem Spazierfluge nachstellten. In Interlaken freuten sie sich der vielen Lichter, der hellen Laternen vor den Pensionen, und nur sehr selten kehrten sie heim, ohne interessante Beobachtungen über langbeinige Engländer und Vogelscheuchen von Ladies gemacht zu haben, welche sie zuweilen durch heftiges Anprellen an die erleuchteten Fenster aus dem Studium ihrer „traveller-book’s“ oder aus noch intimeren Beschäftigungen aufschreckten. –

Das Blatt, welches unser Hirschkäfer entziffert hatte, war von dem Aste gefallen. Es flog in unsere Barke im Augenblicke, wo wir von dem Lande abstießen. Ich entzifferte seine Hieroglyphen mit Aufmerksamkeit. Sie enthielten offenbar die Erzählung eines Verwandten aus dem Süden, zu welcher der Hirschkäfer hie und da Bemerkungen gemacht hatte. Ich theile sie mit, wie ich sie lesen konnte – ohne die Prätension, Neues gefunden zu haben. Vieles blieb mir unleserlich – selbst wenn eine königliche Akademie mich, wie Lepsius, mit Geld zum Studium vollauf ausgerüstet hätte, so würde ich wahrscheinlich noch weniger verstanden haben. Freilich entgeht mir so die Genugthuung, den Kukuk aus dem Wappen meines Mäcenas in hieroglyphischer Raupenschrift der Nachwelt an den Wänden irgend eines Museums zu übergeben! Fatale demokratische Geistesrichtung, welche uns jene Ermunterungen entzieht, die aus der Wissenschaft die melkende Kuh machen! Uns rohen, unwissenden, oberflächlichen, ungebildeten Subjekten bleibt sie nur die hehre Göttin, die stets in weitere Ferne entschwebt, je mehr wir uns nahen! Weise Staatsfrösche aus dem Centrumssumpfe, ihr, deren Andenken uns lange überleben wird, lehrt uns, ich beschwöre Euch, jenen zauberischen Unkengesang, jenes melodische Rhythmusgequack, das die Göttin zur melkenden Kuh wandelt, deren Milch ihr in Göttingen und Greifswald in reichlicher Fülle schlürft! – Doch hinweg mit diesem Bilde – zu meinen Hieroglyphen! – Ich fand mich getäuscht! Was ich lesen konnte, wußte ich schon lange aus unseren Naturgeschichten, und Denjenigen, welche keine Bücher lesen, haben die Zeitereignisse jene Wahrheiten mit blutigen Gedenkzeichen in das Gedächtniß zurückgerufen. Sie kannten sie schon lange, aus alten Sagen, ohne daß sie darum fester daran geglaubt hätten. Geht es uns doch mit Allem so! Was nackt und klar unserem Verstande oder unserem Wissen vorliegt, das wollen wir erst glauben, wenn wir es mühsam aus alten Hieroglyphen entziffert haben, und was in den vergilbten Pergamenten steht, glaubt man oft ohne weitere Prüfung. Das abgeschmackte Mährchen von Adam glauben die großen Kinder sogar heute noch, und wenn zehn Röthe kämen und uns mit Hieroglyphen bewiesen, daß König Menes ein Zeitgenosse Adams war; – ich glaube, es gäbe „draußen im Reich“ sogar gesalbte Häupter, welche das Adamsmärchen vermöge specieller Inspiration für vollkommen gegründet halten, und diejenigen unter ihrem Volke specifischer „Untreue“ bezüchtigen würden, welche es nicht glauben wollten.


Ein Blatt aus der Bibliothek eines Hirschkäfers.
Von einem Vetter aus Cayenne.

Glückliche Verwandte, die Ihr unter einer gemäßigten Sonne ein beneidenswerthes, ruhiges Leben führt! Stets findet Ihr genug des süßen Honigsaftes auf Sträuchern und Bäumen, Eure Umgebung verfolgt Euch nicht, stellt nicht nach Euren Leibern oder Eurem Gute! Ihr sitzt ruhig verborgen unter grünem Laubwerk und ergötzt Euch am Zirpen der Gryllen, die zu Euren Füßen lustig im Grase mit ihren Hinterbeinen zum Tanze der lieblich gegürteten, schlankleibigen Schnaken und Mücken geigen und mit ihrem schrillenden Gesange die Lüfte erfüllen. Mit dem seligen Behagen der Ruhe und der Sicherheit schaut Ihr den drolligen Sprüngen der langbeinigen Heupferde im Grase zu und erfreut Euch an den schönen Farben ihrer fächerartig zusammengelegten Unterflügel, wenn sie zum Fluge sich rüsten. Ihr zeigt diese Gryllen und Heupferde Euren Kindern als Vorbilder der Unschuld, der Grazie, der leichten Sorglosigkeit, die über Hindernisse tändelnd hinweghüpft und fröhlichen Gemüthes Hunger und Noth, Kummer und Entbehrung trägt – was würdet Ihr sagen, wenn Ihr wüßtet, welche gräßliche Verwandten diese so unschuldigen Thiere unter andern Himmelsstrichen haben?

Es gibt ein Geschlecht dieser Thiere, das stets in schwarzem Rocke und schwarzen Kleidern einhergeht, und das man Kakerlaken oder Schaben nennt. Das Volk sagt auch Schwaben ohne Zweifel in Anerkennung jenes vortrefflichen Stiftes in Tübingen, welches diese Schwarzröcke in Fülle und ausgezeichneter Ausbildung erzeugt. Die Russen nennen sie sogar Preußen (Prussiaki) – vielleicht in antizipirender Anerkennung des Verdienstes, das Hengstenberg, Krummacher, Stahl und Gerlach sich um die Herstellung des Reiches Gottes in den Sandebenen der Mark erworben haben. Wohlgenährt, fett, breit, glänzend auf ihrer ganzen Oberfläche, sind diese Kakerlaken mit feinen, zarten Fühlhörnern ausgerüstet, mit welchen sie überall umhertasten, bevor sie sich aus ihren Schlupfwinkeln hervorwagen. Sie haben Flügel, aber sie brauchen sie nur selten; meist legen sie sie zierlich zusammen und verbergen darunter die häßlichen Krallenfüße, welche ihnen die Natur zum Wahrzeichen gegeben hat. Anfangs nur an wenigen Punkten und in geringer Zahl vorhanden, haben sie sich nach und nach fast über die ganze Erde ausgebreitet. Die Form und der Schnitt ihres Kleides ist freilich, je nach ihren Aufenthaltsorten, verändert worden; sie tragen bald längere, bald kürzere Flügeldecken, bald breite, hutartige Verlängerungen auf dem Kopfe, bald zipfelartige Spitzen; aber bei allem verschiedenen Kostüm ist ihr Wesen an allen Orten dasselbe geblieben. Ueberall sind es dieselben schwarzen, unheimlichen Gesellen, mit ihrem wohlgenährten Aeußern und ihrer lichtscheuen Natur.

Tages über bergen sie sich in ihren Schlupfwinkeln, wo sie einzeln oder gesellig des Augenblicks harren, der andere Wesen in Schlummer wiegt. Sie fliehen die frischen Regungen der Insektenwelt; das Summen und Weben in Blumen und Hainen, die emsige Geschäftigkeit, die sorglose Freude in der freien Natur – jede Bewegung der Thätigkeit und des Fleißes ist ihnen verhaßt. Die Zeiten der Betäubung, des geistigen Schlafes, der physischen Depression sind die Zeiten ihrer Ernte. Leisen Schrittes verlassen sie dann ihre Schlupfwinkel; langsam und bedächtig wagen sie sich zwischen schlafende Thiere und Menschen; sorgsam spähen sie mit den langen Fühlhörnern, mit den schwarzen Augen umher; behutsam bergen sie die Krallen, indem sie sachte tastend umherschleichen. Der Strahl des Lichtes, das Geräusch des Lebens verscheucht sie; schwarzen Schatten gleich huschen sie beim ersten Blicke des jungen Tages oder beim plötzlichen Erscheinen einer Leuchte über den Boden hin, um in ihren Löchern zu verschwinden. Ihre Ausdünstung ist ekelhaft und betäubend – wo sie sich anhäufen, ziehen sich die lebenden Geschöpfe nach und nach zurück, um ihnen die Wohnung allein zu überlassen. Haben sie aber einmal Wurzel an einem Orte gefaßt, so vermehren sie sich in’s Unglaubliche – denn es sind Männlein und Weiblein, die sich nur durch den Schnitt und die Form der schwarzen Kutte unterscheiden. Die Jungen sind klein, listig, gewandt, schnell, von der Form der Alten, aber weit kleiner und flügellos. Man sieht nie ein Junges allein – stets sind sie in Schwärmen zusammen, wie Ameisen, und meist ein oder zwei Alte als Anführer.

Ein gefräßig Thier! Ein zerstörend Thier! Nichts ist vor ihren starken, mit scharfen Zähnen bewaffneten Kiefern sicher. Die Vorräthe, welche andere Thiere mit Mühe und Noth sich gesammelt haben, werden von ihnen verzehrt; sie nehmen sich das Beste und beschmutzen das Uebrige; was nur irgend eßbar oder verzehrbar ist, Fleisch, Häute, Mehl, Wolle, alles Gebackene, Gekochte, Gebratene, Geröstete, Gedörrte und Geräucherte dient ihrer unstillbaren Gefräßigkeit. Ein Menschenschriftsteller, der alte Oken, führt ausdrücklich an: „auch fressen sie die Oblaten im Schreibzeug und finden sich häufig am Rande des Tintenfasses, als ob sie Geschmack an der Tinte hätten.“ (Oken’s Naturgeschichte S. 1506 Band V.) Ja, theure Verwandte, so weit geht die Gefräßigkeit dieser schwarzen Gesellen, daß sie sogar Oblaten, weiße, fade, geschmacklose Oblaten mit Gier, mit einer Art Wollust verzehren! Oblaten! Kann man sich etwas Insipideres denken, als Oblaten? Es soll sogar unter diesen schwarzen Thieren der Aberglaube verbreitet sein, daß sie nicht glücklich werden könnten, wenn sie nicht eine bestimmte Zahl Oblaten während ihres Leben verzehrten.

Was diese Oblatenfresser einmal erspäht oder ergriffen haben, lassen sie nicht wieder los. So verderblich, nagend, schabend und zerstörend sie sind, so sehr können sie auf der andern Seite sich einschmeicheln. Nur an todten Thieren finden sie eine Beute. Was in frischer Kraft gesund und lebensfroh ihnen entgegentritt, dem weichen sie aus. Das Siechthum zieht sie herbei. Wo die Gesundheit des Geistes aufhört, da fängt ihre Thätigkeit und ihr Einfluß an. So lange die Thiere krank sind, kriechen sie zu ihnen in ihre Zufluchtsstätten, betasten und streicheln sie mit den Fühlhörnern, stellen sich wie ihre Freunde, schmeicheln sich auf jede Weise ein, schwatzen ihnen allerlei Unsinn vor von einer andern Welt, in welcher die fleischfressenden Insekten für ihre Sünden gestraft, die pflanzenfressenden für ihren harmlosen Charakter belohnt würden – dabei aber spähen sie alle Gelegenheiten, alle Zugänge und Verborgenheiten aus, und werden meistens zum Dank, für ihre scheinbar uneigennützigen Dienste von den Sterbenden zu ihren Erben eingesetzt. Ich habe reiche Holzkäfer gekannt, welche ihre Nachkommen von sich stießen und ihre herrlich ausgebohrten Zimmer, ihre Gänge und Vorräthe einem solchen Oblatenfresser oder einer ganzen Gesellschaft zur Nutzung zurückließen. Schlau und listig wissen die schwarzen Brüder diese Gelegenheiten zu benutzen und allmälig die Nachkommen der Betrogenen auszutreiben aus dem väterlichen Erbe. Darin schwelgen sie nun, werden fett und rund und suchen ihre Eroberungen stets weiter auszudehnen, sich in immer größeren Kreisen festzusetzen und dort alles Genießbare für sich zu haschen und in ihren Nutzen zu verwenden. Die benachbarten Thiere wandern aus oder sind zu einer jammervollen Abhängigkeit verdammt. Ihr schwarzer Nachbar nimmt ihnen das Beste der gesammelten Vorräthe, meist den zehnten, oft aber auch einen bedeutend größeren Theil, und schleppt ihn unter den sinnigsten Vorwänden, als ihm gebührend, in seine Höhle. Wo es gilt, Güter zu haschen, fremdes Eigenthum zu ergattern, da sind diese Kakerlaken wahre Communisten. Die Associationen zu gemeinsamer Ausbeutung gewisser Privilegien haben sie lange gekannt und geübt. Das Erbrecht haben sie aufgehoben. Das persönliche Eigenthum ist bei ihnen verboten. Alles, was sie erwerben, gehört der Gemeinschaft; was sie haben, fällt nach ihrem Tode der Gemeinschaft anheim. Wenn aber andere Insekten solche Einrichtungen bei sich einführen wollen, so rufen sie zum Kreuzzuge, zur Vernichtung der verwegenen Neuerer auf, welche die gesellschaftliche Ordnung im Insektenreiche zerstören wollen.

Ich habe Euch schon erzählt, theure Verwandte, daß diese schwarzen Oblatenfresser das Licht scheuen und nur im Dunkeln ihre Unternehmungen machen. Man hat sie vielleicht nur deßhalb Kakerlaken genannt, weil sie lediglich in der Finsterniß sich wohl befinden. Zwingt man sie aus ihrem Verstecke, an das Licht hervor, so ziehen sie die Beine dicht an den Leib, verbergen ihre scharfen Kiefer hinter der gespaltenen Unterlippe, legen die Fühlhörner zurück und nehmen ein äußerst unschuldiges, sanftmüthiges Aussehen an. Fleisch und Fett, sonst ihre Lieblingsspeisen, rühren sie jetzt nicht an, zuweilen nur genießen sie etwas Zucker. Kaum aber ist die Leuchte des Tages hinter den Bergen hinabgesunken, so erwacht ihre Gier, und mit verdoppeltem Eifer stürzen sie auf die Speisen, von denen sie am Tage glauben machten, daß sie ihnen verboten seien.

So üben sie schon früh sich in die Heuchelei. Allen ihren Sünden wissen sie eine glatte Außenseite zu geben, sie zu entschuldigen, zu verdecken vor fremden Thieren und Hausgenossen – im Geheimen nur üben sie ihre Laster. So kommt es denn auch, daß nur wenige Thiere ihr verderbliches Treiben kennen. Die meisten, welche Tags über sich beschäftigen, sehen die Kakerlaken ruhig in den Spalten der Bäume, in den Ritzen der Fußböden, in den Löchern der Mauern sitzen, und halten sie für ein harmloses, gutmüthiges Geschlecht, das einsam in Entbehrung und guten Werken seine Tage hinbringe. Sie werden deßhalb oft die Betrauten ihrer Nachbarn, bis diese zu spät merken, daß ihr Vertrauen gemißbraucht wurde. Mit allen nächtlichen Thieren leben die Kakerlaken auf freundschaftlichem Fuße. Die hochnasigen Laternenträger, die in ihrem hohlen Kopfe ein Licht zu tragen behaupten, und von welchen auch die Weiber besonders dem gewöhnlichen Volke diese Lüge so lange glauben machten, bis dieses sich durch eigene Erfahrung vom Gegentheil überzeugte[9]; die spinnenartigen Kothwanzen, welche Tags über in Kehricht und Dünger sich einwühlen, ihren Rüssel schleifen und Abends hervorkriechen, eingehüllt bis an die Augen von Kehricht, Staub, Wolle, Federn und Haaren, um unerkannt durch dunkle Gäßchen sich hinschleichen zu können zu Bierfässern und Mostbottichen, und dort vaterländischen Gerstensaft zu schlürfen[10]; die Kellerasseln, Krabben und Springkäfer, ja sogar die Heulaffen und Gürtelthiere, die Bettwanzen und Sandflöhe, alle diese nächtlichen Thiere, die nur in der Dunkelheit sich hervorwagen und im zweifelhaften Lichte des bleichen Mondes oder der trügerischen Dämmerung größer erscheinen, als sie in der That sind[11] – alle diese Dunkelthiere sind genaue Bekannte und Freunde der Kakerlaken. Mit ihnen verbinden sie sich oft zu gemeinschaftlichen nächtlichen Unternehmungen; – die Kakerlaken spähen umher, machen die Angriffs- und Rückzugspläne und leiten aus der Ferne die

[135] Expeditionen, deren Genuß sie theilen, ohne sich ihren Gefahren auszusetzen. Mit Hülfe ihrer Bundesgenossen setzen sie sich überall fest, wo reiche Gefilde, fruchtbarer Boden ihnen hinreichende Nahrung verspricht, und wo sie trockene,

[136] warme Wohnungen und Sicherheit für Leben und Eigenthum zu finden glauben. Die wohnlichen Häuser an Waldsäumen, auf Rebhügeln, an sanften Flüssen und murmelnden Bächen, die geschützt stehen gegen rauhe Nordwinde, [137] alle diese heimlichen, zu beschaulicher Ruhe einladenden Wohnungen sind gewiß von Kakerlaken bewohnt oder waren einst ihr Eigenthum, das sie mit List und Verschlagenheit, durch Betrug und falsche Kunst sich aneigneten.

Unangefochten würden diese schwarzen Gesellen sich über das ganze Land ausbreiten, und überall durch ihre Gefräßigkeit Noth und Elend verbreiten, wenn sie nicht einen Feind hätten, der ihnen unversöhnliche Rache geschworen hat und stets bereit ist, ihren Fortschritten Einhalt zu thun.

Dieß sind die Wanderameisen, Söhne sozial-demokratischer Freistaaten, welche in den südlichen Gegenden die unbestrittenen Herrscher des Bodens sind, und durch ihre

gesellschaftliche Einrichtung, ihre enge Freundschaft, ihre brüderliche Liebe und ihre Aufopferungsfähigkeit jeden Feind, auch den größten und gefährlichsten, der ihnen hundertmal an Kräften überlegen ist, zu überwinden wissen. Die Ameisen überwachen die Kakerlaken. Sie sind langmüthig und geduldig, sehen den Umtrieben der schwarzen Gäste lange ruhig mit zu und lassen sie oft Jahre hindurch unangefochten gewähren. Zuweilen aber fährt es wie ein elektrischer Funke durch das Volk der sozial-demokratischen Ameisen. Von Baum zu Baum, von Haufe zu Haufe, von Wald zu Wald fliegen ihre Boten, verbreiten sich ihre Lärmzeichen. Ueberall begegnet man zahllosen Schwärmen, die unter dem Jubelgesang:

„Das Volk steh! auf! Der Sturm bricht los!
Wer legt da die Hände feig in den Schooß?“

nach den Vereinigungsplätzen marschiren. Endlich ist das Heer versammelt, unzählig, unübersehbar! Die Führer ordnen die Heerhaufen, bilden die Angriffskolonnen, vertheilen die Schwerbewaffneten, die leichten Waffengattungen, und stellen die Phalanx in Schlachtordnung.

O Freunde, ich habe ein solches Heer erblickt, und noch zittert mein Herz bei dem Gedanken an jene unzähligen Reisigen, die ich an mir vorübermarschiren sah. Ich saß in Cayenne am Ufer des Kuru, auf dem Aste eines Mimosenbaumes, als ich unter meinen Füßen ein knisterndes Getöse hörte, wie von einem Waldbrand. Erschreckt fuhr ich auf. Es war das sozial-demokratische Heer, welches unter meinem Sitze durchzog. Den Vortrab konnte ich nicht mehr erblicken – er war geräuschlos an mir vorübergeeilt. Was ich sah, waren Schwerbewaffnete, mit dicken Köpfen und stark hervorragenden Kiefern, welche sie kampfbegierig beim Marsche zusammenschlugen, daß sie klappten, wie scharfe Scheeren. Ein entsetzlicher Anblick! Der Heereszug hatte etwa hundert Schritte in der Breite. Alle Soldaten marschirten in größter Eile, ohne anzuhalten, halb hüpfend, halb laufend in gerader Richtung vorwärts. So zog es unter meinen Füßen durch, Stundenlang, – Millionen drängten Millionen – erst nach anderthalb Tagen sah ich den Nachtrab – einzelne Haufen von wildem Aeußeren, mit schwerem Kriegsgeräth beladen, die voll Eifers ihren Brüdern nachfolgten. Ich flog voraus und war so glücklich, den Vortrab in dem Augenblicke einzuholen, als er an den Ufern des Kuru eine von Kakerlaken bevölkerte Menschenburg erreichte. Ein ungeheurer Schreck fesselte die Bewohner des Hauses, die sich mit einer Unzahl anderer schädlicher Thiere dort eingenistet hatten, als die ersten sozial-demokratischen Krieger durch die Thüre eindrangen. Sie suchten zu fliehen, aber schon war das Haus umstellt, seine Wände erklettert, alle Fenster, Luftlöcher und Ritzen besetzt. Wie ein rasender Bergstrom ergossen sich die Sozialdemokraten durch alle Oeffnungen in das Innere. Eine unbegreifliche Verwirrung herrschte in dem Gebäude. Aus allen Spalten, Ritzen und Löchern stürzten verzweifelnde Kakerlaken, Wanzen, Kellerasseln, Spinnen, Skorpionen, Scolopender und anderes Ungeziefer hervor. Jene warfen sich auf die Knie und baten flehentlich um Schonung, diese suchten zu fliehen, andere glaubten ihre Verfolger durch Verbreitung eines intensiven Gestankes von sich abhalten zu können, wieder andere wehrten sich mit der letzten Wuth der Verzweiflung. Tausende der tapfern Angreifer erlagen den scharfen Kiefern der Kakerlaken, den giftigen Stacheln der Skorpionen – Millionen ersetzten der Gefallenen Stelle. Ein Rudel Hunde kann nicht mit so viel Wuth und Ingrimm über ein Pekari oder einen Tapir herfallen, als diese Cohorten der demokratischen Republik über die schwarzen Oblatenfresser. Jede Ameise beißt sich ein, jede reißt mit ihren Hakenkiefern ein Stück der schwarzen Kutte ab, um dem Innern tödtliche Wunden zu versetzen. Endlich erliegt der Kakerlake der Unzahl seiner Feinde – in einem Nu ist er getödtet, zerfetzt, ja selbst verzehrt. Was Schädliches in dem Hause lebt, wird auf diese Weise vernichtet, und erst wenn der letzte Kakerlak, das letzte Junge verzehrt ist, erst dann bricht die Schaar der Rächer auf, um anderswo ihr sühnendes Geschäft zu vollziehen.

O meine Freunde, wie glücklich seid Ihr, diese schwarzen Schleicher nicht zu besitzen, und solche gräßliche Vernichtungsscenen, welche trotz ihrer blutigen Scheußlichkeit nothwendig sind, nicht mit ansehen zu müssen, wie ich sie mit eigenen Augen schaute!

(Hiezu hatte der Hirschkäfer folgende Bemerkung gemacht: „Mein Freund aus Cayenne irrt sich – die Kakerlaken fehlen uns nicht – wohl aber die sozialdemokratischen Heere, welche sie in ihren Schlupfwinkeln aufsuchen und ihrem Treiben ein Ende machen.“)


Die zweite Gattung dieser Thiere, fuhr das Manuscript des Käfers aus Cayenne fort, ist noch seltsamer als die Kakerlaken. Sie heißen die Beter – auch wandelnde Blätter.

Ein fromm Geschlecht! ein andächtig Geschlecht! Sie leben still und scheinbar harmlos, einsam im Freien, an sonnigen Orten, gehen gern an Waldrändern im kurzen Grase, unter trockenem Laube spazieren und suchen so viel als möglich das Aufsehen zu vermeiden. Ihre Kleidung ist der Umgebung angepaßt – die im Grase lebenden sind grün, die an Waldrändern sich aufhaltenden tragen bräunliche, geaderte Flügeldecken, wie dürre Blätter, oder gleichen abgebrochenen Stückchen Holz. Sie sind alle dünnen, schmächtigen Leibes, langgezogen, hager; ihre Brust ist lang, eckig, vorgestreckt; ihr Kopf fein, zierlich, die Fühlhörner sehr lang, fadenförmig. Die Flügel, von geringer Breite und fast durchsichtig, liegen eng an dem gegliederten Leibe an, über den sie hinten hinausstehen, wie ein Frack mit langen, rund abgestutzten Schößen; die Beine sind zierlich, fein, dünn, die Waden durch Kasteiung verschwunden. Ihre Arme sind groß, breit, der Vorderarm sensenartig gebogen, wie eine Scheere gegen den Oberarm eingeklappt und auf der innern Seite mit Stacheln bewaffnet. Das Bruststück des Leibes, an dem sie befestigt sind, ist lang und schmal; das Thier trägt es aufgerichtet und die Hände beständig gefaltet und erhoben, wie beim Beten. – Die Menschen lieben und achten dieses Geschöpf wegen seiner Frömmigkeit. Morgens, Mittags und Abends, so erzählen die Wilden, setze es sich mit dem Gesichte gegen die Sonne, erhebe die zum Gebet gefalteten Hände, singe einen Psalm mit feiner schrillender Stimme und bete dann lange Zeit inbrünstig und still vor sich hin. Sie erwecken Mitleiden durch ihre Magerkeit, ihr duldsames Aussehen, ihre demüthigen Manieren. Bei den Wilden geht die Sage, der große Geist habe sie auf die Erde gesetzt und angewiesen zur Bekehrung der Menschen. Von Hunger ausgemergelt, sollen sie durch ihr Beispiel die Menschen belehren, bei Hungersnoth und anderen Fahrnissen die Hände bittend nach dem Himmel auszustrecken, von wo ihnen Hülfe in der Noth kommen werde. Auch in Euren Landen, lieber Vetter, kommt dieses Thier zuweilen vor. In Mähren und Bayern, besonders aber im Wallis gedeiht es. Franz von Paula Schrank, ein frommer, biertrinkender Gelehrter aus München, hat es den Menschen zum Muster aufgestellt, sie ermahnt, gottesfürchtig zu sein, wie das wandelnde Blatt, zu beten und sich zu kasteien, wie diese frommen Insekten, die beständig mit flehend zusammengelegten Händen umhergehen und für ihre Sünden um Vergebung bitten.

O Vetter Hirschkäfer! Wie viel Heuchelei ist in der Thierwelt! Der gute Franz von Paula Schrank! Er muß seinen Verstand so ziemlich eingebüßt haben über vergeblichen Versuchen, ein altes abgeschmacktes Mährchen über die Schöpfung der Erde in sieben Tagen, das unter den Menschen umgeht, mit den wissenschaftlichen Forschungen in Einklang zu bringen! Es gibt kein blutdürstigeres, räuberischeres Insekt unter der Sonne, als ein solches wandelndes Blatt! Während es scheinbar in frommen Gedanken versunken sitzt und die gefalteten Hände erhebt, späht es mit mordgierigen Blicken nach allen Seiten umher, ob sich ihm etwa eine Beute nähert. Wehe der armen Fliege oder Heuschrecke, welche in sein Bereich kommt. Langsam hebt der Beter den Kopf und die Hände; er berechnet den Raum, der ihn von dem arglosen Insekte trennt, er späht umher, ob nicht zufällig ein Zeuge seiner Unthat in der Nähe sich finde; ein Sprung, ein Hieb mit der sensenförmigen Klaue – das arme Thier ist gepackt und mit den Zähnen des zusammengeklappten Fußes festgehalten. Nun wird es zerhauen, zerschnitten, aufgezehrt. Kaum ist das Mahl vollendet, die Fühlhörner, die Kiefer und die Klauenfüße geputzt, so setzt sich das hinterlistige Thier auf’s Neue in betender Stellung hin und erbaut die Vorübergehenden durch seinen Anblick.

Nichts kann ihre Geduld im Lauern auf die Beute ermüden. Stundenlang sitzen sie so im Grase mit erhobener Brust und gefalteten Armen, und drehen den Kopf nach allen Seiten, zu spähen, wohin der Käfer, die Mücke, die Heuschrecke kriecht, welche sie sich ausersehen haben. Nähert sich das Thier nicht, so schleichen sie langsam wie eine Katze heran. Bei jeder Bewegung des erkorenen Opfers halten sie an und erscheinen, in ihrer Unbeweglichkeit, wie ein Grashalm oder ein Blatt. Wendet das Thier den Blick ab, so schleichen sie vorwärts und erhaschen es endlich im Sprunge. Oft auch verfolgen sie ihre Beute durch die Luft im Fluge, hacken sich mit ihren Fangklauen in den Leib des fliehenden Thieres ein und fressen ihm Stücke aus dem Hinterleibe, während es noch ängstlich zu entfliehen sucht. Sie tödten nicht das Thier, um es nachher zu verzehren – sie suchen die Qualen des Opfers vielmehr so lange hinzuziehen als möglich, und scheinen sich mit Vergnügen an seinen Zuckungen zu weiden.

Selbst ihr eigenes Geschlecht verschonen diese Heuchler nicht. Sobald sie nur einander ansichtig werden, so schnauben sie vor Zorn und rasseln mit den Flügeln, während sie zugleich den Kopf und die Klauenfüße hoch in die Höhe heben; die Wuth versetzt sie in eine Art Starrkrampf; steif und unbeweglich starren sie einander an; dann durchläuft ein krampfhaftes Zittern ihren ganzen Körper. Blitzschnell fahren schnaubend sie und pustend auf einander los und hauen sich mit den sensenförmigen Klauenfüßen. Sie packen sich mit den Füßen, mit den Kiefern, und nicht eher endet der Kampf, bis einer der Beter entseelt zu den Füßen des andern liegt. Der Sieger zerfetzt den Gebliebenen auf völlig unthierische Weise, zerstückt ihn und verzehrt ihn endlich als gute Beute. Vor andern Insekten aber behandeln sich die Beter mit der ausgesuchtesten Höflichkeit, und geben sich den Anschein, als beseele sie nur die reinste Bruderliebe und die innigste Freundschaft.

So verbergen die Kanibalen ihre Unthaten unter der gleißnerischen Larve der Heuchelei. Sollte man glauben, daß es noch immer unerfahrene Insekten genug gibt, welche sich durch das fromme Wesen, die betende Haltung dieser Schändlichen täuschen lassen? Die Erfahrenen freilich, welche diese Beter bei ihren Mahlzeiten überraschten, oder schon einmal ihren Nachstellungen nur mit Mühe entgingen, die Geprellten und Verfolgten wissen wohl, daß dieses fromme Ansehen nur eine Maske ist, welche die schändlichsten Absichten birgt. Aber wie manche junge Heuschrecke habe ich schon zu ihren Gefährten sagen hören, wenn sie von den Bewohnern ihrer Waldwiese sprachen: „Kommt, machen wir einen Besuch dem gottesfürchtigen Beter, der dort an der Ecke im Grase wohnt. Der arme Einsiedler lebt ganz allein, ohne anderes Obdach als den freien Himmel, allen Stürmen der Witterung ausgesetzt, in harter Kasteiung und beständigem Gebete! Kommt, gehen wir zu ihm, bringen wir ihm zarte Grassprossen, die noch süß schmecken, frische Knospen und Blüthenkölbchen, um ihn zu erquicken und eine gute That an dem frommen Dulder zu thun! Er wird uns dafür segnen und die Gnade des Himmels auf unsere Häupter herabflehen!“ Wie manchmal habe ich vergebens ein solch’ jungfräuliches Heuschrecken-Gemüth gewarnt, wie manchmal harte Worte hören müssen, daß ich ein Verläumder sei und den Ruf des frommen betenden Einsiedlers aus Neid zu schwärzen suche. Ich erinnere mich, daß eine junge Grylle, eine herrliche Sängerin mit einer schmelzenden Stimme, die mich oft an heißen Sommertagen in mein Mittagsschläfchen einlullte, mir förmlich die Freundschaft aufsagte, weil sie mich für ein garstiges Lästermaul halten müsse...

Eine Stunde darauf war die Arme eine Beute des unersättlichen Heuchlers geworden. In ihrem letzten Todeskampfe heftete sie ihre tausend sterbenden Augen auf mich, der ich ängstlich schnurrend herzuflog, und rief mit gebrochener Stimme: „Flieh! sonst droht auch dir der Tod! Ich sterbe, ein Opfer blinden Vertrauens!“

Es gibt Verwandte dieser Heuchler und Beter in manchen heißen Ländern, welche in Ordensregeln geeinigt sind und durch deren scheinbare Beobachtung Viele täuschen. Man nennt sie Stabschrecken, denn ihr Spruch, welcher auch unter den Menschen bei einer gewissen verrufenen und an vielen Orten verbannten Klasse Geltung haben soll, und den ihr Stifter als unverbrüchliche Ordensregel hingestellt hat, lautet: Eritis sicut baculus in manu viatoris. Ihre Magerkeit ist abschreckend; ihr Leib gleicht einem langen, runzlichen, grauen Stöcklein, von welchem hie und da einige sparrige Zweige ausgehen. Manche haben Flügel, Andere gehen ganz nackt. So schleichen diese Thiere langsam und träge am Boden und im Grase umher – die unvorsichtigen Insekten glauben nicht, daß sie Leben hätten, sondern halten sie für abgefallene dürre Zweige; sobald sich eine Gefahr nähert, strecken sie sich starr aus und bleiben wie todt. O der Schlauen, welche sich todt stellen, um ihr gefährliches Leben zu verbergen! Viele Kerfe glauben gar nicht an ihr Dasein – „Wo sie sind, diese Stabschrecken,“ sagen sie; „wir möchten gerne welche sehen! Aber es gibt keine mehr; die es gab, sind todt oder ausgewandert. Ihre Existenz ist ein Kindermärchen, womit man Leichtgläubige hintergeht.“ Und während manches unerfahrene Insekt so spricht, setzt es vielleicht seinen Fuß auf ein solches Thier, welches von ihm für einen todten Zweig gehalten wird. Die Schrecke hält sich unbeweglich und schleicht erst weiter, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist… Wo sie aber ein wehrloses Insekt findet… wehe ihm!

O Vetter Hirschkäfer, hütet Euch vor diesen Heimduckern, von welchen geschrieben steht: Eritis sicut baculus!

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Der Hirschkäfer hatte hier eine Reihe von Linien eingeschoben, aus denen hervorging, daß er die Schrift seines Vetters schon öfters studirt und in den Kreis seines Nachdenkens gezogen hatte.

Bei uns, schrieb er, gibt es eine dritte Art dieser Thiere. Man nennt sie Werren oder Maulwurfsgryllen. Gleich ihren Verwandten, den Kakerlaken, scheuen sie das Licht – ja man behauptet sogar, daß sie sterben müßen, sobald sie den Schein der Sonne erblicken. Deßhalb graben sie sich tiefe Gänge in die Erde und wühlen sich unter dem Boden fort, gleich Maulwürfen, alles Lebende zerstörend, was sie auf ihren dunkeln Wegen antreffen.

Ein häßlich Thier! Ein gefährlich Thier! Seine Vorderfüße sind breit, verdickt, schief gedreht, nach Außen gewendet, wie die Füße eines Maulwurfs, und mit harten Hornspitzen zum Graben und Miniren bewaffnet. Eine Anzahl beweglicher Freßspitzen spielt um den gefräßigen Mund. Die Brust ist mit einem harten Schilde gepanzert. Sie haben Flügel – sie fliegen nicht; Springfüße, und springen nicht. Graben und Unterwühlen, das ist ihre Freude, ihr Beruf. Sie fressen die zarten Wurzeln und bringen so die Pflanzen zum Verdorren. Ja, wenn sie noch schädliches Unkraut ergreifen wollten! Aber sie verschmähen die Wicken und Winden, welche das Getreide umstricken mit ihren unzähligen Rollranken, und es zu Boden ziehen unter dem Gewichte ihrer Last; sie verschmähen den Taumellolch und die Schäfertasche, das Königskraut und die Pfaffenwurz; der Landmann, der die Frucht seines Schweißes auch selbst genießen möchte, ohne daß Andere ihm den besten Theil wegnehmen, der Landmann würde die wühlenden Werren wie seine Helfer in der Noth begrüßen, wenn sie diese schädlichen Pflanzen benagen wollten, so daß sie trockneten und abstürben, ohne Samen zu tragen. Aber die Werre treibt ihre Gänge gerade nur unter die nützlichsten Pflanzen des Feldes und der Wiesen – Getreide und Gras greift sie am liebsten an – Königskraut und Pfaffenwurz, diese wuchernden Unkräuter, verpflanzt sie sogar dadurch weiter, daß sie die Tagwurzeln abbeißt und weiter schleppt, wo sie dann Boden fassen, Knospen und Schößlinge treiben und dem Getreide die Nahrung abschneiden, um es so langsam verkommen zu lassen.

Manchmal nur, nach Sonnenuntergang, kriecht die Werre aus ihrem Loche hervor und lauert an seinem Eingange. Ich habe sie öfter sitzen sehen, bei meinen Abendausflügen, stets einsam und allein, zuweilen mit rauher, unmelodischer Geigenmusik beschäftigt. Es gibt Insekten, welche gesellschaftlich wühlen, welche unter der Erde die Wurzeln des Bestehenden zerfleischen, so daß endlich selbst die Hochstämme des Waldes verdorren bis in ihre Krone hinein – aber diese Wühlinsekten lieben die Gesellschaft, sie leben zusammen in brüderlicher Einigkeit und arbeiten gemeinschaftlich zu einem solchen Zwecke hin, meist in der Absicht, ihren Kindern eine sorgenfreie Existenz in dem gefällten Baume zu schaffen. Diese Wühlinsekten greifen vorzugsweise jene stolzen Stämme an, deren Kronen einen dumpfen Schatten auf das Land unter ihnen werfen, so daß dort nur bläuliche Sumpfpflanzen, feuchtes Moos oder elende Unkräuter und Schmarotzerpflanzen gedeihen. Solche Stämme, welche den Boden verdumpfen, die nützlichen produktiven Pflanzen ersticken, das Land veröden, indem sie alle Nahrung nur an sich ziehen und ihre Kronen immer weiter beschattend ausdehnen, solche Hochstämme werden von den sozialen Wühlinsekten mit oft unglaublich schnellem Erfolge unterhöhlt und um so eher zu Fall gebracht, je mächtiger ihre Kronen sind und je mehr Angriffsseiten sie dem Sturme bieten. – Die Werre aber, die würdige Verwandtin der Kakerlaken, greift solche schädliche Pflanzen nicht an. Sie treibt einsam ihre dunkeln Gänge unter dem Boden fort und benagt die Wurzeln des Getreides, die zarten Hopfenschossen, die nährenden Ranken des Grases. Je mehr Schaden sie thut, um so besser gedeiht sie. Sie wird fett von dem Mangel Anderer, und wenn sie Abends beim Hervorkriechen aus ihrem Loche die Strecken ansieht, wo die Gewächse verdorren, wie wenn der Pesthauch oder der Wind des Verrathes[12] über sie hingefahren wäre, so freut sich ihr entthierter Sinn, und mit scharfem Geigenton lockt sie ihr Weibchen herbei, um mit ihm dieses Genusses sich zu freuen.

Zieht man die Werre aus ihren dunkeln Gängen hervor und setzt sie auf festes Land, in welchem sie nicht einbohren kann, so geräth sie in eine auffallende Unruhe. Nach allen Seiten läuft sie herum, ein Versteck zu suchen; an jedem Erdenkloße tastet sie nach einer weichen Stelle, um sich einzugraben und aus dem Gesichte zu verschwinden. Gelingen alle diese Versuche nicht, so erscheinen sie eben so täppisch und linkisch, wie Herr Sepp, wenn er sich nicht unter seinen Tölzer Bauern befindet. Mit verlegenen Mienen zupft sie an ihren Flügeln herum, ihre Beine stolpern über einander her, ihre Grabfüße hacken sich in die Freßspitzen – um Mitleid und Erbarmen zu erregen, nimmt sie dieses unbeholfene Benehmen an. Aber laßt sie ein Loch finden… sie verschwindet darin so schnell, wie Herr Buß im Piusvereine.

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„Die Erde sieht aus“ (so fuhr das Manuscript des ausländischen Käfers fort) „wie wenn ein versengendes Feuer über sie hingefahren wäre. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm zeigt noch ein Blättchen – alles Grüne ist verschwunden. Ist eine der ägyptischen Plagen über das Land hingegangen? Hat der Waldbrand sich der Haide mitgetheilt und Stoppeln und Gräser verzehrt, daß nur noch die nackte Erde, rissig und geborsten, aus ihren Spalten einen wolkenleeren Himmel um Labung anruft?“[13]

„So, mein lieber Vetter,“ rief ich einem befreundeten Verwandten zu, der mit mir eine Reise in Südafrika machte, wo er zu Hause war. „Du irrst dich,“ antwortete er – „nicht der Samum hat diese grünenden Flächen berührt, nicht das Feuer ihre Halmen verbrannt – hebe deine Flügel und folge mir, so will ich dir die Plage unseres Landes zeigen.“

Er schwirrte auf und nahm die Richtung gegen die Berge. Der Himmel war heiter, aber über den Gipfeln des Gebirges hatten sich dumpfe, schwere Wolken gelagert, welche wie von heftigem Winde gepeitscht, ihre Gestalt beständig änderten und zusehends dichter wurden. Es sah aus, als nahe ein Schneesturm. Ich wollte umkehren, mich verbergen. „Folge mir,“ rief mein Führer, „du laufst keine Gefahr. Halte dich nur dicht an mir!“ – Je näher ich kam, desto seltsamer erschienen mir die Wolken über den Berggipfeln. Es bewegte sich darin, es kochte und dampfte, wirbelte und wogte – ich glaubte einzelne Pünktchen, ja selbst Gestalten in dem wallenden Grau zu unterscheiden. Ein eigenthümliches Rauschen und Knistern erfüllte die Luft. Es wurde dunkel – obgleich es Mittagszeit war. Jetzt unterschied ich in dem Gewoge Körper, Flügel, Beine. Es rauschte und schwirrte um mich her, wie in einer von Wasserrädern getriebenen Fabrik. Ich war in einem unermeßlichen Schwarme von Thieren! Kaum konnte ich vorwärts fliegen, so dichtgeschlossen waren die Reihen, welche uns entgegen kamen. Hunderte stießen an mich an. Oft war ich in Gefahr, durch das heftige Anprallen der Thiere zu Boden gestürzt zu werden. Ermüdet setzte ich mich auf das Horn eines Rhinoceros, welches mit uns in gleicher Richtung vorwärts eilte. Jedes Schnauben aus den Nüstern dieses Kolosses warf Hunderte zu Boden, jeder Fußtritt zerquetschte Hunderte. Eine Viertelstunde mochten wir uns so durch die Wolke von Insekten durchgearbeitet haben, als es endlich heller wurde. Das Nashorn athmete freier – nur einzelne Nachzügler belästigten uns noch. Ich sah mich nach meinem Freunde um. Er saß hinter dem Ohre des Nashorns. Wir flogen auf einen Baum in der Nähe, dessen kaum eben noch dichtbelaubte Zweige jetzt nackt und kahl, wie Besenreiser, in die Luft ragten.

„Um Gottes Willen, Freund,“ rief ich, indem ich mir mit meinen blättrigen Fühlhörnern Luft zufächelte, „wie entsetzlich! Was für Heere sind dieß, deren zerstörendem Raubzug wir so thöricht waren, entgegen zu fliegen? Ohne jenes edelmüthige Rhinoceros wäre ich zu Grunde gegangen!“

„„Mach’ mir keine Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit,““ antwortete der Freund. „„Ich hatte mich geirrt und hätte fast mit dir meinen Leichtsinn schwer büßen müssen. Das Rhinoceros hat uns gerettet, ich werde es, trotz seiner Plumpheit, zu meinem Fetisch machen, und als gütigen Schutzgott verehren. Doch ich bin dir Aufklärung schuldig. So höre:

Früher lebte die Thierwelt hier zufrieden und emsig neben einander. Alles ging seinen Geschäften nach, und fand reichliche Mittel der Existenz. Zwar der kleine Krieg der Concurrenz, der auch jetzt noch nicht aufgehört hat, dauerte fort – man griff sich wechselseitig an, wehrte sich, oder wurde gefressen, wie es in der Natur und ihren Gesetzen begründet ist. Aber dieß war ein geringes Uebel, dem man durch Kühnheit oder Klugheit entgehen konnte. Wir waren doch wenigstens frei – unseren Willen beschränkte nur das in uns selbst liegende Gesetz des Instinktes, dieses mit unserer innersten Kultur verwachsene Naturgesetz. Die anarchisch umherschweifenden Kerf-Gattungen lebten ebenso frei, wie die Gesellschaften der Ameisen und Termiten, der Bienen und Meliponen – ein regsames Streben nach Erringung höherer Kultur that sich unter der Insektenwelt kund. Wir fühlten uns glücklich in dieser gemäßigten Anarchie, die Jedem eine freie Entwicklung seiner Fähigkeiten gestattete, und hofften, daß bald die vollständige Anarchie der Kultur eintreten werde, wo der Instinkt eines jeden Insekts sich so sehr durch verständige Betrachtung der Außenwelt und der Beziehungen zu seinen Nächsten läutern sollte, daß gar keine staatlichen Einrichtungen mehr nöthig sein würden, um den Schwachen zu schützen und den Starken zurückzuhalten. Wie oft, Vetter, habe ich mit Freunden auf einem jener kolossalen blühenden Haidesträuchern gesessen, welche das Kapland in so üppiger Fülle hervorbringt, und mich und meine Freunde exaltirt in der Hoffnung, daß diese Anarchie der Kultur und der Glückseligkeit in Bälde erscheinen werde! Wir sehnten uns nach dem Augenblicke, wo jenes ideale Ungeheuer, Staat genannt, aufhören werde, seine eigenen Angehörigen bis auf den letzten Blutstropfen auszusaugen, wo es aufhören werde, unter dem Vorwande, das Eigenthum zu schützen, es ihnen wegzunehmen, wir glaubten, jene Zeit uns nahe gerückt zu sehen. … Ach! was wir für die Morgenröthe der Freiheit gehalten hatten, war der blutige Schein, welcher der Gewalt voranleuchtet.

Eine jener Purpurheuschrecken, deren Scheitel mit einem ausgezackten Kamme geziert ist, hatte eine Verschwörung gestiftet. Sie hatte die Kakerlaken und Schaben, diese schwarzen, nächtigen Oblatenfresser, die Beter und Stabschrecken, die Werren und die zahllosen Schwärme der gesellig lebenden Schnarrschrecken um sich versammelt, und sie durch mehrere Reden für die Idee des absoluten Staates begeistert. „Ich und mein Haus,“ sagte die Purpurheuschrecke, „wir wollen dem Herrn dienen! Der Herr wird uns erleuchten, seinen Inspirationen werden wir folgen. Seht hin, Ihr meine Getreuen, welch’ entsetzlicher Zustand in diesem Lande! Jedes thut, was es will. Niemand achtet meine Reden; – man lacht ihrer sogar! Mag ich auch noch so laut schnarren, noch so heftig meine Beine an den Rippen meiner Flügel reiben – kein Insekt thut, als wenn es mich hörte. Die Ameisen gehen ihren Geschäften nach, ohne mich zu fragen; die Schmetterlinge sonnen sich, ohne Erlaubnißscheine zu lösen. Die Treue und der Glauben ist von diesem Geschlechte gewichen, welches sich von dem Herrn abgewandt hat und in Untreue seine Tage zubringt. Der Glaube muß wieder hergestellt werden, damit die Treue wiederkehre. Ihr lebt von dem Glauben – ohne ihn müßt Ihr verhungern. Ich bedarf der Treue wie Ich sie verstehe. Wohlan denn, schließen wir einen festen Bund! Ich diene Euren Zwecken, wie Ihr die meinigen stützt.“

„Wir sind einverstanden,“ riefen die Kakerlaken und die Beter, und die Stabschrecken neigten sich mit auf der Brust gekreuzten Vorderbeinen. „So geht denn hin,“ rief die Purpurheuschrecke, „und prediget Buße, damit das Volk vorbereitet werde auf die Erscheinung der Macht und der Gewalt. Denn diese geht Allem vor – ich habe das Orakel des konstitutionellen Essigtopfes befragt, und aus seinem, mir verhaßten, sauren Gequalme die Antwort vernommen, daß überall, wo eine Frage der Freiheit mit einer Frage der Staatsmacht in Conflikt kommt, die Freiheit der Staatsmacht weichen müsse. Wohlan! Ich will die Staatsmacht sein – mir soll die Freiheit weichen! Bereitet Ihr den Boden, damit Ich das Banner der Gewalt aufpflanzen könne, vor dem sich die Insekten beugen!“

Während die Heere der Schnarrschrecken und der Wanderschrecken sich organisirten und zu ihrer Sendung rüsteten, verbreiteten sich die Kakerlaken, die Beter, die Stabschrecken, die Werren, systematisch über das Land. „Wehe!“ riefen sie, „Gottes Ordnung ist verletzt. Laßt uns zurückkehren zu seinen Geboten! Wir wollen einen König haben, der herrsche, der ein Gesalbter des Herrn sei, und nicht eine bloße willenlose Puppe in den Händen der Abgesandten des Volkes. Der Staat ist verloren, der Anarchie verfallen! Die Ordnung, die heilige Ordnung, muß wieder hergestellt werden!“ So erschreckten sie die Weiber und Kinder, und diejenigen Männer, welche an Bleichsucht der Leber litten, stifteten Vereine und Treubünde, in denen sie heulten und plärrten und predigten täglich und stündlich über den bevorstehenden Untergang der Insektenwelt und die furchtbare Rache, welche der zürnende Gott an den anarchischen Missethätern nehmen werde, die weder glauben, noch gehorchen, sondern sich selbst Gesetze geben und sich selbst regieren wollten. Die freien Kerfe kümmerten sich wenig um dieß Gerede – „laßt jene glauben was sie wollen,“ sagten sie, „wenn wir nur glauben dürfen, was wir wollen. Sie haben denselben Anspruch auf Freiheit, wie wir!“ In Sorglosigkeit wiegten sich die ungeknechteten Insekten ein. „Wer kann es wagen wollen, unsere Freiheit anzutasten,“ riefen sie. „Sie ist uns zugeschworen – heilige Naturgesetze verbürgen sie uns; das Recht, was mit uns geboren wurde, kann uns keine Macht der Erde mehr entziehen!“

Die Unvorsichtigen! Bald nahten jene unglücksschwangern Wolken, deren wir eine passirt haben. Es waren die Heere der Gewalt, gesendet von der Purpurschrecke. Glaube nicht, Vetter, daß diese Schwärme von Schnarrschrecken und Wanderschrecken, wie du sie da siehst, in Unordnung hin- und herfliegen. Sie haben einen von der Purpurschrecke eingesetzten Anführer, dem sie blindlings gehorchen. So groß ist dieser Gehorsam, daß die gemeinen Wanderheuschrecken unweigerlich alle Befehle ihres Anführers ausführen, ohne nach ihrem Zweck, ihrem Grunde zu fragen. Das arme Volk muß diese Gewaltscene, diese Heuschreckenschwärme ernähren, die unbedingt in die Hand der Purpurschrecke gegeben sind. Diese setzt ihnen den Anführer, diese befiehlt ihnen, irgend eine Gegend zu überfallen und zu verheeren. So entsetzliche Fresser finden sich nicht wieder in der Insektenwelt. Der Schwarm bewegt sich nur auf Befehl des Anführers – erhebt sich dieser, so fliegen Alle auf, sitzt er nieder, so fallen Alle zu Boden. Auf dem Flecke lassen sie sich todtschlagen zu Hunderten, ohne sich zu rühren, wenn ihnen der Anführer keinen Befehl gegeben hat. Willenlos, sind sie nur Maschinen in der Hand des Mächtigen.

Wehe dem Lande, in welches die Schwärme dieser stehenden Heuschreckenheere einfallen! Kein Baum, kein Grashalm bleibt stehen – Alles wird von den Unersättlichen vernichtet, oder, nach ihrer Kunstsprache, requirirt. Du siehst, wie der kleine Schwarm gehaust hat, der hier sich niederließ – du kannst dir keinen Begriff von dem Aussehen eines Landes machen, in welches ein solches Heer mit Ueberzahl gekommen ist. Tausende ihrer Leichen, von ihren Feinden getödtet, faulen auf dem Boden umher, verpesten die Luft und erzeugen bösartige Krankheiten, an welchen Insekten und andere Thiere zu Grunde gehen; – die Gegenden, welche sie verlassen, sind verödet, ausgestorben, die Bewohner dem Hunger oder den Krankheiten erlegen, die Felder auf Jahre hinaus verwüstet, die Nahrungsquellen der Bevölkerung für lange Zeiten versiegt. Vor und hinter diesen Schwärmen der stehenden Heere wüthet der Todesengel – ihr Zweck ist Vernichtung, und sie erfüllen denselben durch ihre bewundernswerthe Organisation, welche die Einzelnen mit unerbittlicher Strenge zusammenhält.

So ist denn dieß unglückliche Land unterjocht, verarmt und eine Beute der Kakerlaken und der Heuschrecken geworden. Was grünt, wird von diesen gefressen – alle Einkünfte des Staates werden verwendet, diese entsetzlichen Heere zu nähren, welche der Purpurschrecke gehorchen. Wer die Kraft in sich fühlt, Widerstand zu leisten, ja wer nur verdächtig ist einen Gedanken zu haben, welcher der Purpurschrecke oder den Kakerlaken nicht gefällt, über den fallen mehre Dutzend Heuschrecken her, legen sich mit Gewalt in sein Nest, fressen seine Vorräthe auf, bis sie ihn ruinirt und zum armen Insekt gemacht haben. Deßhalb ruht Todesstille auf diesem Lande. Die Kakerlaken und Beter nur befinden sich wohl in diesem Grabe alles Lebendigen. Sie ziehen hinter den Schwärmen der Heuschrecken drein und stellen sie als Strafe Gottes für die Sünden der Insekten dar. Die Verzweifelnden trösten sie mit dem Himmel und lassen sich für den Trost noch das Letzte geben, was die armen Kerfe vor der Gefräßigkeit der Heuschreckenheere gerettet haben. Die Larven und Eier der verarmten Eltern nehmen sie dann zu sich, und erziehen sie nach ihrer Weise zu ihren Zwecken. Das Insekt sei da, behaupten sie, um der Purpurschrecke zu gehorchen, und für die Kakerlaken, die stehenden Heuschreckenheere und die Purpurschrecke zu arbeiten. Arbeit sei seine spezielle, ihm auferlegte Bestimmung; – Vergeltung finde es im Jenseits für die Leiden auf dieser Erde.

Die dummen Insekten glauben diesen Reden – die Vernünftigen, welche den Kopf dazu schütteln, werden von den Heuschrecken so lange mißhandelt, bis sie in Kummer und Noth, Elend und Entbehrung untergehen oder das Land verlassen.

So wird hier in dem früher so gesegneten Kaplande Alles schlechter durch die Kakerlaken und das stehende Heer der Heuschrecken. Systematische Verdummung im Bunde mit vollständiger Unterdrückung und steter Ausplünderung – wie könnte da die Insektenwelt gedeihen? Das Kapland ist arm an Kerfen aller Art, seine Bevölkerung ist krüppelhaft, ärmlich – laß diese scheußlichen Staatseinrichtungen aufgehoben sein, und eine frische Vegetation wird diese öden Flächen überziehen, und ein freies, schönes Insektenleben sich unter der warmen Sonne gestalten!““ –


So weit ging das Blatt aus der Bibliothek des Hirschkäfers. – Unsere Wasserfahrt war geendet. Ueber unsern Häuptern brannten in lichter Glut die Gipfel der Alpen – gleich einer riesigen Fackel starrte der Niesen in den dunkelen Abendhimmel. Wie mit Purpur und Blut waren Felsen und Matten übergossen. Der Bote brachte die Zeitung. Bei dem rothen Lichte, das von den Bergen herabstrahlte, lasen wir die Nachricht von der Uebergabe von Vilagos und von dem Falle Ungarns. „Der Krieg ist geendet,“ so rief es mit todesschwarzen Lettern aus dem erröthenden Papiere hervor; „aber um welchen Preis! Rauchende Städte, verbrannte Dörfer, verwüstete Felder, mit Blut und Leichen gedüngt! Ein nacktes, kahles Land liegt die einst so fruchtbare Perle des österreichischen Kaiserstaates da, über welches sich die verbündeten Heere der Russen und Kaiserlichen wie Heuschreckenschwärme ergossen haben!“

Der Absolutismus hat seine Netze bis in die Thierwelt hinab ausgespannt. Sollte ihm eine Abschrift des Blattes in die Hände gefallen sein, das ich eben aus der Bibliothek des Hirschkäfers entnommen hatte? – –

Ich las später die Rede eines spanischen Cortes. „Europa ist auseinander gerissen, ohnmächtig, halbtodt vor Schwäche, es steht am Rande des Abgrundes – die Slavenwelt wird sich über die germanisch-römische Bevölkerung stürzen und ihrem Siegeszug erst an den Ufern des Oceans Einhalt thun. – Unsere Gesellschaft hat nur ein Mittel zu widerstehen gegen den Umsturz. – Der Priester muß sich mit dem Soldaten verbinden, beide müssen Hand in Hand gehen, beide auf dasselbe Ziel lossteuern: – Erhaltung der gegenwärtigen socialen Zustände.“

Der Aberglauben und der Schrecken sollen sich vereinigen, um ihre Maschinen, Priester und Soldat, auf denselben Punkt wirken zu lassen!

Wo wollt Ihr den Glauben her holen, den wir nicht mehr haben? Wie ihn uns geben? Wie soll es uns möglich sein, einen Glauben wiederzufinden, den wir längst verloren haben? Soll die Ueberzeugung ein Produkt der Gewalt sein?

Ihr müßt die jetzige Generation ausrotten, die zukünftige verdummen, um zu retten – was? Eine Gesellschaft, die Euch selbst nicht mehr genügt!

Kakerlaken, wandelnde Blätter, Stabschrecken, Werren und Wanderheuschrecken – wann wird Euer Geschäft beendet sein? Oder wird das alte Europa über Euch zusammenbrechen müssen, um Euch und Eure Gegner zu begraben unter seinen Trümmern, die aus der Wüste hervorstarren werden, traurige Reste einer untergegangenen Civilisation, wie die zerbröckelten Mauerreste von Palmyra und Ninive, über deren unfruchtbare Umgebung asiatischer Despotismus seinen beglückenden Einfluß ausübt?

Bern, April 1850.


Blasenträger.
III.
Blasenträger.
Braver Jaup, wie oft hab’ ich dein gedacht!

Wie oft schwebte dein ehrwürdiges Bild vor meinen Augen! Ich sah diese strahlende Glatze, von der einst das konstitutionelle Licht ausging, welches mein und dein engeres Vaterland, Hessen-Darmstadt, erleuchtete; ich sah diese Züge, die weit her aus der Mongolei in die kaukasische Rasse hineingepfropft schienen, als lebendiges Beispiel der Einheit des Menschengeschlechtes, als wandelndes Zeugniß für den historischen Adam, den Vater aller Menschen, mit Ausnahme der konstitutionellen Fürsten; ich sah diesen der Geschichte anheimgefallenen blauen Rock, dessen lange Falten bis auf die Knöchel herabfallen, während der Kummetkragen, dem Joche des Ackerthieres gleich, hoch hinauf den Hals umhüllt; ich sah sogar diese genagelten Schuhe, auf denen du unverdrossen durch Hofgunst und Volksgunst, durch Freiheit und Despotismus, durch alle Gegensätze des diesseitigen und jenseitigen Lebens hindurch die konstitutionelle Straße der Doctrin wandelst, die Friedenspfeife des unsterblichen Ka-Ge-Ga-Ho-buh in der einen, die Schulmeisterruthe in der anderen Hand und eine drohende Revolution in der Tasche, als Wauwau für große und kleine Kinder.

Braver Jaup, wie oft hab’ ich dein gedacht!

Ein jäher Untergang drohte mir – ich versank allmälich in den Wogen des Pflichtgefühls, die langsam spielend nach der Gränze mich lockten, wo preußische Uhlanen und reichstrüppliche Bajonette meiner warteten. Da erinnertest du dich des alten Freundes, mit dessen Oheimen du in vergangenen Jahren auf Dolche geschworen und gegen Despotismus conspirirt hattest; – von dem Sessel der „höchsten Staatsbehörde“ (verzeihe mir, wenn ich den offiziellen Titel des großherzoglich hessischen Ministeriums des Innern und der Justiz, des einzigen im Lande, vergessen haben sollte) reichtest du mir die rettende Hand! Du löstest die Kammer auf, bevor sie über meine Zulassung sich aussprechen und mir die Garantie persönlicher Sicherheit in dem von dir regierten Stätlein bieten konnte, und damit ja kein Zweifel über bliebe, schriebst du als höchste Staatsbehörde meinen ehemaligen Collegen, den Professoren in Gießen, daß ich ein atheistisches, unmoralisches, unwissendes Gebräu der Hölle sei, ausgespuckt vom Teufel und seiner Großmutter in den grünen Garten des konstitutionellen Hessenlandes, um seine schönsten Blüthen zu beschmutzen, seine besten Früchte zu verderben. Du empfandest die Nothwendigkeit, dieß räudige Schaf aus dem gutgesinnten Pferche der Landesuniversität zu entfernen, die Pforten des konstitutionellen Kammertempels vor seinem Nahen zu schließen und Gensdarmen zu seiner Hütung aufzustellen.

Braver Jaup, wie dankbar hab’ ich damals dein gedacht!

Erlösung! Erlösung! jauchzte es durch alle meine Adern. Ich hätte Dahlmann umarmen und einen Kuß auf seine zitternden Lippen drücken können. Erlöst aus diesem Pfuhle, den die stagnirende Wissenschaft unter dem Namen einer Universität zur Hegung ihrer Kaulquappen und Regenwürmer sich ausgegraben hat; erlöst aus diesem Sumpfe, Kammer genannt, aus dem die Staatsweisheit unserer Zeit die faulen Gase hervorlockt, welche an der Oberfläche mit Gestank platzen und das Land umher verpesten. Erlöst! Erlöst! Mir selbst wiedergegeben, meinem freien Willen und meiner unumschränkten Selbstherrschaft! Befreit von jenem klebenden Leime, der jeden Flügelschlag meiner Seele lähmte und mich festhielt an den verdammten Mistelruthen, die jede Bewegung einschläfern und das lebendige Wachen in träumerischen Halbschlaf einlullen. Erlöst! Und durch wen?

O braver Jaup, wie dankbar hab’ ich damals dein gedacht!

Ich sah die Berge wieder, die mir eine zweite Heimath geworden sind. An ihrem Fuße, unter schattigen Reblauben, an dem Gelände des stillen See’s, harrten wir, des traurigen Endes bewußt, der Todesstunde der ungarischen Republik entgegen. Konnte etwas unseren Schmerz lindern, unsere Hoffnung erheben, so war es diese ruhige Natur, deren Schönheiten in stets neuen Reizen sich vor unseren Augen enthüllten. Wenn wir von mühselig erklommenen Gipfeln unsere Blicke herabschweifen ließen über die dunkeln Tannenwälder, die grünen Matten, die blauen See’n, bis weit hinaus in die Ferne, wo unter drückenden Nebeln und dumpfen Wolken Deutschland des Sonnenstrahles harrt, der ihm neues Leben bringen soll; wenn wir hinüber jauchzten in die Klüfte der Felsen und in die Risse der Gletscher, welche tausendfältig unserer Stimme antworteten, als lauschten sie, unbewegliche Schildwachen der Freiheit, dem Rufe, der sie aus ihrem eisigen Schlafe rütteln soll; wenn wir dem Jagen und Treiben der Wolken zuschauten, die zu unseren Füßen um die Zacken und Gräte des Gebirges sich herumdrückten und wanden, scheu und heimlich, feuchte Uebelthäter, deren nebelhaftes Gewebe der erste Windstoß in alle Lüfte zerstreut; oder wenn wir lagerten an kühlen Quellen, im Schatten der Ahorne, auf weichem Moose – Der den Hut geschmückt mit seltenen Schmetterlingen, die er auf den Matten gehascht, Jener den schwarzrothen Fittig des Flühvogels ordnend, welchen ihm in wilder Einöde der treffende Kernschuß irgend eines geistlichen Gemsjägers erlegt hatte –

O braver Jaup, wie oft haben wir dann dein gedacht –

dein und deiner Genossen, dieser edelen Ginsterzweige, die sich von dem Despotismus zu Kehrbesen zusammenbinden ließen, mit denen man die demokratischen Ecken und Winkel ausfegte und die man dann, bestäubt, bespinnwebt und abgenutzt, zu dem übrigen Kehricht auf den Dünger warf, wo sie noch liegen bei ihren Friedenspfeifen, ihren Paragraphen, ihren Pergamenten und dem sonstigen Moder, den sie während eines Jahres aufzuhäufen die Zeit fanden. Wie manche schöne Stunde inniger Befriedigung habt Ihr uns verschafft! Wie oft drängte es uns, ein Stündchen mit einander zu verplaudern auf jener gastlichen Laube, wo im Angesichte der Firnen und der rauschenden Aar uns freundliche Gesichter und feine Cigarren empfingen – wie oft gaben uns die herrlichen Ohrfeigen, die Ihr auf die christlich dargereichten Backen erhieltet, die wohlangebrachten Püffe und Rippenstöße, welchen Ihr den männlichen Muth der Resignation entgegensetztet, Gelegenheit zu homerischer Heiterkeit und zu freudiger Ansicht der Zukunft! Wie könnten wir Euch hinlänglich danken für diese Genüsse, freilich unmoralischer Weise aus dem Gefühle befriedigter Schadenfreude entsprungen, aber doch Genüsse! „Freunde,“ sagte uns ein Greis mit jugendlichem Herzen, der uns in einer freieren Luft aufsuchte, „jetzt, wo ich heimkehre, ist es mir, als ginge ich in das Exil und als wäre unter Euch die Heimath! Hier fand ich das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung und frohen Muth für die Zukunft – dort finde ich an jeder Stirne entweder das Kainszeichen des Verrathes oder die düstere Marke dumpfer Hoffnungslosigkeit!“

Ja, braver Jaup, damals haben wir dein gedacht!

Ich stand auf dem Sattel der ligurischen Alpen. Hinter mir, nach Norden hin, bedeckten dichte Nebel die Ebenen des Po. Nichts schimmerte aus dem einförmigen Grau hervor, das ohne Zweifel sich weithin erstreckte über Berg und Thal bis zu dem baltischen Meere und weiter. Vor mir lagen die blühenden Halden, die steilen Gehänge, die bis zu dem stolzen Amphitheater von Genua sich abstuften. Tief unten am Horizonte, kaum bemerkbar, schimmerte ein heller Streifen aus dem zarten Dufte hervor – das Meer! das Meer! Rosen, Geranien und Oleander in voller Blüthe an den Felswänden und Mauern längs des Weges, über mir eine warme Sonne, ein blauer Himmel – und hinter mir die feuchte Atmosphäre mit aller Eintönigkeit des Druckes, aller Einförmigkeit der Schwere und der Stagnation. Ich dachte der Armen, die sich unter dieser feuchten Nebelschicht in Kälte und Nässe bewegen müssen, gefesselt an einen undankbaren Boden – warum sich mir wohl, als ich an Deutschland dachte, das Bild eines verschimmelten Käses vor die Augen stellte, übelriechend und weichflüssig, von fußlosen Maden durchlöchert, unter finsterer, taub gewordener Glasglocke, die keinen Lichtstrahl ungebrochen durchläßt? Seltsame Ideenassociation, die vielleicht darin ihren Ursprung hatte, daß schlechter Strachino unser Frühstück hatte beschließen sollen. Wenn ich so zurückdachte an die Armen, die unter drückender Glocke mühsam in dem Moder athmen, in den sie feindliche Kräfte gebannt haben, und mich selbst ansah, einen Freien, in freier, warmer Luft, unter heiterem Himmel, unter strahlender Sonne, zwischen Blumen und Blüthen – frei, wie der Vogel in der Luft, nur mir selbst angehörend, standlos, nicht mehr Reichsregent und nicht mehr Professor – dann dachte ich an den, der meine Ketten zersprengt, meine Bande gelöst, meinen Körper entfesselt, meinen Geist befreit hatte –

O braver Jaup, da hab’ ich dankbar dein gedacht!

Du wirst meinen Dank von dir weisen, dich hinter Prinzipien bergen, deine Grundsätze vorschieben und kühn behaupten, daß das Interesse des Staates, den du zu regieren glaubtest, die Sorge für die Pflänzlinge der Beamtenwirthschaft, die der Landesuniversität unter dem Namen von Studirenden anvertraut sind, daß der Hinblick auf das Wohl des engeren und weiteren Vaterlandes, höhere Staatsrücksichten und Considerationen erheblicher Natur dich zwangen, wenn auch trauernden Herzens und bedrängten Gemüthes, gegen mich mit Rescripten und Gensdarmen auszurücken. Aber ich kenne deine Bescheidenheit! Sie ist noch größer als die meines Freundes Welker, der sich schon im Beginne der Revolution den Titel eines Bundestags-Gesandten verbat, wenn er auch das Amt versah, und der jetzt ebenso den Titel eines Revolutionärs zurückweist, den er früher so gern hörte[14]. Du wirst nicht zugestehen, welchen Kampf es dich kostete, den aus dem Auslande Gerufenen abzusetzen, um dadurch einen Vorwand zu haben, seine Wählbarkeit zu bestreiten; du thatest es aus zarter Fürsorge, damit er nicht unvorsichtiger Weise den Krallen der nachrevolutionären Justiz sich aussetze, denen dein Freund Schulz kaum mit heiler Haut entrinnen konnte! Als Chef der Justiz gabst du seufzend den Befehl zur Verfolgung des Mannes, der Jahrelang mit dir gekämpft, der oft die Waffen geschleudert hatte, die du ihm liefertest, du thatst es, ein zweiter Brutus. Der Minister kannte seine Pflicht, aber sein Herz litt unter diesem Kampfe.

Braver Jaup, wie oft hab’ ich dein gedacht!

Hast du mir nicht, einer Vorsehung gleich, jene Stätte bereitet am Ufer des Meeres, wo ich ruhig sitzend hinausschaue auf die weite Fläche, die zu meinen Füßen wogt, und mich freue an Luft und Licht, an Wärme und Himmel? Heute braus’t der Scirocco von Afrika herüber und schleudert die schäumenden Wellen gegen die Felsen, als wolle er die narbigen, ausgenagten Zeugen einer anderen Zeit vernichten im wüthenden Anlaufe. Er hat den Himmel gefegt von den düsteren Gewitterwolken, die ihn überdeckten, und die heitere Sonne schießt glühende Strahlen auf das bewegte Element, das sie tausendfach gebrochen als Glitzer und Funken zurückwirft gegen das unerschütterte Himmelsgewölbe. Welch ein Abbild der Revolution! Am Ufer, wo das stürmende Naß seine Wogen über den Sand und die Kiesel des Strandes rollt, wo es hineindringt in das Bett des Bergstromes und den Schlamm aufwühlt, den dieser von den Höhen herabgespült hat, an den Felsen, wo es den Tang und die Seepflanzen und die alten Polypenstöcke abreißt und in schäumendem Gischt emporwirbelt; – da wird es schmutzig und trübe! Hat es ja doch allen Sand und Schlamm aus dem Grunde heraufgeworfen, der sich allmälig während seines Schlummers abgesetzt hatte, den Schlamm des Friedens und der ungestörten häuslichen Entwicklung, den althergebrachten Sand, entstanden aus der allmäligen Zertrümmerung und Verwitterung! Und mit diesem Schlamm, mit diesem Sande hat es das Gewürm aus seinen Wohnungen aufgestört und fortgeschwemmt, und in seinem Wogenschwalle zermalmt es die schleimigen Muscheln, die sich in den faulenden Absatz eingebohrt hatten und nur die Afterröhren herausstreckten, die gleitenden Würmer, die in dunklen Gängen und Löchern ihren eckeln Fraß suchten, die weichen Schnecken, die sich an den Steinen festgesogen haben, beschränkte Intelligenzen auf beschränktem Raume, die Seescheiden und Rankenfüßer, diese Philister des Meeresgrundes, die mit festgewachsenem Fuße der Nahrung harren, welche ihnen das Geschick oder der Zufall in das ewig geöffnete Maul führt. Das wird zerrieben und zerbröckelt in tausendfach wiederholtem Anlaufe und dann ausgeworfen, der Verwesung und den Vögeln zum Raube. Draußen aber, auf der hohen See, wo das fessellose Element frei seine Wogen rollt, wo es rein ist von dem Auswurfe des Festlandes und dem faulen Absatze des Schmutzes und des Schlammes, da erhöht sich die tiefblaue Farbe des tobenden Gewässers durch das blendende Weiß des zornigen Schaumes und jede Welle, die sich emporhebt über die bewegte Fläche, strahlt tausendfach das reinste Licht wieder, zu welchem sie sich zu erheben strebte. Kann es Wunder nehmen, wenn die Kurzsichtigen, die mit blöden Augen nur den Wellensaum des Strandes mit seinen regellos durcheinander gewirrten Trümmern des Bestehenden erblicken, sich entsetzen über die unschuldigen Opfer, über die verstümmelten Leichen der alten Parteien, über all den Schmutz und Koth, den das empörte Element auswirft? Aber das Meer ist, wie der Mistral, dessen Hauch seine Wogen aufthürmt. Der Mistral läßt das Wetter ebenso zurück, wie er es angetroffen – fand er Wolken, so zerstreut er sie und fegt den Himmel nach allen Seiten hin – aber sobald seine Stärke gebrochen ist, so kommen sie wieder hervor aus den Schlupfwinkeln des Gebirges und breiten von neuem ihren grauen Schleier über das graue Himmelszelt. So rettet sich auch mancher Wurm, manche Muschel, manche Schnecke aus dem tobenden Gewässer und nach einiger Ruhe lebt und webt das Ungeziefer wieder wie vorher in Sand und Schlamm, in Ritzen und Klüften und sieht aus, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Auch aus den Trümmern der Revolution rettet sich so manches schmutzige Gewürm –

O braver Jaup, ich gedachte dein!

Windstille und Wellenruhe! Ein glatter Spiegel liegt die unendliche Bläue hingegoßen vor meinen Augen, am Horizonte mit dem Himmel verschmelzend und in ihm aufgehend. Nur in weiter Ferne kräuselt hier und da ein Luftzug die glänzende Fläche. Leise schwillt das krystallhelle Wasser an den Felsen herauf, in gemessenen Pausen sinkt es zurück, es athmet und hebt sich, wie der Busen eines schönen Weibes und wir sind in einer Stimmung, die uns jeden Augenblick das Auftauchen der feuchten Sirene erwarten läßt. Bei jedem Anschwellen des klaren Krystalls dehnen und recken die Tange sich wollüstig und strecken ihre zierlichen Blattfransen aus – aber zwischen ihnen zeigen sich nur Krabben und Garneelen, bald geschäftig um Nahrung suchend, bald behaglich einherspazierend. Wie olivengrüne Schatten huschen die Krabben um die Ecken und Winkel der Felsen herum, die langen Hakenbeine nach der Seite bewegend, die Augen starr nach vorn gerichtet. Die Garneelen dagegen schreiten in ihrem durchsichtig gebänderten Kleide langsam schrittweise von einem Tanghaufen zum andern. Sie sehen ernsthaft und positiv aus, wie weiland unsere Ahnen in Allongeperücken und gestickten Röcken, wenn sie gravitätisch an langen Stöcken mit Goldknöpfen ihre Promenade machten. Hier und da schauckelt sich an langem Tangblatte eine Annelide, in allen Farben des Regenbogens schimmernd, tausend Fußstummeln und Borstenbüschel zugleich bewegend und bereit, das erste beste wehrlose Thierchen zu überfallen, das in den Bereich ihres scharf bewaffneten Rüßels fällt. An dem Felsen selbst hängen die Seeigel, die kleinen, glatten, fünfeckigen Scheibensterne mit ihren hundert Saugnäpfen vor Anker, langsam den schweren Körper schleppend und aufziehend. Schaaren von Schnecken kriechen an allen Flächen umher; festgewurzelte Seeanemonen und Polypen entfalten die in brennenden Farben spielenden Fangarme und Fühlfäden. Alles still, lautlos, heimlich, jede Bewegung mit äußerster Vorsicht vor lauernden Feinden und drohendem Ueberfall – so traulich und gemüthlich von Außen anzusehen und so voll Angst und Sorge im Innern. Keines traut dem Andern – Jedes sieht in dem Nachbar den tückisch lauernden Feind, der seine Krallen und Fangzähne biegt, um sie plötzlich in den Leib des Opfers einzuschlagen. Keine freie Bewegung, kein frohes Umhertummeln in dem weiten Elemente – das Leben vergiftet durch stete Ueberwachung seiner selbst, durch stetes Hüten vor jeder Unvorsichtigkeit, durch das Mißtrauen gegen Nachbarn, Freunde, Genossen –

O braver Jaup, da hab’ ich dein und deiner Polizei gedacht!

Mit abgemessenen Ruderschlägen gleiten wir langsam durch die ambrosische Nacht. Die Sonne ist gesunken – ihr rother Wiederschein leuchtet uns auf dem feuchten Pfade. Vor den verwitterten Felsen, vor den steil ansteigenden blätterigen Schichten der Uferkalke mit ihren Höhlen und Rissen vorbei segeln wir in die ruhige Bucht, deren dunkler Olivenkranz in seltsamem Schimmer zittert. Wir landen. Die dunkeln Schatten der Oelbäume empfangen uns, wie die geheimnißvollen Wölbungen eines gothischen Domes. Vom Boden auf blitzt ein Funke, hier wieder einer. Die engen Wege zwischen den niederen Mauern füllen sich mit kleinen pulsirenden Lichtchen, die auf und ab, hin und her schweben, aufglimmend in grünlichem Feuer, dann wieder in Nacht verschwindend. Das Gelände unter den Oelbäumen füllt sich mehr und mehr mit diesen glitzernden Flämmchen – das Laub erhellt sich unter den tausend Blitzen. Bald glänzt und blinkt es, eine unzählige Schaar beweglicher Strahlensterne, in leuchtendem Wirrwarr durcheinander huschend und schießend. Es ist, als hätte sich der Boden in eine weite Schale verwandelt, aus der, wie bei einem Zaubergebräu, unzählige Funken in die Luft sich erheben, blitzend und erlöschend und wieder aufglühend in sprühendem Funkenlichte. Geräuschlos huschen diese Irrlichtchen durch die hohen Gräser, zwischen den Stämmen unter den Zweigen umher – bis in weite Ferne wogt und wallt dieses Funkenmeer in regem Wechsel und steter Beweglichkeit. Das sind die Leuchtfliegen von St. Hospice! Millionen fliegender Johanniswürmchen, deren Liebeslust strahlende Lichtbüschel aus den Ringen des Hinterleibes schleudert! Die Pfaffen haben den Leuten gesagt, es seien die Seelen aus dem Fegefeuer, die hier auf der Erde im Monat Mai bei Nacht umhertanzten, um einige Kühlung für ihre Qualen zu suchen. Die Vorübergehenden schlagen ein Kreuz und beten für die armen Seelen – für die Johanniswürmchen, denen so wohl zu Muthe ist, daß mit jedem Athemzuge ihr Liebesfeuer aus dem Körper hervorbricht und die Umgebung mit zauberischem Glanze überzieht. O Pfaffen! Aus der Liebe habt Ihr ein Fegefeuer, aus dem Genusse eine Qual gemacht! Aber das Volk, das ihr zu bethören sucht, ist klüger als ihr und die Römer haben ihr Moccolofest, diesen Abend der Lust, der Liebe und der tollen Freude, der Natur und den Leuchtfliegen abgelauscht.

Die Nacht ist unterdessen vollständig geworden. An den Felswänden hin drückt sich ein Fischer auf plattem Boote, in der einen Hand das kaum plätschernde Ruder, in der anderen den Dreizack mit den stählernen Spitzen. Auf der Spitze seiner Barke brennt die Pechpfanne und wirft rothe, flackernde Lichter auf die Felswände und über die zitternde Meeresfläche. Langsam gleitet unser Boot über den stillen Fiord. Ein langer Lichtstreif folgt unserem Kiele. Die Ruder glitzern, als wären sie in flüssiges Feuer getaucht. Tausende von Funken blitzen an den Planken des Schiffes, an seinem scharfen Buge hervor, wenn es die Wellen durchschneidet, als wären die Sterne der Milchstraße in das Meer gefallen und suchten empor zu klimmen an dem Holzwerk unseres Bootes, um sich wieder aufzuschwingen in die Atmosphäre, nach ihrer Heimath. Wir senken unsere Netze hinab in das funkensprühende Wasser – das Haupthaar der Berenice blitzt uns aus ihren Poren entgegen. Ueberall funkensprühendes Leben – ringsum Olivenwälder, in leisem, gespenstigem Schimmer, fernes Zucken der leuchtenden Liebe auf der Erde, unter uns das tiefe Meer in nassem Glanze, mit feuchter Funkengluth – über uns der hohe Himmel mit seinen ewigen, unbeweglichen Lichtern. So fahren wir dahin, leuchtendes Sinnes, durch leuchtende Umgebung –

O braver Jaup, da hab’ ich nicht mehr dein gedacht!


Auf der Vignette, welche ich diesem Abschnitte vorsetzte, treiben einige sonderbare Gestalten ihr Wesen, die freilich dem Leser weniger bekannt sein dürften, als Bienen und Heuschrecken, deren Summen und Schrillen seine Ohren jeden Sommer hindurch geplagt hat. Trotz der ehrsamen deutschen Flotte, die wie jedes auf Subskription lieferungsweise herausgegebene Werk schon in dem Beginne der ersten nur unscheinbaren und auf Fließpapier gedruckten Auflage durch Zahlungsunfähigkeit der verlegenden Reichsbuchhandlung im Sande stecken geblieben ist und bald nur noch als historisches Monument für den continentalen Enthusiasmus des Schwabenlandes in einigen verfaulten Splittern aufbewahrt werden wird, trotz der verschiedenen Freiheitsflaggen, welche der gesinnungstüchtige Beseler auf allen Masten und Kletterstangen der Gagernschen Hinterdeckpartei aufgenagelt hat, trotz aller dieser Seebestrebungen der vergangenen Jahre sitzt das lesende Publikum Deutschlands aufs Neue in Schlafrock und Pantoffeln hinter dem Ofen fest und hört die Mähren vom Meere und seinen Wundern mit derselben Art geheimnißvoller Spannung und demselben Bewußtsein tiefer Unkenntniß, mit dem es sich die Sagen von der Götterdämmerung und den Meerdrachen der alten Wikinger erzählen läßt. Wir werden also den alten scholastischen Klepper der Beschreibung, den unsere gründliche Wissenschaft so gründlich lahm geritten hat, nichts desto weniger von Neuem besteigen müssen, um wenigstens einigermaßen verständlich zu werden. Einigermaßen, sage ich, denn ganz verständlich zu sein, ist für einen Schriftsteller ein Fehler, den ihm das deutsche Publikum nie verzeihen würde. Als die Partei der deutschen Revolution ganz verständlich wurde mit ihren Forderungen und Zukunftsplänen, mit ihren Abund Aussichten, ging sie unrettbar verloren. Die Nation von Denkern, die in der Philosophie so weit gekommen ist, daß sie eigentlich gar nichts mehr zu denken hat, spart sich die Mystik, welche sie aus den theologischen Wissenschaften mit unsäglicher Anstrengung ausgerottet hat, für das alltägliche Leben auf und macht aus jedem Pudel, den sie nicht hinter dem Ofen hervorlocken kann, einen geheimnißvollen Mefistopheles, den sie aus Achtung vor dem überirdischen Elemente, vor historischer Tradition und wohlerworbenem Rechte, da sitzen läßt, wo er sich niedergelassen hat. Warum waren wir so unklug, die mystischen Pudel der Revolution, den heiligen Struve mit der heiligen Amalia im Almanache, den heiligen St. Denys-Heinzen mit seinen anderthalb Millionen Köpfen unter dem Arme aus dem mystischen Dunkel hervortreten zu lassen? Die deutsche Revolution wird nicht eher aus ihrer Asche wieder erstehen, als bis sie an der Stelle jener unendlichen Aufzählungen erlittenen Unrechtes, verschwendeten Geldes, zerstörten Lebensglückes irgend einen mystischen Nebel erfunden hat, in welchen gehüllt sie trotz Hinkeldey und den konferenzpflegenden Polizeidirektoren so lang in den Gemüthern umherschreiten kann, bis sie wie Odysseus vor der Königin Arete die Nebelhülle plötzlich fallen lassen und, mit dem Olivenzweige in der Hand als einzige Bekleidung, vor die erstaunten Phäaken treten kann, die auf ihren Lehnsesseln sitzend wie Unsterbliche Wein trinken und Gott und den Czaar in Deutschland gewähren lassen. –

Wenn man bei ruhiger See den Blick über die weite Wasserfläche des Mittelmeeres gleiten läßt, so zeigen sich hier und da auf dem gekräuselten Spiegel glänzende Flecken und Streifen, vollkommen glatt und eben, wie wenn man Oel auf die Wellen gegossen hätte. Schon auf den Schweizerseen kann man diese Erscheinung bemerken und hier wie dort hängt die Beruhigung des Wassers mit dem Aufsteigen einer Menge von kleinen Thieren zusammen, welche durch irgend eine Ursache an diesen Stellen sich zusammenschaaren und der Befriedigung jener beiden Grundtriebe sich hingeben, die nach Schiller einstweilen die Welt zusammenhalten, bis es der Philosophie gelingen wird, sie abzulösen. Dahlmann und Gervinus sind freilich in diesem Punkte anderer Meinung und beide berühmte Gelehrte haben ihren gutgesinnten und unbefangenen Zuhörern (denn von den Schlechten und Böswilligen, den Spöttern und Verächtern kann von vorn herein keine Rede sein) unwiderleglich dargethan, daß nur der Constitutionalismus und die Trennung der drei Gewalten die Welt in ihrem Gleise erhalten können. Ich habe mich bisher redlich abgemüht, die Trennung der drei Gewalten, oder vielmehr die drei Gewalten selbst auch in dem Wasser zu finden, da ich glaubte von dem Grundsatze ausgehen zu können, daß für die ganze Welt die gleichen Gesetze gelten und die drei Gewalten doch unläugbar, wenn auch meist in einer einzigen Person verschmolzen, auf dem Festlande zu finden sind. Zu ihrer vollständigen Trennung würden freilich, trotz den in Preußen und Oesterreich zur Geltung gebrachten Constitutionen, noch einige frische Messerzüge gehören – – Genug, ich habe die drei Gewalten mit Netz und Angel, mit Messer und Mikroskop im Meere gesucht. Leider muß ich bekennen, daß meine Bemühungen fruchtlos geblieben sind, fruchtlos freilich nur in dem angedeuteten Sinne; – denn wie könnte man behaupten, daß die Bemühungen eines Deutschen, wenn auch gewesenen Professors, gänzlich fruchtlos bleiben könnten und wären sie auch auf die unbedeutendsten Dinge gerichtet! Irrgänge haben der Wissenschaft gewöhnlich mehr genützt, als Erfolge und der einzige Fehler der Professoren war der, daß sie diesen anerkannten Grundsatz, dessen Befolgung ihnen zur anderen Natur geworden war, auch auf die Politik anwandten und diese als eine Erfahrungswissenschaft in drei Bänden behandelten, in dem naiven Glauben, die Schulknaben auf den Ministerbänken würden bis ans Ende ihren Commentarien ein geneigtes Ohr schenken. War es ein Wunder, daß solche kleine, mißgestaltete Kobolde wie Detmold, so abgefeimte Jungen wie Manteuffel, sich da langweilten und nachdem sie erst die Fensterscheiben gezählt, sich dann aus reiner Beschäftigungslosigkeit damit amüsirten, Angelhaken über eine Rolle an der Decke zu leiten und damit den ehrwürdigen Professoren mitten in ihren Vorlesungen die Perücke vom Haupte zu fischen, so daß sie mit kahlen Häuptern dastanden, ein Kinderspott!

Doch ich vergesse meine Flecken und die Bevölkerung, welche in ihnen an der Oberfläche sich tummelt. Nicht nur die Jahreszeit bringt mannigfache Unterschiede, auch die Tageszeit übt Einfluß. Von Stunde zu Stunde wechseln die Besucher eines solchen Stromes (courant) wie ihn die Fischer nennen, von Stunde zu Stunde ändert sich das Ansehen der organischen Welt, welche hier theils aus Liebe, theils aus Hunger sich gegenseitig nachstellt. Eine unzählige Menge kleiner Krustenthiere, grüner Wasserflöhe, schwimmender Larven von Krabben und Rankenfüßern begrüßt die ersten Strahlen der Sonne. Unruhige Gäste, schießen diese mit langen Spitzen und Dornen bewaffneten Thierchen umher und fallen mit unersättlicher Gier die weicheren Wesen, die staffeleiartigen Larven der Seesterne und Seeigel, die jungen Quallen und Polypen an, welche ein Unglück zu dem hüpfenden, tanzenden Schwarme führt. Später steigen klappende Scheibenquallen, in zartblauem oder rosigem Schimmer spielend, aus der Tiefe herauf. Sie schweben auf und nieder, mit den langen Fangfäden spielend, verfolgt von glasartig durchsichtigen Raubthieren, von Firolen mit langem Rüssel, glotzenden Lupenaugen und stachlicher Kammzunge, von Gurkenquallen, deren sackförmiger Körper nur Magen zu sein scheint und durch regelmäßige Reihen wirbelnder Schwimmblättchen getrieben wie ein Kreisel in dem feuchten Elemente umherschwirrt. Hier und da entfaltet ein Venusgürtel die Schlangenwindungen seines glashellen Bandkörpers, oder segelt eine Feuerwalze, Hunderte von eingesenkten Thierchen fortschleppend, mit schluckenden Bewegungen in Spirallinien vorwärts. Zwischen ihnen schlucken sich lange Bänder durchsichtiger Salpen und Walzenscheiden zu Ketten vereinigt hindurch, die wahren Typen der Louis Blanc’schen brüderlichen Arbeiter-Assoziationen, die auf Gleichheit und Brüderlichkeit ohne Freiheit begründet sind, und über dem Ende der Formel mit unbegreiflicher Naivität den Anfang derselben vergessen haben. Unlösbar an einander gekettet, gleich an Größe und Gestalt, haben die einzelnen Individuen dieser Ketten gerade nur so viel freien Willen, als nöthig ist, um denselben niemals auszuüben, so wie das deutsche Volk nach Dahlmann, Vinke und Simson nur deßhalb das Steuerverweigerungsrecht haben sollte, um keinen Gebrauch davon zu machen. Jene verketteten Salpen schlucken alle zu gleicher Zeit; – eine bekommt so viel Wasser, als die andere und gibt es zu derselben Zeit wieder von sich; jede erzeugt einen Embryo, ein Junges zu derselben Stunde, entwickelt ihn in denselben Zeitabschnitten und stößt ihn zu derselben Zeit aus, wie ihr Nachbar. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn; – gleiches Bedürfniß, gleiche Befriedigung; eine herrliche Einförmigkeit, die das Individuum gänzlich aufhebt und es zu dem Gliede einer Kette macht, an der es sein ganzes Leben lang schleppt, bis es endlich in die Elemente aufgelöst wird. Schlucken und von-sich-geben, Junge zeugen und ausstoßen, die einzigen Aufgaben, welche das in solcher Weise beschränkte Leben zu lösen hat. Was brauchen diese Salpen auch mehr? Sie sind an ihre Kette so gewöhnt, daß sie zu Grunde gehen, wenn sie aus der Verbindung gelöst werden, ihr ganzer Ehrgeiz beschränkt sich darauf, recht lang Glied einer solchen Kette zu sein. Wie Schade, daß diese Thiere, so zart, so durchsichtig, so schwer aufzubewahren sind! Ich hätte gern, wie Diogenes dem Plato den gerupften Hahn, so dem kleinen Erfinder der neuen Welt eine solche Kette gesendet und ihm gesagt: „Brüderchen! Sieh hier deine brüderliche Assoziation!“

Abends verändert sich die Scene. Dieselben Krustenthierchen, welche den Aufgang der Sonne begrüßten, versammeln sich bei ihrem Scheiden noch einmal und bald gesellen sich zu ihnen die seltsamen Flossenfüßer, die nächtlichen Schmetterlinge des Meeres. Mit den ruderartigen Schwingen, die an dem Vorderende ihres Leibes wirbeln, heben sie sich langsam aus der Tiefe, ein gespenstischer Schwarm, und durchkreuzen lebhaft bei dem blassen Schimmer des Mondes das unbewegte Element, auf dessen Oberfläche sie sich um so mehr zu gefallen scheinen, je tiefer die Nacht, je sternloser der Himmel. Ihnen gesellen sich die zahllosen Leuchtthierchen, melonenförmige Schleimthiere mit peitschenförmigem Anhange, dessen schwingende Bewegungen den weichen Körper in unbestimmter Richtung fortschleudern. Zahllose Larven langsam kriechender Schnecken, jetzt in ihrem Jugendzustande mit gewaltigen Schwingrädern am Kopfe versehen, deren lange Flimmerhaare mit stetem Umrollen einen mächtigen Strudel erzeugen, der alle kleineren im Wasser schwimmenden Theilchen dem Munde des Thieres zuführt; leuchtende Wurmlarven mit flimmernden Halskragen ausgerüstet, der ihnen als Bewegungswerkzeug dient; unförmliche Embryonen geselliger Seescheiden, deren langer Peitschenschwanz den kugelförmigen Körper hin und her schleudert – diese und ähnliche Bestien tummeln sich in diesen Schwärmen, in denen sich zuweilen noch junge Fischchen, ja selbst Fischeier und eine Menge schwimmender Algen und einfacher Zellenproductionen des Pflanzenreiches umhertreiben. Mit dem anbrechenden Tage sinken zuerst die Flossenfüßer, dann die übrigen Gesellen nach und nach in die Tiefen des Meeres, wohin sie der Mensch bis jetzt noch nicht verfolgen konnte. Geräuschlos sinken sie hinab, wie sie geräuschlos aufgestiegen sind – das geheimnißvolle Leben des Meeres läuft ab, ohne jenes zwecklose Tönen, welches dem Leben des Festlandes eigen ist.

Unter diesen zahlreichen Gebilden, die sich theils durch bizarre Formen, theils durch lebhafte Farben, theils durch krystallhelle Durchsichtigkeit auszeichnen und deren Organisation noch so manche ungelöste Räthsel bietet, sticht eine Gruppe von Wesen besonders hervor, die in den nördlichen Meeren nur äußerst selten vertreten ist, während nach Süden zu ihre Zahl, Ausbildung und Mannigfaltigkeit in steigendem Maaße zunimmt; denn wie auf dem Festlande, so lockt auch in dem Meere erst die wärmere Sonne des Südens den ganzen Reichthum der Natur zur Blüthe hervor und läßt Formen auftreten, von deren Pracht und Herrlichkeit das dumpfe Nordmeer keine Ahnung hat. Die Natur ist wie die Menschen; während der arme Lappe aus dem einzigen Rennthiere fast alle seine beschränkten Bedürfnisse befriedigt und mit harter Arbeit diese Befriedigung erkämpfen muß, pflückt der Bewohner tropischer Zonen im Müssiggange die herrlichsten Früchte, welche ihm eine verschwenderische Vegetation bietet. Dort genügt die weite Masse des Meeres nicht zur Hervorbringung von Reichthümern, die hier ein Tropfen in Fülle birgt. Auch in dem einzelnen Falle gilt dieses. Was die üppige Natur nur einzeln den mannigfaltigen Formen der übrigen Seethiere des Nordens zutheilte, hat sie hier im reichen Maaße auf den Kindern des Südens vereinigt: wunderbare Farben, deren Klarheit und durchsichtigen Schmelz kein Pinsel nachzuahmen im Stande ist, krystallne Transparenz, die jedes Fäserchen des ganzen Baues bis in die kleinsten Einzelnheiten enthüllt, aber zugleich auch der Forschung eine unendliche Menge von Schwierigkeiten schafft, da das menschliche Auge überall des Schattens bedarf, um die wahren Verhältnisse der Dinge zu ergründen; – ungemeine Zartheit der Organisation und eine außerordentliche Weichheit schädlichen Einflüssen gegenüber, so daß der geringste Eingriff, die mindeste Störung genügt, um die ganze Organisation zu vernichten und das prachtvolle lebende Wesen in ein unscheinbares Häufchen schleimiger Masse zu verwandeln. Dazu eine wunderbare Zusammensetzung aus so verschiedenen Theilen, daß man sagen möchte, das Ganze sei gewisser Maßen nur ein halb gelungener Versuch der Natur aus einzelnen Organen ein Gesammtindividuum zu bilden. Diese Organe aber, die sonst in vollständig durchgebildeten Organismen nur als Theile, als durch den Organismus bestimmte unfreie Theile auftreten, sind hier, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Idee der Gesammtheit nur angeheftet, nicht aber untergeordnet, so daß jedes Organ, wenn auch nicht vollkommen frei und selbstständig, dennoch als vereinzeltes Individuum selbstbestimmend lebt und handelt. Der wahrhafte Staat der Kultur-Anarchie, über dessen geträumte Zukunft uns die künftigen Diktatoren Deutschlands einen so erbitterten Krieg erklärt haben, damals, in der poetischen Zeit des Exils, als noch in jedem Winkel der Schweiz und Englands ein solcher in’s Kraut schießender revolutionärer Diktator saß, mit dem fertigen Terrorismus in der Tasche, den er, da ihm die Gewalt abging, einstweilen in partibus über die Meinungen seiner Umgebung auszuüben suchte; als man noch täglich einen neuen Diktator erfand, sowie Ledru-Rollin, Louis Blanc und ihre Genossen täglich ein neues Haupt der deutschen, polnischen oder gar der rumainischen Emigration entdecken. Hätten sie mir die Hälfte der revolutionären Kraft, die so schnöde und unfruchtbar im Auslade vergeudet wurde, zu rechter Zeit und am rechten Orte angewendet, die deutsche Revolution wäre nicht zu Grunde gegangen! – – –

Aber auch bei unseren Blasenträgern sehen wir unser Ideal der Kultur-Anarchie nicht verwirklicht. Keine Spur von Kultur und folgeweise auch keine Spur von Anarchie läßt sich in dieser Zusammenfädelung von Mäulern, Lokomotiven, Angeln und Luftblasen entdecken! Auf den ersten Blick zeigt es sich, daß diese scheinbar so regellos zusammengefügten Theile dennoch durch ein nothwendiges, von ihnen aus unlösbares Band an das Ganze gefesselt sind, daß also der Contract, der diese Einzelnen an den Staat bindet, nicht ein freiwilliger, sondern ein gezwungener ist und nicht von ihnen einseitig nach freiem Willen aufgehoben werden kann. Die enge Idee des staatlichen Zusammenhanges und der Nationalität knüpft auch diese Bestien zusammen, wie denn überhaupt die Stärke dieses Bandes mit der Entwicklung der Bestialität in geradem Verhältnisse steht. Heilige Freiheit! Wie verläumden dich diese Menschen, die in deinem Namen von Staat und Nationalität und von der Entwicklung der höchsten Potenz der Brutalität, der Staatsmacht, reden! Ein mächtiger Staat! Eine mächtige Nation! das ihr höchstes Ziel, ihr letzter Wunsch! Was kümmert sie die Freiheit des Einzelnen, die der Nachbarn? Sie wollen mächtig sein, um diese unterdrücken, ihnen ihren Willen aufbürden zu können – Sklaven im Innern und Sklaven nach Außen – das ist das Ideal der Staatsmächtler. Die Brutalität, die ihnen im Innern sitzt und die sie individuell auszuüben zu feig sind, möchten sie gemeinsam, durch den Staat, auslassen können. Deßhalb suchen sie sich einen geschlossenen Cirkel, Nation genannt, zu gründen. Wie? Weil ich das Unglück gehabt habe, auf diesem oder jenem Fleck Erde zur Welt zu kommen, soll ich nun an diesen gebannt sein mit meinem Sehnen und Hoffen, mit meinen Wünschen und Begehren und für die Verläugnung aller menschlichen Interessen mich mit dem Bewußtsein trösten, daß ich ein Deutscher bin? Ein schöner Trost! Zumal heut zu Tage!

Nur bei vollkommen unbewegtem Elemente erscheinen die Blasenträger auf der Oberfläche des Meeres. Der geringste Windhauch verscheucht sie, die kleinste Bewegung des Wassers, die unbedeutendste Kräuselung der Oberfläche läßt sie augenblicklich in solche Tiefe hinabsteigen, daß Wellenschlag und Windstoß ihnen nichts mehr anzuhaben vermögen. Ruhe, vollkommene Ruhe ist die Bedingung ihres Erscheinens, ihres Lebens und Treibens. Es ist ihnen völlig gleichgültig, ob der warme Süd oder der kalte Nord über die Fläche streicht. Sie verlangen Ruhe um jeden Preis und bergen sich vor der kleinsten Erhebung der Masse. Nicht die Richtung der Bewegung verscheucht sie – die Bewegung selbst ist es, die ihrer Natur zuwider ist. Warum sollte auch das Meer nicht seine Partei der absoluten Ruhe haben, in gleicher Weise, wie das Festland sie besitzt, seine Partei der Bewegungslosigkeit, welche vor jeder Zuckung des Lebens sich scheu zurückzieht in ihre Zufluchtsstätten, die ihnen Schutz vor dem Wellenschlage gestatten; seine Partei des absoluten Stillstandes, die bei jedem Säuseln ihre Angelfäden einzieht und nach dem Vorüberziehen des Lüftchens sich wieder eben so stolz an der Oberfläche spreizt, als wenn sie der Herr des ganzen Meeres wäre und dem heftigsten Sturme die Stirne bieten könnte? Eitler Wahn, der nur so lange anhält, als die Windstille dauert! Bei der ersten Bewegung bricht die alte Natur übermächtig hervor und der übermüthige Prahler verschwindet unmittelbar, um weit über sein Haupt weg die Wogen rollen zu lassen.

Eine flockige Masse von unbestimmter Form windet sich ziemlich rasch zwischen den Schwärmen kleinerer Thiere hindurch; bald scheint es eine lange Guirlande, in den zierlichsten Windungen gebogen, von schimmernden, hier und da zerstreuten Punkten glänzend, leicht und graziös, wie eine Blumenverzierung in den Logen Raphael’s; bald ein Busch von zerfaserten Marabutfedern mit rothen und gelben Knöpfchen und Spitzchen besetzt; bald eine lange Angelkette, an der von Zeit zu Zeit eine Unzahl feinerer Angelhaken hängt und die durch unsichtbare Kräfte in bestimmter Richtung durch das Wasser getrieben wird, während die Angelhaken beständig aus- und eingezogen und nach allen Richtungen hin ausgeworfen werden. So scheint das sonderbare Wesen in der freien See. Hüte dich wohl, es mit der Hand anzufassen; tausend unsichtbare Spitzen würden sich in deine Haut einbohren und ein unerträgliches Nesseln verursachen, dessen brennender Schmerz stundenlang anhält; suche es auch nicht mit dem Netze zu fangen, deine Mühe würde vergeblich sein; Hunderte von Fangfäden und Angeln haken sich an den Fäden des Netzes fest, die schleimige Oberfläche klebt überall an und nach langer Sorge und Noth lösest du endlich von dem Netze einen unförmlichen Klumpen los, dessen ursprüngliche Gestalt du unmöglich entwirren kannst. Willst du den zarten Organismus ganz erhalten, so halte dem ruhig dahinsteuernden Wesen einen weiten Pokal vor und laß es mit dem Strome, der sich in dein Glas stürzt, in dasselbe gleiten. Zuweilen sucht es einen Augenblick gegen den Strom anzukämpfen – aber diese Anstrengungen sind nur von kurzer Dauer und geringer Energie – die Partei der Ruhe muß dem Strome willenlos folgen, sobald dieser nur stark genug ist, die Kraft ihrer Trägheit zu überwinden. So sieht sich denn auch der Blasenträger bald in dem engen Glase gefangen, in welchem du ihn mit Muse beobachten kannst. Anfangs zwar zieht er sich auf ein Minimum von Raum zusammen; jeder ungeduldige Anstoß, jedes Schütteln dient nur dazu, diese Contraction zu vermehren und die Beendigung dieses Zustandes weiter hinauszuschieben; bietet aber dein Pokal Raum genug und läßt du ihn ruhig stehen, so entfalten sich bald die einzelnen Organe; der zusammenziehende Krampf löst sich und das gesammte Wesen, das in zusammengezogenem Zustande kaum die Größe einer Nuß oder eines Eies zu haben schien, dehnt sich nun so aus, daß ein Eimer kaum seinen entwickelten Stamm mit den daran hängenden Fangfäden zu fassen vermag.

Ein äußerst ausdehnbarer, hohler, gewöhnlich gewundener Stamm bildet die Grundlage des ganzen Thieres oder vielmehr der Thiergesellschaft, deren einzelne Individuen nicht nur obenhin an diesen Stamm angeheftet, sondern mit ihm auch im organischen Zusammenhange sind. Denn dieses so ausdehnbare Gebilde, welches sich mit größter Leichtigkeit jeder Caprice des Gesammtwillens unterordnet, bald auf einen unscheinbaren Raum zusammenschrumpft, bald zu einem langen durchsichtigen Faden sich auszieht, dort sich in Knoten zusammenwickelt und hier seine Schleifen mit überraschender Schnelligkeit löst; – dieses Stammgebilde ist eine hohle, mit muskulösen Wandungen versehene Röhre, in welcher der Lebenssaft beständig in bestimmtem Strome auf- und niedersteigt. Rundliche Körnchen, Geldmünzen gleich, cirkuliren mit diesem Strome auf und ab und biegen an dem Hinteren, geschlossenen Ende um, nachdem sie das lange Rohr durchlaufen haben, um einem leeren Raume, einer Luftblase an dem vorderen Ende zuzuströmen, welche das bestimmende Moment dieser Cirkulation ist. Frühere Beschreiber dieser Thiere haben dieser Luftblase eine außerordentliche Bedeutung für den Gesammtorganismus eingeräumt und deßhalb auch die Thiere mit dem Namen der Blasenträger benannt. Sie hält die Spitze des Gesammtorganismus aufrecht, behaupteten sie; ohne Luftblase würde sich der so mannigfaltig zusammengesetzte Organismus nicht aus der Tiefe an die Oberfläche erheben, nicht an Licht und Sonnenschein sich erfreuen können; die Luftblase stellt das Gleichgewicht mit dem umgebenden Elemente her und, obgleich ein leerer Raum, ist diese Leere doch das wesentlichste Organ und deßhalb auch zu Häupten des Ganzen gestellt. So seltsam es auch klingen mag, daß gewissermaßen ein Nichts die wesentlichste Rolle in einem Organismus spielen könne, so hatten doch die älteren Beobachter in ihrer naiven Einfalt das Richtige errathen oder vielmehr durch die einfache Anschauung der Sache gefunden. Die konstitutionelle Idee des willenlosen Herrschers, dessen Scheinexistenz nur deßhalb in dem Staate mitgeführt wird, damit sie sich in einem Nachfolger fortpflanzen könne, wäre hier bis zur letzten Consequenz fortgeführt und von der Natur dargestellt worden, wenn es dieser Luftblase überhaupt gegeben wäre, sich Nachfolger zu erzeugen. Allein dieß einzige Attribut des konstitutionellen Monarchen, das wir in dem Bienenstaate in so ausgezeichnetem Grade entwickelt vorfanden, fehlt hier durchaus. Vielleicht auch, daß der Schöpfer in seiner Allweisheit und in seiner Voraussicht der künftigen Dinge das Vorbild jener konstitutionellen Luftblase in der Natur schon erschaffen hatte, welche später als selbsteigenstes Produkt der Kaiserpartei in Frankfurt erfunden werden sollte. Wie? Wenn Dahlmann und Gervinus heimlich Naturwissenschaften betrieben hätten, während man sie mit tiefen Studien über Politik und über Shakespeare beschäftigt glaubte! Wenn diese edlen Männer den Abgründen des Meeres jenes Ideal abgelauscht hätten, das man als ein mathematisches Produkt einer unlösbaren Paragraphen-Gleichung des siebenten Grades, Reichsverfassung genannt, mit Unrecht ansah! – – –

Doch stellen wir uns in die Gegenwart! Jene Luftblase, die stets den ganzen Organismus des Blasenträgerstaates in der Höhe hält, die sein Auf- und Absteigen, sein Heben und Sinken regulirt, von welcher der Strom des Lebenssaftes, der durch den ganzen Stamm sich hinzieht, ausgeht und zu welcher er immer wieder im Kreislaufe zurückkehrt – jene Luftblase kann kein theoretisch konstruirtes Gebilde, wie der konstitutionelle Monarch, sie muß etwas wirklich Existirendes sein, dessen Anziehungs- und Abstoßungskraft groß genug ist, um den Strom zu unterhalten, welcher sämmtliche Staatsorgane ernährt. Die Existenz dieser unersättlichen Leere, welche der stets zufließende Strom nicht erfüllen kann und von der er stets wieder abprallt, muß unabhängig sein von der Regierungsform, denn sie findet sich in allen Gestalten der Blasenträger wieder, mögen diese nun in eine monarchische Spitze auslaufen, oder durch eine ausführende Kollektivbehörde ohne Spitze gekrönt sein. Blasenträger mit republikanischer oder monarchischer Form, mit aristokratischer oder demokratischer Tendenz, purpurrothe wie weiße oder ungefärbte Blasenträger balanciren stets ihre Luftblase an dem oberen Ende, die oft in den herrlichsten Farben spielt und durch brennend rothe oder blaue Strahlen das Auge anzieht. Die Blasenträger sind demnach wahrhafte Sozialstaaten, deren Organisation unabhängig ist von der Form ihrer Regierung und die jenen Traum des friedlichen Sozialismus, des Ikarismus, der Jünger St. Simon’s, Fourier’s, Cabet’s und Weitling’s wirklich dargestellt haben, wonach die soziale Reform auch ohne Anwendung von Gewalt auf friedlichem Wege unter jeder Regierungsform soll durchgeführt werden können. Rührende Gutmüthigkeit politischer Kinder, welche die Kraft der Ueberzeugung nach den Erfolgen berechnen, welche sie bei ihnen selbst gehabt hat und die vergessen, daß die Opposition gegen den vernunftgemäßen Fortschritt stets nur von Solchen ausgeht, die lieber todtgeschlagen, als überzeugt sein wollen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil beides für sie vollkommen gleichbedeutend ist und die erstere Prozedur doch schneller und ohne viele Umstände vor sich geht. Der Hund, dem man sein Stück Fleisch wegnehmen will, wehrt sich mit seinem Leben um den Besitz desselben, wenn dieser gleich ein völlig unrechtmäßiger ist und er es eben erst aus der Küche eines Anderen gestohlen hat. Warum wollte der Mensch, das besitzsüchtigste Thier auf der ganzen Erde, nicht sein Leben für einen, auch rechtlosen Besitz einsetzen, zumal wenn ihm dieser unvernünftige Zustand die materiellen Bedingungen zum Leben verschafft? Es ist ebenso verlorene Mühe, dem Bedienten, der nur Röcke und Stiefeln zu putzen fähig ist, logisch zu beweisen, daß es keine Herren und Knechte mehr auf Erden geben dürfe, als es zwecklos ist, dem Arbeiter, der nur Wolle spinnen kann, begreiflich zu machen, daß die Spinnmaschine eine Erhöhung des Nationalreichthums und eine Verminderung der Arbeitskraft mit sich führt. Der erstere wird dem Zustande der Freiheit fluchen, der ihm einen Herrn genommen hat, durch dessen Bedienung er sich nährte, und der letztere wird die verhaßte Maschine zu zertrümmern suchen und wenn er auch voraussieht, daß ihm dabei der Bleistock des Konstablers den harten Schädel zertrümmern wird – – – Und Ihr glaubt in gutmüthiger Verblendung, daß Eure Reformen, die hundertmal tiefer greifen, als alle Fabriken und Dampfmaschinen, ohne zerschlagene Köpfe durchgeführt werden könnten?

Die Luftblase der Blasenträger ist der Staatsschatz, der mit seinem negativen, aus Schulden bestehenden Reichthume und mit seiner positiven Leere den ganzen Staatskörper unterhält, die Circulation in seinem Innern nährt; – sie ist die Staatskasse, die alle Säfte des ganzen Organismus an sich zieht, ohne daß ihre Leere jemals gefüllt werden könnte, und die den belebenden Strom von sich ausgehen läßt, nachdem sie den besten Theil davon verflüchtigt und in hohle Luft verwandelt hat. Diese Staatskasse krönt als letzte Spitze den hohlen Stamm, die allgemeine Staatskrippe, an welcher, wie wir sehen werden, alle übrigen Gebilde des Gesammtorganismus und vor allen Dingen die Beamten hängen, und ihr Zustand erscheint dem Unkundigen, der sich von dem bunten Farbenspiele täuschen läßt, beneidenswerth. Aber mögen die Herren Krauß oder Fould die Blase auch noch so sehr mit roth oder blau übertünchen, das kundige Auge dringt dennoch, mit Rothschild’s Brillen bewaffnet, durch die farbige Hülle hindurch und gewahrt die schreckliche Leere im Inneren des künstlich in der Schwebe gehaltenen Raumes. Mit Hohngelächter thun die Forscher der Opposition, die grießgrämigen Nachrechner des Budgets, welche alljährlich ihre Galle an der anschwellenden Staatsrechnung auslassen, ohne sie darum anders machen zu können, mit Hohngelächter oder Achselzucken thun sie der ganzen Welt kund, daß die schöne Farbe eitles Blendwerk sei, ein haltloser Firniß zur Uebertünchung eines bodenlosen Deficits, welches auch der gewandteste Rechenmeister nicht in einen Ueberschuß umwandeln könne. Staatsschuld und Deficit! Herrliche Verkörperungen der absoluten Absorptionskraft im Staatswesen, Ungeheuer, die täglich, wie die Drachen der Fabel eine weißgekleidete Jungfrau, so eine Ladung von Thalern zur Tilgung ihrer Leere verschlingen und zu deren Erlegung die Sct. Georg’s des Finanzwesens noch erfunden werden müssen. Furchtbare Molochsbilder, deren Appetit auf derselben Stufe zu erhalten, ohne daß er sich in’s Unendliche mehrt, für das größte Werk der Colbert’s unserer Zeit gilt! Aber man sei auch nicht ungerecht. Wie soll sich denn der so zusammengesetzte Staat in dem schweren Elemente, welches ihn umgibt, schwebend erhalten, wie soll er nach der Oberfläche steigen, wenn er nicht diese Leere besitzt, die zur Ausgleichung seines Gewichtes mit demjenigen des Wassers dient? Die Engländer haben behauptet, die Entwicklung ihrer nationalen Energie, ihrer industriellen Ueberlegenheit, ihrer staatlichen Größe hänge einzig und allein von der außerordentlichen Größe ihrer Nationalschuld ab, zu deren Bezahlung alles gemünzte Gold der Erde nicht hinreicht. Ich habe dieses dierekte Verhältniß zwischen den genannten Größen zwar niemals recht begreifen können, mich aber bei der Schwäche meiner Einsicht beschieden. Das Bedürfniß, eine Autorität anzuerkennen, ist nach Herrn Guizot ein primitives, in der innersten Natur des Menschen begründetes Bedürfniß, nur die Wahl der Autorität steht dem Menschen frei – Confucius, Moses, Christus oder Mahomed, und in politischen Dingen Guizot, Odilon Barrot, Gagern, Manteuffel, Carlier oder selbst Louis Napoleon. Greifen Sie gefälligst zu, meine Herren – Fetische in beliebiger Auswahl! Ich wähle mir diesmal als Autorität für meinen blinden Glauben die Engländer und behaupte, jene Gleichung muß wahr sein, weil die Engländer sie aufstellen, die in politischen Dingen doch für das praktischste Volk der Erde gelten und sogar von dem störrigen Vincke als Orakel angerufen wurden, wenn sein aristokratischer Feudalkarren im Sumpfe des preußischen Absolutismus stecken blieb. Und man muß sagen, unsere Regierenden haben, wenn auch nicht in anderen Dingen, so doch in diesem Punkte sich England als würdiges Muster vorgestellt. Jeder Duodezstaat bläht seine Schulden auf, wie der Frosch in der Fabel, und fragt von Zeit zu Zeit die Umstehenden, ob er dem alten Bull bald gleichgekommen sei? Oesterreich und Preußen wetteifern hier mit größerer Energie, als in den deutschen Angelegenheiten, und Kurhessen strebt, unter des würdigen Hassenpflug’s Führung, mit beneidenswerther Folgerichtigkeit diesen hohen Vorbildern nach. Warum sollten wir auch nicht Kinder unserer Zeit sein und mit freier Skepsis das Alterthum negiren, dessen Philiströsität auf einen wohlgefüllten Staatssäckel sich etwas zu Gute that? Die Nachkommen haben doch nur Hader und Zank von einem solchen Erbe und streiten sich entweder vor Tribunalen und Gerichtshöfen herum, ohne den verschwundenen Nibelungenhort deßhalb wieder herbeizaubern zu können, oder sie fallen sich gegenseitig gar in die Haare und raufen einander dieselben zur Schadenfreude der Nachbarn aus. Was hilft es meinem Freunde Stämpfli in Bern, zu behaupten, die Patrizier hätten einen Theil des Staatsschatzes gestohlen, während die Franzosen den Rest nach Egypten schleppten, um dort die Mamelucken zu bekriegen? Wenn es ihm auch gelingen sollte, den Diebstahl nachzuweisen, was mir wegen der notorischen Moralität und Unbestechlichkeit der geborenen Adeligen und der höheren Klassen der Gesellschaft überhaupt durchaus unwahrscheinlich vorkömmt, so würde er doch schwerlich eine Presse erfinden können, welche das Gestohlene wieder aus den Privatsäckeln der Nachkommen ausquetscht. Der große Friedrich würde den Krieg um Schlesien sehr wahrscheinlich nicht begonnen haben, wenn sein in Gott ruhender Vater, der Preußen noch höchst eigenhändig mit dem Rohrstocke in patriarchalischer Weise regierte, ihm nicht einen wohlgefüllten Staatsschatz hinterlassen hätte, das Resultat einer vom Standpunkte der Uebervölkerungstheorie ausnehmend weisen Sparsamkeit, da zu der Auflösung dieser Geldmasse und zu ihrer Wiedergabe in die Cirkulation Tausende von armen Teufeln das Leben lassen mußten. Wie man sagt, wird das kriegerische Feuer Franz Joseph’s, das sich schon bei Raab in so glänzendem Lichte persönlicher Tapferkeit zeigte, nur durch das bedeutungsvolle Achselzucken von Krauß und Schwarzenberg gedämpft, die mit dumpfem Grauen auf die nackte Leere des österreichischen Staatsschatzes hinweisen. Ohne diese, die lebhafteste Leidenschaft eisig ertödtende Pantomime hätte sich schon längst ein Strom weißer Röcke und langer Bajonette über Deutschland und Frankreich ergossen und Franz Joseph säße jetzt vielleicht auf dem Kap Finisterre, sehnsüchtig die Arme ausstreckend nach Amerika und den Ozean anrufend: „Vertrockne, damit der Moses des Absolutismus hinüber könne in das gelobte Land der Demokraten und die Rothen von dort verjage zur Ehre Gottes und der von ihm gesalbten Regierungen!“ O Cobden und Ihr, Mitglieder des Friedenscongresses, die Ihr jetzt in London tagt und wieder einige Reden zur Beförderung Euerer Zukunftszwecke haltet, schickt, ich bitte Euch, unseren Regierungen Ehrendiplome als unwillkürliche und unbewußte Mitglieder Eueres Congresses, da sie praktisch mehr für Eure Zwecke thun, als alle Oelblätter Elihu Burritt’s und alle Friedenspfeifen Ka-Ge-Ga-Ho-bu’s. Montecucculi sagte, man brauche zu einem Kriege drei Dinge: Geld, Geld und wieder Geld. Unsere Regierenden werden bald jede auch entfernte Möglichkeit eines Krieges gänzlich hinweggeräumt und den ewigen Frieden Europa’s gesichert haben. Die Blasennatur ihrer Staatskassen nimmt mit jedem Jahre in erfreulicher Weise zu. Die spezifische Leichtigkeit dieses an die Spitze des Staates gestellten Ballons mehrt sich von Monat zu Monat und wird bald so groß sein, daß der ganze Ballon trotz der schweren Gewichte, die ihn fesseln, sich der Erde entwinden und in jene lichten Höhen des Vergebens und Vergessens entschwinden wird, in welchen Jakob Venedey jetzt schon weilt und aus denen wohl für die Herren Green und Lepoitevin, nicht aber für Manteuffel und Schwarzenberg ein Wiederkommen möglich ist.

An der hohlen strangförmigen Staatskrippe, in welcher die Cirkulation des ernährenden Saftes stattfindet, sitzen bei den Blasenträgern eine Menge verschiedenartiger Individuen auf, deren jedes seine besondere Beziehung zu dem Gesammtorganismus hat. Unter der Luftblase folgen durchsichtige Glocken aus krystallheller Substanz gebildet, bald nur paarweise geordnet, bald auch in langen Reihen einander gegenübergestellt. So beweglich der Strang ist, an welchem diese Glocken aufsitzen, so leicht er jeder Impulsion gehorcht, die von der Luftblase herkommt, so steif, hart und genau abgezirkelt in ihrer äußeren Erscheinung sind diese Schwimmglocken, welche als Lokomotive an den Staatsstrang gespannt sind, um ihn nach jeder beliebigen Richtung hin zu bewegen. Mit ihrer Basis sitzt eine jede solche Glocke auf dem hohlen Stamme auf und durch den Ansatzpunkt dringt ein mehr oder minder bedeutender Strom zur Ernährung des Innern der Glocke ein. Jede Glocke entzieht auf diese Weise dem Gesammtkörper einen genau zugemessenen Antheil von Lebenssaft, der in regelmäßigen Wellenschlägen in ihr Inneres dringt. Der Wirkungskreis einer jeden Schwimmblase ist genau abgemessen; – ein Theil ihres Körpers ist ausgehöhlt, weit nach außen geöffnet und mit einem muskulösen Ringe versehen, der wie die Regenbogenhaut eines Auges vor der Oeffnung ausgespannt ist und durch seine Zusammenziehungen, durch sein Klappen, das Wasser aus der Höhle treibt, wo dann durch den Rückprall des Wassers die Schwimmblase um ein Geringes vorwärts getrieben wird. Sind längere Reihen dieser Schwimmblasen vorhanden, so klappen alle in genau abgemessenen Zwischenräumen zusammen und dieses geregelte, rhythmische Zusammenwirken treibt den ganzen Organismus mit vieler Schnelligkeit in bestimmter Richtung vorwärts. Wendungen und Drehungen werden ausgeführt, indem nur die eine Seite energisch klappt, während die andere in unthätiger Ruhe auf Befehl verharrt. Strenge Rangordnung! Der Luftblase zunächst, der Staatskasse am innigsten angeschmiegt, wenn auch nicht zum Besten ernährt, liegen die noch unentwickelten Knospen dieser Schwimmblasen, die sich stets von Neuem erzeugen und die Verluste ersetzen, welche durch Alter oder Zufall in den Reihen herbeigeführt werden; weiter nach hinten nehmen die Schwimmblasen an Größe, Umfang und Bedeutung zu. Ihre Rangordnung selbst ist nach den verschiedenen Blasenträgerstaaten sehr verschieden; ebenso wechselt ihre Zahl außerordentlich. Jener kann zu seinen sämmtlichen Bewegungen mit zwei solchen Glocken ausreichen, die aber eine zu der Wichtigkeit ihrer Geschäfte im Verhältnisse stehende Größe erreichen; Dieser fädelt sie in gegenüberstehenden Reihen zweizeilig auf; ein Anderer schachtelt sie so in einander, daß ihre Flächen einander decken und kaum ein Raum für die Schwimmmündungen übrig bleibt; ein Vierter gar reiht ihrer eine große Zahl in spiraligen Linien über einander, so daß bei dem vielfachen Gewirre es im ersten Augenblicke schwer hält, den Stamm zu entdecken, auf welchem sie aufgenestelt sind.

So sind die Verhältnisse dieser Bureaukratie je nach den einzelnen Organismen verschieden, obgleich im Ganzen stets wieder dieselbe Idee zu Grunde liegt. Hohle, unselbstständige Gebilde, scheinen diese Körper nur dann wirken zu können, wenn sie gemeinsam an demselben Strange befestigt sind. Einer hebt, unterstützt, ergänzt den anderen und alle saugen je nach Verhältniß ihrer Größe, ihres Ranges und ihrer Altersklasse an dem gemeinsamen Strome von Lebensflüssigkeit, der in dem Gesammtorganismus cirkulirt. Mit großer Regelmäßigkeit, in abgemessenen Pausen dringen die Strömungen in das Innere der aufgedunsenen Blasen ein. Holdseliges Regime der Quartalzapfen, das diesen klappenden Saugegeln die Möglichkeit verschafft, ein ärmliches Leben zu fristen! Nach gemeinsamem Plane arbeitend, ohne eigenen Willen, aber unbedingte Diener des Impulses, der von oben kommt, die Augen stets nach der Staatskasse gerichtet, an die sie sich festklammern, wie der Ertrinkende an den Strohhalm, leiten und schleppen diese Maschinen des gouvernementalen Willens mit ihren klappenden Bewegungen das Staatsschiff durch das unfreundliche Element hindurch, jeder sich an den Anderen lehnend und genau nur so viel arbeitend, als ihm Reglement und Befehl vorschreiben. Unmittelbar unter der Luftblase ist der Ort, wo die jungen Knospen dieser Bureaukratie hervorsprossen, wo sie sich ausbilden zu dem beschränkten Alltagsgeschäfte, das mit dem bestimmten Glockenschlage beginnt und genau zur festgesetzten Zeit aufhört. Dort ist die Landesuniversität, die einzige aller menschlichen Anstalten, die bis jetzt unter Beihülfe der deutschen Professoren die Aufgabe gelöst hat, alle Geister über einen einzigen Kamm zu scheeren und den Dümmsten, wie den Gescheidtesten in der bestimmten Anzahl von Semestern aus einem angehenden freien Menschen in einen Staatsdiener umzuprägen, in ein Lastthier der Staatsidee, das, dem grauen Freunde gleich, mit dem Kreuze der Sklaverei auf dem eingezogenen Rücken gezeichnet, tagtäglich die Säcke zur ministeriellen Mühle schleppt und die daraus gewonnene Spreu wieder abholt. In Folge der eigenthümlichen Sprachverwirrung, welche in dem babylonischen Thurme deutscher Gelehrsamkeit existirt, hat man diese Castrir-Anstalten männlicher Geister, diese Pferche zukünftiger Staatshämmel „Pflanzstätten freier Wissenschaft“ genannt, während sie doch weiter nichts sind, als Dressuranstalten, in denen die Knospe, die sich frei nach allen Seiten hin entfalten möchte, nach den Examenbedürfnissen zugestutzt und eingerenkt wird. Der Blasenträgerstaat geht bei der Ausbildung seiner Beamten mit anerkennungswerther Offenheit zu Werke. Er verbrämt sein Handeln wenigstens nicht mit jenen banalen, pomphaften Phrasen, die bei unseren Wissenschaftsheuchlern gang und gäbe sind, sondern er pumpt seinen Beamten-Knospen auf die einfachste Weise von hinten her Alles ein, was sie zur Ausbildung und zum erquicklichen Gedeihen in ihrer zukünftigen Sphäre nöthig haben. Der Studirende, der Beamter werden will, muß in dem Blasenträger-Staate nothwendig ein Stipendium haben und dadurch an den Staat gefesselt sein. Wißbegierde um des Wissens willen, Studium um der Kenntniß willen erkennt der Staat gar nicht an – hält sie sogar für gefährlich und verderblich für die Jugend. Die vollendete Staatsidee läßt ihrem zukünftigen Organe nur gerade so viel zu an Kenntniß und Wissenschaft, als ihm nöthig ist, um die beschränkte Stellung ausfüllen zu können, die man ihm später anweisen wird. Metternich und die unter ihm in Wien versammelten deutschen Staatsmänner, zu welchen auch Herr von Linde gehörte, der als Universitätskanzler vor dem März entschlief und in Frankfurt als Einschläferer schlafwandelte, um endlich als Hessen-Homburg’scher Bundestagsgesandter nach dem Revolutionssturme wieder aufzuwachen, alle diese erleuchteten Vorbilder unserer nachmärzlichen Staatsweisen hatten diese Grundwahrheiten sehr wohl begriffen, als sie die berüchtigten Konferenzbeschlüsse über die Universitäten ausarbeiteten, die demnächst wohl wieder in zweiter Auflage, in ähnlicher Weise verbessert und vermehrt, wie die preußisch-österreichischen Preßgesetze, an das Tageslicht kommen werden. Um indeß nicht unbillig zu sein, so muß man doch sagen, daß die Professoren, diese Hohenpriester deutscher Wissenschaft und Bildner deutscher Jugend, ihnen redlich vorgearbeitet hatten. Man besitzt viele rührende Idyllen in Geßner’schem Style über diese der deutschen Nation eigenthümliche Klasse von Menschen, welche stets von der Wissenschaft zu leben versichern und die, wenn man sie hört, nur zu größerer Glorie der Göttin Wahrheit, welcher sie zu dienen behaupten, zu existiren scheinen; aber während sie von der Göttin sprechen, denken sie nur an die Kuh, die sie mit Butter versorgt. O! ich habe sie kennen gelernt und manches Ideal eines jugendlichen Enthusiasmus und einer frischen Begeisterung mir aus der Seele streichen und an die leergewordene Stelle einen halbgedörrten, halbverfaulten Stockfisch setzen müssen. Welchen Schmutz, welche Spinnweben habe ich in den heimlichen Ecken der Sakristeien angetroffen, in welchen diese Priester der Wissenschaft hausen. Kleinkrämer und Detailhändler der Wissenschaft im Ausverkauf über die Straße, ist alles Dichten und Trachten dieser Epiciers nur darauf gerichtet, so viele Käufer als möglich in ihre Bude zu locken, oder sich ein Monopol geben zu lassen, vermöge dessen nur sie allein an diesem oder jenem Zapfen der kastalischen Quelle ausschenken können. „Die Landeskinder sollen zwei Jahre auf der Landesuniversität zubringen und nur auf erhaltene spezielle Erlaubniß hin im Auslande studiren können. Unsere jungen Leute werden im Auslande verdorben und entweder vermaledeite Pietisten in Halle oder persönliche Feinde Jehova’s in Berlin bei den Bauers“, schreit der Eine, um sicher zu sein, daß die der Schule entlassenen Jünglinge seinem platten Rationalismus und nicht einer abweichenden Richtung im Auslande die Dukaten in die Schublade rollen lassen. „Die gegenwärtige Generation ergibt sich zu sehr den Fachstudien und vernachlässigt die allgemeinen Wissenschaften“ klagt ein Anderer. „Befiehl ihnen, o Ministerium, daß sie Logik und Geschichte und Mathematik hören und sich allgemeine Menschenbildung erwerben (denn ich lese Logik, mein Gevatter Geschichte und mein zukünftiger Schwager Mathematik und wir haben alle drei leere Hörsäle und folgerichtig auch leere Taschen…)“, „Jugend hat keine Tugend“, eifert der Dritte, „man muß sie gewähren lassen und darf Studenten nicht wie Schulbuben behandeln! Laßt ihnen jegliche Freiheit, in Biergelagen und anderen Ausschweifungen ihre jugendliche Kraft auszutoben! Was thut’s, wenn sie den Philister rüpeln, eine besondere Kaste bilden und allen nur erdenklichen Unsinn treiben? Wenn sie sich ausgetobt haben, werden sie später nur um so brauchbarer. Ich bin für Freiheit, für viel Freiheit.“ – Man klatscht dem freiheitspredigenden Hofrathe Beifall. In verständliches Deutsch übersetzt, heißt die geharnischte Rede: „die jungen Leute werden hierher kommen, wenn sie wissen, daß sie sich ungescheut allen Ausschweifungen überlassen können. Jeder Kommende aber zahlt mir einige Louisd’ors für meine Pandekten; drum – es lebe die Freiheit!“ – „Jeder soll hören können, wo er will, er mag seine Wissenschaft auf einsamer Studierstube oder in fremdem Lande geholt haben, wenn er nur etwas weiß; aber dafür soll er auch strenge Rechenschaft in der Endprüfung ablegen“, sagt ein Anderer, der durchgreifende Reformen will und mit dem Zeitgeiste fortgeschritten ist. Der Unglückliche! Man hat seine Vorlesungen nicht für Zwangskollegien erklären wollen, drum ficht er für ein freies, von den Staatsfesseln befreites Studium. Aber der Herr ist auch Examinator in seiner Wissenschaft und deßhalb hält er auf eine strenge Prüfung. Wehe dem, der seine Vorlesung nicht gehört, sein Heft nicht nachgeschrieben, seiner Kasse nicht gezollt hat. Der Mann weiß sich zu helfen. Er legt die Daumenschrauben am Ende an, da ihm versagt wurde, im Anfange den Kerkermeister zu machen. O Sumpf niederer Erbärmlichkeit, wie lange noch werden die Schlingpflanzen, die in deiner faulen Atmosphäre aufgezogen wurden, den deutschen Boden überwuchern!

Ich will einen Irrthum bekennen. Die Regierungen haben doch nicht nöthig, die Wiener und Carlsbader Beschlüsse gegen die Universitäten zu wiederholen oder gar zu verschärfen. Sie würden, um dem Treiben einiger Wenigen Einhalt zu thun, viele ihrer besten Werkzeuge entwaffnen müssen. Wir dürfen uns nichts verhehlen, sei es auch noch so schlimm. So weit ist schon die Corruption in unserem Zeitalter vorgedrungen, daß die studirende Jugend, welche früher mit Begeisterung den Ideen der Freiheit sich hingab, jetzt im Gegentheile ihrer großen Mehrzahl[15] nach von denselben sich abgewandt hat. Der Enthusiasmus für Freiheit und Volksrecht liegt jetzt in tieferen Schichten, als in den verdorbenen Schößlingen jener faulen Beamtenkaste, die sich überall mit unersättlicher Gier zu der Staatskrippe drängt, auf welcher ihre einzige Möglichkeit der Existenz beruht. Diese Setzlinge der Bureaukratie hatten sehr wohl berechnet, daß die Tendenzen der Revolution, deren erstes Viertel wir bis jetzt erlebt haben, tief genug gingen, um den Leibrenten die Bürgschaft zu nehmen, welche sie durch ihr Studium auf die Staatskasse zu placiren gedachten. Sie kannten sich selbst und ihre Erziehung zu wohl, um zu wissen, daß die Entwurzelung dieses schmarotzenden Beamtenthums, das an des Volkes innerstem Marke saugt, auch ihnen nothwendig Verderben bringen müsse und sie hatten nicht Aufopferungsfähigkeit genug, um den alten Ballast über Bord zu werfen und entschlossen in eine neue Lebensbahn einzusteuern. Wir können diese Verhältnisse beklagen, aber ihren Opfern kaum zürnen. Wie soll ein solches Wesen, das von Kindheit auf in der Zwangsjacke einer verrückten Erziehung aufgewachsen ist, das man aller Selbstständigkeit, alles eigenen Denkens beraubt hat, um es zu einer auswendig lernenden Maschine zu machen, das seiner Abhängigkeit bewußt genug ist, um die Unmöglichkeit, ohne Staatskrücke auf eigenen Füßen stehen zu können, einzusehen, wie soll ein solches Wesen sich zu dem Bewußtsein der Freiheit und der Selbstständigkeit erheben, ohne beim Anschauen dieser hohen Ziele über die Kraftlosigkeit zu erschrecken, die man ihm angekränkelt hat? –

Die ausgewachsenen Knospen schließen sich in Reihe und Glied an die vorhandenen Schwimmglocken nach hinten hin an, allmälig wachsend und zunehmend und in der bureaukratischen Rangordnung aufsteigend. Sie werden, wie überall in jedem wohlgeordneten Staate, nicht etwa durch Fleiß, Anstelligkeit oder Verdienst, sondern einzig durch ihre Altersklasse zu höherer Stellung befähigt. Ihre Fortdauer ist garantirt durch jenen Kanal, der ihnen täglich aus der Staatskasse Speise und Trank zuführt; sie thun ihre Pflicht regelmäßig, mit Gewissenhaftigkeit, und haben so Aussicht auf eine vor allen Wechselfällen des Lebens und der Zukunft gesicherte Versorgung. Der Gesammtstaat ist durch Verfassung und Gesetz verbunden, ihnen die nöthige Nahrung zu liefern, sie in ihrer Stellung zu belassen und nicht ohne Urtheil und Recht davon zu entfernen. Was kümmert sie das Weitere? Wenn man freilich diesen Punkt der staatlichen Organisation angreift, wenn man ihnen die gesicherte Stellung, die garantirte Pension rauben will, dann gerathen sie außer sich und können sogar in tiefer Entrüstung zu revolutionären Schritten hingerissen werden. Dann entwickelt sich plötzlich bei ihnen ein ungemein tiefes Gefühl für Gesetz und Recht, und ihr Sonderinteresse auf das Allgemeine übertragend, fordern sie das gesammte Volk auf, für die geschriebene Verfassung und die gesetzlich bestätigte Dienstpragmatik einzustehen. Aus dem willenlosen Werkzeuge der oberen Gewalt wird dann plötzlich ein löwenmuthiger Vertheidiger des vorhandenen Rechtszustandes, eine edle Seele, die im Kampfe für diesen Rechtszustand selbst das Aeußerste nicht scheut und um so fester sich an den Dienst klammert, je mehr die Gewalt dessen Stellung unterminirt. Das Recht der Anderen hat diese Menschen von jeher wenig gekümmert, nach dem Rechte, mit dem Jeder geboren wird, haben sie niemals gefragt; – aber das eigene, verbriefte und besiegelte, private Recht, ja auf dem stehen sie hartnäckig fest und nur die Gewalt kann sie aus dieser Stellung verdrängen. Aber es handelt sich auch um ihr Leben. Eine abgelöste Schwimmblase, deren Zusammenhang mit dem ernährenden Stamme gelöst ist, spielt die ärmlichste Figur von der Welt. Mit lächerlicher Anstrengung bläht sie sich auf und sucht die ihr in der Rangordnung eigene Würde auch in der Vereinzelung zu behaupten. Sie schluckt und pumpt nach allen Seiten hin, ohne fähig zu sein, eine bestimmte Richtung in ihren Bewegungen einzuschlagen, da ihr der Stützpunkt, der Rückhalt abgeht, an welchen sie gewöhnt war. So überschlagen sich diese gelösten, verstoßenen Schwimmglocken in beständigen Purzelbäumen, indem sie zwecklos durch das Wasser hin und hertaumeln, bis endlich nach tagelangem Abmühen und vergeblichem Quälen sie vor Hunger und Elend zu Grunde gehen. Sie hatten nur eins gelernt: nach der gegebenen Impulsion sich im Takte zu bewegen und dieses Eine genügte nicht, ihnen nach ihrer Trennung aus dem Unterthanenverbande den nöthigen Lebensunterhalt zu verschaffen. Arme Schlucker, nur durch ihre Vereinigung stark, nur wie der elektrische Telegraph fähig, dann bestimmte Zeichen hervorzubringen, wenn der Leitungsdraht unzerstört ist, der sie mit der inspirirenden Batterie in Verbindung setzt! Wen kann es wundern, daß sie gegen solche Loslösung aus allen Kräften sich anstemmen? Guter Gott! Wir haben dieses Heer von Gänsen gesehen, wie es Tags vorher noch stolz durch die Straßen watschelte und dann plötzlich, von dem Windstoß der Revolution aufgescheucht, kreischend durch alle Straßen flatterte und mit den Köpfen an die verschlossenen Thüren der gewohnten Ställe anrannte, die ihm früher ein heimliches, sicheres Asyl gewährten; – verstörte Gesichter, stiere Augen, vor Angst schnatternde Kinnladen, aufgeblustertes Gefieder, wankende Kniee, die sich ängstlich an die Häupter der Bewegung anzuschließen suchten mit den lebhaftesten Betheuerungen der Ergebenheit! Jetzt haben sie sich wieder eng zusammengedrückt, recken die Hälse empor und schlagen muthig mit den Flügeln, wenn die geheime Polizei ruft: der Habicht kommt! Eine Welt ist zu klein für ihre überschwängliche Courage.

Die Beamten arbeiten für den Gesammtorganismus, der sie dafür ernährt und ihren Leistungen gemäß entschädigt. Nichts ist billiger, als dieses und auch bei den Blasenträgern ist, wie man sieht, dieser Grundsatz vollständig durchgeführt; aber daß es so sein müsse, wie bei den Blasenträgern, daß eine solche Schwimmblase nun auch für ihre ganze Lebenszeit an den Staatswagen angespannt sein müsse, daß ihre ganze Thätigkeit auf diesen beschränkt, von diesem allein abhängig sein und für alle Ewigkeit hinaus garantirt sein müsse; – für solche Einsicht wird einer künftigen, verständigeren Generation, die nicht mehr das Bleigewicht der bestehenden Verhältnisse an den Füßen und an dem Kopfe hängen hat, das nöthige Begriffsvermögen abgehen. Man wird durch weiteres Nachdenken wahrscheinlich zu dem Schlusse gelangen, daß der Beamte nicht für den Staat, sondern für besondere Geschäfte des Volkes da sei und daß man einen Geschäftsführer nicht auf Lebenszeit mit Garantie seiner ganzen Zukunft, sondern nur auf eine gewisse Zeit nehmen dürfe, um sicher zu sein, daß er durch Eifer und treue Pflichterfüllung sich auch ferner zur Fortführung seines Amtes fähig mache. Eine künftige Generation wird vielleicht den Grundsatz aufstellen, daß es überhaupt dem Gesetze menschlicher Entwicklung gemäß keine Befähigung für die ganze Lebenszeit geben könne; sie wird vielleicht, wenn sie auch den Staat bestehen läßt, doch nicht zugeben, daß eine abstrakte, sogenannte exekutive Gewalt an die Spitze dieses Staates gestellt werde, die durch selbsterzeugte, selbsternannte, von ihrem Willen abhängige Organe, Beamte genannt, bis in die Tiefen der Gesellschaft hinabsteige, um nach gemeinsamem Plane dieselbe zu lenken und auszubeuten; sie wird sich sagen, daß nicht die Staatsgewalt Organe haben müsse, sondern vielmehr die Volksgewalt und daß das Volk, wenn es seine Geschäfte hier und da wolle ausführen lassen, auch sich selbst den Geschäftsträger erwählen müsse, der dieser Mission zu genügen habe – aber das wäre entsetzliche Anarchie und das deutsche Volk müßte erst wie Israel vierzig Jahre lang durch die revolutionäre Wüste geführt werden, um jene heillose Tradition der Beamten auf Lebenszeit und Pension mit der Leiche des letzten Beamten begraben zu können. –

Hinter der Schwimmblasenreihe, die mit ihrem Knospenraume die Stelle unmittelbar unter der Luftblase einnimmt, sieht man an dem gemeinsamen Hauptstamme eine Menge anderer Anhängsel, die eine ganz andere Natur zeigen. Statt steifer, gezirkelter, förmlicher Haltung, statt regelmäßiger aber beschränkter Thätigkeit, wie sie den Schwimmblasen eigen ist, findet man hier eine außerordentlich freie Beweglichkeit, ein stetes Aendern der Form, eine bewunderungswerthe Leichtigkeit, sich allen Verhältnissen anzuschmiegen. Die hauptsächlichsten dieser Anhängsel sind wahre Wurmleiber, mit weitem, vorderem, saugnapfähnlichem Maule, die in beständiger Unruhe umhertasten und stöbern, sich überall anzusaugen versuchen, bei der geringsten Erschütterung aber sich zu einem unscheinbaren Wesen zusammenziehen, in dessen klumpenförmiger Masse man kaum eine Spur von Organisation mehr entdecken kann. Mit unersättlicher Gier fallen diese Wurmleiber über alle kleinen Thiere her, die ein unglücklicher Zufall in ihr Bereich oder in dasjenige der unzähligen Angelhaken führt, welche in ununterbrochener Arbeit für diese Nimmersatte sich abmüden. Ihre vordere Mundöffnung ist außerordentlich weit und einer merkwürdigen Ausdehnung fähig, ihr ganzer Leib eigentlich nur Magen von kontraktilen Wendungen umgeben, welche sich von allen Seiten den Umrissen des Opfers anschmiegen können, das in ihrer weiten Höhle verborgen wird. In seiner vorderen Hälfte ist ein solches Schluckmaul gewöhnlich aus durchscheinender, ausnehmend dehnbarer Substanz gebildet. Hier findet sich der weite, innere Raum, wo die herangezogenen Opfer bis auf den letzten Tropfen Flüssigkeit ausgesogen werden, wonach man die leeren Hülsen von sich speit. Nach hinten folgt ein zweiter Raum, enger, von festeren Wandungen umgeben, meist in gelblichem oder röthlichem Schimmer strahlend. Dort findet erst die wahre Aneignung, die Einverleibung des Eingesogenen Statt, das in Form weißlicher oder gelber Körner sich an den Wänden dieses Kassenraumes ablagert. Je ruhiger und windstiller die See, desto günstiger ist der Fang, desto strotzender füllen sich auch diese Kassenräume mit lebhaft gefärbten Goldkörnern, welche durch die halb durchsichtigen Gitterwandungen des Raumes hindurch schimmern. Hält dagegen unruhige See lang an, so verschwinden nach und nach die Goldkörner aus dem Kassenraume, das ganze Schluckmaul erscheint abgezehrt, blaß, matt und farblos, und dauert dieser Zustand über eine gewisse Zeit an, so löst sich endlich die ganze Organisation auf und es bleibt nur ein opaler, fadenziehender Gallertklumpen, der einen üblen Geruch verbreitet und das Wasser rings umher vergiftet. Deßhalb schreit auch jede Fiber in dem gesammten Staatsorganismus der Blasenträger nach Ruhe, nach Frieden um jeden Preis; deßhalb verfolgen sie mit wüthendem Hasse den Wind, der die Wogen aufregt, die Wellen, welche in die träge Ruhe Bewegung bringen; und wenn ihr Widerstand nichts fruchtet, so flüchten sie in weite Entfernung oder in tiefe unterseeische Klüfte, in denen sie sich vor dem Tageslichte und vor der Bewegung bergen. Hat man ja doch schon Blasenträger, die sonst nur an europäischen Küsten sich aufhalten, fern auf der hohen See angetroffen, steuernd und lenkend über den Ozean hinüber nach den amerikanischen Küsten, wo sie größere Sicherheit und Bürgschaft für die Ruhe zu finden hofften, als in dem alten Europa, welches nach der Versicherung einiger Sozialpathologen jetzt gerade in den letzten Zügen liegt und dabei noch viel an nervösen Erschütterungen, Krämpfen und Todesschluchzen zu leiden hat. Andere freilich wollen in diesen Erscheinungen einen jugendlichen Veitstanz sehen, eine Entwicklungskrankheit der reifenden Jungfrau, nach deren Beendigung die Ehe mit der umgestalteten Gesellschaft erst recht geschlossen werden könne. Die Schluckmägen meiner Blasenträger lassen sich in diesen Streit gegenüberstehender Meinungen nicht ein; ihnen erscheint es vollkommen gleichgültig, ob Todeszucken oder Jugendkrämpfe die Wogen aufregen. Die Aufregung selbst genügt ihnen, um sie zu hassen.

Der hohle Leib der Schluckmäuler sitzt meistens durch einen ziemlich festen, fast knorpelig harten Stock auf dem gemeinschaftlichen Stamme auf. Dieser Untersatz ist durchbohrt, ein enger Kanal durchläuft ihn in seiner ganzen Länge und setzt so den Kassenraum des Schluckmaules mit dem Kanale des Stammes, in welchem die allgemeine Lebensflüssigkeit cirkulirt, in Verbindung. Diese Flüssigkeit selbst ist eigentlich nur der Rest der Nahrungsstoffe, die von dem Schluckmaule aufgesogen und zum größten Theile in seine eigene Oekonomie verwendet wurden. Der Gesammtorganismus lebt so gewissermaßen nur von den Brosamen, die von den Tischen dieser Herren fallen. Alles, was in die gemeinsame Cirkulation eingehen soll, muß erst durch die Mägen und Kassenräume dieser Bestien durchgehen, die begreiflicher Weise nicht den schlechtesten Theil davon für sich behalten. Man kann nicht behaupten, daß sie den Staat aussaugen; – sie würden sich stolz zurückwerfen und sich verachtend wegbeugen, ja es als eine empfindliche Beleidigung ansehen, wenn man ihnen sagen wollte, daß sie in ähnlicher Weise, wie die Schwimmknospen an der allgemeinen Staatskrippe zehren und auf Kosten derselben leben. Hört man sie, so stellen sie mit kecker Stirn und sogar mit einigem Schein der Wahrheit die entgegengesetzte Ansicht auf. Sie sind es, welche die Cirkulation in dem gemeinsamen Stamme unterhalten; ohne ihre Verdauung würde das allgemeine Reservoir in dem Stamme bald versiegen und der gesammte Organismus an jammervoller Erschöpfung dahinsiechen. Der Staat ist ihnen Dank dafür schuldig, daß sie den Kanal offen halten, welcher die gemeinsame Röhre speist; die Allgemeinheit schuldet ihnen Verbindlichkeit dafür, daß sie nicht Alles in den weiten Falten ihres Magens, in den Gitterräumen ihres Kassenraumes aufspeichern, sondern aus Mitleid oder angeborner Gutmüthigkeit auch Einiges in die allgemeine Cirkulation abgeben. Dafür gebührt ihnen denn auch das Privileginm, allein schlucken, fressen und saugen zu dürfen; darum gebührt es sich, daß nirgends an dem gesammten Staatsorganismus ein anderer Mund existire, der selbstständig sich ernähren könne. In der That ist es wenigstens bei den Blasenträgern so. Die Schluckmäuler sind die wahren und alleinigen Priester dieser in materieller Hinsicht katholischen Gesellschaft, denn sie trinken nicht nur, sie essen sogar für Alle, eine Ausdehnung des Privilegiums, die freilich bald auch auf Erden hergestellt sein wird, wenn man nur den Herren Montalembert und Falloux und den kleinen bayerischen Karrikaturen, welche nach diesen Mustern angefertigt und unter den Namen Sepp, Lassaulx und Ringseis öffentlich von sächsischen und italienischen Gypshändlerbuben in der Münchener Kammerbude feilgeboten werden, gehörige Zeit zur Durchführung ihrer menschheitbeglückenden Pläne läßt. – –

Der Staatsorganismus der Blasenträger beruht ganz auf jenem Prinzipe, welches in dem bürgerlichen Königthum Ludwig Philipps zur höchsten Geltung kam. Die Börsenwölfe und großen Kapitalisten, die hohe Bourgoisie, die Noblesse der Fabrikation und der Industrie, diese corrumpirte und verfaulte Schicht der Gesellschaft, die von dem Adel nur den impertinenten Lack, von Haus aus aber die Habgier, die Niederträchtigkeit und innere Fäulniß hat, diese Wänste sind bei den Blasenträgern die mächtigen Organe, auf deren regelmäßiger Verdauung das ganze Wohl und Wehe des Staates ruht. Die Cirkulation des Gesammtorganismus ist nur das Residuum ihrer Verdauung; – sie nehmen zuerst für sich, um dann der Allgemeinheit nur gerade so viel zukommen zu lassen, als nöthig ist, die Gesammtmasse in leidlichem Humor zu erhalten; denn ein gewisses freundliches Verhältniß zu denen, auf welche sie von der Höhe ihrer Kassenräume stolz herabschauen, ist ihnen doch nöthig. Weh’ ihnen, wenn die Allgemeinheit die innige Verbindung abreißt und die unersättlichen Vielfraße ihrem Schicksale überläßt! Sie sind verloren. Nur die stete Arbeit der bureaukratischen Schwimmblasen, denen die Schluckmäuler dennoch im Herzen gram sind, vermag diese schweren Leiber in dem Wasser zu erhalten und nach bestimmten Richtungen fortzuziehen; – nur der unausgesetzten Anstrengung von Tausenden von Proletariern kann es gelingen, ihren stets wachen Hunger nur einigermaßen zu stillen; – abgetrennt, für sich, vermögen sie weder sich in der Schwebe zu halten, noch vorwärts zu kommen oder ihrem Appetite Genüge zu leisten; sie gehen dann elend in Hunger und Kummer einer unvermeidlichen Auflösung entgegen, noch im Tode das umgebende Wasser verpestend.

Ich erwähnte der Proletarier. Ja, lieben Leser, wir stehen mitten in der jetzigen Civilisationsperiode. Weiter fortgeschritten sind meine Blasenträgerstaaten, als die unglückliche Pfalz und das unglückliche Baden, in denen selbst die Herren Marx und Engels, trotz ihrer Virtuosität in diesem Fache, kein Proletariat entdecken konnten. Vielleicht hätten sie bei längerem Aufenthalte dies ihrer Ansicht nach nothwendige Element der modernen Gesellschaft erfunden, dekretirt, wie Robespierre das höchste Wesen – aber dazu war leider keine Zeit und der Versuch, eine Proletarierrevolution ohne Proletarier zu machen, verunglückte aus Mangel an Stoff. Warum gingt Ihr nicht zu den Blasenträgern? Dort existiren Proletarier in Menge und merkwürdiger Weise sammeln sie sich besonders nur da an, wo die großen Schluckmäuler sich angeheftet und den Sitz ihrer Würg- und Saugindustrie erkoren haben. Zahllos knospen und wuchern an den Stellen, wo ein Schluckmaul aufsitzt, die Proletarier hervor und je mehr dieses letztere wächst, sich ausdehnt und seinen Kassenraum mit Goldkörnern füllt, desto mehr nimmt auch das Proletariat an Umfang, Zahl und Bedeutung zu, so daß wirklich eine genaue Beziehung zwischen der schwellenden Fülle des Schluckmaules und der Zahl und Anhäufung des Proletariats existirt. Und wie seltsam sind diese Proletarier beschaffen! Wie gewaltsam sind sie von der mächtigen Staatsidee zu reinen Arbeitermaschinen umgeprägt worden, die gar keine Individualität mehr besitzen, sondern nur durch Zahl und Masse etwas bedeuten! Unfähig, sich selbst zu ernähren und einzig darauf angewiesen, für die Schluckmäuler zu arbeiten, müssen sie mit der körperlichen Nahrung sich begnügen, welche jene aus ihrem Kassenraume ihnen zukommen lassen. Schau’ ihnen zu, wie unermüdlich sie sind, von dem Augenblicke an, wo ein solcher Blasenträger sich in dem Wasser eines ruhig stehenden Pokales ausgedehnt hat und die Proletarier den Befehl empfangen haben, nach Nahrung umzuschauen. Glashelle Fäden, welche zu einem durchsichtigen Stecknadelkopfe zusammenschnurren und sich zu der Länge von mehreren Fußen ausdehnen können, senken sich allmälig von der Basis der Schluckmäuler in das Wasser hinab. Sie spielen auf und nieder, hin und her, wie gelöste Haare, die im Winde flattern, wie Spinnwebenfäden, an denen die Elfen von Blüthe zu Blüthe, von Halm zu Halm sich schaukeln. Das sind die Maschinen, die Seile und Schnüre, an welchen die tauchenden Proletarier sich dem Elemente anvertrauen. Diese wackern Fischer selbst sind meistens so klein, daß sie von dem unbewaffneten Auge nur in Gestalt unbedeutender Körnchen gesehen werden, die gewöhnlich in eine einfache röthliche oder bräunliche Farbe gekleidet sind; aber ihre Organisation ist bewunderungswürdig dem Zwecke angepaßt, zu dem sie bestimmt sind. An außerordentlich feinen, schnellenden Fädchen hängend erscheinen sie als Kapseln, aus deren vorderem Ende ein Schleuderschlauch hervortritt, der überall mit Spitzchen, feinen Dornen und Härchen besetzt ist. Die Kapsel selbst ist eine Ansammlung der verschiedensten Waffen zum Festhalten und Durchbohren der Beute. Lanzen- und Pfeilspitzen der mannigfaltigsten Form, aus krystallenem spröden Stoffe gebildet, Haken, Giftbläschen und Spiralfäden liegen in diesem seltsamen Arsenale und können durch eine eigene Vorrichtung hervorgeschnellt und gegen das Opfer geschleudert werden. Wehe auch dem armen Krebschen, dem kleinen Wasserflohe, der Schneckenlarve, welche eine unvorsichtige Bewegung in den Bereich dieser furchtbaren Fangmaschinen führt! Im Nu ist das Thierchen von hundert Schleuderfäden umschlungen, gefesselt, eingesponnen, wie eine von der Spinne gehaschte Fliege; Hunderte von Hornspitzen, Giftstacheln bohren sich in seinen Körper ein, dessen krampfhafte Zuckungen bald das Entweichen des fliehenden Lebens verkünden. Nun ziehen sich die Fädchen, an welchen die Fangkapseln hängen, allmälig zusammen; Ankertauen gleich werden die größeren Angelfäden aufgewunden und mit ihnen das Opfer in die Höhe gelüpft und dem Schluckmaule entgegengeführt. Dieses dreht und windet sich in wollüstigen Krümmungen und dehnt sich so lang als möglich der Beute entgegen, welche langsam emporgehißt sich dem gierigen Schlunde nähert; – nun dehnt sich der ganze Wurmleib wie eine Schlange aus, das Maul sperrt, der Magen bläht sich weit auf, so daß der ganze Schluckleib einer Glockenblume gleicht, und mit einem Rucke verschwindet das Opfer in der weiten Höhle, die unmittelbar zusammenklappt und es in den weiten Faltungen seiner Höhle einschließt. In der gierigen Hast, womit dieses Alles ausgeführt wird, werden eine Menge von Fangschnüren und Nesselwaffen mit verschluckt und dadurch vielleicht dieselben Proletarier, welche die gute Beute machten, so vollständig ruinirt, daß sie später zu Grunde gehen und abfallen. Es ist das die geringste Sorge des Schluckmaules, das mit großem Gleichmuthe diese hinabgeschlungenen Stücke später von sich gibt und allenfalls mit dem aus der Beute gewonnenen Safte ein Paar junger Proletarierknospen ernährt, welche die in ihrer Arbeit zu Grunde gegangenen später ersetzen sollen und endlich vielleicht auch auf ähnliche Weise in Ausübung ihres Berufes für ihren verdauenden Herrn und Meister sich opfern werden.

Je bedeutender die Zahl der Schluckmäuler an einem gemeinschaftlichen Stamme, desto zahlreicher sind auch die Proletarier und desto mehr Schwimmblasen sieht man gewöhnlich, die den ganzen Organismus in Bewegung setzen. Von Zeit zu Zeit, bei Wellenstößen oder Erschütterungen durchläuft eine ungemeine Aufregung mit Blitzesschnelle den ganzen Organismus; mit größter Eile werden die nach allen Seiten hin ausgespannten Fangschnüre eingezogen, die Proletarier aufgehißt, manche derselben, die sich irgendwo festgehakt haben, ohne Erbarmen losgerissen und zurückgelassen. Die Schluckmäuler ziehen sich zusammen und speien die halbverdauten Opfer aus; der gemeinsame Stiel schnurrt ein und sucht sich zwischen den Schwimmblasen zu bergen, die mit außerordentlicher Heftigkeit klappen und schnappen, so daß das Ganze bald, die blasenförmige Staatskasse voran, mit großer Schnelligkeit durch das Wasser schießt. Oft lösen sich bei einer solchen heftigen Krise einige Schwimmblasen los und wirbeln kopfüber nach allen Seiten hin wie versprengte Marodeurs durch das Wasser fort – gestürzte und entlassene Minister, die eine plötzliche Zusammenziehung der Börse, ein ungewöhnliches Sinken der Fonds von ihrem Zusammenhange mit der Staatskrippe gewaltsam losgelöst und auf die Seite geschleudert hat. Kaum sind diese Unglücklichen aus dem Sattel geflogen, worüber sie sich meist so wenig trösten können, daß sie noch Tage lang in Purzelbäumen in dem Pokale umhertaumeln, so geben die Schluckmäuler das Signal zu allmäliger Beruhigung. Sie dehnen sich aus und schlängeln umher, wie wenn sie von einer Last befreit wären; – der gemeinsame Stamm wächst und streckt sich; die Circulation in seinem Innern steigt und schwillt mächtiger an, so daß die Leere der Staatskasse scheinbar geringer wird; die Fangschnüre verlängern sich; die Angelfäden der Proletarier senken sich auf’s Neue nach dem Boden hinab, um dort Nahrung und Beute zu suchen. Die Schwimmblasen beruhigen sich ebenfalls ziemlich schnell und klappen nur von Zeit zu Zeit in abgemessenem Rhythmus weiter, um den ganzen Organismus in schwebender Höhe zu erhalten. Die abgestoßenen Schwimmblasen sind bald durch andere ersetzt, indem die Reihe aus dem Knospenfelde der Bureaukratie sich ergänzt. Keine Schwimmblase, sei sie auch noch so groß und seien ihrer auch noch so wenig, ist unersetzlich. Diese Lieblingsidee aufgeblasenen Selbstbewußtseins kommt bei den Staatsmännern der Blasenträger nicht mehr vor. Früher freilich soll namentlich bei denjenigen Arten der Blasenträger, wo nur zwei Faktotums von Schwimmblasen existiren (man sieht eine solche rechter Seits auf unserer Vignette) zuweilen die Ansicht geherrscht haben, als sei man unersetzlich; aber in wenigen Tagen waren solche losgerissene Faktotums durch nachwachsende Knospen ersetzt und der Staatsorganismus wickelte seinen ruhigen Fortschritt im Stillstande ab, ohne daß man eine große Veränderung bemerkte. O mein engeres darm-hessisches Vaterland! Hier gedenke ich deiner! Unersetzlicher Gagern! dir folgte der noch unersetzlichere Jaup und diesem der ganz unersetzliche Dalwigk. Dieselbe Melodie in drei verschiedenen Tonarten.

Wehe den Staaten, wo die Schluckmäuler so, wie bei den Blasenträgern, das alleinige Privilegium des Verzehrens haben! Aber dreimal wehe denen, wo die Habgier der Schluckmäuler nicht durch die Concurrenz ihrer Genossen beschränkt, wo nur ein Einziger befugt ist, Appetit zu haben! Seine Gefräßigkeit wächst mit der Dauer des Genusses! Beispiele belehren; erlaubt mir nur eines zu erzählen.

An der Küste des ligurischen Golfes streckt sich ein kleines Ländchen hin, dessen Existenz von manchen Geographen bezweifelt wurde, wenn gleich die falschen Sous von Monaco in Frankreich und Piemont eben so bekannt waren, als die Koburger Sechser gesegneten Angedenkens in Deutschland. Ein Genuesischer Raubritter, versteht sich von altem Adel, Grimaldi mit Namen, hatte sich ein altes Felsennest, das nur durch eine schmale Landzunge mit dem festen Boden zusammenhängt, dessen senkrechte Wände aber sonst auf allen Seiten vom Meere umspült sind, als Centralpunkt seiner Seeräuberzüge auserkoren und mit demselben Glücke, wie manche Raubritter unseres gesegneten Vaterlandes, diese seine von Gott ihm verliehene Besitzung bis in die letzte Zeit zu behaupten gewußt. Durch List und Gewalt hatte er noch zwei andere Städtchen mit reicher Gemarkung, Mentone und Roccabruna, unter seine Botmäßigkeit gebracht und sich so ein Besitzthum gegründet, das ein wahres Paradies auf Erden gewesen wäre, wenn nicht das schlimmste aller Raubthiere darin gehaust hätte: der zum Börsenwolf gewordene Feudalherrscher. Das System der Blasenträgerstaaten mit den allein berechtigten Schluckmäulern war dort zu einer solchen Vollendung gediehen, daß es nur ein einziges Schluckmaul im ganzen Lande gab, welches die sämmtliche Produktion aufzehrte und den Kanal, durch den es mit der Allgemeinheit zusammenhing, so verringert hatte, daß gerade hinlänglich Nahrungsflüssigkeit durch denselben durchgehen konnte, um den Gesammtstaat, Beamte wie Proletarier, nicht unmittelbar Hungers sterben zu lassen. Die ganze Staatsweisheit des Fürsten von Monaco bestand in der Berechnung des Sklavenbesitzers, welcher seine lebendigen, produktiven Arbeitsmaschinen nur so weit mißhandelt, daß sie nicht zur Produktion unfähig werden. Unser Fürst sog seine Unterthanen bis zur Ertödtung der natürlichen Wärme aus; er belastete sie mit Steuern, Abgaben, Auflagen aller Art so, daß seine Unterthanen unter der auferlegten Last kaum noch kriechen konnten. Das Recht hierzu konnte ganz gewiß nicht bestritten werden. Warum hätte auch der legitime Fürst von Monaco, Grimaldi von Gottes Gnaden, nicht eben so viel Recht gehabt, als jede andere gesalbte Persönlichkeit, seinen Unterthanen Steuern aufzuerlegen und sie für das unendliche Glück, durch eine von Gott eingesetzte Obrigkeit regiert zu sein, gehörig bezahlen zu lassen? Seine Durchlaucht hatten viele Bedürfnisse; war es nicht recht und billig, daß die geliebten Unterthanen nach Kräften beisteuerten, um den Glanz des allerhöchsten Herrscherhauses aufrecht zu erhalten? Ein Volk ehrt sich selbst durch den Glanz seines Herrscherhauses und Hofstaates, das ist ein alter constitutioneller Satz, der auf allen Landtagen früher zur Genüge wiedergekäut wurde. Der Prinz schluckte also und schluckte, und je mehr er schluckte, desto unersättlicher wurde er. Die Unterthanen schrieen und behaupteten, man plündere sie systematisch aus; aber wer anders konnte über das Zuviel oder Zuwenig Richter sein, als die von Gott eingesetzte und von ihm erleuchtete legitime Obrigkeit? Jede Auflehnung hiergegen war nach dem Grimaldi’schen Codex sowohl, wie nach demjenigen von Stahl und Keller eine Auflehnung gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit und konnte als solche nicht hart genug bestraft werden. Das Staatsbedürfniß ging doch gewiß dem Wohle Einzelner vor, es mußte nothwendiger Weise befriedigt werden. Und war es denn nicht ein Bedürfniß des Staates, daß der Fürst in Paris lebte, ein seiner hohen Stellung entsprechendes Haus machte und die ihm von Alters her einwohnenden Raubrittersitten durch kostspieligen Umgang mit Loretten und ähnlichen Instituten der Civilisation zu verfeinern suchte? Das undankbare Volk wollte diese Grundwahrheiten des göttlichen Rechtes freilich nicht anerkennen und warf vor einigen Jahren den Prinzen zum Lande hinaus, wofür das Strafgericht allerdings nicht ausblieb. Die Unglücklichen müssen jetzt sich selbst regieren und das Geld in die Tasche stecken, welches ihnen der Prinz früher im Namen seines göttlichen Rechtes abnahm; ein gänzlich anarchischer Zustand, wobei freilich diese von Grund aus verdorbenen Gemüther sich außerordentlich wohl zu befinden behaupten. So weit kann die Verblendung eines Volkes gehen, wenn es sich einmal von dem historischen Rechte entfernt!

Freund Nauwerk hat vor einiger Zeit die Muße seines Exils dazu benutzt, eine Berechnung zur Beantwortung der Frage aufzustellen: „Was kostet in Deutschland der Absolutismus?“ und er hat ganz erklekliche Sümmchen herausgebracht, die manchen Geldbeutel zu ahnungsvollem Nachdenken veranlaßt haben mögen. Aber wenn es dem Dulder einen Trost gewähren kann, zu sehen, daß Andere noch mehr leiden, oder in früheren Zeiten gelitten haben, so bin ich ganz bereit, den zahlenden Deutschen einen unendlichen Trost zu bereiten, indem ich ihnen das Beispiel von Monaco vor Augen halte. Zwar hält mich ein Bedenken zurück. Unsere Finanzmänner sind zwar ganz so dumm, als sie aussehen, aber sicherlich haben sie sich mit dem verlassenen Fürstenthume an der sardinischen Küste nicht beschäftigt. Hätten sie dieß gethan, so würden sie sich überzeugt haben, daß die Zahlungsfähigkeit eines nach göttlichem Rechte mit Ruhe und Ordnung gemaßregelten Menschen noch unendlich den Maaßstab übertrifft, welchen sie bisher anzulegen gewohnt waren. Darum nur fortgefahren mit neuen Steuern, Anleihen, Zuschlägen und Erhöhungen; Ihr habt noch lange nicht den äußersten Punkt erreicht und so lange der Vetter von Rußland euch ebenso die Stange hält, wie der König von Frankreich dem Raubritter von Monaco, so mögt ihr zu einer Höhe von Abgaben gelangen, von welchen frühere Generationen keine Ahnung besessen haben.

Das Land des Fürstenthums ist ein wahrer Garten, ein ununterbrochener Citronen- und Olivenwald, der die herrlichsten Früchte des Südens in seltener Vollendung reift. Oel und Citronen, die beiden Hauptprodukte des Landes, lassen sich unmittelbar zu Schiffe laden und nach dem Norden verführen. Der Prinz wollte leben. Was war natürlicher, als daß er die Produkte des Landes besteuerte? Eine Grundsteuer verstand sich von selbst, sie bildet überall das erste Kapitel der Finanzwissenschaft. Man zahlte Grundsteuer. Oliven- und Citronenbäume müssen begossen und gedüngt werden, um Ertrag zu liefern; das Wasser, das mit völligem Rechte von allen Mineralogen zu den mineralischen Stoffen gezählt wird, bildete als solcher um der Wissenschaft willen ein Regal. Man zahlte Steuer für das Wasser, welches die Wurzeln der Bäume einsogen; für jedes Triebrad, für jede Cisterne, für jede Bodenrinne ward eine Abgabe erhoben. Viehzucht hatte das Land nicht und Liebig’s künstlicher Dünger war noch nicht erfunden; das einzige, Dünger produzirende Thier war der Mensch. Man zahlte Steuer für das Resultat der Verdauungsthätigkeit und damit die Bewohner des Fürstenthums nicht auf den Gedanken kämen, sich diese Funktion abzugewöhnen, wie der Gemeindebulle von Griesheim, so ließ die Obrigkeit den Rauminhalt der Kloaken abschätzen und bestimmte, immer vermöge des göttlichen Rechtes, den Kubikinhalt, den jeder Kopf oder vielmehr Nichtkopf jährlich zu füllen hatte. Aus besonderer Gnade wurden bei dieser Steuer nicht verschiedene Klassen, etwa nach den verhältnißmäßigen Kapacitäten angenommen[16], sondern sämmtliche .... des Fürstenthums über den gleichen Leist geschlagen. „Das Erstaunen hält hier der Indignation die Wage!“ ruft ein französischer Schriftsteller aus, dem ich dieses Detail entnehme. „Bei solchen Thatsachen fällt einem die Feder aus der Hand. Wer sah jemals ein so beleidigendes Monopol!“ Allerdings beleidigend wegen der ärgerlichen Gleichheit der Abgabe.

Der Fürst war ein Freund der Familie und des Eigenthums, er liebte nicht den häufigen Wechsel des Grundbesitzes, sondern wünschte aus reiner Philanthropie, daß derselbe so viel als möglich in der Familie bleibe. Sein demokratischer Sinn empörte sich aber trotz Herrn Vincke und Genossen gegen die Einrichtung von Majoraten und Fideikommissen; er wußte seinen Zweck auf andere Weise zu erreichen. Es ist recht und billig, daß der Unterthan Handänderungsgebühr zahlt; wie dieß denn auch in den meisten civilisirten Staaten geschah, besonders da, wo jenes schöne deutsche Recht, das man seines inneren Gehaltes an Edelsinn wegen „das gemeine“ nennt, in seiner bewundernswerthen Mannigfaltigkeit zur Geltung gebracht worden war. Der Fürst von Monaco erkannte das Prinzip der Handänderungsgebühr als Recht an, und da man des Guten nie zu viel thun kann, so erhöhte er dieselbe so sehr, daß man ein Grundstück nur dreimal zu verkaufen brauchte, um den Werth desselben in die fürstliche Kasse zu bezahlen.

Der Prinz war ein Beförderer der Viehzucht, für welche freilich nicht viel Raum in dem winzigen Ländchen ist, in dem überhaupt wegen der steilen Gehänge und steinigen Halden nur Schafe, Ziegen und Esel fortkommen. Der Prinz liebte außerordentlich den Ausspruch der Mutter der Gracchen, welche einer Besucherin ihre Kinder mit den Worten zeigte: „dieß ist mein einziger Reichthum,“ und er war zu der Ansicht gekommen, daß der Reiche auch für den fictiven Reichthum, für den Affectionswerth Steuern bezahlen müsse, ganz wie Emil von Girardin, der auch für den Besitz von Gemälden, Statuen etc. eine Art von Verbrauchs- oder Genußsteuer will erheben lassen. – Das Kind zahlte Kopfsteuer von der Geburt an, für die Freude (?!?), die es den Eltern machte, und da der Prinz nach philosophischen Grundsätzen keinen großen Abstand zwischen dem Thiere und dem Menschen annahm, sondern den Menschen nur für das entwickeltste Thier der Schöpfung hielt, so wurde er folgerecht auch darauf geführt, von der Nachkommenschaft der Hausthiere eine Kopfsteuer zu erheben. Bis jetzt hat man in Deutschland Kirchenbücher und Civilstandsregister nur für die menschliche Gesellschaft, zum großen Schrecken der schon allzusehr mit Geschäften überbürdeten Landpfarrer, die außer einer sonntäglichen Predigt noch alle Monate ein Protokoll in’s Kirchenbuch einzutragen haben. In dem Fürstenthume Monaco wurde eine große Verbesserung durchgeführt: man richtete ein Civilstandsregister für das Vieh ein. Die Geburt eines Lammes oder eines Zickleins war für den Bauer nicht minder wichtig, als die eines Kindes. Statt bei dem Pfarrer oder Bürgermeister, mußte der glückliche Besitzer des Thierkindleins zu dem Einnehmer gehen, dort Tag und Stunde der Geburt, Geschlecht des Säuglings angeben, durch Zeugen konstatiren und in das Thierbuch eintragen lassen, worüber man auf Stempelpapier, das natürlich bezahlt werden mußte, einen Geburtsschein erhielt, ohne den die Bestie eben so wenig in dem Fürstenthume Monaco existiren konnte, als sonst ein Mensch in einem civilisirten Staate ohne Taufschein oder Paß. Der Tod einer Ziege oder eines Esels war mit nicht weniger Umständen verknüpft. Zuerst mußte der Polizei die Anzeige gemacht werden, die eine Todtenschau hielt, um zu bestätigen, daß das Thier wirklich aus natürlichen Gründen gestorben sei. Eine andere Todesart wäre eine Verkürzung des Fiskus gewesen, der ein göttliches Recht auf die von dem Thiere zu bezahlende Kopfsteuer hatte. Dann war der Bauer gezwungen, vielleicht stundenweit zu dem Einnehmer zu gehen, dort die von der Polizei bestätigte Todesanzeige zu machen, das Thier aus dem Civilstandsregister streichen zu lassen und einen Todtenschein zu lösen, auf dessen Vorzeigung erst der Schinder das Begräbniß vornehmen durfte. Den Bauer kostete diese Einrichtung viel Geld und Zeit; aber man hatte dafür die Genugthuung, stets den Stand der Viehbevölkerung im Lande genau wissen zu können; abgesehen von dem Ertrage für die fürstliche Kasse, der hier wie überall bei den philanthropischen Anstalten des Fürsten nur Nebenprodukt war.

Geregelte Forstzucht war nicht minder ein Hauptaugenmerk des Prinzen und mußte es in einem Lande sein, wo man zwar Winters nicht heizt, aber doch auch die Eier nicht im heißen Sande kochen kann. Holz durfte gar nicht ausgeführt werden, mit Ausnahme des Fürsten, versteht sich – und in dem Lande selbst war die Holzfällung unter der strengsten Aufsicht. Ein Eigenthümer wollte einen Oelbaum oder einen Citronenbaum umhauen; – es wäre verwegen gewesen, ihm darüber freie Disposition zu lassen. Der Besitzer mußte zum Gouverneur gehen, einen Erlaubnißschein auf Stempelpapier lösen und einen Gensdarmen bezahlen, der ihn begleiten und konstatiren mußte, daß nur an den bezeichneten Baum die mörderische Axt gelegt wurde.

Es war natürlich, daß bei so erleuchteten Regierungsgrundsätzen der Fürst auch die Nothwendigkeit einsah, die Erziehung von Staats wegen zu besorgen. Man könnte den Fürsten hier der Hinneigung zu Louis Blanc’schen Ideen beschuldigen, allein mit Unrecht. Die Grimaldi’s waren von jeher Säulen der Ruhe und Ordnung und der jetzt regierende Fürst, der freilich die Regierung seines Landes im Auslande ist, war einer der ersten in dem Haufen jener Vertheidiger der Familie und des Eigenthums, welche nach den Junitagen in Paris in die Werkstätten des Buchdruckers Boulay drangen und dort die Lettern und Pressen zerstörten, mit welchen die incendiären Journale Proudhon’s, die „Voix du Peuple“, die „Republique“ und das „Evenement“ gedruckt wurden. Das Eigenthum des genannten Buchdruckers wurde auf die bübischste Weise zu Grunde gerichtet; er selbst mit seiner Familie an den Bettelstab gebracht – das Eigenthum und die Familie eines Rothen sind ja eigentlich gar kein Eigenthum und keine Familie. Denn Seine Durchlaucht sind Schwager des gottesfürchtigen Herrn von Montalembert und, wie gesagt, ein eifriger Anhänger der Ordnungspartei für Familie und Eigenthum. – Seine Durchlaucht wollten, wie schon erwähnt, die Erziehung der Jugend durch den Staat. Sie eröffneten eine Schule für das gesammte Fürstenthum in Mentone, in welcher die Pension um so bedeutender war, je schlechter die Lehrer, und damit ein so geringfügiger Umstand die Eltern nicht abhalte, ihre Kinder in diese Schule zu schicken, so befahlen Seine Durchlaucht, daß Niemand im ganzen Lande Erziehungsanstalten errichten, Schulen halten oder Privatunterricht ertheilen dürfe. Zugleich war es den Eltern verboten, ihre Kinder außer Landes zu schicken. Man nennt dieß ein Monopol der Erziehung; mein Gott, nein, es ist nur eine kleine Erweiterung des Bienniums, welches der deutsche Unterthan auf der Landesuniversität zubringen muß; jenes kleinen Privileg’s, um welches die Vertreter der Universität Gießen jetzt wieder auf dem Landtage betteln.

Die Freihandelsideen waren zur damaligen Zeit noch nicht entdeckt, wenigstens noch nicht für das Fürstenthum Monaco[WS 3] und dessen weise Regierung. Die Finanzwissenschaft drehte sich noch durchaus auf jenen beiden Angeln der Ausgangs- und Eingangszölle und der Fürst war der Ansicht, daß der Nationalreichthum um so mehr zunehme, je mehr indirekte Steuern bezahlt würden. Der Fürst berechnete ganz richtig, daß die Bewohner seines ihm von Gott anvertrauten Landes Citronen und Oel verkaufen müßten, um leben zu können; er belegte beide Produkte mit einem Ausgangszolle. Die seiner fürstlichen Natur inhärirende Gier ließ ihn aber diesen Ausgangszoll so hoch greifen, daß viele Eigenthümer vorzogen, ihre Citronen verfaulen zu lassen und mit den Oliven die Schweine zu füttern. – Der Schmuggel konnte so leicht betrieben werden an der felsigen Küste, die eine Unzahl von Punkten und heimlichen Ankerplätzen besitzt! Die Besoldung der Douaniers war so theuer, sie verschlang fast gänzlich den Ertrag des Ausgangszolles! Der Prinz als erfinderischer Kopf wußte sich zu helfen. Er ließ den Ausgangszoll von den unverkauften Produkten bezahlen. Man zählte die Bäume, schätzte ihren Ertrag, um den Stolz der Eigenthümer nicht zu beleidigen, nach dem Ertrage der guten Jahre ab und ließ darnach den Ausgangszoll berichtigen. Der Gouverneur war so glücklich, dem Prinzen bei Uebersendung der nächsten bedeutenden Wechsel berichten zu können, daß die höchst schädliche Sitte, Citronen verfaulen zu lassen und Schweine mit Oliven zu füttern, gänzlich aufgehört habe, worüber das landesväterliche Herz des Fürsten in großes Entzücken gerieth.

Es versteht sich von selbst, daß der Fürst auch Geld münzte – auf den Stücken sah man einerseits das Bildniß des geliebten Landesvaters, mit Lorbeer gekrönt, andererseits das Wappen des Hauses, von zwei Mönchen gestützt.

Es soll der Priester mit dem Fürsten gehen,
Denn beide wandeln auf der Menschheit Höhen.

Nun kam es aber, daß der Fürst, ein tiefer Kenner der Münzwissenschaft, fand, daß der gewöhnliche Schlagschatz zu gering sei. Er erhöhte den seinigen bis auf 30-40 Prozent. Es gab ungezogene Handelsleute in Sardinien und Frankreich, welche die Sous von Monaco (denn der Fürst beschränkte sich auf diese Scheidemünze) nicht nehmen wollten und über Falschmünzerei schrieen. Ein Fürst Falschmünzer! Welche Verkehrung der Begriffe! Wenn ein armer Jude oder Protestant seine Religion ändert, um ein paar Batzen zu verdienen und seine hungernden Kinder von der inneren Mission gefüttert zu sehen, so schreit Alles über den Jämmerlichen, der um äußerer Vortheile willen seinen Glauben abgeschworen hat. Mit vollem Rechte. Wenn aber eine Prinzessin ihren Glauben abschwört, um sich den griechischen oder russischen Thron erheirathen zu können, so findet man das vollkommen natürlich, zweckmäßig und staatsweise. Auch mit vollem Rechte. So ist auch ein Unterschied in anderen Dingen. Wenn ein armer Teufel von Graveur Bankbillets oder Münzstempel und falsches Geld fabrizirt, so maßregeln ihn Polizei und Gerichte mit Galeeren und Kettenstrafe. Mit vollem Rechte. Wenn aber der Fürst von Monaco oder ...... falsche Sous oder Sechser münzt, so begnügen sich die Nachbarn, dieses werthlose Tauschmittel zu verbieten und die Unterthanen zahlen die Kosten des Experiments. Auch mit vollem Rechte. Denn es ist ein Unterschied zwischen dem, was ein Höhergestellter und dem, was ein Glied der niederträchtigen Menge thut. Die Sous des Fürsten von Monaco wurden in Frankreich und Sardinien verboten und nachdem sie durch dies Verbot alle in’s Land zurückgekommen waren, verbot der Fürst seine eigne Münze, welche die Unterthanen vorher zwangsweise annehmen mußten; in ähnlicher Weise, wie Czaar Nikolaus jetzt die Annahme von russischen oder polnischen Bankbillets verbietet, die über die Gränze gegangen und dort durch demokratische Ideen inficirt worden sind.

Der Prinz von Hohenlohe als Präsident des so außerordentlich nützlichen Vereines zum Schutze vaterländischer Arbeit würde ohne Zweifel dem Fürsten von Monaco ein Ehrendiplom übersendet haben, wenn nicht dessen Finanzwirthschaft leider vor der Stiftung des genannten Vereines zu Grunde gegangen wäre. Auf die energischste Weise schützte der Fürst von Monaco die vaterländische Produktion, die, wie schon bemerkt, aus Oel und Citronen bestand. Er erklärte alles Uebrige für Luxusartikel, deren Einführung er theils durch hohe Schutzzölle, theils selbst durch Monopolisirung beschränkte. Als wesentlichsten Luxusartikel betrachtete der Fürst die Brodfrucht und gegen diese richtete sich sein finanzielles Genie mit aller Erbitterung eines energischen Charakters. Die Einführung von Getreide, das Mahlen des Korns, das Backen der Frucht und der Verkauf des Brodes wurden als Monopol erklärt. Warum denn auch nicht? Die Brodfrucht unterscheidet sich von dem Tabak nur dadurch, daß die eine Pflanze der Familie der Gräser, die andere derjenigen der Täublinge (Solaneen) angehört und das Tabaksmonopol gehört doch wohl zu den Zeichen einer fortgeschrittenen Civilisation; – – ein Satz, der um so unwiderleglicher dargethan werden dürfte, als Oesterreich sein Kulturtragen nach Osten und die Civilisirung Ungarns mit der Einführung dieses Monopols begonnen hat. Der Fürst begann sein Kulturtragen mit dem Getreidemonopol und wenn das Volk darüber murrte, so geschah es nur deßhalb, weil der Fürst seinem Zeitalter vorauseilte und wie Joseph II. die Civilisation in seinem Ländchen mit allzugroßer Ungeduld vorwärts trieb. In Berücksichtigung des erhabenen Zweckes wurde die Einführung des Monopols mit derjenigen Energie betrieben, die einer starken Regierung ziemt. Man hatte keine Mühle. Die Eigenthümer einiger Oelmühlen mußten dieselben für das allgemeine Beste ohne Entschädigung hergeben. Es führte kein anderer Weg zu diesen Mühlen als das Bett des Bergstroms, der sie trieb; die Anwohner mußten einen Damm bauen, der als Weg diente, den Bergstrom eindämmte. Sie waren natürlich gezwungen, diesen Damm auf gemeinsame Kosten zu erhalten. Man gab das Monopol einem Ausländer in Pacht, der dem Prinzen jährlich hundert Tausend Franks dafür bezahlte und selber gewiß eben so viel in die Tasche steckte. Er kaufte die verdorbene Frucht, welche in Genua und Marseille nicht ausgestellt werden durfte und ließ daraus das Brod für das Fürstenthum backen. Wehe dem, der fremdes Brod einführte! Sechs Monate Gefängniß und fünf Hundert Franks Strafe erwarteten ihn unfehlbar. Die Fremden wurden an der Gränze verhaftet, wenn sie Brod bei sich hatten; – der Kapitän eines Schiffes, das in einem Hafen des Fürstenthums Zuflucht suchte, wurde in Geldstrafe verfällt, wenn er ein Stückchen Brod an Bord hatte. Wie über das Vieh, so hielt man ein Civilstandsregister über das Brod. Die Bäcker, welche eigentlich nur die Verkaufsbureaus des Brodes hielten, mußten in einem besonderen Register den Verbrauch einer jeden Familie bemerken. Entsprach dieser nicht dem angenommenen Bedürfnisse, so folgte criminelles Verhör vor dem Untersuchungsrichter, Haussuchung und monatlanger Untersuchungsarrest; – denn das Vergehen gegen den Säckel des Prinzen war im Fürstenthume Monaco eben so unverzeihlich, als die Sünde wider den heiligen Geist in der Kirche.

Der Fürst hatte, wie man aus dem Vorhergehenden ersehen mag, einen gewaltigen Abscheu vor dem Pauperismus. Er wünschte einen Jeden reich und glücklich zu sehen und fing, wie man in allen guten Dingen thun soll, so auch in diesem Punkte löblicher Weise mit sich selber an. Er gehörte durchaus nicht zu der Klasse von Philosophen, welche theoretische Grundsätze aufstellen, ohne sie auch praktisch zur Anwendung zu bringen. Die Ausrottung des Pauperismus, die seine Lieblingsidee war, gelang ihm wenigstens an der eignen Person ganz vortrefflich. Doch der begeisterte Mann wollte mehr thun; – er wollte seine Wirksamkeit auf alle Armen des Fürstenthums ausdehnen. Er gründete mit christlicher Mildthätigkeit eine Suppenanstalt, wo den Bedürftigen unentgeldlich Suppe und Kleider geliefert wurden. Da der Zweck ein allgemeiner war, so verstand es sich von selbst, daß auch die Allgemeinheit zu demselben beisteuern mußte und man schuf deßhalb eine Armenauflage, zu welcher des Prinzen Gouverneur die einzelnen Unterthanen nach Gutdünken abschätzte, wobei dieser fromme Mann natürlich einem jeden christlichen Bewohner des Fürstenthums so viel als möglich Gelegenheit zu geben suchte, auch über sein Vermögen hinaus die Armen zu unterstützen. In gleicher Weise, wie der Papst der Knechte Knecht ist, so betrachtete sich auch der Fürst als der Armen Aermsten und es war begreiflich, daß die mildthätige Suppen- und Kleideranstalt zuerst für Ihre Durchlaucht sorgte und den Rest einigen andern armen Schluckern zukommen ließ. In den letzten Jahren seiner Regierung beschäftigte sich der mildthätige Fürst mit dem philanthropischen Gedanken, die Kleideranstalt in ähnlicher Weise, wie die Brodanstalt, auf das gesammte Fürstenthum auszudehnen – aus zwei anerkennungswerthen Gründen. Zuerst der Gleichheit wegen, die durch die verschiedenen Stoffe, welche die Bewohner je nach dem Grade ihrer Wohlhäbigkeit trugen, auf das Tiefste verletzt wurde und dann auch, um seine geliebten Unterthanen dem Wucher zu entziehen, dem sie durch Kaufleute, Zwischenhändler und Commis-voyageurs ausgesetzt waren. Er war im Begriffe, dem kleinen Geschichtsschreiber der zehn Jahre vorauszueilen und den ganzen Tauschhandel des Fürstenthums, Kauf und Verkauf als Staatssache zu betreiben, als der Tod ihn von dieser Erde entrückte und so Herrn Louis Blanc von einem Vorgänger befreite. Man setzte dem Fürsten ein Denkmal, worauf die Worte stehen: „Hier ruht Honorius V., der das Gute thun wollte.“ Daß er dazu gekommen sei, diesen edlen Vorsatz zu verwirklichen, steht auf dem Grabsteine nicht bemerkt.

Leider hat der Revolutionssturm von 1848 auch dieses Gärtchen Europa’s nicht verschont und den Glanz eines Spiegels der Ruhe und Ordnung, wie es bisher war, wesentlich getrübt. Die revolutionären Ideen lehnten sich gegen die Autorität auf, die im Namen des legitimen Rechtes beim Eintritte in das Fürstenthum alle Taschen nach einem Krümchen fremden Brodes untersuchte und Jeden beständig in Gestalt eines Gensdarmen, eines Einnehmers oder eines Büttels begleitete. Die Revolution trug leider den Sieg davon. Der ganze produktive Theil des Ländchens empörte sich, empfing in revolutionärem Taumel den geliebten Landesvater mit Flintenschüssen, verbannte ihn von seinem Gebiete, confiscirte sein Privateigenthum, verkaufte es in öffentlichem Aufstrich zum allgemeinen Besten und regiert sich seit mehreren Jahren in furchtbar anarchischer Weise selbst, zum abschreckenden Beispiele für die Mitwelt. Man hielt Volksversammlungen, in denen man sich einen Gemeinderath niedersetzte und durch Stimmenmehrheit den Beitrag regelte, den man zu den Kosten der allgemeinen Angelegenheiten beisteuern sollte. Man baute von diesen Geldern Straßen, Handelswege nach Piemont, pflasterte die Städte, verbesserte die öffentlichen Anstalten, dotirte Lehrer und Schulen und überließ sich einem früher unerhörten Luxus. Wer zu des Fürsten Zeiten aus Demuth barfuß einherging, trägt jetzt Stiefel und bezahlt sie sogar, während er früher für seine bloßen Füße Schulden machte. Man sah Häuserbesitzer, die seit zwanzig Jahren bei schlechtem Wetter unter dem Regenschirm geschlafen hatten, jetzt plötzlich ihre Gewohnheiten ändern und voll Hoffahrt den zerfallenen Dachstuhl aufrichten und mit Ziegeln decken. Man ließ sogar die Suppenanstalt eingehen, da diejenigen, welche früher auf diese kümmerliche Anstalt angewiesen waren, jetzt die Prätention hatten, sich selbst zu ernähren. Und so dauert es noch bis auf den heutigen Tag und während überall Ruhe und Ordnung wiederhergestellt ist, seufzt dieses Ländchen noch immer unter dem Drucke einer zügellosen Anarchie und einer entnervenden Selbstregierung, welche bei längerer Dauer auch die letzten Funken der Anhänglichkeit an das legitime Herrscherhaus, die etwa noch hier und da unter der Asche glimmen könnten, unfehlbar ersticken wird. Aber das Gericht ist nahe und bald wird kommen der Tag, wo Herr von Montalembert seinen Schwager Florestan wieder einsetzen wird in seine legitimen Rechte und trennen wird die Schafe von den Böcken. Ach! Es werden sich sehr viele Böcke finden!

Kehren wir zu unseren Blasenträgern zurück. Sie sind nicht so einfach wie das Fürstenthum Monaco, dessen legitimer Besitzer alle falsche Hoffart von sich geworfen hatte. Er hielt keine Armee, keinen Hofstaat, keine unnütze Lakaien und Bedienterschaar, keinen Marstall mit Stallmeisterei und Bereitern, keine Hetzmeute mit Jägermeistern und ähnlichen Zecken, die an der Civilliste saugen. Der Fürst von Monaco war über diese Vorurtheile erhaben. Bei den Blasenträgern ist es theilweise anders. Außer den Schluckmäulern, die in Monaco auf einen einzigen fürstlichen Rachen reduzirt waren, zeugen die Blasenträger noch manche andere Gebilde, welche nothwendig zu einem wohlorganisirten Staate gehören. Bei einigen Arten hat sich das Bürgerthum in jener feinen sittsamen Weise entwickelt, welche der Kölnischen Zeitung zufolge das wahre Merkmal germanischen Geistes ist. Eine Unzahl von bescheidenen, genügsamen Kleinbürgern hängt bei diesen Arten an dem Stamme fest; – sie sind schlank und schmächtig, nicht so aufgedunsen wie die Schluckmäuler, nett und sauber, zuweilen mit einem rothen Käppchen geziert und thun alle ihre Geschäfte selbst, ohne die Proletarier so zu mißbrauchen, wie wir es bei den Schluckmäulern gesehen haben. Betriebsam und zufrieden wuchern sie in stiller Ruhe langsam fort, scheinbar ohne weitere Wünsche, aber stets mit dem geheimen Bestreben, selbst Schluckmäuler zu werden. Denn sie sind nach allen Seiten hin geschlossen und werden nur von hinten her durch einen Kanal ernährt, durch welchen ihnen das nächste Schluckmaul einen Kredit auf die allgemeine Ernährungsflüssigkeit aussetzt. So vegetiren sie in ihrem geschlossenen Wesen fort, abhängig von der Gnade oder dem Zutrauen des Schluckmaules, unfähig von Außen her sich etwas anzueignen, bis endlich nach langem Harren und Dehnen, nach vielen fruchtlosen Anstrengungen sie ihre vordere Spitze öffnen und nun im Besitze eines selbstständigen Mundes mehr und mehr selbst das Wesen eines Schluckmaules sich aneignen können. Dieser Moment der Herstellung einer eigenen Firma hat etwas Feierliches und Beängstigendes zugleich. Eine ungemeine Thätigkeit entwickelt sich in dem geschlossenen Ende des Kleinbürgers; farbige Körner, welche lange in den Wandungen seiner inneren Höhlung aufgespeichert waren, werden plötzlich losgerissen und durch industrielle schwingende Wimperhaare in strudelnden Umlauf versetzt. Je stärker diese Cirkulation wird, desto mehr verdünnen sich die Wandungen des vorderen Endes, bis sie endlich durchbrochen und die Goldkörner im Strudel hinausgeschleudert werden, die so den überraschten Schluckmäulern in der Umgebung die Eröffnung des neuen Genossen verkünden. Dieser dehnt sich mehr und mehr aus, läßt Proletarier an seiner Basis hervorsprossen und gebärdet sich nun, als wenn er von jeher zu den Schluckmäulern gehört und niemals die kümmerlich beschränkte Existenz eines Kleinbürgers durchgemacht hätte.

Der Staat, haben die Definitionsfabrikanten gesagt, ist das Zusammenleben der Menschen unter der Herrschaft des Rechtes. Zum Schutze des Rechtes bedarf es aber einer gewissen Macht, die in unserer civilisirten Periode eines Theils durch Gensdarmen und Polizei, anderen Theils durch das stehende Heer hergestellt wird. Solcher Schutzorgane haben denn auch die Blasenträger in großer Menge, obgleich sie nicht immer auf den ersten Blick in die Augen fallen, da ihre Waffen aus so hell durchsichtigem Knorpel gebildet sind, daß sie im Wasser kaum unterschieden werden können. Die hohe Finanzwelt hat sich stets nur unter dem Schutze der Bajonette beruhigt gefühlt und da der Blasenträgerstaat seine Existenz einzig auf die Thätigkeit der Schluckmäuler basirt hat, so versteht es sich von selbst, daß diese einen ausreichenden Schutz verlangen und mit Vergnügen einen Theil des von ihnen ausgearbeiteten Nahrungsstoffes abgeben, um diese Schutzgebilde zu ernähren. Es versteht sich ferner auch von selbst, daß diese Gebilde nur zur Aufrechthaltung der inneren Ruhe und Ordnung dienen, keineswegs aber zur Abwehr eines äußeren Feindes, was ja überhaupt in unserem aufgeklärten Zeitalter nur Nebenzweck der bewaffneten Macht ist. Ein Fisch, eine Rippenqualle, welche dem Blasenträger etwa nachstellen, fürchten wohl die tausend und aber tausend Spitzen und Piken, welche die proletarischen Nesselkapseln hervorschleudern, wenn ihre Existenz bedroht wird, nicht aber jene blankgeputzten Knorpelschuppen und Helmstücke, von denen die ganze Länge des Stammes starrt, die sich bei jeder Erschütterung wie Pallisaden um die Schluckmäuler aufstellen.

Aber nichts desto weniger glauben die Schluckmäuler Wunder, welch’ ungeheuren Rückhalt sie an diesen Knorpelhelmen und Eckschuppen haben, die sie von hinten her durch ihren besten Saft ernähren müssen. Etwa die Hälfte der sämmtlichen Ernährungsflüssigkeit, zuweilen noch mehr, wird auf diese blankgeputzten Müssiggänger verwendet, welche ohne eigenen Willen von den büreaukratischen Schwimmblasen überall mit herumgeschleppt werden und beständig in Reih’ und Glied, in gerade Linien geordnet, auf Kommando sich aufrichten und wieder niederlegen. Bei denjenigen Arten von Blasenträgern, wo die gesellschaftliche Ordnung am meisten bedroht erscheint und der zusammenhaltende Stamm äußerst schlank und dünn ist, ein fadenähnlicher Wespenleib, wie Gagern’s unermeßliches Preußen, bei diesen sind die Deckschuppen über den ganzen Stamm hin in reichster Fülle an einander gereiht, so daß man versucht sein könnte, dieß einen Militär-Blasenträgerstaat zu nennen. Bei anderen Arten ist die Beziehung der bewaffneten Macht mehr auf den Schutz des Eigenthums eingeschränkt und das Verhältniß zum Staate nicht so deutlich. Jedes Schluckmaul bildet hier mit seinen Proletariern eine abgeschlossene Kolonie, welche durch das stehende Heer helmartig überwölbt und geschützt ist. Bei demjenigen Blasenträgerstaate, welcher in der Mitte unserer Vignette schwebt, scheinen die revolutionären Ideen eben so bedeutend um sich gegriffen zu haben, als in der Lombardei trotz der väterlichen Regierung Radetzky’s und der besonderen Fürsorge Oesterreichs für die wohlgesinnten Bewohner seiner Länder über den Alpen. – Die gesammte bewaffnete Macht hat sich dort auf einen Punkt concentrirt und den im Kreise gewundenen Stamm mit Schluckmäulern, Proletariern und Staatsgeschlechtstheilen zwischen sich genommen. Die Beamten haben sich hart unter die Staatskasse gedrängt und unter ihnen starrt der züngelnde Kreis langer pfriemenförmiger Spitzen, die in falbem oder blutrothem Lichte glühen und nach allen Seiten hin ihre scharfen Spitzen wenden. Das ist der Blasenträgerstaat im Belagerungszustande. Aber die Gefahr liegt nicht nach außen, sondern nach innen, und während alle Spitzen nach der Peripherie gerichtet sind, nagt das Verderben an der Wurzel und es bedarf vielleicht nur eines leisen Ruckes, um die schimmernden Stacheln abzustoßen und rettungslos in das unendliche Element hinauszuschleudern.

So wären wir denn an den letzten Organen dieser räthselhaften Organismen angelangt und dann im Stande, den ganzen Zusammenhang dieser Wesen in einem Blicke zu überschauen. Was wir bisher kennen lernten, hatte nur die Aufgabe, den vorhandenen Organismus zu erhalten, wie die Schluckmäuler, oder auf seine Kosten zu existiren, wie Schwimmblasen und Deckschuppen. Sollte den Blasenträgerstaaten jene regenerirende Kraft abgehen, welche von inneren Motiven getrieben, nach außen hin ihre Thätigkeit entfaltet? Sollten sie nicht fähig sein, sich durch den Glauben neu zu erzeugen? Sollte es ihnen nicht gelungen sein, die immaterielle Seite des Staates mit eben so vielem Erfolge darzustellen, als es ihnen bei der materiellen gelungen ist? Wir wissen, daß der Börsenwolf selbst keinen Glauben hat, daß er aber desselben bedarf, um den Staatsorganismus in derjenigen Art und Weise zu erhalten, die für seine Exploitation die vortheilhafteste ist. Sollten die Blasenträgerstaaten, die wir in jeder Beziehung so hoch civilisirt fanden, sollten sie in diesem Punkte schon Proudhon vorausgeeilt sein und jenen Faden zerrissen haben, der das Göttliche mit dem Staate verknüpft? Sollten sie schon bei jenem Abgrunde sittlicher Verworfenheit angekommen sein, wo man nicht mehr den Opfermuth des Glaubens, sondern denjenigen des Unglaubens anruft und wo man den Vorzug des denkenden Wesens darein setzt, sich für dasjenige zu opfern, was man nicht glaubt und von dem man überzeugt ist, daß es sich nicht realisiren läßt? Es war freilich noch eine bequeme Zeit für Propheten, als man eine Ueberzeugung haben und für dieselbe auf dem Schaffot oder am Kreuze sterben konnte. Eine Ueberzeugung – ist sie heut zu Tage noch möglich? – Wir haben das Martyrium analysirt und sind allmälig zu der Ansicht gekommen, daß eine lebende Kraft in unserem Zeitalter, welches die überirdischen Kräfte unter sein Fernrohr und unter sein Mikroscop gebannt hat, mehr werth ist, als hundert Geister, die aus allen möglichen Höhen auf uns niederschauen und ihren Nachfolgern Beifall zuwinken. Das ist freilich sehr ärgerlich, da es unser Wörterbuch einer ganzen Menge effektvoller Phrasen beraubt, welche unsere Gegner, freilich mit stets abnehmendem Erfolge, benutzen können. Wir müssen dieß Uebel zu ertragen suchen. Vielleicht, daß es nöthig ist, um dem mystischen Drange zu genügen, eine neue Religion in dieser Richtung zu stiften, die man als die Religion der negativen Opferung bezeichnen könnte und deren Hohepriester sich vielleicht finden dürften, wenn anders das Exil noch länger fortdauert und in gleichem Maaße seine verderblichen Wirkungen auf manche Gehirne ausübt.

Trösten wir uns. Die Blasenträger sind auch in dieser Beziehung ächte Kinder jener Civilisationsstufe, auf der man noch Beamten, stehendes Heer, Börsenwölfe und Proletarier findet; sie regeneriren sich durch positive Organe; sie haben noch eine Staatskirche und einen offiziellen, aus der Staatskrippe ernährten Kultus und kennen keine Ketzerei, weder individuelle, noch von Staats wegen tolerirte. Der Blasenträgerstaat entspricht ganz den Forderungen Stahl’s und Lassaulx’s, er ist nicht atheistisch, wie Frankreichs Staatsgesetz nach der Behauptung Guizot’s, – er kennt nur einen einzigen Kultus und übt diesen von Staatswegen aus. Denn er hat wohl eingesehen, daß der Zusammenhang des stehenden Heeres, der Bureaukratie, der hohen Finanz und der leeren Staatskasse mit dem Kultus eine Naturnothwendigkeit, ein Bedürfniß der staatlichen Organisation ist. Diesem Grundsatze gemäß hat er seine Einrichtung getroffen.

Die Einrichtung der Regenerationsorgane ist bei den verschiedenen Blasenträgern verschieden. Bei denjenigen, wo der staatliche Zusammenhang ein lockerer ist und die Schluckmäuler einzelne Kolonien bilden, in denen sich um den finanziellen Mittelpunkt die einzelnen Organe zusammengedrängt haben, ist auch der Kultus diesem Beispiele gefolgt und hat seine Stätte unmittelbar dem Schluckmaule gegenüber angelegt, so daß ihm zuerst die Nahrungsflüssigkeit zuströmt, welche von dem Schluckmaule ausgearbeitet wird. Auch hier beweist sich der alte Satz, daß die Kirche sich noch niemals übergessen habe und daß sie sehr wohl die stillen Plätzchen aufzufinden wisse, wo ihr der beste Saft der Gesellschaft zuströmen müsse. Da stehen denn einzelne Kapellchen in Glockenform, in welchen eingeschlossen ein wohlgefüttertes, rundliches Eichen oder ein Paar schlanke, lebhaft schlängelnde Samenthierchen ihr Wesen treiben. Die letzteren besonders sind interessant. Aalglatt, fein zugespitzt, schlüpfen sie mit ihren lebhaften Bewegungen hin und her, auf und ab in dem wogenden Strome der allgemeinen Cirkulation und dringen bald hier in den Kassenraum eines Schluckmaules, bald dort in den Kanal einer Deckschuppe, zuweilen auch heimlich in ein Kapellchen, in welchem ein einsames Ei sich langsam in stiller Sehnsucht nach dem Seelenbräutigam dreht. Was sie dort machen, hat mir mein Mikroscop bis jetzt noch nicht verrathen wollen; aber so viel ist gewiß, daß nach solchen Besuchen das Eichen mehr und mehr anschwillt und sich endlich einen Weg nach außen bahnt, wo es in der unendlichen Wassermenge wie in einer allgemeinen Hebammenanstalt verschwindet, ohne weiteres Aufsehen zu erregen.

Bei anderen Blasenträgern sind die Regenerationsorgane bei weitem mehr entwickelt und treten selbstständig an bestimmten Orten des Stammes zu Tage. Niedliche Träubchen, die einen mit Eiern, die andern mit Samen gefüllt, hängen in bestimmten Zwischenräumen an dem Stamme, von welchem aus ein bedeutender Strom in ihr Inneres dringt; sie haben eine selbstständige Initiative der Bewegung und dehnen sich bald weit aus, bald ziehen sie sich wieder auf einen geringeren Raum zurück. Sie berühren sich in wechselndem Spiele; schmiegen sich traulich an einander; schaukeln träumerisch die schlanken Träubchen, die sich zuweilen fast unlösbar mit einander verwickeln, dann wieder wie durch eine elektrische Erschütterung auseinander schnellen. Bei noch Anderen entwickeln sich weite Kapseln mit besonderen Schwimmblasen versehen, die allmälig eine lebhaft rothe Farbe annehmen und endlich sich losreißen von dem Stamme, um hinaus zu segeln in das blaue Element. Das sind unzweifelhaft die Missionsprediger, die den Samen vom Evangelium des Blasenträgerstaates hinaustragen zu fremden Völkern, welche sie belehren und bei denen sie Blasenträgerkolonien gründen; – junge Individuen, die zuweilen wachsen und gedeihen, oft aber auch elendiglich umkommen, weil Krabben und Seespinnen, ungläubige Rippenquallen und verstockte Fische ihnen nachstellen und sie als gute Beute verzehren. Ja man sagt, daß sogar von stumpfsinnigen, unwissenden und aller Reflexion baaren Seescheiden-Kolonien solche Missionäre der Blasenträger Antworten erhielten, ähnlich denjenigen, welche die Grönländer den Missionären der mährischen Brüder gaben:

„Zeigt uns den Gott, den ihr beschreibt, dann wollen wir an ihn glauben und ihm dienen. Ihr schildert ihn zu hoch und zu unbegreiflich; wie sollen wir kleinen Leute denn zu ihm kommen? Auch wird er sich nicht um uns kümmern. Wir haben ihn angerufen, wenn wir nichts zu essen hatten, oder wenn wir krank gewesen sind, aber es ist, als wenn er uns nicht hören wollte. Wir denken, daß das, was ihr von ihm sagt, nicht wahr ist, denn wenn ihr ihn wirklich besser kennt, als wir, so mögt ihr durch eure Gebete für uns hinlängliche Nahrung, einen gesunden Körper und eine trockene Wohnung erlangen. Das ist Alles, was wir brauchen und wünschen. Unsere Seele ist schon gesund und es fehlt uns nichts weiter, wenn wir nur einen gesunden Körper und genug zu essen haben. Ihr seid eine andere Art Leute als wir; in eurem Lande mögen die Menschen vielleicht kranke Seelen haben; und wir sehen allerdings an denen, welche hierher kommen, deutlich genug, daß sie zu Nichts gut sind; sie mögen einen Heiland und Seelenarzt nöthig haben. Euer Himmel, eure geistigen Freuden und eure Seligkeit mögen für euch gut genug sein; aber für uns würde es langweilig sein. Wir müssen Seehunde, Fische und Vögel haben; denn unsere Seele kann eben so wenig ohne sie bestehen, als unser Körper. Wir würden diese Dinge in eurem Himmel nicht finden; darum wollen wir euren Himmel euch und dem werthlosen Theil der Grönländer überlassen; aber wir wollen zu Torngaruk hinuntergehen, dort werden wir einen Ueberfluß an Allem ohne die geringste Mühe finden.“

Ich kann diese Organe des Blasenträgerstaates nicht verlassen, ohne auf einen großen Unterschied hinzuweisen, der zwischen mir und einem berühmten Staatsmanne in der Auffassung der Bedeutung dieser Organe existirt. Die Schweiz ist so glücklich von Zeit zu Zeit eines ihrer besten Produkte an das Ausland abzugeben, von dem jährlichen Tribute nicht zu reden, welchen sie dem bourbonischen Systeme in Neapel in Gestalt von zwölf tausend Rothröcken und der übrigen Welt in wohl abgerundeten Käsen zollt. Sie schmeichelt sich jetzt, der französischen Republik einen aus dem Thurgau hervorgegangenen Präsidenten gegeben zu haben, der das spezifische Franzosenthum besser repräsentirt, als es irgend ein Inländer gethan haben könnte. Das spezifische Preußenthum hat eine seiner bedeutendsten Stützen in dem berühmten Republikaner Keller aus Zürich erhalten. Die spezifische schwarz-gelbe Färbung der österreichischen Jesuitenidee spiegelt sich am reinsten in dem kaiserlichen Historiographen Hurter, dem Antistes von Schaffhausen. Das blau-weiße Bavarenthum endlich duftet sein kostbarstes Bierarom durch das Gefäß des Staatsrechtslehrers Bluntschli aus Zürich aus, dem die allgemeine Zeitung neulich sogar einen ihrer eindringlichsten Weltartikel widmete. Ich bin untröstlich, mit diesem Athleten von der Isar nicht völlig gleicher Meinung zu sein. Man weiß aus Fallmerayer’s Beispiel, was es heißt, mit den Ringeisen und ihrem Gelichter Kirschen zu essen. Sie werfen mit den Steinen. Pfordten, vergieb mir! Ich kann nicht anders! Als Herr Bluntschli noch an den Ufern der blauen Limmat in den Fußstapfen des berüchtigten Propheten Rohmer wandelte, ein begeisterter Jünger und Apostel der neuen Weltwissenschaft, da schrieb er ein Buch über die Physiologie und Psychologie des Staates, in dem er jedem Organe seinen richtigen Platz, jedem Systeme seine gehörige Stelle anwies. Denn er ging von dem Grundsatze aus, daß der Staat als Collektivbegriff aller Menschen, gleichsam der aufgelöste Mensch sei und daß der staatliche Organismus die Organe, Theile und Systeme, aus denen der Mensch aufgebaut sei, ebenfalls in sich tragen müsse, wenn er anders lebensfähig sein solle. Und wie denn unzweifelhaft gewisse Organe, von denen man in anständiger Gesellschaft nicht sprechen darf, auf das Leben des menschlichen Einzelorganismus den größten Einfluß üben, so mußte auch ein ähnlicher Repulator oder Pertubator des staatlichen Organismus gefunden werden. Deßhalb und nicht aus irgend einem frivolen Grunde, (denn Frivolität ist dieser Säule des Conservatismus an der Isar fremd,) beschäftigte sich auch Herr Bluntschli weitläufig und eindringlich mit den Staatsgeschlechtstheilen. Er fand durch Anwendung der Rohmer’schen Grundsätze, daß die Gensdarmerie und die Polizei die eigentlichen Organe dieser Art im Staate seien und daß erstere das active männliche Prinzip, die Polizei aber das passive weibliche, empfangende Prinzip darstelle. Carlier und Hinkeldey wären dieser tiefen philosophischen Ansicht zu Folge etwa der Diana von Ephesus zu vergleichen, an deren Brüsten die Ohs und Schnepps und Consorten als unschuldige Kindlein saugen. Ja, wenn es erlaubt wäre, diese Ansicht weiter fortzuführen, so müßte man nach Rohmer-Bluntschli’schen Grundsätzen behaupten, daß durch die Errichtung der neuen Gensdarmeriebrigaden in Oesterreich gewissermaßen ein offizieller Priapismus sich eingenistet hätte. Mich hat die Beobachtung auf andere Wege geführt, ich habe, obgleich in diesem Punkte standpunktlos, in den Organen des Glaubens und des Kultus die wahre Regeneration der Gesellschaft zu finden geglaubt, übereinstimmend mit Donoso Cortes, Czaar Nikolaus und anderen Predigern des Glaubens in der radikalen Wüste der heutigen Welt. Möge die Zukunft diesen Spahn zwischen Bluntschli und mir entscheiden.

Es wäre äußerst interessant gewesen, die Entwicklung der Blasenträgerstaaten von dem ersten Augenblicke an zu verfolgen und zu sehen, wie sich der merkwürdige Staatskontrakt, den uns die Natur hier vor Augen führt, allmälig ausbildet. Hierzu fehlen mir aber leider die nöthigen Beobachtungen. Die erste Geschichte des Blasenträgerstaates bleibt wie diejenige der meisten Staaten in mystisches Dunkel gehüllt. Ich konnte nur Junge finden, bei welchen die Ausbildung des staatlichen Organismus schon so weit vorgedrungen war, daß man fast alle Organe, wenn auch in veränderten Proportionen, fand. Man sagt, der Engländer baue an dem Orte einer Niederlassung zuerst eine Kirche, der Amerikaner eine Druckpresse und der Deutsche eine Kneipe. So mögen auch bei den verschiedenen Völkern verschiedene Staatsorgane erst nacheinander zur Entwicklung kommen, je nach der Wichtigkeit, welche denselben beigelegt wird. Bei den Blasenträgerstaaten ist offenbar die Luftblase, der Staatsschatz, die Centralkasse, das Primitive. Sie ist im Verhältnisse zu den jungen Individuen ungeheuer groß und eben so leer, als später – ein Beweis, daß jeder beginnende Staat in unserer Civilisationsepoche mit Staatsschulden seine Laufbahn antreten müsse. Diese unverhältnißmäßige Staatskasse, die gleich einem Ballon in dem Wasser schwebt und jetzt schon in den lieblichsten Farben spielt, wird von einer bedeutenden Anzahl ungeheurer Deckschupper umhüllt, die nach allen Seiten hin wegstarren und einen äußerst kurzen Stamm umschließen, an welchem meist ein einziges noch unvollendetes Schluckmaul mit unentwickelten Knospen, den Proletariern, hängt. Die ungeheuere Entwicklung der bewaffneten Macht zum Schutze des von Anfang an leeren Staatsschatzes wird wohl durch die Nothwendigkeit bedingt, den jungen Staat gegen äußere Feinde zu schützen. Die weitere Ausbildung desselben beruht auf der Thätigkeit des Schluckmaules, dessen Proletarierkolonieen, dessen Fangschnüre sich rasch ausbilden und reichliche Nahrung verschaffen. Aber zwei Dinge fallen besonders bei diesen jungen Blasenträgerstaaten auf. Die Bureaukratie der Schwimmblasen fehlt gänzlich. Auch bei dem besten Willen läßt sich nicht eine Spur davon entdecken. Erst mit der späteren Korruption, mit dem Aelterwerden des Staates, mit der zunehmenden Komplikation seiner Bildung sprossen die Beamten hervor, die sich später so übermüthig geberden, als sei der Staat um ihretwegen, nicht aber sie um des Staates willen da. So besorgt also der junge Staat seine Geschäfte selbst, ohne Dazwischenkunft einer Kaste, welche sich in die Nähe des Staatsschatzes gruppirt; er befindet sich etwa in dem Stadium der direkten Selbstregierung in der Weise der schweizerischen Urkantone, wenn wir auch, ohne den letzteren wehe zu thun, behaupten dürfen, daß die Stufe der Civilisation, auf welcher sich der werdende Blasenträgerstaat befindet, unbedingt eine höhere sein müsse, als diejenige der verrotteten Stützen des Jesuitismus im Herzen Europa’s.

Auch die Staatsgeschlechtstheile gehen den Blasenträgern in ihrer Jugend gänzlich ab. Der junge Staat ist durchaus atheistisch, irreligiös, ohne Spur von Kultus und darauf hindeutenden Gestalten; erst allmälig wird bei größerer Komplikation der Organisation die Nothwendigkeit empfunden, der Staatsmacht eine neue Stütze zu verleihen und zu diesem Endzwecke der offizielle Kultus und die Staatsreligion eingerichtet; – Zeichen der Altersschwäche und der abnehmenden sittlichen Kraft, die bis zur endlichen Auflösung des Staates mehr und mehr überhand nehmen.

Diese Auflösung ist traurig genug. Zuweilen erfolgt die Zerstörung rasch mit einem Schlage; – sie ist wie ein Gewittersturm, der mit rasender Schnelle über den Horizont heranjagt und in einem Nu seine vernichtenden Blitze schleudert. Diese Vernichtungsstürme gehen von den Proletariern aus, welche durch das stete Schweben zwischen Leben und Hungertod erbittert, plötzlich Schwimmblasen, Schluckmäuler, Deckplatten umschlingen und in rasender Wuth abreißen, unbekümmert darum, daß sie selber hierbei zu Grunde gehen. Rührender, weil langsamer, ist das allmälige Absterben des Blasenträgerstaates in Folge von Altersschwäche, Entkräftung und Mangel an Nahrung. Der Staatsschatz nimmt einen trüben Schimmer an, seine glänzenden Farben verlieren sich, seine öde Leere tritt dem Beschauer auf den ersten Blick grauenhaft entgegen. Der Stamm zieht sich zusammen, die Circulation stockt. Die Körner der Ernährungsflüssigkeit rollen nicht mehr in gewohntem Rhythmus auf und ab. Bei der Fortdauer dieses beängstigenden Zustandes lösen sich die Deckplatten zuerst ab und lassen den nackten kahlen Stamm zurück. Natürlich, der Soldat des stehenden Heeres ist nur der von der Civilisation übertünchte Landsknecht des Mittelalters; er verläßt zuerst die Sache, die seinen Dienst nicht mehr bezahlen kann und für die er sein Leben zu lassen bereit ist, wenn man ihm den Blutsold gehörig auszahlt. Kaum hat die Ablösung der bewaffneten Macht begonnen, so fühlt sich auch die Priesterherrschaft nicht mehr sicher und reißt sich mit beschleunigter Eile los, um wenigstens noch zu retten, was gerettet werden kann. Selbst die unreifen Samenkapseln, die unentwickelten Eitrauben lösen sich ab und gehen davon. Ein ungeheuerer Schrecken hat sich anfangs der Schwimmblasen bemächtigt. Der Rhythmus und die Regelmäßigkeit ihrer Bewegungen haben aufgehört. Mit verzweifelter Hast klappen sie unaufhörlich in buntem Wirrwarr durcheinander, so daß jede die Anstrengung des Nachbars zu nichte macht. Endlich reißen sie sich in der Verzweiflung los und stürzen kopfüber der Vernichtung entgegen. Die Schluckmäuler haben sich eingezogen und auf den geringsten Raum zusammengedrängt. Die Proletarier lösen sich nach und nach von ihnen ab, fallen zu Boden und werfen dort zweck- und erfolglos ihre Angelschnüre und Nesselhaken aus. Die Schluckmäuler stülpen sich gänzlich um, werfen ihr Inneres fort und lösen sich so allmälig auf. Endlich bleibt nichts als der zusammengeschnurrte, in Verwesung begriffene Stamm mit der Luftblase, die ihn schwebend an der Oberfläche des Wassers erhält. So ist denn die leere Staatskasse, wie sie den Beginn der ganzen Organisation bezeichnete, in gleicher Weise ihr Endpunkt geworden. Sie bleibt als letzter sichtbarer Rest, bis Alles sich in einen unscheinbaren, zähen, fadenziehenden Schleim aufgelöst hat.

Die Leere der Kasse, die Schulden überleben den Blasenträgerstaat. Sie sind die unsterbliche Seele, die zurückbleibt, nachdem der Leib des staatlichen Organismus in Staub und Schleim versunken ist. Kann man einen bessern Trost für die Besitzer der Staatspapiere finden, als den, daß die Natur schon die Ewigkeit der Staatsschulden entdeckt hat?

Dekretirt mir eine Bürgerkrone, Ihr Herren, für dieß Resultat meiner Studien am Mittelmeer!

Nizza den 1. August 1851.




Schnellpressendruck von C. Krebs-Schmitt in Frankfurt a. M.

  1. Selten wird man im Frühling und Sommer in einer Laube sitzen, ohne daß hin und wieder ein Tropfen Flüssigkeit herunterfällt, [XI] wenn sie von Bäumen, besonders Weiden umschattet ist. Untersucht man die Zweige des Baumes, so findet man an denselben einen weißlichen Schaum, welcher schon vor alten Zeiten den Namen Kuckuksspeichel erhalten hat, weil man wähnte, er käme von diesem Vogel her: er geht aber wahrscheinlich dem Insekt nach, welches darin verborgen liegt und das man daher Schaum- und Gäschtwurm genannt hat. Man findet übrigens diesen Schaum auch auf den Wiesen, wo er fast an allen Gräsern und Kräutern hängt. Der Schaum ist weiß und voll von Luftbläschen, bisweilen häuft er sich so an, daß ein dicker Tropfen Feuchtigkeit, so hell als Wasser, darunter hängt. Die jungen, damit bedeckten Blätter rollen sich zusammen und kommen nicht zu ihrer völligen Größe, weil die Insekten eine beträchtliche Menge Saft daraus saugen: denn man findet gewöhnlich mehrere beisammen, 3 bis 5 und noch mehr. So lange sie im Larven- und Puppenzustande sind, gehen sie nicht heraus, sie sind dadurch gegen die Sonnenhitze und die Anfälle der Raubinsekten geschützt, besonders der Spinnen; indessen werden sie manchmal von Wespen herausgeholt. Nimmt man ihnen denselben, so laufen sie unruhig herum, schrumpfen ein und sterben. Setzt man sie auf einen saftigen Stengel, so saugen sie sich ganz voll, ziehen dann den Schnabel heraus, drehen und heben den Hinterleib nach allen Seiten, worauf nach und nach kleine, schaumartige Wassertropfen an dem Hintern zum Vorschein kommen und zusammenfließen, und das währt so lange, als Saft im Körper ist. Diese luftreichen Tropfen bilden den Schaumklumpen, worin sie sich verbergen. Ist er nicht groß genug, so saufen sie noch einmal und geben wieder Schaum von sich, bis sie wieder ganz davon bedeckt sind. Es ist daher gewiß, daß dieser Schaum kein wirklicher Speichel ist, sondern der Pflanzensaft selbst, welcher aber vorher durch den Leib gehen und einigermaßen verdaut werden muß.
    (Oken S. 1598–1600.)     
  2. Die wenigen Grundsätze, welche hier ausgesprochen wurden, haben im Laufe der Zeit mannigfache Bestätigung erhalten. Ich erwähne nur einer brillanten Versuchsreihe. Mit fieberhafter Spannung, [25] mit jener sorgsamen Angst des Vaters, der sein geliebtes Kind am Rande eines Abgrundes gehen sieht, in den es jeden Augenblick hinabstürzen und sich zerschmettern kann, um nimmer wieder sich zu erheben, mit diesen gemischten Gefühlen von Sorge, Kummer und freudiger Hoffnung folgte der Verfasser den Schritten des Herrn Rießer aus der Ferne. Herr Rießer war gewissermaßen die geheimnißvolle Phiole, in welche des Verfassers Hirndestillat, das er seine Theorie genannt hat, gebannt war – gebannt zu gemeinsamem Fortschreiten durch die Wandelgänge deutscher Politik, erfurtischer Unionswirrgänge und holsteinisch-kurhessischer Ordnungsherstellungen. In Herrn Rießer hatte die Theorie einen ihrer Enormität entsprechenden Körper gefunden. Mit fieberhafter Hast riß der Verfasser die Zeitungen an sich – er las sogar die selig entschlafene Deutsche mit Interesse – Herrn Rießer suchte sein Blick in jenen hohlen Spalten, in jenen Erbgrüften der Edelsten, aus denen die trüben Jammerrufe der lebendig Begrabenen hervorunkten. – Und herrlich trug das Gefäß seinen kostbaren Inhalt durch jene Feuerproben hindurch. Zerwalkt, zerknetet, innerlich haltungslos, schnödem Gallerich oder Oken’schem Urschleime gleich, war Herr Rießer zuletzt ein bedeutungsloser Teig in den Händen des duftenden Zuckerbäckers Biedermann geworden. – Schrecklicher Einfluß der Frankfurter Küche! Aber Herr Rießer entfernte sich nach Hamburg. Kaum waren Rindfleisch, Kaviar und [26] Seefische, in genügender Quantität absorbirt, in seine Circulation übergegangen und seinem erschlafften Körper assimilirt, als Herr Rießer wieder drall wurde und aus der Tiefe seines Magens aufs Neue revolutionäre Dünste aufstiegen. Bald hatten sich diese so sehr verdickt und das Gehirn eingenommen, daß der Edle Anfangs sich weigerte, nach Erfurt zu gehen. Die Uebersendung einer Pastete von Hornau bestimmte den Entschluß. In Erfurt trat er auf, wie im Vorparlamente, kühn, radikal, begeistert, revolutionär. Die Festungskost schwächte etwas die Wirkung der Hamburger Nahrung in ihrer Nachhaltigkeit – das Experiment dauerte leider, trotz der verzweifelten Kunstvorstellungen des preußischen Cagliostro’s, nicht lange genug, um aufs Neue zu jenen Resultaten von Frankfurt zu führen – aber der eingeschlagene Weg ließ sich schon deutlich erkennen. Herr Rießer wurde von der Festungskost erlöst und dem Hamburger Rindfleische wiedergegeben – seit einem Jahre genießt er es wieder – täglich und reichlich – und aufs Neue glänzt er als mächtiger Stern an dem schwach gefärbten Himmel deutscher Opposition, feurige Strahlen schießend gegen diejenigen, welche die Einheit und Größe des Vaterlandes durch rettende Thaten verretteten. O Göttin der Freiheit! Erhalte uns dieß Objekt wissenschaftlicher Beobachtungen noch lange bei wechselnder Nahrung, damit die Theorie eines deiner Jünger nicht an ihm zu Schanden werde!
    Späterer Zusatz.     
  3. Bekanntlich hat Herr Heinrich von Gagern in Frankfurt, Berlin, Gotha, Bremen und Darmstadt vergebens den klaffenden Schlund der Reaktion gesucht. Möge er ihn bald finden, damit das Opfer vollbracht werde. Später suchte er ihn noch in Holstein, und damit sich’s besser ausnähme, hatte er, wie Curtius, seine volle Rüstung, den Helm und die Epauletten angelegt. Allein auch auf den Wällen von Rendsburg, wo nach der pomphaften Versicherung der Partei der letzte Kämpfer für Holstein todtverwundet sich zu der letzten Kanone schleppen sollte, um den letzten Schuß auf die eindringenden Dänen abzufeuern, selbst da fand Heinrich die Opfergelegenheit nicht! Unglücklicher! Wie lange wird er noch suchen müssen?
  4. Ich sagte dieß im Beginne des Jahres 1850. Jetzt sind anderthalb Jahre vergangen – aus weiter Ferne dringt von Zeit zu Zeit ein Klageruf aus dem Norden an mein Ohr. Armes, betrogenes Volk, das jetzt vor dem Eroberer die Mütze ziehen muß, dem der dänische Korporal mit dem Stocke in der Hand den historischen Ruf zuherrscht: „Mütze ab!“ Es wird die Zeit kommen, wo der Schleier [52] über diesem blutigen Drama gelüftet wird, wo es sich zeigen wird, wie Bornirtheit und Niederträchtigkeit das Volk von Schleswig-Holstein betrogen und verrathen haben. Die Zeit wird aus dieser Epoche eine Anklage zusammenhäufen von furchtbarer Wucht, der die kräftigsten Schultern nicht zu widerstehen vermögen, geschweige denn diese geleimten Pappmaschinen der Statthalterschaft und ihrer Genossen. Man wird sehen dereinst, wie man einen unvernünftigen Nationalhaß so lange aufstachelte und nährte, bis der toll gewordene Bulle das Brett, welches ihm seine Leiter vor die Augen banden, für das Ziel seiner Kämpfe, und den Fallstrick, den sie ihm um die Füße warfen, für das Leitseil hielt, das ihn in der Schlacht lenken sollte. Das schleswig-holstein’sche Volk wird einsehen in der Folge, daß es für seine Sklaverei kämpfte, während es für seine Freiheit zu bluten glaubte. Die Lenker, welche es an die Spitze gestellt hatte, wußten schon im Jahr 1848, daß die von ihnen gerufenen Generale nur einen Scheinkrieg führten, daß weder Wrangel, noch Bonin, noch Prittwitz, noch Willisen ernstlich den Sieg über die Dänen wollten, sondern alle Mittel anwandten, ihn zu verhindern. Sie wußten dieß, deßhalb ließen sie beten für ihren Feind, deßhalb vernachlässigten sie die Hilfsmittel, welche das Vertrauen, das getäuschte Vertrauen des Volkes ihnen in die Hand [53] legte. Das Heer wurde nur so viel gebildet, als nöthig war, um der Komödie den Schein des Ernstes zu geben – je mehr die Zeichen des Verrathes sich mehrten, desto mehr hielt man darauf, es unter solcher Leitung zu lassen, daß seine Desorganisation jeden Augenblick möglich war. Alles trompete, paukte und lärmte in allen Theilen von Deutschland über die Sache Schleswig-Holsteins und keiner dachte daran, mit prüfendem Blicke vorauszuschauen und sich zu fragen: Welches Resultat wäre erreicht worden, wenn diese Statthalterschaft gesiegt hätte? Man prüfe das heute – die Antwort wird nicht schwer sein. Nach dem Siege würde man das Land zu den Füßen desjenigen gelegt haben, für den man während des Kampfes betete! Man würde Garantieen verlangt haben, höre ich rufen. Garantieen? Für wen? Für den Bauer, für den Hörigen, für den Proletarier, für den Arbeiter? O nein! Aber wohl für die Herren Etatsräthe, Pastore und für die edle Ritterschaft, jene Brutstätte der Augustenburge und ihrer Genossen! Welche Bürgschaften haben denn diese Menschen hergestellt für das Volk während der drei Jahre, innerhalb deren sie im Namen des Königs-Herzogs das Land regierten? Sagt es uns doch, wir bitten Euch. – – Wir kennen keine!
    18. Juni 1851.     
  5. Oken ersetzt unästhetischerweise die Silbe „leib“ durch ein einfaches n. Obgleich ich zur „rohen“ Linken gehöre, wagte ich dennoch diese einfache Aenderung. Biedermann, vergib mir!
  6. Sollte etwa die Organisation der Deutschen ebenfalls das konstitutionelle System als notwendige Konsequenz bedingen? Herr Dahlmann scheint dieß anzunehmen. Leider ist er nicht Physiologe genug, um den Beweis führen zu können für seine Behauptung, und das Gebahren der Deutschen in Nordamerika möchte eher auf die Annahme führen, daß die ursprünglich republikanische Organisation derselben durch konstitutionelle Kartoffelnahrung in Deutschland sekundär verändert werde.
  7. Wir reden aus Erfahrung. Eine vierzehntägige Nicht-Regierung in der Regentschaft hatte uns schon bedeutend angesteckt. Wir [104] verdanken den Bajonetten Millers und Römers unsere Rettung aus dem inneren Zwiespalte, in welchem die negative Anarchie unserer Stellung mit der positiven Anarchie unserer Persönlichkeit sich befand. Es war hohe Zeit!
  8. Solchen Aberwitz können nur Hofräthe ausbrüten. Man hat die Erfinder des perpetuum mobile in der Wissenschaft für Narren [106] erklärt – aber die Erfinder staatlicher Perpetuums (dafür halten die Dahlmänner das konstitutionelle System) hört man in der Staatswissenschaft noch immer geduldig an. Wann werdet Ihr so klug werden, wie die Physiker?
  9. Das Blatt stammte gewiß aus vormärzlicher Zeit; – es konnte also unmöglich eine Anspielung auf Herrn Heinrich von Gagern enthalten!
  10. Reduvius Zerzogii nov. spec. Varietas: effilans. Die schleifende Varietät der Zerzog’schen Kothwanze. Charaktere der Larve: Pelz grau, dicht behaart; Spinnenfinger mit langen, gebogenen, schwärzlichblauen Klauen am Nagelgliede; auf dem Bauch und auf dem Thorax eine bis drei Reihen glänzender Silberknöpfe; graue Flügelscheiden mit grünen Randsäumen; Hinterfüße enorm, breit, abgeplattet; Augen grau; Haut gelblich, an der Stirne und den Wangen gefurcht, die Furchen stets mit Schmutz zugeschmiert. Stimme brüllend. Lebt in Kehricht und Düngerhaufen am Donau-Ufer und riecht nach ihren Aufenthaltsorten. Die Varietät, welche ich als „effilans“ bezeichne, schleift Messer, Scheeren etc. für fünf Gulden Diäten täglich und brüllt, wenn man ihren Namen ruft. – Das vollkommene Insekt ist noch unbekannt; soll sich aber vielleicht bei günstigem Wetter in Erfurt finden.
  11. Leider gebricht es uns an Raum, die mannichfachen zoologischen Entdeckungen, welche unser Aufenthalt in Frankfurt und die [134] Untersuchung des an neuen, oft höchst sonderbaren Arten reichen Gebietes der Paulskirche uns lieferte, hier näher auseinanderzusetzen. Wir werden demnächst in dem Archiv für Naturgeschichte von Wiegmann oder in dem Journale unsres zoologischen Freundes v. Siebold in Breslau, Gelegenheit finden, unsere Bereicherungen des nomenclator zoologicus der wissenschaftlichen Welt mitzutheilen. Wir führen nur einstweilen, zur Constatirung unserer Prioritätsrechte, einige der ausgezeichnetsten Arten mit kurzer Charakteristik an.
    Acantia brunsvicensis – Braunschweig’sche Reichswanze. Aus der Umgegend von Stadtoldendorf. Geruch ekelhaft, brechenerregend. Verschiebbarer fuchsigbrauner Flaum auf dem Kopfe. Rüssel dick. Beine verkrüppelt, hakenartig gekrümmt. Sehr bissig und hinterlistig. Hält sich besonders gerne in schmutziger Wäsche auf und greift vorzugsweise die Kaiserlinge an.
    Garrulus lyrifer – Leiertragende Schwatzkrähe. Strichvogel von Rügen. Brütet zuweilen am Rhein, besonders bei Bonn; sucht aber noch immer ein deutsches Vaterland. Klein, schwarz, mit weißer Glatze und zwei großen Kokarden, schwarzweiß und schwarz-roth-gold auf der dunkelgrünen Haube. Geschrei ähnlich den Staarmatzen, plappernd, unaufhörlich. Macht vor allen größeren Vögeln tiefe Bücklinge. Beine in Leierform.
    Silpha longibarbis – Langbärtiger Stinkkäfer. Groß, gefurcht, die Furchen mit Schmutz verklebt. An der Unterlippe ein langer, weißgelber Bart, in dem man stets Reste seines Mahles antrifft. Liebt besonders vaterländisches Sauerkraut mit Schweinespeck. Nägel lang, durchscheinend, blauschwarz durch Anhäufung von Schmutz unter der Kralle. Sehr feig, – gibt, wie alle Arten der Gattung Silpha, beim Ergreifen aus dem Hintern eine stinkende Flüssigkeit von sich. Ein ausgezeichnetes Exemplar dieser merkwürdigen Species verpestete auf diese Art am 17. September 1848 in Westendhall zu Frankfurt ein Zimmer in höchst intensiver Weise.
    Pulex gibbus – Höckeriger Sandfloh. Auf Brust und Rücken ein bedeutender Höcker. Sticht sehr empfindlich und peinigt besonders [135] die Piepmeyer’s, unter deren Nägel er sich einbohrt und Eiterbeulen verursacht. Aus der Lüneburger Haide – auch in Hannover einheimisch. Das Weibchen in Frankfurt sporadisch.
    Anophthalmus chamaeleonticus – Schillernde Blindechse. Steif, meist mit geschlossenen Augen. Wechselt sehr leicht die Farben, besonders im September. Aus Schleswig-Holstein; auch in Göttingen. Verbirgt sich gerne unter Pergament. Leicht zu zähmen. Frißt den Königen Weizen aus der Hand.
    Podicifer Gagerni – Gagern’s Hinterdeckträger. Eine wissenschaftlich begründete Art, die das Andenken der Linken sicher überdauern wird. Trägt auf dem Hinterdeck zwei Borstenkämme, welche den Augenbrauen des edlen Gagern gleichen, weßhalb diesem die Art in tiefster Verehrung dedicirt wurde. Unsres Wissens der einzige Käfer, welcher von Bandwürmern eigener Art (Taenia fundamentalis nov. sp. – Grundrechts-Bandwurm) geplagt wird, die ihm auf der Tribüne in ellenlangen Stücken abgehen. Aus Schleswig-Holstein. Ist den Schiffsmasten schädlich, indem er sie anbohrt, um Flaggen daran zu nageln.
    Biedermannia olens – Wohlriechende Biedermannia. Schillerkäfer von ungewisser Färbung, meist blau, zeitweise (vielleicht in der Paarung?) ins Röthliche streifend, was sich aber sehr schnell verliert; glatt; stark nach Patschulli riechend. Beißt nicht. Kriecht häufig in dem Leipziger literarisch-politischen Moder umher.
    Capreolus residans – Residenz-Reh. Im Sommer röthlich-demokratische Färbung, besonders am Rücken und Hintern, welche im Winter gegen eine graue Bedientenlivree gewechselt wird. Schneidezähne fehlen gänzlich. Füße plump. Ob Hörner, ist unentschieden, da bis jetzt nur ein weibisches Exemplar beobachtet wurde. Frißt gerne Kornblumen an den Ufern des Flüßchens Darm.
    Acridium telegraphicum – Telegraphisches Schnarrheupferd. Aus den Sumpfwiesen am Rheinufer, besonders bei Nierstein. Fliegt schlecht, schnarrt viel und laut, gestikulirt mit den langen Vordergliedern, wie mit Telegraphenflügeln. Liebt sein Volk, besonders sein Gesinde so sehr, daß er es prügelt – nach dem biblischen Ausspruche: [136] Wen der Herr lieb hat, den züchtiget er. Meist in Gesellschaft des Reduvius Zerzogii und des Acephalophorus superciliosus anzutreffen. Auch bei dieser Art, wie bei vielen andern Heuschrecken, finden sich gigantische Fadenwürmer, ächte Wasserkälber (Gordius) als Schmarotzer, die auf der Tribüne durchbrechen und die seltsamsten Windungen machen.
    Acetops constitutionalis – Konstitutioneller Essigblicker. Aus der Familie der Stockfische. Ausgezeichnet durch die enorme Lippenwucherung des weit geschlitzten Maules. Steif. Bewegungen zitternd. Jede Schuppe hat die Gestalt eines Paragraphenzeichens. Der Körper ist artikelweise abgetheilt. Jeder Zoll ein „alter Esel“.
    Acephalophorus superciliosus – Ohnekopfträger mit Augenbrauen. Kopf hohl, aufgetrieben, mit zwei ungeheuren Augenbrauen geziert. Trägt Abends mit großer Anstrengung und vielem Schnaufen dicke Kulturballen nach Osten hin. Stimme: feierlicher Baß, tief aus dem Herzen kommend. Haar struppig, grau gesprenkelt. Verwandt mit der folgenden Art, bei deren Schwärmen er gewöhnlich als Leithammel dient. Am Taunus, bei Hornau. Am Rhein, bei Monsheim. Sporadisch in Frankfurt, Hamburg, Bremen, Gotha, Erfurt und Schleswig-Holstein. Die Februargewitter des Jahres 1848 erzeugten bei dem typischen Exemplar die gewöhnlich nur bei Schafen vorkommende Drehkrankheit. Der Blasenwurm, welcher sie erzeugt, hat sich leider in der linken Hirnhälfte entwickelt und diese gänzlich zerstört, so daß das arme Thier sich stets mehr und mehr nach Rechts dreht. In feuchten, verschlossenen Ställen, wie in Erfurt, werden die Anfälle dieser tödtlichen Krankheit besonders intensiv.
    Ululator centralis – Central-Heulaffe. Sehr nachahmungssüchtig aus Dummheit. Kehlkopf vom Heulen blasig aufgetrieben. Viele Spielarten. Schwarzweiß, schwarzgelb, bläulichweiß, sind die häufigsten Farbennuancen. Geht nur in Haufen, nie vereinzelt. Bewegungen sehr langsam. Uebergang zu den Faulthieren. Das neue Genus Ululator ist ungemein verbreitet in zahlreichen Arten und Spielarten, deren Monographie wir demnächst geben werden.
    [137] Bassermannia stridulans – Fistulirender Rheinkrebs, Herrn Bassermann gewidmet. Profil acht römisch, Stirne hoch, sanft nach hinten geneigt. Beine lang, sehr agil beim Davonlaufen; Greifklauen scheerenförmig; Beutel-Anhänge am Hinterleibe, mit Goldkörnern (Eiern?) gefüllt. Ist im Gegensatze zu den übrigen Krebsen ursprünglich blaßroth mit blutigrothen Tropfen, die zeitweise in vormärzlichen Kammern hervortreten – wird aber beim Kochen mit dynastischem Steinsalze blaßgrün. Man benutzt diese Eigenschaft zum Amüsement hoher Gäste bei fürstlichen Tafeln, besonders am Berliner Hofe, indem man lebende Bassermanninen nebst andern Krebsen lebendig aufträgt und sie beim Nachtische mit siedendem Wasser übergießt, wo dann die Bassermanninen sogleich grün werden, während die Krebse sich röthen. Das Leben dieser eigenen Krebsart ist so zäh, daß ein einziges Exemplar dieser Art mehrere Male zu dieser Belustigung für hohe Herrschaften benutzt werden kann. Man ißt sie nicht, da man sie für giftig hält – sie sind aber nur zäh und fade. Das Wasser, worin sie ausgekocht waren, wird für antidemokratisch gehalten und in der Ober-Post-Amts- und Deutschen Zeitung die Maas für einen Heller verzapft. Die Bassermanninen geben fistulirende Töne von sich und leben verborgen in tiefen Uferhöhlen, da sie die Mörderhände fürchten, welche an ihre Thüre klopfen.
  12. Vetter Hirschkäfer! reichsthränelst du auch?
    Anmerk. des Uebersetzters.     
  13. Unser Cayenneser hat offenbar Ovid’s Metamorphosen gelesen. Hochgenuß klassischer Schulbildung, wie viel verdanken wir dir!
    Anmerk. des Uebersetzers.     
  14. Ein Sonnenblick in unserem Exile war das Wiedersehen Welckers auf konstitutionellem Boden unter Victor Emanuels konstitutionellem Scepter. Wir reichten uns die biedere männliche Rechte –

    Er hat nach meinem Vater
    Gar sorgsam und liebreich gefragt,
    Obgleich ihn der in der Schule
    Gar oft geneckt und geplagt.

    Mit Theilnahme erkundigte ich mich nach dem Ziele der Reise. „Ich gehe nach Neapel.“ „Zum König Bomba? Welche Kühnheit!“ „Warum denn?“ „Sie werden ausgewiesen werden, die Polizei läßt Sie nicht hinein!“ „Aber weßhalb nicht?“ „Sie sind Revolutionär!“ „Wohl möglich,“ antwortete mit schmerzlichem Lächeln der Gebeugte. „Aber es geschieht uns Unrecht,“ fügte er mit Resignation hinzu, „wir haben’s wahrhaftig um die gekrönten Häupter nicht verdient.“ „Sie haben Recht, sehr Recht,“ sagte ich mit dem Tone tiefster Ueberzeugung, und der vielgeprüfte Dulder um die konstitutionellen Throne drückte mir innig die Hand, als hätte ich Balsam in seine Wunden gegossen.

  15. Ich sage: die Mehrzahl, und zwar in dem engeren, nach Gotha’scher Ansicht begränzten Deutschland. Die Ausnahmen, die ich gern zur Regel machen möchte, sind um so ehrenvoller.
  16. Wie jener Dorfschreiner, der in der Pfarre ein unentbehrliches und unnennbares Gemach auszumöbliren hatte. Die Frau Pfarrerin, welche sich durch eine seltene Körperfülle auszeichnete, hielt Rath mit ihm über das Maß der anzulegenden Oeffnung. Frau Pfarrerin, sagte der schlichte Mann, gewöhnlich gibt man zwölf Zoll; ich glaube aber (hier schlug er den Maßstab auseinander und sah die Dame mit prüfendem Blicke an) ich glaube, wir können fünfzehn Zoll nehmen!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe Kaffraria
  2. Vorlage: Bienen
  3. Vorlage: Manaco